Zusammenfassung
„Behütende“ und „verbergende“ Scham? Was meint diese von E. Straus1 stammende Unterscheidung? Und wie ist das Verhältnis beider zueinander anzusetzen? Gibt es neben der — aus welchen Gründen und mit welchem Erfolg oder Mißerfolg auch immer — „verbergen“ wollenden Scham überhaupt so etwas wie eine „behütende Scham”? Will nicht auch eine behütende Scham letztlich verbergen — freilich nicht etwas Nicht-sein-Sollendes, Nicht-Akzeptiertes, sondern etwas vielleicht zu sehr „ans Herz Gewachsenes“, Intimes, etwas, das als noch zu zart — zu „empfindlich“ — erachtet wird, um gewaltsam ans Tageslicht gezerrt oder „zerredet“ zu werden?
This is a preview of subscription content, log in via an institution.
Buying options
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Learn about institutional subscriptionsPreview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Literatur
E. Straus, Die Scham als historiologisches Problem. Schweiz. Arch. Neurol. Psychiat. 31 (1933)
Wiederabdruck in: Ders., Psychologie der menschlichen Welt. Berlin (Springer) 1960.
G. H. Mead, On social psychology (ed. by Anselm Strauss), Chicago (Univ. of Chicago Press) 1964
A. Schütz, Common sense and scientific interpretation of human action. Philosophy and phenomenological research 14 (1953), S. 1–13 (übers.
B. Luckmann und R. Grathoff in: Gesammelte Aufsätze Bd. I, The Hague (Nijhofl) 1971 S. 3–54 )
Übersicht über die ältere Literatur bei R. J. de Folter, Reziprozität der Perspektiven und Normalität bei Husserl und Schütz. In: R. Grathoff, B. Waldenfels (Hg.), Sozialität und Intersubjektivität. München (Fink) 1983.
Dazu ist E. Levinas zu zitieren: „Diese Situation […] ist das Verhältnis zu dem Anderen (Autrui), das Von-Angesicht-zu-Angesicht […] den Anderen zugleich gibt und entzieht.“ (Deys., Die Zeit und der Andere Reinbek [Rowohlt] 21989, S. 50.)
Man könnte sogar umgekehrt formulieren: Was Scham auslöst, nennen wir „peinlich“, was dann allerdings nur auf die verbergende Scham zuträfe. Zur „Peinlichkeit” vgl. R. J. Edelman, The psychology of embarrassement. Chichester (Wiley) 1987.
Für die Überlassung des Textes möchte ich Herrn Dr. A. Mishara und dem Leiter des Ludwig-Binswanger-Archivs in Tübingen, Herrn Prof Dr. Fichtner, sehr herzlich danken.
Vergleichbar in etwa der Differenz zwischen quaestio facti und quaestio juris
J. G. Herder, Über den Ursprung der Sprache. In: Sämtliche Werke (hg. von B. Suphan), Berlin (Weidmannsche Buchhandl.) 1891, Bd. 5, S. 26
A. Portmann, Biologische Fragmente zu einer Lehre vom Menschen Basel (Schwabe) 21951.
F. Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse. Werke in drei Bänden (hg. von K. Schlechta). München (Hanser) o. J., Bd. II, S. 625.
Hierzu wäre auf ein Fülle von Literatur zu verweisen, in psychoanalytischer Hinsicht vor allem auf die Arbeiten L. Wurmsers.
Vgl. W. Blankenburg, Cognitive aspects of love. In: F. J. Smith, E. Eng (Eds.), Phenomenology of eros. The Hague (Nijhoff) 1972. S. 23–39, noch einmal neu konzipiert in: Eros und Erkenntnis. Vortrag in Hannover am 25. 5. 1995.
F. v. Baader, Über die Analogie des Erkenntnis-und des Zeugungstriebes [ 1808 ]. In: ders., Gesammelte Werke. Leipzig (Bethmann) 1851–1860. (Hier zitert nach der Auswahl Schriften Franz von Baaders [Ausgewählt und herausgegeben von Max Pulver]. Leipzig (Insel) 1921, S. 31–38. - Nietzsche hat (ohne Anknüpfung an diese Tradition) auf seine Weise die Beziehung zwischen Erkennen und Zeugen geradezu dithyrambisch beschworen, z.B. in „Also sprach Zarathustra“ (in: Werke, a.a.O.; Bd. II) und in anderen Werken.
