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Psychologie der Megamaschine Zu den Strukturkräften in der menschlichen Naturbeziehung

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Mensch — Natur

Zusammenfassung

Der Hintergrund dieses Bandes ist ein praktisches Problem: die ökologische Krise der westlichen Industriekulturen in ihrer weltweiten Bedeutung. Diese Krise zwingt zur Problematisierung der menschlichen Naturbeziehung.

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Literatur

  1. Die These von der “Megamaschine” oder der “unsichtbaren Maschine” von L. Mumford besagt, daß es lange vor der mechanischen Maschine die aus Menschen zusammengesetzte Maschine gab. Diese archetypische Maschine ist wesentlich eine Form gesellschaftlicher Organisation, welche die einzelnen Menschen auf spezialisierte Funktionen trimmt und sie dann zu einem organisierten Ganzen vereinigt. Dieses Prinzip setzt den Menschen zu kolossalen Leistungen in die Lage. “Ihre Erfindung war die höchste Errungenschaft der frühen Zivilisation: eine technologische Großtat, die allen späteren Formen technischer Organisation als Modell dient.” (S.220). Die Entwicklung dieser Megamaschine ist wesentliches Charakteristikum aller Zivilisationen der “Hochkulturen” von deren Beginn an, also auch der Wurzeln unserer Kultur vor ca. 5 000 Jahren in Ägypten (Pyramidenbau als heute noch sichtbarer Leistungsbeweis der Megamaschine) und Mesopotamien. Die Megamaschine hat jene ungeheure Leistungssteigerung des Menschen bei der Umformung der Natur eingeleitet, mit deren Problemen wir uns heute unter der ökologischen Perspektive befassen müssen.

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  2. Die letzte historische Form der klassischen Megamaschine im Sinne von Mumford waren (sind) m.E. die zentralistischen totalitären Systeme z.B. des Nationalsozialismus und des Stalinismus. Der Wandel durch den Zusammenbruch des sozialistischen Blocks wäre demgemäß weniger auf der Ebene Kapitalismus vs Sozialismus zu diskutieren, sondern als historische Ablösung der zentralistischen Megamaschine durch die der sich selbst regulierenden und organisierenden Systeme.

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  3. Dies betrifft auch die Erkenntnis des Menschen von der Welt — eine Einsicht, die sich auch bei Naturwissenschaftlern bereits durchgesetzt hat (vgl. z.B. Varela 1989 S. 101).

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  4. Wenn also das Naturverhältnis insgesamt problematisch geworden ist, ist davon das Verhältnis zur inneren und der äußeren Natur betroffen; es ist daher kein Zufall, daß gegenwärtig gleichzeitig das Verhältnis zur äußeren Natur (Umwelt und Ökologie) und zur inneren Natur (Gechlechtsrollen, Alter) in eine Krise gekommen ist.

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  5. Dies impliziert letztlich den Gedanken einer Gestaltung der Welt durch Kommunikation — hier sind sich Sozial- und Naturwissenschaftler bereits weitgehend einig (vgl. z.B. Berger & Luckmann 1969, Varela 1989 S. 105).

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  6. Diese Sichtweise widerspricht solchen Anthropologien, die (wie z.B. die von A. Gehlen) die Funktion der menschlichen Kultur vor allem in der Bändigung der tendenziell chaotischen und gefährlichen Natur (des Menschen) sehen und auf diese Weise einen Gegensatz zwischen Kultur und Natur von vornherein unterstellen. Meine Annahme unterstellt keinen solchen Gegensatz, (sie legt eigentlich eher eine vertrauensvolle Beziehung zur menschlichen Natur nahe) und macht damit diesen unleugbar faktisch vorhandenen Gegensatz erklärungsbedürftig. Sie erfordert die Beantwortung der Frage: Wie kommt es, daß unsere Kultur sich als Gegensatz zur Natur definiert? Eine Antwort wird hier versucht.

