Zusammenfassung
Ein phänomenologisch sich nähernder Blick in die Subjektivität oder eine archäologisch vorgehende Mentalitätsforschung lässt Beobachtungen beschreiben, die als subjektive, lebensgeschichtlich sich herausbildende kulturelle Tendenzen, als Selbsterfahrungen und Eigenwelten für das Zusammenleben und Lernen von Bedeutung sind. Das sind nicht nur jugendkulturelle Modernisierungen von einigen wenigen Kindern, Jugendlichen (und auch Erwachsenen) aus sozialkreativen Mittelschichtfamilien, sondern sie sind als fünf Tendenzmarkierungen in der Generationenfolge zu verstehen, die viele gesellschaftlichen Milieus erreichen und in sie hinein diffundieren und die auch mit ihrer (pädagogisierenden und psychologisierenden) Semantik gewissermaßen in ironischer Weise in der Alltagswelt längst Realität geworden ist. Es geht bei aller Vorsicht um Tendenzmarkierungen und Deutungen, nicht um empirische Daten; über die verfügen wir bisher allenfalls in Ansätzen (z. Schröder/Leonhardt 1998, Eckert u.a. 2000). Hier hätten deskriptive und empirisch-hermeneutische Studien in der Tradition der Lebensweltforschung und Ethnographie weiter zu erhellen, wie sich jugendkulturelle Realitäten mit all ihren Ambivalenzen konstituieren und verändern bzw. verändert haben. Weiter geht es vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Veränderungen um das Aufzeigen von jugendlichen Erfahrungshorizonten mit Folgen für deren Wahrnehmung, Verarbeiten und Verstehen von sich und der Welt. Gleichzeitig gilt relativierend: Was sich da alltags- und medienvermittelt herausbildet und „in“ der jungen Generation entsteht und was jeweils zeitbezogen als spezifische Beziehung zu den Dingen und Sachverhalten im Subjekt stattfindet, muss nicht was sein, was sich ein Leben lang als gefundene und verfestigte Identität durchträgt.
Es geht im Folgenden um eine ausschnitthafte — und zugegeben auch mit ein wenig Sinn für Spekulation und pointierte Formulierungen — Vergegenwärtigung von einigen kulturellen Modernisierungsprozessen innerhalb der jungen Generation und in der Generationenfolge sowie deren Bedeutung für Lernen und Bildung. Dabei nähere ich mich dem Thema mit ausgewählten Anleihen aus Gesellschaftsdiagnosen, der Jugend(kultur)forschung und der Psychoanalyse in drei Schritten: Erstens sollen mehr phänomenologisch-deskriptiv einige kulturelle Modernisierungstendenzen aufgezeigt werden, zweitens sollen kurz die (neuen) Bedeutungen von jugendkulturellen Gesellungsformen bzw. Praxen als Modus der Vergesellschaftung im Entwicklungsprozess bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen rekonstruiert werden und drittens sollen mit einem psychoanalytischen Blick m.E. zentrale Veränderungen der Subjektausstattung bzw. mentaler Grundmuster in der jungen Generation markiert werden. Hier knüpfe ich an die Denktradition einer kritischen Theorie des Subjektes (im Spannungsverhältnis von innerer Natur und Sozialisation) an, wie sie vor allem im Kontext von kritischer Theorie, Kulturtheorie und Psychoanalyse wiederholt versucht wurde. Die Überlegungen versuchen einige analytische Angebote bzw. Gedanken auf das Thema hin zu verknüpfen, wie sie vor allem von Ziehe (1996, 1998, 2002), Baacke (1993), Ferchhoff (1995, 1999, 2002), Keupp u.a. (1999), Altmeyer (2000, 2002), Wingert (1993) und Honneth (1992, 2000, 2000a, 2001) vorgelegt wurden. Die Vergegenwärtigung soll anregen darüber nachzudenken, ob die von pädagogischen und bildenden Institutionen und deren Erwachsenen (der pädagogischen Profession) in und außerhalb der Schule angebotene Bildung für die junge Generation noch auf der „Höhe der Zeit“ ist und sie „wirklich“ erreicht.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Literatur
Adorno, T. W.: Negative Dialektik, Frankfurt/Main 1967
Altmeyer, M.: Narzissmus und Objekt, Göttingen 2000
