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Theoretische Überlegungen zum Begriff des Milieus

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Das Büro als Milieu
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Zusammenfassung

Fragt man nach den Gründen, wann und warum sich Menschen beruflich orientieren oder weiterbilden wollen, so ist diese Frage eng verknüpft mit der Frage nach der individuellen Orientierung sowie nach den im kollektiven Rahmen des Milieus vorfindbaren und den dort zugelassenen Handlungsalternativen. Um aber die im Alltag verborgenen Möglichkeiten wahrzunehmen und sie im Handeln umzusetzen, müssen vom Einzelnen die Grenzen dieses Rahmens tendenziell in Frage gestellt werden. Das Ausbalancieren des Verhältnisses zwischen Vertrautem und Neuem ist eine der entscheidenden Voraussetzungen dafür, daß sich individuelles Handeln im Alltag nicht nur als Beharrungsmoment, gestützt auf vertraute Routinen, sondern auch als Handlungspotential zur Bewältigung neuer Anforderungen entwickeln kann. Folgt man Musils Überlegungen (die in ihrer literarischen Form für eine erkenntnistheoretische Kontroverse stehen, die auch heute noch andauert)17, so ist es der Sinn für das Mögliche, der Phantasie freisetzt und Grenzüberschreitungen in der Wirklichkeit des alltäglichen Lebens möglich werden läßt18.

Es ist die Wirklichkeit, welche die Möglichkeiten weckt, und nichts wäre so verkehrt, wie das zu leugnen.

Musil

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Literatur

  1. MUSIL war — wie JANIK/TOULMIN darlegen — “von Machs klarem, analytischen Denken, vom Exaktheitsideal in den Naturwissenschaften (tief beeindruckt)” (1987, 15). Dennoch übersah er keineswegs die dem MACHschen Positivismus immanente Reduktion des Erlebens: “Die beiden fundamental gegensätzlichen Perspektiven des Lebens: die ‘öffentliche’, kommunizierbare und die ‘seelische’, unausdrückbare, nur in Gleichnissen wahrnehmbare, bleiben für MUSIL unvermischt bestehen.” (ebd., 15) Als Zeitgenosse MUSILs, greift WITTGENSTEIN — auf den ich an späterer Stelle noch zurückkomme — dieses Problem ebenfalls, aus philosophischer Sicht, auf. Auch WITTGENSTEIN — der ursprünglich Maschinenbau studiert hatte und ebenso wie MUSIL, der als Ingenieur tätig war, sich einer naturwissenschaftlichen Orientierung nicht entziehen mochte — empfand die Begrenztheit der auf Aussagelogik bezogenen Elementarsätze seiner sprachphilosophischen Betrachtungen sehr wohl. Indem er sich in seinen späteren Schriften dem Begriff des Sprachspiels näherte, vollzog er zugleich eine Abwendung vom Positivismus. Für ihn gewann damit das Unsagbare, das nicht (mehr) Meßbare und in logische Strukturen nicht Übersetzbare an Bedeutung. An die Stelle der Eindeutigkeit trat für ihn die Beschreibung und damit die Vielschichtigkeit der Welt.

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  2. Die entsprechende Passage aus dem Roman: “Der Mann ohne Eigenschaften” sei hier angefügt: “Wenn man gut durch geöffnete Türen kommen will, muß man die Tatsache achten, daß sie einen festen Rahmen haben: Dieser Grundsatz, nach dem der alte Professor immer gelebt hatte, ist einfach eine Forderung des Wirklichkeitssinns. Wenn es aber Wirklichkeitssinn gibt, und niemand wird bezweifeln, daß er seine Daseinsberechtigung hat, dann muß es auch etwas geben, das man Mög-lichkeitssinn nennen kann. Wer ihn besitzt, sagt beispielsweise nicht: Hier ist dies oder das geschehen, wird geschehen, muß geschehen sondern er erfindet: Hier könnte, sollte oder müßte geschehen; und wenn man ihm von irgend etwas erklärt, daß es so sei wie es sei, dann denkt er: Nun, es könnte wahrscheinlich auch anders sein. So ließe sich der Möglichkeitssinn geradezu als die Fähigkeit definieren, alles, was ebensogut sein könnte, zu denken und das, was ist, nicht wichtiger zu nehmen als das, was nicht ist.” (MUSIL 1987, 16)

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  3. In diesem Zusammenhang von Tabus zu sprechen, erscheint schon deshalb nicht als abwegig, hält man sich allein die Sanktionen verschiedenster Art (bis hin zur Nichtbeachtung entsprechender Forschungsergebnisse und Ansätze) vor Augen, die die Thematisierung des (milieubefangenen/kollektiven) subjektiven Standpunkts des Forschers ausgelöst hat.

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  4. Verständigung wird hier als sprachliche Umsetzung alltagssprachlicher Symbolisierungen verstanden.

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  5. So kann an dieser Stelle auch nur am Rande erwähnt werden, daß der ‘Wiener Kreis’, zu dem WITTGENSTEIN zumindest zeitweise in Kontakt stand, sich für die Theorien des Amerikanischen Pragmatismus, und hier insbesondere für MORRIS, der sich seinerseits auf PEIRCE stützte, interessierte (vgl. JANIK/TOULMIN 1987).

