Zusammenfassung
Es war mein erstes Dienstjahr. Ich stand in einer 4. Klasse Gymnasium und versuchte einen „Stundeneinstieg“ zum Thema Sucht. Als für die Schülerinnen und Schüler klar wurde, wohin sie dieser Motivationsversuch führen sollte, erschien ein vielsagendes Lächeln auf ihren Gesichtern und beinahe gleichzeitig war ein Name zu hören: „Prof. M.“ Dieser Name war auch in den darauffolgenden Unterrichtseinheiten immer wieder zu hören, als es um eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Phänomen Sucht ging: „Prof. M. sagt...“, „Prof. M. meint...“. Hatte ich bei der ersten Nennung des Namens den Impuls verspürt, „Prof. M.“ zu beschützen, immerhin wusste die ganze Schule, dass er passionierter Raucher war, so hatte ich allmählich das Gefühl, dass er als eine Art „steinerner Gast“ während des Unterrichts anwesend war, dem gegenüber ich meine Kompetenz und Autorität verteidigen musste. Also versuchte ich, noch interessantere „Stories“ in den Unterricht zu bringen und meine Ansichten mit noch mehr Fakten abzusichern, was sich für die Schülerinnen und Schüler in einer wahren Stoff- und Merkblattflut auswirkte. In einer Pause, während meiner „Gangaufsicht“, sah ich eine Schülertraube mit Schülerinnen und Schüler aus der 4. Klasse und in ihrer Mitte der Kollege „Prof. M.“, alle lachten und scherzten. „Ah, Herr Kollege, ich höre gerade, dass sie in der vierten [Klasse] interessante Stunden über Sucht haben“, sprach er mich mit aufrichtiger Herzlichkeit an. Da rief eine vorlaute Stimme: „Das wäre was für Sie, Herr Professor!“ — eine Anspielung auf die Rauchleidenschaft des Kollegen. „Prof. M.“ antwortete, aus ganzem Herzen lachend, „ich fürchte, für mich wird es wohl zu spät sein. Aber für euch ist es eine Chance, dass ihr nicht so endet wie ich.“
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Literatur
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Vogt, Gregor M., Stephen T. Sirridge: Söhne ohne Väter. Vom Fehlen des männlichen Vorbilds, Frankfurt 1993
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Lehner, E. (2000). Brauchen Jungen Vorbilder?. In: Bieringer, I., Buchacher, W., Forster, E.J. (eds) Männlichkeit und Gewalt. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-91371-5_16
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