Altmeyer, M.: Im Spiegel des Anderen. In: deutsche jugend (2002) Heft 4, S. 162–169
Baacke, D.: Jugend und Jugendkulturen, Weinheim und München 1993
Badawia, T.: „Der Dritte Stuhl“. Eine Grounded Theory-Studie zum kreativen Umgang bildungserfolgreicher Immigrantenjugendlicher mit kultureller Differenz, Frankfurt/M. 2002
BLOS, P.: The adolescent passage. Developmental issues, New York 1979
Bohleber, W.: Seelische Integrationsprozesse in der Spätadoleszenz. In: Leuzingerbohleber, M./Mahler, E. (Hrsg.): Phantasie und Realität in der Spätadoleszenz, Opladen 1993, S. 49–63
Bohleber, W.: Zur Bedeutung der neueren Säuglingsforschung für die psychoanalytische Theorie der Identität. In: Keupp, H./Höfer, R. (Hrsg.): Identitätsarbeit heute, Frankfurt/M. 1997, S. 93–19
Bourdieu, P.: Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital. In: Kreckel, R. (Hrsg.): Soziale Ungleichheiten. Sonderband 2 der Sozialen Welt, Göttingen 1983
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Bmfsfj): Elfter Kinder-und Jugendbericht der Bundesregierung, Berlin 2002
Busch, H.-J.: Intersubjektivität als Kampf um die Anerkennung des Nicht-Intersubjektiven. In: Psyche (2003) Heft 3, S. 262–273
Castells, M.: Das Informationszeitalter, Band 2: Die Macht der Identität, Opladen 2002
Derrida, J.: Seelenstände der Psychoanalyse, Frankfurt/M. 2002
Deutsche Shell (Hrsg.): Jugend 2000 (13. Shell Jugendstudie ), Opladen 2000
Deutsche Shell (Hrsg.): Jugend 2002 (14. Shell Jugendstudie ), Frankfurt/M. 2002
Duerr, H.-P.: Die Tatsachen des Lebens. Der Mythos vom Zivilisationsprozess, Frankfurt/M. 2002
Durkheim, E.: Education et sociologie (1922), Paris 1966
Eckert, R. u.a.: „Ich will halt anders sein wie die anderen“. Abgrenzung, Gewalt und Kreativität bei Gruppen Jugendlicher, Opladen 2000
Elias, N.: Über den Prozeß der Zivilisation, Frankfurt/Main 1976
Erdheim, M.: Die gesellschaftliche Produktion von Unbewußtsein, Frankfurt/M., 1984
Erdheim, M.: Die Psychoanalyse und das Unbewußte in der Kultur, Frankfurt/M. 1988
Erikson, H. E.: Identität und Lebenszyklus, Frankfurt/M. 1973
Frank, M.: Selbstgefühl, Frankfurt/Main 2002
Ferchhoff, W.: Jugendkulturelle Individualisierungen und (Stil)differenzierungen in den 90er Jahren. In: Ferchhoff, W. u.a.: Jugendkulturen — Faszination und Ambivalenz, Weinheim und München 1995
Friebertshauser, B.: Rituale im pädagogischen Alltag. In: neue praxis (2001) Heft 5, S. 491–506
Goffman, E.: Stigma. Über Techniken der Bewältigung beschädigter Identität (1963), 11. Aufl., Frankfurt/M. 1994
Griese, H.: Übergangsrituale im Jugendalter. Jugendweihe, Konfirmation, Firmung und Alternativen, Münster 2000
Gugutzer, R.: Leib, Körper und Identität, Opladen 2002
Habermas, J.: Zur Rekonstruktion des Historischen Materialismus (1976), Frankfurt/M. 1995a
Habermas, J.: Theorie des kommunikativen Handelns. Bd. I: Handlungsrationalität und gesellschaftliche Rationalisierung (1981), Frankfurt/Main 1995b
Habermas, J.: Vorstudien und Ergänzungen zur Theorie des kommunikativen Handelns (1984), Frankfurt/Main 1995c
Hafeneger, B./Henkenborg, P./Scherr, A. (Hrsg.): Pädagogik der Anerkennung, Schwalbach/Ts. 2002
Hegener, W.: Die Ur-Verführung und dass verlorene Objekt — Zum Modell der Einschreibung des Triebs in der Theorie Freuds. In: Psyche (2002) Heft 8, S. 721–755
Helsper, W.: Das postmoderne Selbst — ein neuer Subjekt-und Jugendmythos. Reflexionen anhand religiöser jugendlicher Orientierungen. In: Keupp, H./Höfer, R. (Hrsg.), Identitätsarbeit heute: klassische und aktuelle Perspektiven der Identitätsforschung, Frankfurt/Main 1997, S. 174–206
Holmes, J.: John Bowlby und die Bindungstheorie, München/Basel 2002
Hondrich, K.-O.: Der Neue Mensch, Frankfurt/Main 2001
Honneth, A.: Kampf um Anerkennung, Frankfurt/Main 1992
Honneth, A.: Objektbeziehungstheorie und postmoderne Identität. In: Psyche (2000) Heft 11, S. 1087–1109
