Zusammenfassung
Das Verhältnis von sozialethischem Fundament und ordnungspolitischer Gestaltung war bereits für J.M. Keynes 1926 in seinem Berliner Vortrag “Das Ende des Laisser-faire” ein neuralgischer Punkt der Nationalökonomie: “Nationalökonomen haben heute keine Beziehung mehr zu den theologischen oder politischen Philosophien, aus denen das Dogma der Gesellschafts-harmonie entstanden ist, und ihre wissenschaftlichen Forschungen führen sie nicht mehr zu ähnlichen Schlussfolgerungen”.1 Einzelne Kategorien werden ohne ihr geistes- und sozialgeschichtliches Fundament wahrgenommen. Der von Keynes angesprochene Zusammenhang wird zentraler (gegenständ dieser Untersuchung sein. Weltweit scheint nach dem Zusammenbruch der planwirtschaftlich organisierten Volkswirtschaften die ökonomische und politische Überlegenheit der Marktwirtschaft erwiesen. Ob in Fragen der Transformation von Wirtschaftssystemen, der Erweiterung der europäischen Gemeinschaft oder der Gestaltung einzelner Teilmärkte, auf den ersten Blick ist der Markt zu einem in seiner ethischen und politischen Begründung nahezu unhinterfragten oder undifferenziert hinterfragten movens der Wirtschaftspolitik geworden. Bei näherer Betrachtung aber ist zu fragen, ob das ordnungspolitische Fundament der modernen Marktwirtschaft noch in jeder Hinsicht konsistent ist?
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Literatur
Keynes, J.-M., Das Ende des Laisser-faire. München 1926; S.20.
Vgl. zur Problematik der Interdisziplinarität Fleischmann, G.: Nationalökonomie und sozialwissenschaftliche Integration, in: Boettcher, E. u.a.(Hrsg.): Interdisziplinarität -Voraussetzungen und Notwendigkeiten. Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, Bd.7. Tübingen 1988; S.20ff., sowie im gleichen Band Kirchgässner, G.: Ökonomie als imperialistische Wissenschaft. Zur Anwendung des ökonomischen Verhaltensmodells in den benachbarten Sozialwissenschaften; S.128ff., Kirchner, Ch.: Über das Verhältnis der Rechtswissenschaft zur Nationalökonomie. Die neue Institutionenökonomie und die Rechtswissenschaft; S.1p2ff., Mäding, H.: Zum interdisziplinären Charakter der Theorie der Wirtschaftspolitik. Überlegungen am Beispiel der Beurteilung der regionalen Wirtschaftspolitik; S.229ff.
Cassel, D.: Wirtschaftspolitik als Ordnungspolitik, in: Cassel, D. u.a. (Hrsg.): Ordnungspolitik. München 1988; S.313.
Krüsselberg, H.-G.: Soziale Marktwirtschaft — Idee und Wirklichkeit, in: Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik Nr.41 9/1990; S.64.
Vgl. zum Wertgehalt von nationalökonomischen Begriffen Euken, W.: Die Grundlagen der Nationalökonomie. 6.Aufl. Berlin 1950; S.7f., S.27ff., S.228f.
Eucken spricht von “Begriffsnationalökonomie”, Kromphardt, J.: Wirtschaftswissenschaft II: Methoden und Theorienbildung in der Volkswirtschaftslehre, in: Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaften (HDWW). Stuttgart u.a. 1982; S.906
Hirschmann, A.: Entwicklung, Markt und Moral — Abweichende Betrachtungen. München, Wien 1989; S.226f.
sowie Lenel, O.: Konzentration und Wettbewerb, in: Ordo, Bd.39 (1988); S.138.
Vgl. auch Thurow, L: Dangerous Currents — The State of Economics. New York, Toronto 1983; S.XIIIf.
Das gilt sowohl im Bekenntnis zu einer Grundordnung als auch in der Einführung und Umsetzung einzelner ordnungspolitischer Massnahmen wie z.B. der Einführung der Mitbestimmung, der Aufhebung von Ladenschlusszeiten oder der Einführung einer Festbetragsregelung für Arzneimittel in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung, vgl. Cassel, D. (1988); S.317.
Polanyi, K. zitiert bei Gorz, A.: Kritik der ökonomischen Vernunft — Sinnfragen am Ende der Arbeitsgesellschaft. 2.Aufl. Berlin 1989; S.182f.
Polanyi, K.: The Great Transformation — Politische und ökonomische Ursprünge von Gesellschaften und Wirtschaftssystemen. Frankfurt 1978; S.227ff.
Vgl. Rich, A.: Sachzwänge und strukturell Böses in der Wirtschaft, in: Zeitschrift für Evangelische Ethik Vol.26 (1982); S.62ff.
Sowie Ulrich, P.: Wirtschaftsethik auf der Suche nach der verlorenen ökonomischen Vernunft, in: Ulrich, P. (Hrsg.) (1990); S.179ff.
Sen, A.: On Ethics and Economics. New York 1987; S.1 Iff.
Vgl. Homann, K./ Pies, I.: Wirtschaftsethik und Gefangenendilemma, in: WiST, Nr.12/1991; S.614, diese Unterscheidung geht ursprünglich auf Brennan/Buchanan zurück.
