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Liebe — Sehnsucht und Aufgabe

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Alles um Liebe?

Part of the book series: Historische Diskursanalyse der Literatur ((HDL))

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Zusammenfassung

Auf der Basis dessen, was sich aus der Analyse der Beziehungsstrukturen ergab, ist die Frage nach Goethes Position im modernen Liebesdiskurs noch einmal aufzugreifen. Die Ergebnisse, die die Untersuchung der Liebenden und der Liebe zeigte, legten den Bruch offen, der Goethes Gestaltung der Liebesbeziehungen durchzieht. Es zeigte sich auch, daß nahezu alle Interpreten einen Begriff von Liebe zugrunde legen, der die Vorstellung einer intensiven Begegnung beinhaltet — während in den Texten Goethes die Liebenden eher nach dem Gegenteil, der Vermeidung des Zusammenseins streben, kaum daß dieses in greifbare Nähe rückt. Das Auftauchen des Motivs Liebe läßt bestimmte Vorstellungen einrasten, die eine genaue Befragung des Textes überflüssig erscheinen lassen. Ausgesprochen oder unausgesprochen gehen alle davon aus, daß Liebe, wie Dux es formuliert hat, das Bedürfnis ist, das “Leben in der Körperzone eines anderen zu führen”. Hier aber liegt der gravierendste Unterschied in der Auffassung der “Liebe”, wie sie in Goethes Texten erscheint: Liebe ist dort Erlebnis eines einzelnen, auch die Mitteilung des Gefühls ist nicht an das Objekt der Liebe, sondern an einen Dritten gerichtet.

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Literatur

  1. Am 29. Dezember 1787 schreibt Goethe aus Rom an den Herzog Carl August: “Was das Herz betrifft; so gehört es nicht in die Terminologie der hiesigen Liebeskanzlei.” Goethe, Briefe HA II, S.75

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  2. Im Gedicht Der neue Amadis wird ein ähnliches Bild von Einsamkeit und Sehnsucht entworfen: “Als ich noch ein Knabe war,/Sperrte man mich ein,/Und so saß ich manches Jahr/Über mir allein/Wie in Mutterleib. Doch du warst mein Zeitvertreib,/Goldne Phantasie/Und ich ward ein warmer Held,/Wie der Prinz Pipi,/Und durchzog die Welt…. Ritterlich befreit ich dann/Die Prinzessin Fisch;/Sie war gar zu obligeant,/Führte mich zu Tisch,/Und ich war galant. Und ihr Kuß war Götterbrot,/Glühend wie der Wein./Ach! ich liebte mich fast tot!/Rings mit Sonnenschein/War sie emailliert. Ach! wer hat sie mir entführt?/Hielt kein Zauberband/Sie zurück vom schnellen Fliehn? Sagt, wo ist ihr Land? Wo der Weg dahin?” 1, 16

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  3. Goethes Mutter erzählte Bettina v. Arnim, wie sie sich um die Dichtungsgabe ihres Sohnes verdient gemacht habe: “denn einmal konnte ich nicht ermüden zu erzählen, so wie er nicht ermüdete zuzuhören.” Sie ordnete den Fortgang ihrer Erzählungen den Wünschen des Sohnes unter, die er seiner Großmutter mitteilte, die sie wiederum an die Mutter weitergab: “Wenn ich nun haltmachte, und die Katastrophe auf den nächsten Abend verschob, so konnte ich sicher sein, daß er bis dahin alles zurechtgerückt hatte, und so ward mir denn meine Einbildungskraft, wo sie nicht mehr zureichte, häufig durch die seine ersetzt. Wenn ich dann am nächsten Abend die Schicksalsfäden nach seiner Angabe weiter lenkte und sagte: du hast’s geraten, so ist’s gekommen, da war er Feuer und Flamme, und man konnte sein Herzchen unter der Halskrause schlagen sehen.” Bettina v. Arnim: Goethes Briefwechsel mit einem Kinde. Seinem Denkmal. Werke und Briefe Bd.2; hrsg. v. Gustav Konrad. Frechen 1959 (271). So bemühte sich die Mutter, den Sohn frühzeitig an die Macht seiner Schöpfergabe glauben zu machen.

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  4. s.d. Rüdiger Scholz: Die beschädigte Seele des großen Mannes. Goethes Faust und die bürgerliche Gesellschaft, Rheinfelden 1982; S.206–210

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  5. Walter Benjamin hat mit Recht den Begriff Entsagung’ kritisch hinterfragt: “…als er (Goethe; der Verf.) die Unwiederbringlichkeit des Versäumten, die Unwiederbringlichkeit aus Versäumnis erkannte, da erst mag ihm die Entsagung sich ergeben haben und ist nur der letzte Versuch, Verlorenes im Gefühl noch zu umfangen.” Goethes Wahlverwandtschaften (1980), S.82

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  6. Staiger kommt freilich zu einem anderen Resultat: “Den Goetheschen Kosmos begründet und erhält allein die glückliche Liebe.” Staiger, Goethe Bd I (1952), S.168 An anderer Stelle nennt er das Mailied “das frühe Bekenntnis jener glücklichen Liebe, die von nun an, jenseits aller Wechselfälle des Schicksals, aller Leiden und Mühen, Goethes Leben unerschütterlich trägt.” ebd. S.53. Wenn ein Goethe-Spezialist wie Staiger noch in den 50er Jahren dieses (Miß) Verständnis so ungebrochen weiterträgt, kann man ermessen, wie sehr Goethes Texte das Liebeserleben des bürgerlichen Zeitalters geprägt haben.