Honneth, A.: Das Andere der Gerechtigkeit, Frankfurt/Main 2000 a
Honneth, A.: Facetten des vorsozialen Selbst. In: Psyche (2001) Heft 8, S. 790–802
Honig, M.-S.: Pädagogische Qualität als erziehungswissenschaftliches Problem. In: neue praxis (2002) Heft 3, S. 216–230
Kernberg, O. F.: Wut und Haß. Über die Bedeutung von Aggressionen bei Persönlichkeitsstörungen und sexuellen Perversionen, Stuttgart 1997
Kernberg, O. F.: Affekt, Objekt und Übertragung, Gießen 2002
Keupp, H./Hofer, R. (Hrsg.): Identitätsarbeit heute: klassische und aktuelle Perspektiven der Identitätsforschung, Frankfurt/Main 1997
Keupp, H. u.a.: Identitätskonstruktionen. Das Patchwork der Identitäten in der Spätmoderne, Hamburg 1999
Krappmann. L.: Soziologische Dimensionen der Identität. Strukturelle Bedingungen für die Teilnahme an Interaktionsprozessen, Stuttgart 1973
Laufer, M./Laufer, E.: Adoleszenz und Entwicklungskrise, Stuttgart 1989
Leuzinger-Bohleber, M./Mahler, E.: (Hrsg.): Phantasie und Realität in der Spätadoleszenz, Opladen 1993
Luhmann, N.: Das Erziehungssystem und die Systeme seiner Umwelt. In: Luhmann, N./Schorr, K. E. (Hg): Zwischen System und Umwelt: Fragen an die Pädagogik, Frankfurt/M. 1996, S. 14–52
Luhmann, N.: Was ist Kommunikation? In: Simon, F.-B. (Hrsg.): Lebende Systeme, Frankfurt/M. 1997, S. 19–31
Luhmann, N.: Das Erziehungssystem der Gesellschaft, Frankfurt/M. 2002
Mead, G. H.: Mind, self und society, Chicago 1936
Mead, G. H.: Geist, Identität und Gesellschaft aus der Sicht des Sozialbehaviorismus, Frankfurt/M., 1991
Münchmeier, R.: Jugendarbeit in der Offensive. In: Lindner, W./Thole, W./Weber, J. (Hg.): Kinder-und Jugendarbeit als Bildungsprojekt, Opladen 2003, S. 69–86
Orange, D. M./Atwood, G. E./Stolorow, R. D.: Intersubjektivität in der Psychoanalyse, Frankfurt/M. 2001
Psyche, Sonderheft „Entwicklungsforschung, Bindungstheorie, Lebenszyklus“, September/Oktober 2002
Rittelmeyer, Chr.: Pädagogische Anthropologie des Leibes, Weinheim und München 2002
Scherr, A.: Soziologische Systemtheorie als Grundlage einer Theorie der Sozialen Arbeit. In: neue praxis (2002) Heft 3, S. 258–268
Schroder, A./Leonhardt, U.: Jugendkulturen und Adoleszenz, Neuwied 1998 Sennett, R.: Der flexible Mensch, Berlin 1998
Soeffner, H.-G.: Die Ordnung der Rituale, Frankfurt/Main 1995
Van Gennep, A.: Übergangsriten (Original: Les rites de passages 1909), Frankfurt/Main 1986
Whitebook, J.: Die Grenzen des,intersubjektive turn’. In: Psyche (2003) Heft 3, S. 251–261
Wingert, C.: Der Grund der Differenz: Subjektivität als ein Moment von Intersubjektivität. In: Brumlik, M./Brunkhorst, H. (Hrsg.): Gemeinschaft und Gerechtigkeit, Frankfurt/Main 1993
Ziehe, T.: Bindungen und Selbsterprobungen — Jungen-Pubertät im Prozeß der kulturellen Modernisierung. In: Hafeneger, B./Jansen, M./Klose, Chr. (Hrsg.): „Mit fünfzehn hat es noch Träume…“, Opladen 1998, S. 39–80
Ziehe, T.: Öffnung der Eigenwelten — Bildungsangebote und veränderte Jugendmentalitäten. In: kursiv (2002) Heft 1, S. 12–17
Ziehe, T.: Vom Preis des selbstbezüglichen Wissens. In: Combe, A./Helsper, W. (Hrsg.): Pädagogische Professionalität, Frankfurt/Main 1996, S. 924–942
Ziehe, T.: Schule und Jugend — ein Differenzverhältnis. In: Neue Sammlung (1999) Heft 4, S. 619–629
Editor information
Editors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 2003 Leske + Budrich, Opladen
About this chapter
Cite this chapter
Hafeneger, B. (2003). Lernen und Bildung im Prozess jugendkultureller Modernisierung. In: Koch, J., Rose, L., Schirp, J., Vieth, J. (eds) Bewegungs- und körperorientierte Ansätze in der Sozialen Arbeit. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-91387-6_8
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-91387-6_8
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Print ISBN: 978-3-8100-3945-3
Online ISBN: 978-3-322-91387-6
eBook Packages: Springer Book Archive