Zusammenfassung
Ausgangspunkt für die folgenden Überlegungen war die Frage, welchen Beitrag die Tätigkeitstheorie zur Psychologie des menschlichen Naturverhältnisses und damit auch zur derzeitigen Ökologiediskussion geben kann. Diese Frage ist insofern naheliegend, als die Tätigkeitstheorie und ihr nahestehende Konzepte die Geschichte des menschlichen Naturverhältnisses zu einem ihrer zentralen Themen gemacht haben: In ihrem Selbstverständnis ist die psychische Verfaßtheit der Menschen nur im Rahmen einer umfassenden historischen Rekonstruktion zu bestimmen, zu der neben Kulturgeschichte und Ontogenese auch die Naturgeschichte des Psychischen gehört.1 Sie verfolgt damit Intentionen, die auch dem vorliegenden Buch zugrunde liegen, nämlich erstens das Naturverhältnis des Menschen als ein Verhältnis von innerer und äußerer Natur zu begreifen und zweitens den (gegenwärtigen) Umgang des Menschen mit der Natur auch in seinen psychischen Anteilen als Ausdruck kultureller Lebensformen zu verstehen und damit einer Trennung zwischen Kultur-, Technik- und Verhaltenskritik entgegenzugehen.
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Literatur
Zwei Daten markieren diese Entwicklung: 1971 wird mit dem UNESCO-Forschungsprogramm “Man and Biosphere” das erste große ökologische Forschungsprogramm ins Leben gerufen, das die Kooperation von Natur- und Sozialwissenschaften ausdrücklich zu seiner Arbeitsgrundlage macht; 1975 wurde die deutsche Gesellschaft für Humanökologie gegründet, deren Präsident seit 1987 ein Sozialwissenschaftler ist. Vgl. hierzu Bick (1991, S. 10 ff) und Fischer (1992).
Vgl. hierzu die Beiträge von Glaeser (1989), Weichhart (1989) und Huber (1989) zum humanökologischen Paradigma.
“Das Erlebnis Mitwelt ist die Freude am Miteinander mit der Natur, an der tiefen Verbundenheit und Vertrautheit mit der natürlichen Umwelt.” (Hofer 1990, S. 53).
Dieser Bedeutungsstrang verweist am deutlichsten auf die in der abendländischen Tradition des Naturbegriffs von Aristoteles über Spinoza bis zu den Theorien der Selbstorganisation zentrale Unterscheidung von Natürlichem, das “den Grund seines Daseins in sich selbst hat”, und Künstlichem, das “den Grund seines Daseins außerhalb seiner selbst hat” (vgl. Zimmerli 1991, S. 396 ff).
Zum ersten Aspekt vgl. den Beitrag von Seel, zum zweiten den von Sichler in diesem Band. Das Bild vom schönen kulturlosen Wilden in zahlreichen ethnologisch-anthropologischen Forschungsarbeiten spiegelt diese gespaltene Naturbeziehung besonders deutlich wieder. Es entspricht der Ambivalenz, die wir unseren Kindern gegenüber entwickelt haben: Als der Natur näherstehend sind sie für die abendländische Kultur zugleich “von Natur aus gut” wie auch erziehungs-, d.h. kulturbedürftig. Die Idealisierung des Natürlichen im pädagogisch-kulturanthropologischen Sinn findet sich von den frühen Feldforschungen Margret Meads bis zu Jean Liedloffs “Suche nach dem verlorenen Glück”.
Zur allgemeinen Struktur der Tätigkeit vgl. ebd., S. 101 ff. Gerade in bezug auf die zentrale Frage nach der Bedeutung des Gegenstandes ist das Tätigkeit-Handlung-Operationen — Modell von Leontjew allerdings unzureichend. Die für eine ökologische Betrachtung wichtige Einbettung der Tätigkeit in die Reproduktionszyklen des Subjekts und der gegenständlichen Welt gerät bei ihm gar nicht erst in den Blick. Vgl. hierzu Kuckhermann, Nitsche & von Müller (1991, S.39ff).
Vgl. hierzu ausführlicher Engeström (1991, S.11ff). Bei Engeström findet sich im Rückgriff auf Wygotski allerdings noch die im klassischen Tätigkeitskonzept gebräuchliche Focussierung des Tätigkeitsgegenstandes auf seine kulturelle Dimension: “The idea is that humans can control their own behavior — not ‘from the inside, on the basis of biological urges, but ‘from the outside’, using and creating artefacts.” (ebd., S. 12)
Näheres zur Methode der Tätigkeitsanalyse findet sich in Kuckhermann & Wigger-Kösters (1985).
Diese Eigendynamik der physisch-biologischen Realität wird in zahlreichen tätigkeitstheoretischen Arbeiten zu wenig berücksichtigt. Beispielhaft dafür die folgende Interpretation Holzkamps: “In den Gegenstandsbedeutungen der Arbeitsprodukte findet der Mensch hinsichtlich bestimmter Aspekte quasi sich selber in entäußerter, sinnlich-gegenständlicher Form wieder: Die stoffliche Realität und die ‘Menschlichkeit’ der Welt sind durch die Arbeit zu einer Einheit geworden.” (1973, S. 118 ff).
Der Begriff des Bewußtseins ist in der Tätigkeitstheorie umfassender angelegt als beispielsweise in der Psychoanalyse. Er umfaßt auch das Unterbewußte, also das nicht erkannte Bewußtsein (vgl. Leontjew 1985, S. 164 f).
Der Stellenwert des Konzeptes liegt gerade auch darin, daß es eine dritte Handlungsebene “zwischen” den Modellen des zweckrationalen und kommunikativen Handelns (vgl. Habermas 1981) eröffnet, eine Ebene, auf welcher Zweckorientierung und Sinnorientierung, also Nützlichkeit und Bedeutsamkeit oder auch Intentionalitat und Engagiertheit des menschlichen Handelns und Bewußtseins miteinander verknüpft werden.
Die Bedeutung eines sinnorientierten Zugangs zu humanökologischen Fragen hebt Weichhart hervor: “Die Abkehr von rationalistischen Interpretation menschlicher Umweltinteraktion und damit die Überwindung des ‘objektivistischen Reduktionismus’ wird möglich, wenn in Erklärungsmodellen ... auch die Rekonstruktion subjektiver und kollektiver Sinnzusammenhange ... versucht wird. Die Interaktion des Menschen mit seiner Umwelt sollte also nicht als Verhalten, sondern als sinnbezogenes Handeln verstanden werden.” (Weichhart 1989, S. 56)
Vgl. hierzu und zum Folgenden Kuckhermann & Wigger-Kösters (1985).
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Kuckhermann, R. (1993). Die Konstituierung von Natur und Kultur in der Tätigkeit Überlegungen zum Verhältnis von Tätigkeitspsychologie und Humanökologie. In: Seel, HJ., Sichler, R., Fischerlehner, B. (eds) Mensch — Natur. Vieweg+Teubner Verlag. https://doi.org/10.1007/978-3-322-90632-8_4
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