Zusammenfassung
Wissenschaftliche Beratung der praktischen Wirtschaftspolitik muss sich im Spannungsfeld zwischen Theorie und Praxis bewähren. Dass dies nicht immer problemlos gelingt, wird an den Klagen der Beteiligten deutlich: Politiker werfen ihren Beratern Realitätsferne und mangelnde Berücksichtigung des politisch Machbaren vor, wissenschaftliche Berater beklagen sich darüber, dass ihre Empfehlungen bei den Politikern meist auf taube Ohren stoßen. Obwohl es nicht an Vorschlägen der wissenschaftlichen Profession zur Behebung der drängenden ökonomischen Probleme wie anhaltend hohe Arbeitslosigkeit, Finanzierungsengpässe in den sozialen Sicherungssystemen oder zu hohe Staatsverschuldung mangelt, ignoriert die Politik diese Lösungsvorschläge häufig mit der Begründung, sie wären unrealistisch und politisch nicht durchsetzbar. Der Einschätzung von Manfred J. M. Neumann, dem ehemaligen Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit zufolge, dass „wissenschaftliche Beratung keine durchschlagende Erfolgsgeschichte, sondern ein mühsames Geschäft mit ungewissem Ausgang ist“1, dürften wohl die meisten der mit dem Beratungsgeschäft Vertrauten zustimmen.
Im folgenden Beitrag vertritt die Autorin ihre persönliche Auffassung, die sich nicht notwendigerweise mit der Sichtweise des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit deckt
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Literatur
Neumann, Manfred J. M.(1998): Läuse im Pelz der Politik, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 10. Januar
Maier-Mannhart, Helmut (1994): Die begossenen Pudel — Zwei Experten-Kommissionen mussten erfahren, welchen Stellenwert ihre Fachaussagen in der Politik besitzen, Süddeutsche Zeitung vom 12. /13. November;
Beise, Marc (2002): Die Ohnmacht der Ratgeber, in Süddeutsche Zeitung vom 13.November
Blinder, Alan S. (1987): Hard Heads, Soft Hearts. Tough-Minded Economists for a Just Society, Reading, Mass, u.a., S. 1
Vgl. Kloten, Norbert (2001): Wirtschaftspolitische Beratung und politisches Handeln, Statement zum Round Table über wirtschaftspolitische Beratung anlässlich des 30. Wirtschaftswissenschaftlichen Seminars Ottobeuren vom 10.–14. September 2000, in: Deutsche Bundesbank, Auszüge aus Presseartikeln, Nr. 33, 25. Juli, S. 8.;
Rüdiger Pohl, Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) und ehemaliges Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, misst den Ökonomen überhaupt keinen Einfluss mehr auf die Wirtschaftspolitik zu. Seine Begründung: „Die Politiker haben nämlich entdeckt, dass Wirtschaftspolitik ohne eine konsistente theoretische Basis am bequemsten ist. Zur Beruhigung der Ökonomen betraut man dieselben zwar mit Gutachten, die dann aber nach kurzer Rosinenpickerei sogleich in der Registratur landen.“ Pohl, Rüdiger (2002): Geld ausgeben nur zu zweit, in Financial Times Deutschland vom 14. Januar.
Die Public Choice-Theorie, die sich aus den Arbeiten von Anthony Downs, James M. Buchanan und Gordon Tullock, Mancur Olson, William A. Niskanen und anderen entwickelt hat, befasst sich mit der ökonomischen Analyse politischer Entscheidungsprozesse. Siehe Downs, Anthony (1957): An Economic Theory of Democracy, New York;
Buchanan, James M. und Gordon Tullock (1962): The Calculus of Consent — Logical Foundations of Constitutional Democracy, Ann Arbor;
Olson, Mancur (1965): The Logic of Collective Action — Public Goods and the Theory of Groups, Cambridge, Mass;
Niskanen, William A. (1971): Bureaucracy and Representative Government, Chicago, New York;
Einen umfassenden Überblick bietet Mueller, Dennis C.(1989): Public Choice II, Cambridge
Zum Folgenden vgl. Cassel, Susanne (2001): Politikberatung und Politikerberatung — Eine institutionenökonomische Analyse der wissenschaftlichen Beratung der Wirtschaftspolitik, Bern, Stuttgart, Wien, S. 42–49.