Vgl. Ulrich, P.: Wirtschaftsethik auf der Suche nach der verlorenen ökonomischen Vernunft, in: Ulrich, P. (Hrsg.): Auf der Suche nach einer modernen Wirtschaftsethik -Lernschritte zu einer reflexiven Ökonomie. Bern, Stuttgart 1990; S.226 (Fussn.59).
Vgl. Katterle, S.: Der Beitrag der institutionalistischen Ökonomik zur Wirtschaftsethik, in: Ulrich, P.(Hrsg.) (1990); S.123f.
Mit dem Hinweis auf die für diese Frage klassischen Werke von Albert, H.: Reine Theorie und politische Ökonomie: Die Problematik der ökonomischen Perspektive, in: Albert, H.: Marktsoziologie und Entscheidungslogik. Neuwied 1967; S.37ff.
Sowie Weisser, G.: Über die Unbestimmtheit des Postulats der Maximierung des Sozialprodukts. Die Unmöglichkeit des sogenannten “rein ökonomischen Standpunktes”, in: Weisser, G.: Beiträge zur Gesellschaftspolitik. Göttingen 1978; S.542ff.
Myrdal, G.: Das politische Element in der nationalökonomischen Doktrinbildung. Hannover 1963; S. 131 ff.
Vgl. z.B. Breit, W.: Galbraith and Friedman: Two Versions of Economic Reality, in: Journal of Post-Keynesian Economics Vol.7 (1984); S.18ff.
Vgl. Biervert, B./ Wieland, J.: Der ethische Gehalt ökonomischer Kategorien: Der Nutzen, in: Biervert, B./ Held, M. (Hrsg.): Ökonomische Theorie und Ethik. Frankfurt, New York 1987; S.23ff.
Büscher, M./ Holleis, W.: Die Kategorien “Wirtschaften” und “Werten” — Zur methodologischen Grundlegung wertbewusster Wirtschaftswissenschaft. Beiträge und Berichte des Instituts für Wirtschaftsethik der Hochschule St. Gallen Nr.33; St.Gallen 1990; S.16ff., S.25f.
Vgl. Hennis, W.: Max Webers Fragestellung — Studien zur Biographie des Werks. Tübingen 1987; S.59ff., S.117ff.
Winckelmann, J.: Max Webers hinterlassenes Hauptwerk: Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte -Entstehung und gedanklicher Aufbau. Tübingen 1986; S.13ff.
Auch Schöllgen, G.: Max Webers Anliegen — Rationalisierung als Forderung und Hypothek. Darmstadt 1985; 7ff.; demzufolge könnte Max Weber als der Hermann Hesse der Sozialwissenschaften gelten: Zuerst voller Faszination und Relevanz, mit zunehmendem Alter vergessen und obsolet.
Vgl. dazu ausführlich Abschnitt 2.4 zum Ansatz integrativer Wirtschaftsethik.
Vgl. Rothschild, K.: Korreferat zu H. Riese “Das Wirtschaftssystem in seiner Bedeutung für das Wirtschaftswachstum”, in: Gahlen, B, u.a. (Hrsg.): Wachstumstheorie und Wachstumspolitik — Ein neuer Anlauf. Tübingen 1991; S.187
Blum, R.: Die Zukunft des Homo oeconomicus, in: Biervert, B./ Held, M. (Hrsg.): Das Menschenbild der ökonomischen Theorie -Zur Natur des Menschen. Frankfurt, New York 1991; S.113f.
Vgl. Kirchgässner, G.: Wirtschaftspolitik und Politiksystem: Zur Kritik der traditio-nel-len Ordnungstheorie aus der Sicht der Neuen Politischen Ökonomie, in: Cassel, D./ Ramb, B.-Th./ Thieme, H.J. (Hrsg.): Ordnungspolitik. München 1988; S.62ff.
Die moderne Naturwissenschaft ist im Grundlagenbereich z.T. über den linearen, deterministischen und technischen Naturbegriff hinausgewachsen. Die Heisenbergsche Unscharferelation und die Einsteinsche Relativitätstheorie z.B. zeigen, dass die Physik mit nicht-quantifizierbaren Einflüssen arbeiten muss; ähnliche Tendenzen bestehen in der medizischen Forschung in der Psychoneuroimmunologie oder der psychosomatischen Medizin, vgl. Abt, Th.: Fortschritt ohne Seelenverlust -Versuch einer ganzheitlichen Schau gesellschaftlicher Probleme am Beispiel des Wandels im ländlichen Raum. 2.Aufl. Bern 1988; S.91ff.
Vgl. Tietzel, M.: Der Neue Institutionalismus auf dem Hintergrund der alten Ordnungsdebatte, in: Systemvergleich und Ordnungspolitik; Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, Bd.10 (1991); S.30.
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Büscher, M. (2000). Einführung. In: Marktwirtschaft und kontextuelle Ökonomie. DUV Wirtschaftswissenschaft. Deutscher Universitätsverlag. https://doi.org/10.1007/978-3-322-90567-3_1
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