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  7. Max Kommerell hat in seinem Essay “Goethes große Gedichtkreise” den Charakter der Römischen Elegien als Gegenbild zu der Weimarer Realität herausgearbeitet. In: Goethe im XX. Jahrhundert, Hg. H. Mayer, Hamburg 1967, S.45–92; dort S.57ff

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  8. Sinngemäß findet sich die gleiche Definition der Tugend im Emil: “Was also ist ein tugendhafter Mensch? Derjenige, der seine Begierden besiegen kann.” (S.105)

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  9. Norbert Elias hat in seiner soziologischen Untersuchung Über den Prozess der Zivilisation (Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen Bd. 1 u. 2, Bern 1969) aufgezeigt, wie sich “individuelles” Verhalten langsam seit dem ausgehenden Mittelalter in einer jahrhundertelangen Entwicklung durchsetzte. Nach seinen Studien entsteht das Selbstgefühl der Individuen vor allem durch zunehmende Affektbeherrschung und ein Vorrücken der Peinlichkeitsschwelle, die zuerst nur als Verhaltensregeln formuliert, mit fortschreitender Entwicklung aber für die sozialen Schichten von oben nach unten verbindlich werden. Die erforderliche Selbstkontrolle wird, wenn sie für eine Gesellschaftsschicht erst einmal verbindlich geworden ist, im Erziehungsprozeß internalisiert und führt schließlich zu einer bewußten Wahrnehmung der Trennung des Individuums von seiner Umwelt. Diese zeigt sich vor allem in dreierlei Hinsicht: Die Innenwelt wird als getrennt von der Außenwelt wahrgenommen, Subjekt und Objekt werden im Erkenntnisprozeß gegenübergestellt, das Individuum empfindet sich als losgelöst von der Gesellschaft

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  10. Ausführlicher gehe ich auf diesen Punkt S.329f ein.

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  11. Heidi Rosenbaum (Formen der Familie, 1982) geht davon aus, daß das “Ideal” der bürgerlichen Familie, dessen Zentrum sie in der Liebesheirat und der intensiven, liebevollen Erziehung der Kinder durch die Eltern sieht, vor allem der Selbstverständigung des Bürgertums und der “Legitimierung des sozialen und politischen Führungsanspruchs, insbesondere auch gegenüber dem Adel” (308) dient und der Realität der Familienverhältnisse weit voraus ist: Sie begründet das Zustandekommen dieses Leitbilds durch den Hinweis auf die Avantgarde-Funktion des Bildungsbürgertums, das in den Wochenschriften und durch die Literatur für dessen Verbreitung sorgte. Sie übersieht dabei aber die Dynamik, die dem Erziehungsprozeß innewohnt, und die vor allem die männlichen Individuen auf die Formulierung von und die Orientierung an Idealen festlegt. Das Lebensziel ist Aufstieg, eine Position ist zu erobern, und dafür rüstet die Erziehung: wenn Bildung nicht auf ein konkretes Ziel, sondern auf Entwicklung ausgerichtet ist, ist das Streben das Wesentliche, nicht die Realisierung. Dieser Prozeß ist mit zunehmender Bedeutung und Verbreitung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in der bürgerlichen Schicht schon voll im Gange.

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  12. s.d. Kapitel 6 Reisen, S.303f

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  13. Mit Recht weist Bloch in seiner Kritik am Geltungsanspruch der Psychoanalyse dem Nahrungsaufnahmetrieb die erste Priorität zu: “Der Magen ist die erste Lampe, auf die Öl gegossen werden muß.” Bloch, Ernst: Das Prinzip Hoffnung, Bd.l, Frankfurt 1973, S.72

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  14. s.d. Goethe, IX, 342

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  15. Daß Goethe mit seinen eigenen pädagogischen Einsichten auf der Erziehungskonzeption Rousseaus aufbaute, ergibt sich nicht nur aus der Ähnlichkeit der Methode. Es geht auch ausdrücklich aus einem Brief von Frau v. Stein hervor, den sie, kurz nachdem Goethe ihren Sohn Fritz in sein Haus am Frauenplan aufgenommen hatte, an ihre Schwägerin schrieb: “Goethe hat Fritzen zu sich genommen und benimmt sich so verständig und gütig in seiner Erziehung, daß man von ihm lernen kann. Er ist von den Wenigen, der Rousseaus inneren Sinn der Erziehung zu fassen weiß.” zitiert nach: Bode, Wilhelm: Goethes Leben Bd. V, 1781–1786, Pegasus im Joche, Berlin 1925, S.163

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  16. Rousseau, Emil, S. 105

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  17. Rousseau schildert im Emil das Beispiel, wie er den Zögling, der gegen den Willen seines Erziehers alleine Spazierengehen will, durch hämische Reden der Nachbarn, bedrohliche Erlebnisse mit Passanten und scheinbar zufällige Begegnungen, die jedoch der Erzieher alle zuvor inszeniert hat, so sehr ängstigt, daß der Ausflug sich zu einem Horrortrip entwickelt und das Kind diesen Wunsch in Zukunft nicht mehr äußert. Auflehnung gegen diese Verwerfung seines Wunsches ist nicht möglich, wird es doch jetzt von seiner eigenen Angst bewacht, in seinen Irritationen und Zweifeln ist es auf sich selbst gestellt, da es die eigenen Erlebnisse sind, die es erkennen ließen, daß seinen Wünschen eine bedrohliche Umwelt entgegensteht. Rousseau faßt das Resultat zusammen: “In der Tat lasse ich ihm scheinbar seine Unabhängigkeit, niemals war er mir aber besser unterworfen; denn er ist es, weil er es will.” (358)