Vgl. Olson, Mancur (Anm. 5)
Siehe Downs, Anthony (Anm. 5); Aranson, Peter H. (1989/1990): Rational Ignorance in Politics, Economics and Law, in: Journal des Economistes et des Etudes Humaines, Vol. 1, Nr. 1, S. 25–42
Vgl. Downs, Anthony (Anm.5), S. 222
Eine weitere Möglichkeit, die öffentliche Diskussion zu stimulieren, besteht in der Einführung direkt-demokratischer Entscheidungselemente. Im Vorfeld direkter Entscheidungen über Sachfragen findet in der Regel ein breit angelegter öffentlicher Diskussionsprozess statt. Die Anreize für die Bürger, sich über die zur Wahl stehenden Alternativen zu informieren, steigen dadurch. Damit steigen aber auch die Anreize für Politikberater, entsprechende Informationen anzubieten. Siehe Cassel, Susanne (1998): Direkte Demokratie, Bürgerpräferenzen und die Rolle von Politikberatung, in: Renner, Andreas/Hinterberger, Friedrich (Hg.): Zukunftsfähigkeit und Neoliberalismus — Zur Vereinbarkeit von Umweltschutz und Wettbewerbswirtschaft, Baden-Baden, S. 465–483
Dabei führt jedoch die Orientierung des massenmedialen Informationsangebotes an den Regeln der Aufmerksamkeitsgewinnung dazu, dass Informationen insbesondere durch das Selektionskriterium „Negativität“ verzerrt dargestellt werden. Hintergrundinformationen, z.B. Informationen über kom- plexe kausale Zusammenhänge, haben aus diesem Grund wenig Chancen, gesendet zu werden. Zu den Wechselwirkungen zwischen öffentlicher Meinung und politischem Handeln siehe Zoll, Ingrid (2003): Öffentliche Meinung und politisches Handeln — Eine ordnungspolitische Analyse der öffentlichen Wahrnehmung von Wettbewerb und Globalisierung, Bern
Zaller gibt in seiner Studie verschiedene Beispiele für die Einflussnahme von Meinungseliten auf die Berichterstattung in der Presse und über die Presse auf die Einstellungen der Bürger. Vgl. Zaller, John R. (1992): The Nature and Origins of Mass Opinion, Cambridge
Vgl. Zaller, John R. (Anm. 12), S. 325f
Wasem belegt dies für die im deutschen Gesundheitswesen tätigen Beratungsgremien. Vgl. Wasem, Jürgen (1998): Institutionalisierte Politikberatung am Beispiel der Gesundheits- und Krankenversicherungspolitik, in Ackermann, Rolf u.a. (Hg.): Offen für Reformen?: Institutionelle Voraussetzungen für gesellschaftlichen Wandel im modernen Wohlfahrtsstaat, 2. Freiburger Wirtschaftssymposium, Baden-Baden, S.185–198
Hier könnte z.B. an die Bereitstellung einer einmaligen größeren Summe an Eigenkapital, aus der die laufenden Ausgaben bestritten werden können, oder eine Ausschreibung staatlicher Mittel für Politikberatung in bestimmten Zeitabständen gedacht werden.
Zöller, Michael (1998): Innovative Allianzen: Was können Wissenschaft und Stiftungen — angesichts des „Reformstaus“ — für die politische Öffentlichkeit und die Bürgerorientierung leisten — und was nicht?, in: Hilterhaus, Friedhelm/Scholz, Rupert (Hg.): Rechtsstaat — Finanzverfassung — Globalisierung: Neue Balance zwischen Staat und Bürger, Symposium der Hanns-Martin-Schleyer-Stiftung, 10.–12. Dezember 1997, Köln, S. 185–192, hier S. 192
Dies dürfte vorwiegend für staatlich finanzierte Politikberatung relevant sein, da bei privater Finanzierung über Stiftungen und Spenden davon ausgegangen werden kann, dass Politikberater aus eigenem Interesse heraus eine starke Präsenz in der Öffentlichkeit anstreben, um gegenüber ihren Geldgebern und potenziellen neuen Geldgebern ihre Arbeit zu legitimieren.
Ein aktueller Überblick über die deutsche Beratungslandschaft findet sich z.B. in Thunert, Martin W.(2001): Germany, in: Weaver, R. Kent/Stares, Paul B. (Hg.): Guidance for Governance — Comparing Alternative Sources of Public Policy Advice, Japan Center for International Exchange, S. 157–206
Dass die Gutachten wesentlich adressatenfreundlicher gestaltet werden müssten, wird von den Mitgliedern des SVR offensichtlich selbst gesehen. So räumt Rürup, derzeit Mitglied im SVR, ein: „[Es] besteht ein erhebliches Entwicklungspotential bei der Aufbereitung der Expertisen [des SVR, d. Verf.], die noch immer zu wenig auf den Adressatenkreis, der ja sowohl Politiker wie Medien umfasst, zugeschnitten sind. [...] Kommt Mitte November jeden Jahres das Gutachten [des SVR, d. Verf.] heraus, fühlen sich die Pressevertreter häufig überfordert von der Fülle und Tiefe des Materials.“ Rürup, Bert/Bizer, Kilian (2001): Der Sachverständigenrat und sein Einfluss auf die Politik, in: Jens, Uwe/Romahn, Hajo (Hg.): Der Einfluss der Wissenschaft auf die Politik, Marburg, S. 59–73, hier S. 66f
Berninghaus u.a. dürfte etwas ähnliches vorschweben, wenn sie vorschlagen, die institutionalisierte Politikberatung durch einen volkswirtschaftlichen Beraterstab zu ergänzen, der die Bundesregierung in konkreten Sachfragen berät. Vgl. Berninghaus, Siegfried u.a. (2002): Zusammenfassung und Empfehlungen, in: Zimmermann, Klaus F. (Hg.): Neue Entwicklungen in der Wirtschaftswissenschaft, Heidelberg, S. 546
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Cassel, S. (2003). Politikberatung und Politikerberatung. In: Hirscher, G., Korte, KR. (eds) Information und Entscheidung. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-90492-8_9
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