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  6. LORENZER (1977) führt dazu aus: “Wittgenstein geht es mithin — mit der zentralen Intention, die dem Sprachspielmodell zugrunde liegt — nicht um die Probleme von Gegenstandsbezug und Sprachsystem nach Art des Zusammenspiels von Zeichen und Bezeichnetem. Die Trennung wird vielmehr unterlaufen und der Blick auf jenes Problem gerichtet, das mit dieser Trennung zugedeckt wird: das der Begründung von Sprache in menschlicher Praxis.” (ebd., 27) LORENZER verweist aber andererseits darauf, daß dem Sprachspielmodell analytisch gesehen eine Grenzziehung zum psychoanalytischen bzw. tiefenhermeneutischen Verstehen immanent ist. Aus seiner Sicht “taugt der Sprachspielbegriff: a. Nicht zur Kennzeichnung von Erscheinungen menschlichen Verhaltens, sondern nur als Begriff vom menschlichen Wesen. Genauer: Das Sprachspielmodell ist als Begriff individueller Struktur anzusehen. Als Strukturbegriff faßt er die Grundelemente von Sprache und Handeln, beide als Niederschlag konkreter Interaktionen (als symbolische Interaktionsformen). b. Indem die Konstitution der Grundelemente von Sprache und Handeln begriffen wird, kann die individuelle Struktur als Produkt des besonderen Produktionsprozesses “Sozialisation” durchsichtig werden, können Bewußtseinsfiguren wie Handlungsentwürfe als Synthesis von Natur und gesellschaftlicher Praxis begriffen werden, c. Im Rahmen einer Strukturtheorie gibt das Sprachspielmodell — in der Spannweite zwischen seinen Konstituentien Praxis und Sprache -eine Folie ab, auf der die Bildung von Bewußtseinsfiguren aus der (in konkreten Interaktionen realisierten) Praxis darstellbar wird.” (ebd., 34f)

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  7. Es wird sich hier wie auch im weiteren auf das Spätwerk WITTGENSTEINS bezogen.

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  8. Zu beachten ist hier, daß die Regeln der Umgangssprache sich als Regeln in der Alltagssprache wiederfinden. Ohne diesen Grundkonsens wäre sprachliche Verständigung nicht möglich.

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  9. GRATHOFF verweist darauf, daß die Verbindung zwischen PEIRCE und MEAD wissenschaftlich noch nicht hinreichend ausgelotet sei, doch seien die Verbindungslinien evident. Ein Beleg dafür findet sich in folgenden Ausführungen von PEIRCE: “Worin besteht denn die Identität des Menschen und wo ist der Sitz seiner Seele? Mir scheint, daß diese Fragen in der Regel eine sehr enge Anwort finden. Wir mußten sogar lesen, die Seele residiere in einem Teilorgan des Hirns nicht größer als ein Stecknadelkopf!… Aber sind wir eingeschlossen in einen Kasten Fleisch und Blut? Wenn ich meine Gedanken und meine Gefühle einem Freund mitteile, dem ich voller Sympathie verbunden bin, so daß meine Gefühle in ihn übergehen und ich mir bewußt bin, was er fühlt, lebe ich dann nicht in seinem Hirn ebenso wie in meinem — und das im wörtlichen Sinn..? Es gibt diese erbärmlich materielle und barbarische Vorstellung, nach der ein Mensch nicht an zwei Orten zugleich sein kann; als wäre er ein Ding!… Jeder Mensch hat eine Identität, die weit seine animalische Natur tranzendiert; ein Wesen, einen Sinn wie flüchtig auch immer. Nur kann er selbst seine eigene wesentliche Bedeutung nicht erkennen; seinem Auge ist dies ein Balken. Das Faktum der Sympathie, nämlich das Gefühl der Verbundenheit mit allen uneigennützigen Interessen und allem, was wir als absoluten Wert eines Menschen empfinden, findet seinen wahren und exakten Ausdruck darin, daß der Mensch wahrhaftig diese hinausreichende Natur hat…” (zit. nach GRATHOFF 1989, 80)

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  10. Ich wende mich hier dem Milieubegriff von GRATHOFF zu. Dennoch sollen einige Erläuterungen zu seiner Tradition nicht unterbleiben. Zurück geht dieser Begriff im wesentlichen auf SCHELER und wurde kritisch aufgenommen von GURWITSCH, der seinerseits eng mit SCHÜTZ — welcher diesen Begriff jedoch nicht explizit in seine Theoriebildung einbezog — zusammenarbeitete. GURWITSCH wandte sich allerdings gegen die von SCHELER postulierten anthropologischen Prämissen einer vorgegebenen Wertewelt und Triebstruktur. GURWITSCH begreift vielmehr Milieu als konkrete Welt mit all ihren Milieudingen, als ein Verhältnis zwischen Menschen mit implizitem Wissen um den Milieuzusammenhang. Erst aus diesem Gewohnheitszusammenhang — und nicht a priori wie bei SCHELER — konstituiert sich ein Milieu.

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Dilcher, B. (1995). Theoretische Überlegungen zum Begriff des Milieus. In: Das Büro als Milieu. Gabler Verlag. https://doi.org/10.1007/978-3-322-90649-6_3

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