Zusammenfassung
Vor einiger Zeit wurde mir von einem Sozialpädagogen ein elfjähriger Junge überwiesen, weil er in Schule und Wohngemeinschaft durch aggressives Verhalten aufgefallen war. Die Betreuerinnen waren sich bezüglich der Ursachen und der pädagogischen Maßnahmen im Unklaren. Christoph wurde zu unserem ersten Treffen von seiner Bezugsbetreuerin begleitet. Er wirkte kleiner und unscheinbarer, als ich ihn mir durch die Ankündigung vorgestellt hatte. Die ersten Minuten saß er schüchtern da, ohne mir in die Augen zu sehen. Er saß auf der Kante des Sessels, die Hände zwischen die Knie geklemmt, in einer wahrlich nicht gemütlichen oder entspannten Lage. Eine Baseballkappe hatte er verkehrt auf, so dass das Schild seinen Nacken bedeckte. Er machte einen gedrückten, fast geknickten Eindruck und löste bei mir Gefühle der Sympathie und der Anteilnahme aus. Gleichzeitig war ich aber ratlos, wie ich mit ihm ins Gespräch kommen könnte und machte mir bereits in den ersten Minuten Phantasien, wie ich ihn, wenn die Spannung zu groß werden würde, früher entlassen könnte. Aber es kam anders. Er unterbrach die anfängliche Stille mit der Frage: „Wie lange wird das da dauern? Wir fahren morgen auf Urlaub. Ich muss noch packen.“ Ich versuchte mit meinen Worten auszudrücken, wie ich mich fühlen würde, wenn ich — ohne zu wissen warum — vor einem wildfremden Menschen, einem Psychotherapeuten sitzen würde und etwas von mir erzählen sollte. Er schien wider Erwarten Vertrauen gefasst zu haben und begann von seinen Problemen und seiner ergreifenden Lebensgeschichte zu erzählen. Die Stunde verging wie im Flug. Zum Abschied drückte er noch seine Freude auf unser nächstes Treffen aus. Bei einer Besprechung mit Sozialpädagogen wurde mir einige Tage später schmunzelnd berichtet, wie Christoph, wieder zuhause, stolz seinen Wohngemeinschaftskollegen verkündet hatte, dass er mir gleich klargemacht hätte: „Von dir, du schwule Sau, lass ich mir nichts erzählen.“ In der Folge seien auch noch andere deftige Worte gefallen wie Schwuchtel,Arschficker u.ä.
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Schreckeis, M. (2000). „Du schwule Sau!“ — Homophobie. In: Bieringer, I., Buchacher, W., Forster, E.J. (eds) Männlichkeit und Gewalt. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-91371-5_28
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Print ISBN: 978-3-8100-2612-5
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