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  7. Wie sonst ist beispielsweise die Thematisierung der metaphysischen Angst bei Kierkegaard zu verstehen? Vor allem aber ist wohl an Heidegger zu denken. Er leitet bekanntlich aus der Geworfenheit des Menschen in das Dasein als Grunderfahrung die Angst ab, welche die wichtigste Seinsart, die Sorge, begründet (der zentrale Stellenwert dieser emotionalen Qualität menschlicher Grunderfahrung wird leider oft vernachlässigt, wie beispielsweise von Winograd und Flores 1989). Die existentielle Angst wird insbesondere dann sichtbar, wenn die “Zuhandenheit” der Gegenstände zusammenbricht, d.h. die selbstverständlich geregelte Umgangsweise des Menschen mit der Welt, wie es beispielweise gegenwärtig durch die Ökologiekrise geschieht. Deshalb werden durch die aktuelle Unzuhandenheit Themen wie eben die Strukturkräfte diskutierbar.

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  8. Den wesentlichen Unterschied zu Heidegger macht die hier entwickelte Perspektive auf die Kultur und die Gesellschaft als Naturverhältnis aus. Wir haben uns infolgedessen weniger mit ontologischen Fragestellungen zu befassen, sondern mit der Frage nach den kultur- und gesellschaftsrelativen konstruktiven Ausgestaltungen der “Seinsfrage”, wie Heidegger möglicherweise formulieren würde. Und unter diesem Gesichtspunkt geht es schlicht um das gesellschaftlich praktizierte und kulturell interpretierte Naturverhältnis des Menschen in seinen historisch verschiedenen Erscheinungsformen -und zwar deshalb, weil dieses Naturverhältnis derzeit ganz offensichtlich in eine Krise gekommen ist.

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  9. Auch meine Intentionen bezüglich der Umgangsweise mit der Angst sind grundlegend anders als bei Heidegger: Ich will aus der Kritik der bisherigen gesellschaftlich praktizierten Beziehung zur Natur Möglichkeiten zur Überwindung des problematischen Naturverhältnisses entwickeln, die fern jeder Heroisierung sind und deshalb beispielsweise zu Faschismus und Nationalsozialismus eine diametral entgegengesetzte Haltung beinhalten.

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  10. (Meine Überlegungen könnte man daher als eine kritische psychologische Wendung Heideggerscher Gedanken betrachten. Ihre Genese war jedoch ganz anders: Sie entstanden nicht aus der Auseinandersetzung mit Heidegger, sondern aus der Auseinandersetzung mit praktischen Problemen, aus dem Versuch des Aufspürens von unser Handeln steuernden verdeckten Sinnstrukturen; die Berührungspunkte mit Heidegger — wie auch zu anderen Philosophen — wurden erst später sichtbar. Dies gilt ebenfalls für die noch zu diskutierenden Berührungspunkte mit Sartre.)

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  11. Der Gegensatz zwischen Geist und Natur ist konstitutiv für unsere Kultur und uns spätestens seit der klassichen Unterscheidung zwischen Physis und Techne auch bewußt (vgl. z.B. Böhme 1992, S. 114). Bezüglich vieler Aspekte des Geistesbegriffs und seiner historischen Entwicklung erinnert diese kulturpsychologische These an Hegels “Phänomenologie des Geistes”. Der wesentliche Unterschied: “Geist” (als “objektiver” und “absoluter”, nicht als “subjektiver” Geist in Hegels

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  12. Begrifflichkeit) und seine historische Entwicklung wird hierals Ergebnis von Orientierungsbemühungen des Menschen entwickelt. Hegel scheint dagegen Geist als geschichtliches Handlungssubjekt zu verstehen. (Zur “Entdeckung des Geistes” in diesem Sinne vgl. z.B. Snell 1986). Die Geist-Natur-Beziehung ist in neuerer Zeit (wieder?) zu einem zentralen Thema mit den verschiedensten Facetten geworden, wie der “internationale Kongreß der Superlative” (Zimmerli 1989a, S. 10) in Hannover 1988 zeigte; (vgl. die Dokumentation von Dürr & Zimmerli 1989). Garaudy (1989, S. 388) unterstellte dabei bereits, “daß die Vorstellung, der Mensch beherrsche eine feindliche Natur, eindeutig überholt ist. Es gilt vielmehr: Der Mensch befreit sich von der Angst vor dem Unbekannten und damit von Kräften, die ihn in Schrecken versetzen. “ Er erhofft jedoch “mehr Freiheit durch weniger Angst, durch Befreiung von der Angst. “ Aber wodurch? Durch eine noch vollkommenere Herrschaft des Geistes?

