Zusammenfassung
Mit den eingangs beschriebenen ökonomischen und sozialen Strukturveränderungen der entstehenden Industriegesellschaft nahm die rassenhygienische und eugenische Theoriebildung Mitte des 19. Jahrhunderts ihren Ausgang. Die Verelendung des städtischen Proletariats bildete sich auf der Bewußtseinsebene in einem weitverbreiteten und in apokalyptischen Untergangsvisionen zeitgenössischer trivialer und kulturtheoretischer Literatur manifestiertem Kulturpessimismus ab, der in der Degenerationsthese mündete. Die geistesgeschichtliche Tradition des Degenerationsbegriffs reichte aber bereits von Rousseaus „Discours sur l’inegalité...“(1755) über einen von Gobineau prognostizierten, durch Rassenmischung verursachten Niedergang der Kulturvölker bis hin zur Dekadenzbewegung, die dem Gedanken des Untergangs der europäischen Zivilisation Ende des 19. Jahrhunderts große Popularität verschaffte. Und schon die Dekadenzliteratur schrieb der Vererbung eine zentrale Bedeutung zu: Kapitalistische Arbeits- und Lebensbedingungen brächten die dem Menschen innewohnenden Anlagen von Krankheit und Verbrechen zum Durchbruch und forcierten so den moralischen und physischen Verfall der Gesellschaft. Nietzsche, der in seinem Denken eine spezifische Verflechtung des politisch-kulturellen Dekadenzbegriffs mit dem biologischen Begriff der Degeneration vollzog,71 legte die Grundlage für die weite Verbreitung des geistesgeschichtlichen Entartungsgedankens im Bürgertum und wurde so zu einem der Wegbereiter wissenschaftlicher Rassenhygiene/Eugenik.
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© 1995 Deutscher Universitäts-Verlag GmbH, Wiesbaden
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Herlitzius, A. (1995). Rassenhygiene und Eugenik in Wilhelminischer Zeit und Weimarer Republik. In: Frauenbefreiung und Rassenideologie. DUV Sozialwissenschaft. Deutscher Universitätsverlag. https://doi.org/10.1007/978-3-322-91030-1_4
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Publisher Name: Deutscher Universitätsverlag
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