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  18. Johann Bernhard Basedow, einer der einflußreichsten der aufklärerischen Philantropen, empfiehlt in seinem Elementarwerk (mit den Kupfertafeln Chodowieckis u.a. hrsg. v. Theodor Fritzsch Bd. 1–3, Leipzig 1909, erstm. erschienen 1774)) ein “Mäßigungsspiel”, bei dem den Kindern Leckereien zugeteilt werden. Diese dürfen sie aber keineswegs essen — Leckereien sind Erziehungs-, nicht Genußmittel -sondern müssen sie eine bestimmte Zeit aufbewahren. Beim Appell sind diese dann wieder vorzuweisen und erst jetzt findet das “Spiel” seinen Abschluß: die Unbeherrschten, die der Versuchung nicht widerstehen konnten, werden bestraft, die Tugendhaften, die kraft ihrer Freude an der eigenen Selbstdisziplin den Triebaufschub durchhalten konnten, dürfen jetzt die Süßigkeiten verzehren — falls sie nicht schon verdorben sind oder sie die Lust darauf verloren haben. (S.28) Im gleichen Sinne empfiehlt Joachim Heinrich Campe als Vorleselektüre für Kinder eine bearbeitete Version von Defoes Robinson Crusoe (Robinson der Jüngere. Ein Lesebuch für Kinder, Reutlingen 1828, erstm. erschienen 1779/80), da dessen Beispiel sich aus didaktischen und sittlichen Gründen besonders zur Anregung der Selbsttätigkeit eignet Der asketische Umgang mit seiner Getreideration, die er nicht aufißt, sondern als Samen aufbewahrt, um die Ernte der Zukunft zu mehren, der strenge Tagesablauf, den er fernab aller Gesellschaft und Kontrolle nur für sich aufrecht erhält, ist beispielhaft. Über seiner Höhle meißelt er die Losung: “Arbeitsamkeit und Mäßigkeit” ein. Um die Wirksamkeit des Lernprogramms zu erhöhen, schlägt Campe vor, das Vorlesen jeweils an der spannendsten Stelle zu unterbrechen, “um euch abermals Gelegenheit zu geben, eure Begierden bändigen zu lernen”. Erziehungsziel für die Kinder ist, “auf ihre liebsten Vergnügungen, wenn es sein mußte, mit lachendem Munde Verzicht zu thun”. (176f)

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  19. Daß diese Methode erfolgversprechender ist, zeigt Goethe in Dichtung und Wahrheit, wenn er schildert, wie die Versuche des Vaters scheitern, die Kinder als Gespenst zu erschrecken, wenn sie nachts aus Furcht vor dem Alleinsein ihr Zimmer verlassen, um Schutz bei den Dienstboten zu suchen; Erfolg hat dagegen die mütterliche Methode, als Belohnung für die Unterdrückung der Angst Pfirsiche in Aussicht zu stellen. (X, 19)

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  20. s.d. Lloyd de Mäuse: Evolution der Kindheit, in: Hört ihr die Kinder weinen. Eine psychogenetische Geschichte der Kindheit hrsg. v. L. de Mäuse, Frankfurt 1980, S.12–111, dort S.20ff; Schwarze Pädagogik. Quellen zur Naturgeschichte der bürgerlichen Erziehung, hrsg. und eingeleitet von Katharina Rutschky, Frankfurt 1977, dort S. LXII ff

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  21. Foucault, Der Wille zum Wissen (1983), S.27ff

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  22. Günter Dux (Geschlecht und Gesellschaft, 1994) sieht in der familialen Intimität die entscheidende Voraussetzung für alle Beziehungen: “Zeitlebens wird das Bedürfnis nach Intimität das Subjekt als Verlangen nach einer besonderen Verbundenheit mit einem alter ego bestimmen.” S. 83; s.a. S.69ff

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  23. s.d. Shorter, F., Die Geburt der modernen Familie (1977), isb. S. 258–277;

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  24. Rosenbaum, Heidi: Formen der Familie, Frankfurt 1982, isb. S.251–309

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  25. s.d. Deleuze, Gilles/Guattari, Félix: Anti-Ödipus. Kapitalismus und Schizophrenie I, Frankfurt 1977, S.90ff

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  26. Theweleit, Klaus: Männerphantasien Bd. I, Frankfurt 1977, S.480f

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  27. Verstärkt traf das auf Cornelia Goethe zu, die mehr als der Bruder im Haus festgehalten wurde und der als einzige Möglichkeit, das Elternhaus zu verlassen, nur die Heirat blieb.

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  28. s. Kapitel 3, Abschnnitt: Vor-Bilder, S. 152f

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  29. Ähnlich sieht dies Per 0hrgaard (Die Genesung des Narcissus, 1978): “Die Distanz, die die Goethe-schen Beziehungen zwischen den Geschlechtern prägt, ist von vielen bemerkt worden. Sie beruht auf Takt, auf der Fähigkeit, das Objekt als Subjekt zu seinem Recht kommen zu lassen. Deshalb dürfen die Bruder-Schwester-Beziehungen nicht nur als verborgene Inzestbeziehungen aufgefaßt werden, sondern sind ebenso sehr als das Gegenteil zu verstehen: als Schutz vor der Leidenschaft, die in Geschwisterbeziehungen eben keinen Platz haben darf.” (234f)

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  30. “Wenn nicht das süße junge Blut/Heut nacht in meinen Armen ruht,/So sind wir um Mitternacht geschieden.” V, 224

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  31. “Du sprichst ja wie Hans Liederlich…” V, 224 “Dir sprecht schon fast wie ein Franzos” ebd.

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  32. Scholz, Rüdiger: Die beschädigte Seele des großen Mannes (1982), s. isb. S. 148–157

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  33. Freud, Sigmund: Beiträge zur Psychologie des Liebeslebens, in: Studienausgabe Bd. V, Frankfurt 1972, S.185–234; dortS.202

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  34. Obwohl Freud selbst als das Übliche ansieht, “daß das Liebes verhalten des Mannes in unserer heutigen Kulturwelt überhaupt den Typus der psychischen Impotenz an sich trägt” (ebd. S.204), hält er an dem Ideal der Vereinigung von sinnlicher und zärtlicher Strömung mit dem Ziel, die ungeteilte Liebe einem Liebesobjekt ganz zuzuwenden, fest. Es gilt also, die aus dem Inzestverbot resultierende Ausgliederung des sexuellen Begehrens zu überwinden. Mit diesem Ideal verfestigt Freud aber die Orientierung an der Mutterimago, denn mit der Vorstellung von der Einzigen weist er doch gerade auf diese zurück. Es ist interessant, daß Freud die Überwindung der Gefühlswidersprüche im Modell der Kindheit sucht, obwohl sie gerade dort herrühren und er überdies die Mutterbeziehung mit Recht für unwiederholbar ansieht. Das ideale Frauenbild von der Geliebten und der Mutter läßt es offensichüich nicht zu. eine andere mögliche Orientierung zu suchen.

