Zusammenfassung
Hartmut Esser beklagt in seinem Aufsatz „Wo steht die Soziologie?“ (2002) die Zersplitterung der theoretischen und methodologischen Ansätze von Soziologen. Im Sinne der Zukunftsfähigkeit des Faches fordert er Soziologen auf, nach gemeinsamen Grundlagen zu suchen und verschiedene soziologische Perspektiven zu reintegrieren. Ein solcher Versuch hat nur Aussicht auf Erfolg, sofern überhaupt noch Gemeinsamkeiten zwischen verschiedenen Positionen exsitieren. Gibt es diese? Essers (1999a; 1999–2001; 2002) klare Antwort lautet: „Ja“. Alle Soziologen können sich auf Max Webers klassische Definition von Soziologie berufen:
„Soziologie (…) soll heißen: eine Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will.,Handeln’ soll dabei ein menschliches Verhalten (einerlei ob äußeres oder innerliches Tun, Unterlassen oder Dulden) heißen, wenn und insofern als der oder die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn verbinden. ‚Soziales Handeln’ aber soll ein solches Handeln heißen, welches seinem von dem oder den Handelnden gemeinten Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist.“ (Weber 1921:1)
Was Esser dabei nicht explizit macht, ist, dass jegliches soziale Handeln zeitgebunden und veränderlich ist: Es ist gar nicht möglich, Menschsein oder Gesellschaftlichkeit ohne Zeit zu denken. Damit ist Soziologie auch ohne die Kategorie „Zeit” nicht denkbar. Warum?
„Wenn er gelächelt hätte, warum hätte er gelächelt? Bei dem Gedanken, daß jeder, der hereinkommt, sich einbildet, er sei der erste, der hereinkommt, während er doch immer der letzte einer vorangegangenen Reihe ist, selbst wenn er der erste einer nachfolgenden ist, insofern als sich jeder einbildet, der Erste, Letzte, Einzige und Alleinige zu sein, während er doch weder der erste noch der letzte noch der einzige und alleinige ist in einer Reihe, die im Unendlichen beginnt und ins Unendliche sich fortsetzt.“
James Joyce, Ulysses
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© 2005 VS Verlag für Sozialwissenschaften/GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden
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Baur, N. (2005). Einleitung: Zeit als Kernkategorie der Soziologie. In: Verlaufsmusteranalyse. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-90815-5_1
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-90815-5_1
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Print ISBN: 978-3-531-14727-7
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