Skip to main content

Die Bedeutung von Leib und Körper für die personale Identität. Eine empirische Untersuchung von Ordensangehörigen und Ballett-Tänzerinnen

  • Chapter
Leib, Körper und Identität
  • 882 Accesses

Zusammenfassung

Die im vorangegangenen Kapitel unternommenen Leib-Körper-theoretischen Annäherungen an die personale Identität haben den Boden bereitet, auf dem nun die Überlegungen zur Identitätsrelevanz von Leib und Körper empirisch fortgesetzt werden sollen. Die theoretischen Ausführungen hatten für das empirische Vorgehen eine zweifache Funktion. Zum einen dokumentieren sie das theoretische Wissen, das die empirische Arbeit angeleitet und begleitet hat. In Anlehnung an Barney Glaser und Anselm Strauss lässt sich sagen, der theoretische Hintergrund diente zur „theoretischen Sensibilisierung“ für den Untersuchungsgegenstand (Glaser 1978; Glaser/Strauss 1967). Konkret heißt das, dass die leitfadengestützen, problemzentrierten Interviews der vorliegenden Untersuchung thematische Bereiche enthalten, die aus den theoretischen Vorüberlegungen gewonnen wurden (z.B. instrumenteller Umgang mit dem eigenen Körper, eigenleibliches Spüren, Inszenierung und Präsentation des eigenen Körpers, Arbeit am und mit dem Körper etc.). Die zweite Funktion des theoretischen, vor allem des phänomenologischen Zugangs bestand darin, für die Auswertung der Interviews ein begriffliches Instrumentarium zur Hand zu haben, das es ermöglicht, die in den Interviews verbalisierten Leiberfahrungen zu analysieren.

This is a preview of subscription content, log in via an institution to check access.

Access this chapter

Chapter
USD 29.95
Price excludes VAT (USA)
  • Available as PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
eBook
USD 49.99
Price excludes VAT (USA)
  • Available as PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
Softcover Book
USD 74.99
Price excludes VAT (USA)
  • Compact, lightweight edition
  • Dispatched in 3 to 5 business days
  • Free shipping worldwide - see info

Tax calculation will be finalised at checkout

Purchases are for personal use only

Institutional subscriptions

Preview

Unable to display preview. Download preview PDF.

Unable to display preview. Download preview PDF.

Referenzen

  1. In einer sinnverwandten Weise verweist Gendlin (1993) auf die „umfassende Rolle des Körpergefühls in Denken und Sprechen“, während Buchholz und von Kleist zeigen, dass der „Körper als Bedeutungsspender“ in Form von Metaphern in Denken und Sprechen enthalten ist (Buchholz/von Kleist 1997: 53, 94ff.).

    Google Scholar 

  2. Vgl. bspw. die Beiträge von Baumann, Bielefeld, Mrazek und Paulus in Bielefeld (1986) sowie diesen kognitiv-sprachlichen Bias in der Psychologie zusammenfassend, kritisierend und auf Möglichkeiten der Reintegration des Körpers in die Psychologie hinweisend Kempen (1996), Radley (1991, 1996) und Sampson (1996). Zu jüngsten Ansätzen der Integration des Körpers in die Psychoanalyse vgl. das Schwerpunktheft „Psychoanalyse und Körper“ der Zeitschrift „psychosozial“ (Geißler/Rückert 1998) sowie von Polenz (1994).

    Google Scholar 

  3. In der Soziologie ist seit Durkheim die Meinung vorherrschend, dass die Gesellschaft mittels der Sprache sowohl das Bewusstsein als auch den Körper steuert (vgl. Starobinski 1987: 20). So heißt es bei Durkheim, dass „die Welt der Vorstellungen, in der sich (...) das soziale Leben abspielt, sich über ihren materiellen Untergrund schiebt; aber sie stammt nicht von ihm ab (...)“ (Durkheim 1994: 368f.). Diese Haltung vertreten nicht nur die im Gefolge von Durkheim entstandenen strukturalistischen und poststrukturalistischen Ansätze in der Soziologie (z.B. von Mauss, Bourdieu, Boltanski, Foucault), sondern auch interaktionistische (z.B. Goffman) und feministische (v.a. Butler) Theorien (vgl. als Überblick Featherstone et al. 1991; Shilling 1993, 1997; Turner 1996).

    Google Scholar 

  4. Das Behälter-Schema fungiert auch als Grundlage wissenschaftlicher und philosophischer Theorien, so etwa bei Plessner, für dessen Theorie des Lebendigen der Begriff der Grenze entscheidend ist, insofern er ihm dazu dient, die Unterscheidung zwischen belebten und unbelebten Körpern aufzuzeigen (vgl. Teil 2, Kap. 1.1).