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  35. s. Goethes Brief aus der Italienischen Reise vom 3.11.1787, XI, 477

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  36. Röm. Elegien, I, 177. Zur Frage der Angst vor venerischen Krankheiten s.a. Rom. Elegien aus dem Nachlass: “in den lieblichsten Gärtchen/Lauert tückisch der Wurm, packt den Genießenden an.” (II, 111) und die Briefe aus Rom an Herzog Karl August vom 3. Februar 1787 und vom 29. Dezember 1787

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  37. “…von tausend Flüchen mir die Seele kochte,/Mich selbst verwünschend, grinsend mich belachte…” II, 117

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  38. “Nur die Angst ist ein genügend starkes Agens, um den Mann, den seine Libido doch zur Vereinigung mit der Frau drängt, von diesem Ziel fernzuhalten.” Diese These vertritt die Psychoanalytikerin Karen Horney in ihrem Aufsatz “Die Angst vor der Frau — Über den spezifischen Unterschied in der männlichen und weiblichen Angst vor dem anderen Geschlecht” In: Homey, Karen: Die Psychologie der Frau, München 1967. S.108–127; dort S.113

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  39. Auch in diesem Punkt kommt Homey zum gleichen Resultat: Der Mann versucht diese Angst “mit allen Mitteln auch vor sich selbst zu verleugnen. Diesem Zweck dient sein… Versuch, sie in künstlerischen und wissenschaftlichen Gestaltungen zu objektivieren.” (S.112)

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  40. “Von ihm (Goethe, der Verf.) würde man vielmehr erwarten, daß er sich desto eher zu einer Handlung gezwungen gefühlt hätte, als er sich davor fürchtete. Wenigstens wäre es vernünftig anzunehmen, daß er sexuelle Lust gesucht hätte, und sei es aus keinem anderen Grund als aus Neugierde. Und diese Neugierde war grenzenlos. Er fühlte sich gezwungen zu wissen und zu forschen, zu sehen und zu beobachten. Weiterhin kann man zu Recht sagen, daß Goethes kontraphobischer Mechanismus stark genug war, ihn durch alle Ängste zu tragen; warum sollte dieser Schutz beim Geschlechtsverkehr versagt haben?’ Eissler, Goethe Bd. 2 (S.1184) Diese Argumentation ist ein Grundpfeiler für Eisslers Theorie: Goethes Vermeidung eines intimen Verhältnisses sei nicht Folge einer Angst gewesen, sondern der Unfähigkeit, den Akt zu vollziehen. Als Ursache diagnostizierte er bekanntlich ein Leiden an ‘ejaculatio praecox’. (1185ff)

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  41. Mit der Warnung vor einer Ansteckung versucht auch Campe (Väterlicher Rath, 1789) seine Tochter von “unnatürlichen Genüssen” fernzuhalten. (S.105) Auch Rousseau rät zur Absicherung der moralischen Erziehung junge Männer in ein Hospital für Geschlechtskranke zu führen, um sie durch diese Gewaltkur immun gegen Verführung zu machen. Rousseau, Emil, IV.Buch, Eintritt ins Leben (S.234f.) Offensichtlich delektierten sich die Pädagogen gerne daran, welche Leiden die “unzüchtigen Personen” zu erwarten hatten.

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  42. Eissler, Bd.2, S.1184

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  43. Theodor Reik: Warum verließ Goethe Friederike, in: Imago 15, 1929, S.400–537; dort S.500

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  44. ebd.

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  45. ebd., S.502

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  46. “Jene geheimnisvollen Hindernisse, die sich vor dem Besitz jeder Frau auftürmen, stellen sich als Ausläufer der Kinderangst dar, welche die sexuelle Annäherung an ein inzestuöses Objekt begleitet.” ebd., 506

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  47. So in dem Gedicht Rastlose Liebe; s. Kapitel 5, S.219ff

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  48. Tagebücher Bd.I, S. 162 WA III, Abt. 1, Weimar 1887

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  49. Eissler nimmt an, “daß Rom für Goethe die symbolische Bedeutung des weiblichen Genitales hatte, oder allgemeiner des weiblichen Körpers, oder noch spezieller der Mutter”. Seine Reise nach Italien ist “die Inbesitznahme der Mutter”. Eissler, Goethe Bd.2, S.1133

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  50. Staiger fühlte sich durch diese Zeile zu einer Erkenntnis verleitet, die selbst Goethes Lebensweisheit an Tiefsinn noch überbietet: “Goethes Wort ist wahr für den, der in Goethes Sinn zu leben vermag.” Einleitung zur Artemis Ausgabe Goethe, Sämtliche Werke Bd.II, S.659

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  51. Brief Goethes an Reinhard vom 21.2.1810; Goethe, Briefe HA Bd 3, S.120

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  52. Goethes Flucht vor Bindungen sind immer wieder Gegenstand moralisierender Diskussionen. Während die Literaturwissenschaftler früher dem Werk klare Priorität einräumten und sich mit Schaudern vorstellten, eine frühe Ehe hätte das Genie Goethes möglicherweise versiegen lassen, ist im Zuge eines Wertewandels Mitleid mit den “Opfern” angesagt. S.d. Conrady, Karl Otto: Goethe: Leben und Werk, Frankfurt 1987, S.125

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  53. Goethe, Briefe Bd. 1, S.324

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  54. Goethe, Briefe Bd. 1S.324

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  55. Lavater hatte Goethe nach der Begegnung mit ihr befragt

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  56. Bei Theokrit gibt Nikias Amyntas den Rat, die Kunst an die Stelle der Liebe zu setzen. Theokrit: Idyllen, hrsg. u. übers, v. F.P. Fritz, Freising 1970; dort 11. Gedicht Der Kyklop, S.81ff

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  57. Weitere Textbelege zu Goethes Vorstellung vom männlichen gewährenden und vom weiblichen bedürftigen Prinzip finden sich bei Helmut Fuhrmann, Der schwankende Paris (1989), S.41f

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  58. Andere Beispiele finden sich in dem Gedicht Der Fischer und in den Liebhabern Adelheids im Götz.

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  59. Es sei hier nur erinnert an Clavigo, Stella, Faust, Die Wahlverwandtschaften etc.