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  13. Es scheint auch einige Evidenz dafür zu geben, daß die Hoffnung auf Überwindung der Abhängigkeit von der Natur durch die Herrschaft des Geistes über die Natur in unterschiedlicher Form strukturierende Kraft für alle sogenannten Hochkulturen war (und ist) und sich zu Beginn solcher Kulturen u.a. in verschiedenen Opferritualen, insbesondere des Menschenopfers, manifestiert (vgl. dazu die Ausführungen von Mumford 1977, S. 178 ff. und bspw. von Davies 1989, S. 214 ff über die Azteken). Solche Opfer scheinen eine durchgängige Funktion als Vergewisserung und Sicherung der Herrschaft des Geistes (Gottes) über die (menschliche) Natur zu haben; auch verschiedene Geschichten des Alten und des Neuen Testaments stützen eine solche Deutung. Eine kulturvergleichende Auseinandersetzung mit dem Geistesbegriff heutiger Kulturen regt z.B. Nasr (1989) an. Eine interessante Deutung unserer eigenen Kultur und speziell ihrer mit Rationalität verbundenen Hoffnungen gibt Toulmin (1991).

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  14. Der noch weiter zu explizierende Begriff von den verdeckten gesellschaftlichen Sinnstrukturen weist eine große Affinität zu E. Fromms (1980b) Begriff vom gesellschaftlichen Unbewußten auf, ist aber weniger psychoanalytisch geprägt.

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  15. Die zugrundliegende Psychologie der Angst und der Hoffnung muß an anderer Stelle ausgeführt werden, wenn es die mir zur Verfügung stehenden Ressourcen erlauben; nur kurz sei hier darauf verwiesen, daß die Wirkungsweise der Angst in verdeckten Sinnstrukturen bei der Produktion von Verhaltensmustern, denen sich die betroffenen Personen ausgeliefert fühlen, eigentlich zum Standardwissen der praktischen Psychologie gehört, z.B. in Form von Zwängen (i.S. von zwanghaftem Verhalten), die den durch gesellschaftliche Strukturen produzierten Sachzwängen durchaus verwandt sind; die Übereinstimmung der Worte hat also ihren realen Hintergrund.

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  16. Im kulturellen Erbe unserer Kultur ist dieser Zusammenhang sehr treffend ausgedrückt u.a. im “Der Herr ist mein Hirte, mir wird an nichts mangeln”. Dadurch erhalten jene, die weiter “unten” stehen, gerade dadurch, daß sie sich jenen anderen, die “höher” stehen (also näher am Geist), dieses Versprechen; so entstehen Identifikationen der Angstvermeidungsmotivierten mit den Hoffnungs-motivierten, die wiederum ohne das Bewußtsein ihrer Andersartigkeit im Vergleich zu den Angstmotivierten ihre Hoffnungsmotivation nicht aufrechterhalten können; auf diese Weise kommt Herrschaft zustande — ein Themenkomplex, der ein umfangreiches Forschungsfeld zur Klärung von Detail fragen eröffnet.

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  17. Für eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Zeitbegriff in den Naturwissenschaften und seiner Beziehung zum Geist bieten z.B. Hawking (1988) und Prigogine (1989) höchst interessante Thesen. Zur sozialwissenschaftlichen Diskussion vgl. z.B. den Sammelband von Zoll (1988), zur tiefenpsychologischen Analyse Ciompi (1988).

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  18. Bezüglich der disziplinaren Matrix der Psychologie ist ein Reflexionsprozeß bereits eingeleitet, u.a. durch Devereux (1984) und neuerdings durch Keupp (1993), der die rationalistische Konzeption unserer Wissenschaften und damit auch der Psychologie auf dem Hintergrund von Toulmins (1991) Deutung der Descartschen Rationalitätshoffnungen als Reaktion auf das Chaos des Dreißigjährigen Krieges diskutiert.