    Google Scholar 

  5. Auf weitere Funktionen von Metaphern werde ich in Kap. 2.2.1 eingehen.

    Google Scholar 

  6. Von der metaphorischen Konstruktion von Wirklichkeit spricht Wheeler (1987).

    Google Scholar 

  7. Vgl. hierzu als Überblick bspw. Flick (1995), Flick/von Kardorff/Steinke (2000), Hitzler/Honer (1997), Kleining (1994), Lamnek (1989, 1993).

    Google Scholar 

  8. Diese Methode der Datensammlung sieht vor, Vergleichsgruppen auf der Grundlage bereits vorhandener, zu Beginn des Forschungsprozesses entstandener theoretischer Vorstellungen auszuwählen, zu analysieren, daraus neue theoretische Konzepte zu entwickeln, auf deren Grundlage dann wiederum neue Vergleichsgruppen ausgewählt werden, die für die Weiterentwicklung der „emergierenden Theorie“ zentrale Gesichtspunkte abdecken; dieser abwechselnde Prozess der Datenerhebung und der Theorieentwicklung wird so lange fortgesetzt, bis die „theoretische Sättigung“ der zu entwickelnden Kategorie erreicht ist (Glaser/Strauss 1967; Strauss/Corbin 1997: 148–165).

    Google Scholar 

  9. Diese Vorstellung von körperorientierten und körperfernen sozialen Gruppen war in einem gewissen Sinne naiv oder oberflächlich, da sie vom beobachtbaren Verhalten sowie dem Alltagsverständnis ausging, diese oder jene Personengruppe sei körperorientiert bzw. -distanziert. Das barg natürlich die Gefahr, mit den Annahmen falsch zu liegen. Wie die Ergebnisse der empirischen Untersuchung zeigen werden, wurden in der Tat manche der Vorannahmen widerlegt. Dies ist nun allerdings kein Argument für die Unangemessenheit der Samplestruktur. Solche contra-intuitiven Resultate verweisen auf den Unterschied zwischen Alltags- und wissenschaftlichem Wissen, stellen den heuristischen Nutzen des gewählten Gruppenvergleichs jedoch nicht in Frage. Erkenntnisziel war schließlich die Ausarbeitung gruppenübergreifender Kategorien und nicht die Verifizierung gruppenbezogener Hypothesen.

    Google Scholar 

  10. Es gibt auch die Möglichkeit, eine Ballettausbildung in drei Jahren abzuschließen. Als „Dreijähriger“, wie einer der von mir interviewten Tänzer meinte, ein Engagement an einem Opernhaus zu bekommen, geschweige denn dort eine Solistenrolle zu tanzen, ist allerdings selten. Leopold, der angesprochene „Dreijährige“, ist dies jedoch gelungen.

    Google Scholar 

  11. Ich würde nicht so weit gehen zu behaupten, dass die erzielten Ergebnisse universell gültig sind. Vermutlich ist das nicht der Fall. Die hier behauptete Gruppen- oder Milieuunabhängigkeit bezieht sich somit erst einmal, das heißt, solange keine entsprechenden interkulturellen Untersuchungen durchgeführt worden sind, auf den europäisch-amerikanischen Kulturkreis.

    Google Scholar 

  12. Aus Anonymitätsgründen habe ich ausschließlich die männliche Form der Ordensbezeichnung gewählt.

    Google Scholar 

  13. Ich hatte in Teil 2, Kap. 3.1 darauf hingewiesen, dass Bourdieu den Feld-Begriff nicht systematisch verwendet. Das werde ich mir im Weiteren insofern zunutze machen, als ich abwechselnd von feld-oder milieuspezifischer Prägung sprechen werde.

    Google Scholar 

  14. In der Metaphernforschung werden konzeptuelle Metaphern konventionellerweise in Großbuchstaben geschrieben, die auf sie verweisenden sprachlichen Äußerungen kursiv hervorgehoben. Ich schließe mich im Weiteren dieser Konvention an.

    Google Scholar 

  15. Baldauf nennt im Anschluss an Andrew Ortony noch zwei weitere Funktionen konzeptueller Metaphoriken: Zum einen die Funktion „der Komprimierung größerer Erfahrungs- und Informationseinheiten (..), die als zusammenhängende Ganzheiten übermittelt werden können“, zum Zweiten die Funktion, „einprägsame Bilder“ zu evozieren, „die sowohl das Verständnis als auch die Speicherung von Informationen erleichtern“ (Baldauf 1997: 269f). Eine andere Systematik der Metaphern-Funktionen treffen Buchholz und von Kleist. Sie sprechen von der operativen (wechselseitige Verhaltenserwartungen steuernden), evaluativen (den angesprochenen Zielbereich bewertenden), selektiven (hervorhebenden oder versteckenden), kreativen (Ereignisse Sinn stiftend umwandelnden) und transzendentalen (auf etwas Unsagbares anspielenden) Funktion (Buchholz/von Kleist 1997: 89ff).