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  60. Im Werther findet sich ein aufschlußreicher Vergleich für die Gefahr der Nähe, die von der Liebe ausgeht: “Meine Großmutter hatte ein Mährgen vom Magnetberg. Die Schiffe die zu nahe kamen, wurden auf einmal alles Eisenwerks beraubt, die Nägel flogen dem Berge zu, und die armen Elenden scheiterten zwischen den übereinander stürzenden Brettern.” Die Gefahr für den Liebenden besteht also darin, das, was ihn zusammenhält, zu verlieren und sich im Chaos aufzulösen.

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  61. “Was willst du, armer Teufel, geben?/Ward eines Menschen Geist in seinem hohen Streben/Von deinesgleichen je gefaßt?” V, 193

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  62. Scholz, Rüdiger: Die beschädigte Seele des großen Mannes (1982), S.40ff

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  63. “Nimmt man die Sublimationstheorie von Freud ernst und akzeptiert seine und seiner Schüler These, daß der Sexualtrieb vom Ziel der genitalen Befriedigung auf Arbeit umlenkbar ist und die sogenannten Kulturleistungen das Resultat dieser Ablenkung sind — an der Richtigkeit dieser These ist nach dem gegenwärtigen Stand der Forschung nicht zu zweifeln -, dann ist die Interdependenz von Arbeit und Sexualität im jeweiligen Gesellschaftssystem auf der Ebene der materiellen Reproduktion zu untersuchen.” (56)

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  64. Scholz sieht dies auch, wenn er z.B. schreibt: “Der Strebensbegriff schließt auch den Sexualgenuß mit ein, aber in der Form des kapitalistischen Arbeitsbegriffs: Faust kann nie gesättigt werden. Goethe versucht also, die Identität von Arbeits- und Sexualtrieb nachzuweisen, die ja auch weitgehend den Tatsachen entspricht…” (58) Die Verengung auf den Sexualgenuß ist unpräzise: es geht, ausgehend von sexueller Begierde um die Erfahrung “Liebe”, die zu entwickeln ist. Daß Arbeit und Liebe (Sexualität) beide vom Streben geprägt sind, bedeutet überdies nicht, daß Goethe versuche, die Identität von Arbeitstrieb (was ist das?) und Sexualtrieb nachzuweisen.

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  65. “… die Gefahr, die Wirklichkeit der oder des Geliebten zu verfehlen, ist groß. Ein Gegengewicht gegen die Tendenz, im falschen Phantasiebild den anderen zu verfehlen, bildet die Materialität des Sexuellen.”

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  66. ebd., S.34

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  67. ebd., S.35

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  68. Man denke beispielsweise an Luhmann, der in der Liebe das Medium zur Aufrechterhaltung der Kommunikation unter Bedingungen der Inkommunikabilität sieht. Luhmann, Niklas: Liebe als Passion (1982), isb. S.24ff und S.155ff

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  69. Lukács, Georg: Faust und Faustus. Vom Drama der Menschengattung zur Tragödie der modernen Kunst. Reinbek 1967, S.181

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  70. ebd., S. 183

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  71. Habermas, Jürgen: Strukturwandel der Öffentlichkeit, Neuwied und Berlin 1962, S.66

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  72. Bloch, Ernst: Das Prinzip Hoffnung Bd.3 (1973), S. 1145

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  73. ebd., S. 1154

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  74. ebd., S. 1146

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  75. ebd., S. 1174

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  76. Brief an Auguste Stolberg v. 19. September 1775, Goethe Briefe, HA I, 195

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  77. Alle Motive für dieses Begehren finden sich komprimiert in einer Episode, die Goethe in Dichtung und Wahrheit aus seiner Leipziger Studienzeit berichtet: Verliebt in seinen Namen — den Autornamen Goethe! — habe er diesen in eine Rinde geschnitten und später Annettes Name obendrüber hinzugefügt. Im nächsten Frühjahr habe er die Stelle wieder besucht und gefunden, daß aus den neuen Einschnitten Baumsaft hervorgequollen sei und “mit unschuldigen Pflanzentränen die schon hart gewordenen Züge” seines Namens benetzt habe. “Sie also hier über mich weinen zu sehen, der ich oft ihre Tränen durch meine Unarten hervorgerufen hatte, setzte mich in Bestürzung. In Erinnerung meines Unrechts und ihrer Liebe kamen mir selbst die Tränen in die Augen, ich eilte, ihr alles doppelt und dreifach abzubitten, verwandelte dies Ereignis in eine Idylle, die ich niemals ohne Neigung lesen und ohne Rührung andern vortragen konnte.” (X, 307f) In der Distanz bekommt als Symbol Bedeutung, was in der Realität ignoriert wurde. Nur dem Bild kann der Dichter mit seinem Namen Sinn verleihen, weil es für etwas anderes steht, als für sich selbst. Weibertränen sind banal — unschuldige Pflanzentränen rühren selbst hart gewordene Züge und verwandeln sie zum empfindsamen Schreiber. So eilt er auch nicht nach Hause, um Annette nahe zu sein — sie müßte sich über den unvermittelten Reueausbruch genügend verwundert haben -, sondern um — syntaktisch ohne Konjunktion direkt an die Abbitte angeschlossen -eine Idylle zu formen, zu der dann auch die Abbitte gehört.

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  78. so z.B. Dichtung und Wahrheit, X, 311f, 639, 643; Brief an Kestner vom 21. November 1774, HA, Briefe Bd. I, S.173f

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  79. Eckermann, Gespräche mit Goethe, Gespr. v. 27. Januar 1824, S.64

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  80. Notiz von Müller v. 23.9.1827. In: Goethes Gespräche, III/2, S.225

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  81. In einem Brief an Auguste Gräfin zu Stolberg (v. 17. September 1775) findet Goethe für seine Liebe zu Lilli Schönemann folgenden wenig einnehmenden Vergleich: “Mir wars wie einer Ratte die Gift gefressen hat, sie läuft in alle Löcher, schlurpft alle Feuchtigkeit, verschlingt alles Essbaare das ihr in den Weeg kommt und ihr Innerstes glüht von unauslöschlich verderblichem Feuer.” Goethe, Briefe Bd.l, 193

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  82. Zur Metapher ‘Zauberfädchen’ s. Goethe, I, 51, 53; ‘Rosenband’ I, 68, 330, II, 44; auch Stellas Haare (IV, 901) oder der Absatz der Geliebten auf den Füßen (II, 39 und Briefe HA I, 110) stellen keine sehr wirksame Fesselung dar.

