Skip to main content

Ersetzbarkeit

Zur Erfahrung des Anderen in Heiner Müllers »Germania 3. Gespenster am Toten Mann«

  • Chapter
Das Politische im literarischen Diskurs

Zusammenfassung

Liest man in den Nachrufen auf und der Literatur über Heiner Müller1, so findet sich dort immer wieder das vertraute Bild eines Autoren, der sich ganz in der Tradition der Helden des Bildungsromanes die jugendlichen Hörner abgestoßen hat, die Hoffnung, mit der er einst aufbrach, fahren ließ, und schließlich in Resignation, Zynismus und Verdüsterung endete. Diesem Bild widerspricht nur teilweise, daß Müller bei seinem Tod als Repräsentant — für welches Deutschland auch immer — gefeiert, als Klassiker verehrt und mit einer öffentlichen Anteilnahme beerdigt wurde, wie sie nur wenigen Schriftstellern in der jüngeren Geschichte zuteil wurde.

This is a preview of subscription content, log in via an institution to check access.

Access this chapter

Chapter
USD 29.95
Price excludes VAT (USA)
  • Available as PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
eBook
USD 44.99
Price excludes VAT (USA)
  • Available as PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
Softcover Book
USD 59.99
Price excludes VAT (USA)
  • Compact, lightweight edition
  • Dispatched in 3 to 5 business days
  • Free shipping worldwide - see info

Tax calculation will be finalised at checkout

Purchases are for personal use only

Institutional subscriptions

Preview

Unable to display preview. Download preview PDF.

Unable to display preview. Download preview PDF.

Anmerkungen

  1. Vgl. zur Sekundärliteratur die umfangreiche Bibliographie von Schmidt und Vaßen (1993).

    Google Scholar 

  2. Vgl. Müller 1996. Im folgenden kurz: Germania 3. Die Seitenzahlen ohne weitere Angaben beziehen sich auf diesen Text. — Unser Aufsatz wurde vor der Uraufführung des Textes in Bochum (24. 5. 1996) abgeschlossen.

    Google Scholar 

  3. Ausführlich entwickeln wir diesen Zusammenhang im Rahmen einer Dissertation zur Theorie eines Theaters der A-Identität bei Walter Benjamin, Bertolt Brecht und Heiner Müller. Sie wird voraussichtlich 1997 erscheinen.

    Google Scholar 

  4. Mit der Kennzeichnung seines Stückes als “montage” und “gestentafel” verteidigte sich Brecht im Exil gegen das Lob von Lukécs. (Vgl. Brecht 1974, S. 18).

    Google Scholar 

  5. Vgl. zu dieser Einordnung die erste, noch immer lesenswerte zusammenfassende Darstellung von Müllers Werk bei Genia Schulz (1980).

    Google Scholar 

  6. Vgl. zum Begriff der Fiktion: Lacoue-Labarthe (1990).

    Google Scholar 

  7. Vgl. zur “Ermüdung” Müller 1994, S. 155; es wäre vielleicht möglich, diese Ermüdung über die umgangssprachliche Feststellung hinaus in philosophischer Hinsicht als Verdoppelung der Dialektik im Moment ihres Schließens zu beschreiben. Aufbauend auf dieser bei Benjamin, Adorno und Derrida zu findenden Figur beschreibt Philippe Lacoue-Labarthe in den Schriften Hölderlins die “Zäsur des Spekulativen” als Ermüdung der Dialektik. Lacoue-Labarthe, Philippe (1981), S. 203-231.

    Google Scholar 

  8. Der Begriff der “heteronomen Erfahrung” wird von Levinas ausgiebig entfaltet in seinem Aufsatz “Die Spur des Anderen”, in: Levinas, Emmanuel (1983).

    Google Scholar 

  9. Müllers Darstellung von Hitler in Germania 3 wie schon in Germania Tod in Berlin dürfte nach dem Vorbild der von Brecht als “Gruselmärchen” bezeichneten Zwischenspiele von dessen Schweyk im Zweiten Weltkrieg gestaltet sein. Vgl. Brecht 1982, Bd. 5, S. 1995.