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  19. Ein Beispiel: In unserer Kultur verspricht die Arbeit Sicherheit und Versorgung gegenüber den Ansprüchen der inneren Natur, während gleichzeitig die Möglichkeit von Arbeitslosigkeit die komplementäre Angst vor dem Ausgeliefert-sein an die Ansprüche der Natur (durch den Verlust der gesellschaftlichen Existenzgrundlage) lebendig erhält. Jemandem, der für diesen Zusammenhang sensibilisiert ist, fällt auf, daß es auch eine Angst (bevorzugt bei “Führungskräften”) vor dem Verlust dieser Angst (bei den “Geführten”, aber auch bei ihnen selbst!) gibt; sie zeigt sich beispielsweise in Diskussionen um ein garantiertes Grundeinkommen.

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  20. Auf dieser Ebene der historisch veränderlichen Erscheinungsformen der Strukturkräfte scheinen wir derzeit wieder einen Wandel zu erleben, von der Es-Ich-Über-Ich Struktur nach Freud zur patchwork-Struktur nach Keupp (1988), die jedoch noch genauer herausgearbeitet werden müßte; es handelt sich hier ersichtlich um eine parallele Entwicklung zum gesellschaftlichen Wandel von der hierarchisch-patriarchalen Struktur (noch in der frühindustriellen Gesellschaft dominierend) zur Herrschaft der anonymen technokratischen Elite der Systemgesellschaft.

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  21. In jüngster Zeit hat sich die Bedeutung solcher Aspekte der Handlungsorganisation besonders im Scheitern der mit der KI-Forschung verbundenen Phantasien herausgestellt (Dreyfus & Dreyfus 1987, Winograd & Flores 1989) vgl. dazu auch die o.g. Orientierungsfunktion des Naturverhältnisses, in diesem Band ebenfalls angesprochen von Böhme und Seel & Sichler.

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  22. Die Abhängigkeit der das individuelle Handeln orientierenden Persönlichkeitsstrukturen von der Einbettung in einen gesellschaftlichen Zusammenhang läßt sich — leider — ebenfalls am Beispiel der schleichenden Zermürbung auch stabiler Persönlichkeitsstrukturen durch Arbeitslosigkeit verdeutlichen.

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  23. Vgl. dazu z.B. Sloterdijk (1983) und den von Rüsen, Lämmert & Glotz herausgegebenen Sammelband (1988) und darin insbesondere den Beitrag von J. Habermas (1988). Wie man im Zusammenhang einer “Aufklärungskritik in aufklärerischer Absicht” die Potentiale der Psychologie CG. Jungs nutzen kann, wurde eindrucksvoll von Evers (1987) demonstriert.

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  24. Das Werk von E. Fromm, insbesondere 1979, 1980a, aber auch seine anderen Schriften, liefert dazu eine Fülle von Ansatzpunkten, die noch längst nicht ausgeschöpft sind.

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  25. Dieser Zusammenhang erklärt die derzeitige Beliebtheit des nomothetischen Wissenschaftsverständnisses: es paßt so gut zur Ordinarienwissenschaft im Elfenbeinturm: Dieses Wissenschaftsverständnis verstärkt tendenziell die gesellschaftlichen Strukturen der Institution “Wissenschaft” (vgl. dazu auch die Arbeiten von J. Galtung 1978).

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Hans-Jürgen Seel Ralph Sichler Brigitte Fischerlehner

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© 1993 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen

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Seel, HJ. (1993). Psychologie der Megamaschine Zu den Strukturkräften in der menschlichen Naturbeziehung. In: Seel, HJ., Sichler, R., Fischerlehner, B. (eds) Mensch — Natur. Vieweg+Teubner Verlag. https://doi.org/10.1007/978-3-322-90632-8_7

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-90632-8_7

  • Publisher Name: Vieweg+Teubner Verlag

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