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  83. z. B. Triumph der Tugend (II, 18–22), Wahrer Genuss (II, 38f)

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  84. Auch auf Fausts Weg zum absoluten Wissen ist die Liebe ein notwendiges Durchgangsstadium

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  85. In einem Brief an Herzog Ernst II. von Sachsen Gotha (v. 19. April 1784) erklärt Goethe eine Schwäche in Tischbeins Darstellung weiblicher Figuren mit dessen Unschuld: “Hätte er die Reize des weiblichen Körpers mit Leib und Seele genossen, würde er nach diesem schönen Theile der Schöpfung mit unwiderstehlichen Trieben hingerissen, gewiß seine Gemälde würden mehr Leben und Wollust athmen, und er würde keinen räthselhaften Zwitter produciren.” (Goethe, Briefe, HA I, 436)

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  86. “… welch ein Gewinn für mich, meine Einbildungskran mit diesem vollkommenen Muster der menschlichen Natur bereichert zu haben!” (DC, 492)

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  87. Christa Zahlmann kommt in ihrem Aufsatz “Werther als Tantalus. Zu seiner Angst vor Liebe” zu ähnlichen Ergebnissen: “Darum geht es letztendlich; die Stimulanzien werden nach Bedarf gesucht und gefunden, damit sich das Ich auf intensivere Weise erfahren kann.” (48) in: Text und Kontext 15 (1987) H.l, S.43–69

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  88. “Vom Schlangenbisse fällt zunächst der Quelle/Ein Wandrer so, den schon der Durst verzehrte.” (II, 117)

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  89. Im Verlauf der Arbeit finden sich verstreut Hinweise auf Gestaltungen, die durch die Diskursivierung des Geschehens zustande kommen. Es wäre eine reizvolle Aufgabe, die Distanz, die ja durch die Schreibsituation — sozusagen als perspektivische Verzerrung — real gegeben ist, an den Texten herauszuarbeiten und von den Wunschstrukturen zu unterscheiden. In dieser Arbeit muß ich es bei einigen Andeutungen bewenden lassen.

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  90. Goethe hat die Entwertung des Gegenwärtigen mit diesem Bild treffend charakterisiert: “Leider komme ich mir in allen diesen Fällen wie eine Doppelherme vor, von welcher die eine Maske dem Prometheus, die andere dem Epimetheus ähnlicht, und von welchen keiner, wegen des ewigen Vor und Nach, im Augenblick zum Lächeln kommen kann.” Goethe, Brief an Zelter vom 26. Juni 1811, Briefe, HA III, 160

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  91. Ausführlich setzt sich Gerhart Baumann (Goethe. Dauer im Wechsel, München 1977) mit dem Wechsel von Nähe und Ferne in Goethes Werk auseinander und gibt dabei eine treffende Charakterisierung dessen, was ich als “Eliminierung der Präsenz” bezeichne, so etwa wenn er feststellt: “Was er (Goethe, HS) aus seiner Nähe notwendig entfernen muß, bewahrt er in der Ferne lebendig. In der Vergegenwärtigung steigert sich ihm alles Abwesende, das gilt für Personen und Dinge; in produktivem Erinnern ergrein er von vielem erst völlig Besitz…. In solcher Ferne erlangen diese Individuen (entfernte Bekanntschaften, HS) eine Bedeutung, die in der Nähe ihnen niemals zugekommen war.” (256f) Er wertet diesen Prozeß der Entfernung allerdings als Goethes Leistung, das “Allgegenwärtige” (246) zu erfassen, “die Gegenwart so umfassend zu steigern, daß sie alles nur Zeitgemäße hinter sich, zur Vorerinnerung einer Zukunft wird, die nie einzuholen ist” (267). Die Gegenwart als Vorerinnerung einer Zukunft, die nie einzuholen ist — hier wird Goethes Versuch einer Sinngebung lediglich verdoppelt und dabei als Erkenntnis von Daseinsgesetzen gefeiert: “Hellsichtig und unaufdringlich erkennt Goethe jene gesetzmäßige Bestimmung notwendiger Ferne…” charakterisiert er dessen Verhältnis zu Charlotte Stein und empfindet nach: “Die wahre Sehnsucht, ohne die niemand bestehen kann, muß auf etwas Fernes, auf etwas Unerreichbares gerichtet sein…” (218)

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  92. Benjamin, Jessica: Die Fesseln der Liebe. Psychoanalyse, Feminismus und das Problem der Macht, Frankfurt 1993, S.78

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  93. Simone de Beauvoir charakterisierte die Frauenrolle folgendermaßen: “Er ist das Subjekt, er ist das Absolute: sie ist das Andere.” Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau, Reinbek 1968, S.U.

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  94. Die Umkehrprobe zeigt allerdings, daß Beziehungen, die eine größere Nähe zulassen wie z.B. bei Faust und Gretchen, auf klaren Hierarchien beruhen. Aber die Hierarchie dient vor allem der Distanzierung und nicht der Regelung der Beziehung.

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  95. So ein Resultat der psychoanalytischen Untersuchung von Benjamin: Die Fesseln der Liebe (1993), S.81ff

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  96. Stephan, Inge: “Bilder und immer wieder Bilder…”. Überlegungen zur Untersuchung von Frauenbildern in männlicher Literatur, S.27f in: Die verborgene Frau. 6 Beiträge zu einer feministischen Literaturwissenschaft (Argument-Sonderband 96), S. 15–34

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  97. Die Vorprägungen und Erwartungen insgesamt bilden ein unüberwindbares Hindernis für die gemeinsame Liebeserfahrung und sind der Grund für die Notwendigkeit von Projektionen. Dieser Sachverhalt ist mit der Annahme einer Determinierung durch die infantile Geschichte nur unzureichend erklärt, auch wenn diese eine wesentliche Komponente der Fixierung auf ein “inneres Bild” darstellt. Ich verstehe deshalb das von mir hier beschriebene Phänomen der “Objektlosigkeit” als Resultat eines prinzipiellen Widerspruchs im Erleben von “Liebe” und nicht z.B. als narzißtisches Symptom in Folge einer Störung in der symbiotischen Phase.