Bei Platon ist von „Anamnesis“ die Rede, bei Schelling von „Transzendentalem Gedächtnis”,bei Husserl von Aufdecken konstitutiver Schichten. Zum Problem des Erinnerns unter diesen Aspekten gibt es eine umfangreiche Literatur; vgl. insbesondere G. H. Seidler, Der Blick des Anderen. Eine Analyse der Scham Stuttgart (Internationale Psychoanalyse) 1995.
Vgl. dazu neuerdings H.-P. Warsitz, Die widerständige Erfahrung der Psychoanalyse zwischen den Methodologien der Wissenschaften. Psyche 51 (1997), S. 101–142
Der Begriff „Anerkennung“ ist eine der wichtigsten Kategorien in der Pänomenologie des Geistes von Hegel. Binswanger hat ihr in „Grundformen und Erkenntnis menschlichen Daseins” (München-Basel [Reinhardt] 1942) einen wichtigen Abschnitt gewidmet, betitelt „Exkurs über Hegels dialektische Vereinigung von Liebe und Vernunft in der Bewegung des Erkennens zum Anerkennens“. Für die Psychiatrie ist (vom Verf. abgesehen) die Bedeutung der Kategorie des Anerkennens besonders von E. Wulff akzentuiert worden (Vgl. ders., Wahnsinnslogik. Von der Verstehbarkeit schizophrener Erfahrung Bonn (Psychiatrie-Verlag) 1995).
G. W. F. Hegel, Theorie Werkausgabe. Bd. 1 (Jugendschriften), Frankfurt (Suhrkamp) 1979, S. 247.
Vgl. unter anderem B. Kimura, Zwischen Mensch und Mensch. Strukturen japanischer Subjektivität. Darmstadt ( Wissensch. Buchgesellschaft ) 1995.
Diese Unterscheidung - bei Schelling und seinen Zeitgenossen ein wichtige Rolle spielend - reicht bis in das Mittelalter zurück, was uns hier nicht interessieren muß.
Aus dem Alten Testament ist dies in einer sehr bildkräftigen Weise dargestellt in der Weise, wie die Söhne des Noah mit dem Vater umgehen, der sich im Trunk entblößt hatte. Das Beispiel verweist auf den hohen Stellenwert, den die Bedeckung der „Scham“ hatte. Die in verschiedenen Sprachen geläufige Bezeichnung der Geschlechtsteile als „Scham” zeigt, wie stark hier ein Objekt der Scham und die Umgangsweise mit ihm in dem einzigen Wort „Scham“ konfluieren.
Goethe empfahl demgegenüber eine „zarte(n) Empirie, die sich „mit dem Gegenstand innigst identisch“ mache und „dadurch zur eigentlichen Theorie” werde (Sprüche in Prosa Nr. 906).
Vgl. dazu W Blankenburg, Was heißt »Erfahren«? In: A. Métraux, C. F. Graumann (Hg.), Versuche über Erfahrung. Bern-Stuttgart-Wien (Huber) 1975.
W. Blankenburg, Perspektivität und Wahn. In: W. Blankenburg (Hg.), Wahn und Perspektivität. Stuttgart (Enke) 1991.
Dies war eine der Grundthesen, die der Autor auch in der Tagung „Intersubjektivität und Interpersonalität“ 1993 in Marburg vertrat.
Editor information
Editors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 1997 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen
About this chapter
Cite this chapter
Blankenburg, W. (1997). Funktionen der Scham. In: Kühn, R., Raub, M., Titze, M. (eds) Scham — ein menschliches Gefühl. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-91270-1_13
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-91270-1_13
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Print ISBN: 978-3-531-12951-8
Online ISBN: 978-3-322-91270-1
eBook Packages: Springer Book Archive