    Google Scholar 

  10. Vgl. zu diesem Begriff Nancy 1988, S. 13 ff. u. 32 f. und Lacoue-Labarthe 1990, S. 211 ff.; Nancy bezeichnet mit dem Begriff des Immanentismus die “Vision einer Gemeinschaft von Wesen, die wesensmäßig ihre eigene Wesenheit als ihr Werk herstellen und darüberhinaus genau diese Wesenheit als Gemeinschaft herstellen”. Der Begriff ersetzt (und verändert) den von Hannah Arendt (1986) geprägten des “Totalitarismus”.

    Google Scholar 

  11. Jankas Dokumentation der Ereignisse jener Tage wurde, auch auf Initiative Müllers, am 28. Oktober 1989 im “Deutschen Theater” unter dem Titel “Schwierigkeiten mit der Wahrheit” vorgelesen. Vgl. Janka, Walter (1989): Schwierigkeiten mit der Wahrheit. Reinbek: Rowohlt. S. 35 f., 53 f., 61, 90 f., 119.

    Google Scholar 

  12. Vgl. zur Entwicklung des Kommunismus auch Lyotard, Jean-François (1987), S. 282-285.

    Google Scholar 

  13. Vgl. zur Frage der in sich gespaltenen Gründungsfigur jeder Rechtsordnung: Derrida (1991) und Hamacher (1994).

    Google Scholar 

  14. Die Bearbeitung des Coriolan durch Wekwerth (des Brecht-Schülers, nicht der Müller-Figur) kritisiert Brechts Idealisierung des Volkes, läßt so im Theater jene “Paternalisierung” der Bevölkerung durch die Partei zum Ausdruck kommen, die Müller in der Wekwerth-Figur vorführt; vgl. Wekwerth (1967).

    Google Scholar 

  15. Vgl. zur Logik der Gespenster: Derrida 1995. Im Zusammenhang der Texte Müllers hat Hans-Thies Lehmann im Rahmen eines Vortrages bei einem Heiner Müller-Symposium in Sydney 1994 dem Motiv und Phänomen des Gespenstes ausführlich nachgespürt.

    Google Scholar 

  16. Samuel Weber hat dargelegt, daß und wie das Modell dieses “reaktionären” Staates, der auf die Intervention des Anderen reagiert, erstmals in Carl Schmitts politischer Theorie entworfen wird. (Weber 1995, S. 12-17) Müllers Schreiben kann als Subversion der von Schmitt begründeten Freund/Feind-Dichotomie begriffen werden, insofern es die Stabilisierung der Unterscheidungen verhindert. Diese in sämtlichen Stücken zu beobachtende Tendenz hat einige Berliner Literaturwissenschaftler nicht daran gehindert, in Müller einen Schmittianer und Parade-Feind ihrer eigenen Neo-Liberalität zu entdecken.

    Google Scholar 

  17. Müllers Position zum Schreiben “nach Auschwitz” kann im Rahmen dieses Aufsatzes nicht angemessen diskutiert werden. Eine solche Diskussion könnte ihren Ausgang nehmen von der III. Szene von Germania 3, in der Kriemhilds Darstellung von Siegfrieds Tod zur Allegorie des Ereignisses wird, für das Adorno den Namen “Auschwitz” synekdocheisch setzte: “Und erst, wenn Siegfrieds Tod gerochen ist / Gibts wieder Missetaten auf der Erde. / So lange aber ist das Recht verhüllt / Und die Natur in tiefen Schlaf versenkt.” (26).

    Google Scholar 

  18. Vgl. zu einem solchen Modell von Politik auch: Bailly und Nancy (1991).

    Google Scholar 

Literatur

  • Agamben, Giorgio (1994): Lebens-Form. In: Vogl, Joseph (Hrsg.): Gemeinschaften. Positionen zu einer Philosophie des Politischen. Frankfurt: Suhrkamp. S. 251–257.

    Google Scholar 

  • Arendt, Hannah (1986): Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. München: Piper.

    Google Scholar 

  • Bachtin, Michail (1985): Literatur und Karneval. Zur Romantheorie und Lachkultur. Frankfurt, Berlin, Wien: Ullstein.

    Google Scholar 

  • Bailly, Jean-Christophe et Jean-Luc Nancy (1991): La comparution. Politique à venir. Paris: Christian Bourgois.

    Google Scholar 

  • Benjamin, Walter (1980): Gesammelte Schriften. Frankfurt: Suhrkamp.

    Google Scholar 

  • Brecht, Bertolt (1974): Arbeitsjournal. Frankfurt, Suhrkamp.