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  98. In diesem Sinne ist Jochen Hörischs These vom Glück, das im Ausfüllen einer Lücke besteht, zuzustimmen, auch wenn der Weg, diesen Bezug über die etymologische Verwandtschaft der Worte ‘Glück’ und ‘Lücke’ herzustellen, bemüht originell und wenig aufschlußreich erscheint. Hörisch, Jochen: Glück und Lücke in ‘Wilhelm Meisters Lehrjahre’ (1983), S.30–99

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  99. Zu diesem Resultat kommt auch Norbert Puszkar (Frauen und Bilder: Luciane und Ottilie, in: Neophi-lologus 73, 1989, S.397–410). Er zeigt an verschiedenen Frauengestalten, die Goethe vorstellt, daß die Erscheinung einer schönen Frau am besten wirkt, wenn sie schweigt. Frauen, die sich diesem Gesetz nicht unterordnen, erregen Mißfallen, wie in den Wahlverwandtschaften Charlottes Tochter Luciane oder Lady Hamilton in der Italienischen Reise (XI, 362). Als symbolisch wertet Puszkar die Nachbildung berühmter Gemälde mit lebenden Personen: Männer bilden die Tableaux und lassen Frauen sich in ihren von den Männern gewünschten Rollen einüben. Ihre Stummheit und Unbeweglichkeit entspricht der Statik ihrer zudiktierten Rolle. Aber auch Puszkar kommt ebenso wie Bovenschen oder Stephan zu dem Resultat, daß es vor allem um Herrschaftsansprüche der Männer geht: “Dieses Frauenbild formuliert sich scheinbar unabhängig von sozialen Rollen und als ein aus der Natur abgeleiteter ‘Geschlechtscharakter’: es ist Ausdruck der sozialen Entmündigung der Frau, es ist aber nicht Abbild der Natur, sondern männliche Projektion, der die Frau ausgesetzt ist, und die sie als ‘Knecht’ im anthropologischen Erziehungsprogramm der Aufklärung zu erfüllen hat.” S.406

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  100. Das Projizieren vorgefaßter Bilder und Wunschvorstellungen ist sicher kein männerspezifischer Vorgang, die Vorprogrammierung geht von beiden Seiten aus, und auf beiden Seiten wirkt die Realität desülusionierend auf die Liebeserwartung. Es gibt zahlreiche Beispiele für Frauenphantasien über Männerbilder, man denke in der Umgebung Goethes nur an das Tagebuch Cornelias für Katharina Fabricius, an die Bekenntnisse einer schönen Seele oder an Bettina v. Arnims Briefe an Goethe. Der gravierendste Unterschied besteht in den Rollenerwartungen, die in diese Phantasien mit eingehen und die der Frau die Aufgabe der Anpassung und des Verzichts aufbürden, wenn die Realität dem Phantasiebild widerspricht Der Mann hingegen darf die Suche nach seinem Idealbild fortsetzen.

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  101. Wenn Goethe in Dichtung und Wahrheit über seine Begegnung mit Charlotte Buff schreibt: “Müßig und träumerisch, weil ihm keine Gegenwart genügte, fand er das was ihm abging in einer Freundin…” (X, 594), so drückt er damit genau diesen Sachverhalt aus. Sie bildet den Gegenpol zu seinem Mangel.

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  102. “Denn will sich einer nicht bequemen/Des Grandisons ergebner Knecht/Zu seyn, und alles blindlings anzunehmen/Was der Dicktator spricht,/Den lacht man aus, den hört man nicht.” Brief vom 6. November 1768. Goethe, Briefe HA I, S.74

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  103. Auch Werther argumentiert gegenüber Albert so: “Die Natur findet keinen Ausweg aus dem Labyrinthe der verworrenen und widerstrebenden Kräfte.” (IV, 313)

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  104. Hier sei nur noch einmal an die Arbeiten von Wolfgang Kaempfer (1979) und Christa Zahlmann (1987) zum Werther und an Per 0hrgaards (1978) Wilhelm Meister-Interpretation erinnert, die in den entsprechenden Kapiteln berücksichtigt wurden.

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  105. Brief an Lavater vom 20.9.1780, Briefe HA I, S.323f

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  106. Brief v. l.Juni 1789, Briefe HA II, S.116

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  107. s. Briefe Schillers an Körner vom 21.Oktober 1800 und an Charlotte Gräfin von Schimmelmann vom 23. November 1800 zit. bei Bode, Goethe in vertraulichen Briefen, Bd.II, S.170 u. 175

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  108. Insbesondere bei Eissler verdichtet sich diese Spekulation zur Gewißheit, wobei er viel Mühe aufwendet, alle Hinweise auf frühere Koituserlebnisse zu entkräften. Aber abgesehen davon, daß man die vorhandenen Anspielungen verschieden werten kann, ist bekannt, daß Goethe eine Vielzahl von literarischen Produkten, persönlichen Zeugnissen und Briefen in verschiedenen Autodafés vernichtet hat und daß somit nur der Ausschnitt von Zeugnissen, den er der Nachwelt übergeben wollte, Basis aller dieser Spekulationen ist. Es könnte überdies “flüchtige Begierden” gegeben haben, die er der Erwähnung nicht wert fand. Grundsätzliche moralische Bedenken dürften für ihn keine Rolle gespielt haben, seinen Helden hat er unter den beschriebenen Voraussetzungen die körperliche Liebe ungezwungen zugestanden. Ein “Beweis” ist auch das nicht: Die bekannten “Indizien” lassen eine gesicherte Aussage über Goethes sexuelle Erlebnisse letztendlich nicht zu und die Ursache für das Ergebnis der Spekulationen ist mehr in den Interpreten als im Interpretierten zu suchen.

