Zusammenfassung
I. Die vorliegende Untersuchung hat gezeigt, daß die Nationalsozialisten den bürokratischen Apparat des öffentlichen Gesundheitsdienstes, die behördlichen Hierarchien, Funktionszuweisungen und Arbeitsroutinen, mithin die „Normalität“ des Beamtenalltags, genutzt haben, um ihr rassenhygienisches Aufartungs-Programm zu exekutieren. Die Gesundheitsämter arbeiteten im Sinne der Machthaber zweckrational und effizient. Die Konflikte und Reibungsverluste, die bei der Umsetzung der Erb- und Rassenpflege in den Amtsstuben vor Ort entstanden, gefährdeten das bevölkerungspolitische Projekt zu keiner Zeit; sie blieben gewissermaßen im Rahmen des Üblichen und wurden durch Interventionen der Behördenhierarchie behoben. Die Grundsätze des überlieferten Verwaltungshandelns: Loyalität, Pflichterfüllung und Disziplin, das sogenannte vertikale Dienstanweisungsprinzip — die „zivile Form des Befehls“1 — sowie streng formalisierte Verfahrensweisen im bürokratischen Arbeitsprozeß forderten ohne Zweifel die moralische Indifferenz, so daß „Vorgänge“, bei denen es um Eheverbote oder Zwangssterilisationen, am Ende sogar um Deportationen in Vernichtungsanstalten ging, im Prinzip genauso „abgearbeitet“ und „erledigt“ wurden wie andere Verwaltungsakte auch.2 Allem Anschein nach „ersetzte Gewissenhaftigkeit das Gewissen“3 der Akteure. In bezug auf die im rechtsförmigen Gewand praktizierte Erb- und Rassenpflege hat sich gezeigt, daß die Funktionsträger in den Gesundheitsämtern durchaus Handlungsspielräume besaßen und sich ihres Tuns bewußt waren.
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© 1999 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen/Wiesbaden
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Nitschke, A. (1999). Schlußbemerkung. In: Die ‚Erbpolizei‛ im Nationalsozialismus. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-90381-5_5
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-90381-5_5
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Print ISBN: 978-3-531-13272-3
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