    Google Scholar 

  • Brecht, Bertolt (1982): Gesammelte Werke. Frankfurt: Suhrkamp.

    Google Scholar 

  • Deleuze, Gilles (1968): Différence et répétition. Paris: Presses Universitaires de France.

    Google Scholar 

  • Deleuze, Gilles (1993): Unterhandlungen 1972–1990. Frankfurt: Suhrkamp.

    Google Scholar 

  • Derrida, Jacques (1991): Gesetzeskraft. Der “mystische Grund der Autorität”. Frankfurt: Suhrkamp.

    Google Scholar 

  • Derrida, Jacques (1995): Marx’ Gespenster. Frankfurt: Fischer.

    Google Scholar 

  • Freud, Sigmund (1980): Aus der Geschichte einer infantilen Neurose. (“Der Wolfsmann”). In: Ders.: Zwei Kinderneurosen. Studienausgabe Bd. VIII. S. 125–232, Frankfurt: Fischer.

    Google Scholar 

  • Goethe, Johann Wolfgang von (1981): Werke. Bd. 1. Hamburger Ausgabe, München, 10. Auflage: C.H. Beck.

    Google Scholar 

  • Hamacher, Werner (1994): Afformativ, Streik. In: Nibbrig, Christiaan L. Hart: Was heißt “Darstellen”?, Frankfurt: Suhrkamp, S. 340–374.

    Google Scholar 

  • Hebbel, Friedrich (1967): Die Nibelungen. Stuttgart: Reclam.

    Google Scholar 

  • Hölderlin, Friedrich (1986): Sämtliche Werke. Kritische Textausgabe. Hrsg. von D. E. Sattler. Frankfurt: Luchterhand.

    Google Scholar 

  • Hörnigk, Frank/Martin Linzer/Frank Raddatz/Wolfgang Storch/Holger Teschke (Hrsg.) (1996): Ich Wer ist das Im Regen aus Vogelkot Im Kalkfell für Heiner Müller. Arbeitsbuch. Berlin: Theater der Zeit.

    Google Scholar 

  • Janka, Walter (1989): Schwierigkeiten mit der Wahrheit. Reinbek: Rowohlt.

    Google Scholar 

  • Kleist, Heinrich von (1959): Empfindungen vor Friedrichs Seelandschaft. Zit. nach: Ders. (Hrsg.): Berliner Abendblätter. Nachdruck der Faksimileausgabe von 1925. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.

    Google Scholar 

  • Knopf, Jan (1986): Brecht-Handbuch. Stuttgart: Metzler.

    Google Scholar 

  • Lacoue-Labarthe, Philippe (1990): Die Fiktion des Politischen. Stuttgart: Edition Patricia Schwarz.

    Google Scholar 

  • Lacoue-Labarthes, P. (1981): Die Zäsur des Spekulativen. In: Hölderlin-Jahrbuch, Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck).

    Google Scholar 

  • Laplanche, J. und J.B. Pontalis (1989): Das Vokabular der Psychoanalyse. Frankfurt, 9. Auflage: Suhrkamp.

    Google Scholar 

  • Levinas, Emmanuel (1983): Die Spur des Anderen. Untersuchungen zur Phänomenologie und Sozialphilosophie. Freiburg, München: Karl Alber.

    Google Scholar 

  • Lyotard, Jean-Francois (1987): Der Widerstreit. München, 2. Aufl.: Fink.

    Google Scholar 

  • Materialien zu Brechts “Leben des Galilei” (1978). Frankfurt: Suhrkamp.

    Google Scholar 

  • Marx, Karl (1974): Zur Kritik der Hegeischen Rechtsphilosophie. Einleitung. In: Ders. und Friedrich Engels: Staatstheorie. Frankfurt, Berlin, Wien: Ullstein.

    Google Scholar 

  • Müller, Heiner (1974): Geschichten aus der Produktion 2. Berlin: Rotbuch.

    Google Scholar 

  • Müller, Heiner (1975a): Theater-Arbeit. Berlin: Rotbuch.

    Google Scholar 

  • Müller, Heiner (1975b): Die Umsiedlerin oder Das Leben auf dem Lande. Berlin: Rotbuch.

    Google Scholar 

  • Müller, Heiner (1977): Germania Tod in Berlin. Berlin: Rotbuch.

    Google Scholar 

  • Müller, Heiner (1978): Mauser. Berlin: Rotbuch.