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  109. Nach allem, was die schriftlichen Zeugnisse und die bekannten Umstände über die Beziehungen verraten, ist anzunehmen, daß der scheinbare Widerspruch seine Auflösung darin findet, daß Goethe eine ähnliche Distanziertheit in seinen Beziehungen lebte, wie er sie im Werk gestaltete.

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  110. s.a. Luhmann, Liebe als Passion (1982), S.24ff

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  111. Die Voraussetzungen des Zusammenlebens der Menschen als Individuen auf der Basis einer warenproduzierenden Gesellschaft hat Marx im Kapital entwickelt Es ist hier nicht der Ort, die philosophischen und ökonomischen Grundgedanken von Marx einer neuen Sichtung und Bewertung zu unterziehen. Sie sind hier nur insoweit von Interesse, als die Strukturen der Warenproduktion und des Geld- und Kapitalverkehrs, wie sie Marx beschrieben hat, Eingang in die menschlichen Beziehungen gefunden haben. Wichtig in meinem Zusammenhang sind dabei die Entwertung des Konkreten, die das Produzieren von beliebigen Waren für einen anonymen Markt mit sich bringt, die Endlosigkeit einer Produktion, die nicht ihr Ziel in der Bedürfnisbefriedigung, sondern in der Gewinnmaximierung hat und das konkurrenzhafte Nebeneinander der Privatproduzenten, die ihre Interessen gegeneinander durchsetzen und sich doch voneinander abhängig wissen.

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  112. Der großen Gruppe von ontologisierenden Erklärungen, die als Wesen des Menschen das Prinzip des “Homo homini lupus” annehmen, stehen die historisierenden gegenüber, die bestimmte gesellschaftliche Entwicklungen für das Agieren der Menschen als Individuen sehen. Häufig wird die Erfahrung von Isolation nur konstatiert, ohne sie mit der Frage nach historischen oder anthropologischen Voraussetzungen zu verbinden.

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  113. Luhmann, S.67

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  114. “Hiermit wird zugleich einsichtig, daß Liebe die ihr zufallenden Kommunikationsprobleme auf ganz eigentümliche Weise löst. Sie kann, um es paradox zu formulieren, Kommunikation unter weitgehendem Verzicht auf Kommunikation intensivieren. Sie bedient sich weitgehend indirekter Kommunikation, verläßt sich auf Vorwegnahme und Schonverstandenhaben. Sie kann durch explizite Kommunikation, durch Frage und Antwort, geradezu unangenehm berührt werden, weil damit zum Ausdruck kommt, daß etwas sich nicht von selbst versteht. Zum klassischen Code gehört denn auch die ‘Augen-sprache’, ebenso wie die Feststellung, daß Liebende endlos miteinander reden können, ohne sich etwas zu sagen zu haben.” (ebd. S.29)

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  115. Bernd Witte (Casanovas Tochter, Werthers Mutter; 1988) hat die Gefühlslage des Autors treffend charakterisiert: “So ist das literarische Schreiben, das die Inszenierung von Innerlichkeit zum Ziel hat und damit die Seelenliebe vorschreibt, immer auch der Diskurs einer Abwesenheit, der Abwesenheit der geliebten Person.” (S. 112)

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  116. Georg Lukács (Es geht um den Realismus, in: Marxismus und Literatur, hrsg. v. Fritz J. Raddatz, Bd.II, Reinbek 1969), der den “breiten Massen des Volkes” die Welt beber durch den bürgerlichen Realismus als durch die avantgardistischen Kunstströmungen des 20. Jahrhunderts vermitteln wollte, beschreibt diese Wirkung folgendermaßen: “Der Reichtum der Gestaltung, die tiefe und richtige Auffassung dauernder, typischer Erscheinungsweisen des menschlichen Lebens bringt die große fortschrittliche Wirkung hervor; ihre Leser klären im Prozeß des Aneignens ihre eigenen Erlebnisse und Lebenserfahrungen, erweitern ihren menschlichen und sozialen Horizont und werden durch einen lebendigen Humanismus dazu vorbereitet, die politischen Losungen der Volksfront in sich aufzunehmen und deren politischen Humanismus zu begreifen.” (84f) Sieht man, was zugegebenermaßen schwierig ist, von der Vorbereitung auf die Volksfront ab, dann ist die Wirkung von Diskursen gerade wegen ihrer idealisierenden, verabsolutierenden Sichtweise literarischer Autoritäten gut beschrieben. Wie selbstverständlich der angebliche Materialist bereit ist, die großen Wahrheiten des menschlichen Lebens von den “Meisterwerken” realistischer Literatur zu übernehmen, ist ein Hinweis auf die Überzeugungskraft des Scheins. Dies zeigte sich auch in seiner Auffassung von “Liebe”. S.d. Kap. 7, S.351

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  117. Welche verschiedenen Vorstellungen von “Liebe” sich aus diesen Situationen hätten ergeben können, ob andere Diskurse sich hätten etablieren können, kann nur am konkreten Material diskutiert werden. Aufgenommen werden jedoch nur Erfahrungen, die der Voraussetzung des eigenen Erlebens entsprechen. Das Liebesbegehren als sollipsistisches Erleben ist näher an der erfahrenen Realität als die Phantasie von Verschmelzung bei der “Lucinde-Liebe”, in der dieser realistische Aspekt getilgt wird. Bei der Erforschung des Liebesdiskurses wird in der Regel (meistens implizit) von der Vorstellung der romantischen Liebe als Vollendung der angestrebten Umcodierung des Liebes- und Eheideals ausgegangen und alle anderen Konzepte als Vorstufen gewertet. Es wäre vielversprechend, die Perspektive umzukehren, und zu untersuchen, wie die Romantik mit den Widersprüchen verfuhr, die in früheren Konzepten, insbesondere bei Goethe, sichtbar wurden.

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Schwander, HP. (1997). Liebe — Sehnsucht und Aufgabe. In: Alles um Liebe?. Historische Diskursanalyse der Literatur. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-90307-5_8

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