    Google Scholar 

  • Müller, Heiner (1983): Herzstück. Berlin: Rotbuch.

    Google Scholar 

  • Müller, Heiner (1985): Shakespeare Factory 1. Berlin: Rotbuch.

    Google Scholar 

  • Müller, Heiner (1989a): Material. Texte und Kommentare. Herausgegeben von Frank Hörnigk, Leipzig: Reclam.

    Google Scholar 

  • Müller, Heiner (1989b): Shakespeare Factory 2. Berlin: Rotbuch.

    Google Scholar 

  • Müller, Heiner (1990a): Gesammelte Irrtümer 2. Interviews und Gespräche. Frankfurt: Verlag der Autoren.

    Google Scholar 

  • Müller, Heiner (1990b): “Zur Lage der Nation”. Heiner Müller im Interview mit Frank M. Raddatz. Berlin: Rotbuch.

    Google Scholar 

  • Müller, Heiner (1991a): Gesammelte Irrtümer. Interviews und Gespräche. Frankfurt, 2. Aufl.

    Google Scholar 

  • Müller, Heiner (1991b): “Jenseits der Nation”. Heiner Müller im Interview mit Frank M. Raddatz, Berlin: Verlag der Autoren.

    Google Scholar 

  • Müller, Heiner (1992a): Jetzt sind die infernalischen Aspekte bei Benjamin wichtig. Gespräch mit Heiner Müller. In: Aber ein Sturm weht vom Paradiese her. Texte zu Walter Benjamin. Herausgegeben von Michael Opitz und Ertmut Wizisla. Leipzig: Reclam, S. 348-362.

    Google Scholar 

  • Müller, Heiner (1992b): Krieg ohne Schlacht. Leben in zwei Diktaturen. Köln: Kiepenheuer u. Witsch.

    Google Scholar 

  • Müller, Heiner (1994): Gesammelte Irrtümer 3. Interviews und Gespräche. Frankfurt: Verlag der Autoren.

    Google Scholar 

  • Müller, Heiner (1996): Germania 3. Gespenster am toten Mann. Köln: Kiepenheuer u. Witsch.

    Google Scholar 

  • Müller-Schöll, Nikolaus (1995): Theatrokratia. Zum gesetzlosen Gesetz der Über-setzung in Walter Benjamins Brecht-Lektüre. In: Kotte, Andreas (Hg.): Theater der Region — Theater Europas. Basel: Editions Theaterkultur, S. 275-302.

    Google Scholar 

  • Nancy, Jean-Luc (1988): Die undarstellbare Gemeinschaft. Stuttgart: Edition Schwarz.

    Google Scholar 

  • Nancy, Jean-Luc (1994): Das gemeinsame Erscheinen. Von der Existenz des “Kommunismus” zur Gemeinschaftlichkeit der “Existenz”. In: Vogl, Joseph (Hrsg.): Gemeinschaften. Positionen zu einer Philosophie des Politischen. Frankfurt: Suhrkamp. S. 167–204.

    Google Scholar 

  • Schmidt, Ingo u. Florian Vaßen (1993): Bibliographie Heiner Müller 1948–1992. Bielefeld: Aisthesis.

    Google Scholar 

  • Schulz, Genia (1980): Heiner Müller. Stuttgart: Metzler.

    Google Scholar 

  • Theater der Zeit, Januar/Februar 1996: Mythos Nation. Ein Gespräch über das Metaphysische in uns mit Heiner Müller, Boris Groys und Rüdiger Safranski, moderiert von Frank Raddatz. S. 16-19.

    Google Scholar 

  • Völker, Klaus (1988): Bertolt Brecht. Eine Biographie. Reinbek: Rowohlt.

    Google Scholar 

Download references

Authors

Editor information

Sven Kramer (Lehrbeauftragter)

Rights and permissions

Reprints and permissions

Copyright information

© 1996 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen

About this chapter

Cite this chapter

Müller-Schöll, N. (1996). Ersetzbarkeit. In: Kramer, S. (eds) Das Politische im literarischen Diskurs. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-90285-6_10

Download citation

  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-90285-6_10

  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften

  • Print ISBN: 978-3-531-12849-8

  • Online ISBN: 978-3-322-90285-6

  • eBook Packages: Springer Book Archive

Publish with us

Policies and ethics