    Google Scholar 

  16. Wie ich im Vorwort erwähnt hatte, wurde diese Arbeit in einem auf drei Jahre angelegten Graduiertenkolleg begonnen und sollte in dieser Zeit auch abgeschlossen werden (was leider nicht ganz gelang). Und da es sich bei dieser Arbeit um ein Dissertationsprojekt handelt, ist klar, dass die personelle Ausstattung der Studie auf den Autor beschränkt war.

    Google Scholar 

  17. Während bei Strauss das selektive Kodieren die Generierung einer „Kernkategorie“ (und das InBezug-Setzen der Kernkategorie mit anderen Kategorien) über alle Fälle hinweg zum Ziel hat, meint es bei Flick, wie gesagt, die Entwicklung einer thematischen Struktur zunächst für den Einzelfall. Erst im zweiten Schritt entwickelt Flick eine thematische Struktur unter Einbezug aller Fälle.

    Google Scholar 

  18. Anzumerken ist, dass die Kategorienanalyse computerunterstützt mit dem Software-Programm winMAX 98 durchgeführt wurde. Die digitalisierten Textdaten wurden in dieses Textanalysesystem eingelesen, archiviert und vercodet. Dank winMax 98 war es aus technischer Sicht ein Leichtes, Kategorien zu kreieren und wieder zu löschen, Kategorien Textsegmenten zuzuordnen und diese zu kürzen oder zu strecken, an Kategorien oder Segmente ‚Erinnerungszettel‘ („memos“) zu kleben, Kategorien zusammenzufügen, zu kopieren oder untereinander anzuordnen und vieles mehr. Die technische Hilfe hat — überflüssig zu erwähnen — selbstredend nicht die inhaltliche Arbeit ersetzt, das Software-Programm m.a.W. die angeführten Analyseschritte natürlich nicht durchgeführt.

    Google Scholar 

  19. Dies entspricht der Zielsetzung des „thematischen Kodierens“ nach Flick. Flick versteht seine Methode als ein Instrumentarium zur Theorieentwicklung „gruppenspezifischer Sicht- und Erfahrungsweisen bezüglich eines bestimmten Phänomens“ (Flick 1996: 157).

    Google Scholar 

  20. Personifizierung darf nicht mit Metonomy verwechselt werden: Personifizierung ist nach Lakoff und Johnson eine ontologische Metapher, in der eine Sache so bezeichnet wird, als sei sie eine Person, um sie dadurch (besser) zu verstehen: ‚diese Theorie erklärt überhaupt nichts‘, ‚das Leben hat mich betrogen‘. Eine Metonomy ist demgegenüber der Gebrauch eines Ausdrucks, der für einen anderen steht: ‚Er liest gerne Heidegger‘ (statt: Bücher von Heidegger), ‚die Süddeutsche schreibt‘ (statt: dieser oder jener Autor der Süddeutschen Zeitung schreibt) (vgl. Lakoff/Johnson 1980: 33–40).

    Google Scholar 

  21. Ich werde in diesem Kapitel nicht die in Teil 2 getroffene Unterscheidung von Leib und Körper aufgreifen, stattdessen nur vom Körper sprechen, weil der von mir benutzte Leib-Begriff im Gegensatz zu jenem von Ordensangehörigen keine religiös-sakrale Bedeutung impliziert (sondern auf das Spüren abzielt).

    Google Scholar 

  22. Zum Beispiel: Am ganzen Leib frieren, lebendigen Leibes verbrennen, es besteht Gefahr für Leib und Leben, sich sein Geld am eigenen Leib absparen, um Leib und Leben rennen, sich den Leib vollschlagen, etwas am eigenen Leib erfahren (=schmerzlich erfahren), sich etwas vom Leibe halten, jemandem auf den Leib rücken. Positive Konnotationen mit dem Leib-Begriff sind meines Erachtens deutlich rarer; dazu zählt etwa: mit Leib und Seele etwas tun, gesegneten Leibes sein, etwas ist jemandem wie auf den Leib geschnitten.

    Google Scholar 

  23. Auch wenn sich das „Projekt einer ‚Diskursivierung‘ des Sexes“ in einer langen „asketischen und klösterlichen Tradition formiert“ hatte und als „Geständnispflicht“ seinen christlichen Ausdruck fand (Foucault 1983: 31), denke ich nicht, dass die Ordensangehörigen auf Grund eines ansozialisierten Geständniszwanges mit mir über ihre Sexualität gesprochen haben. Schließlich ist ein Interview keine Beichte. (Zu einer kritischen Auseinandersetzung mit Foucaults Buch Sexualität und Wahrheit siehe Giddens 1993:28–47).

    Google Scholar 

  24. Und wenn bei Ballett-Tänzerinnen vom Spüren die Rede war, dann wurde es mitunter als etwas bezeichnet, das mit dem Körper gar nichts zu tun habe, sondern mit der Seele oder dem Geist. So meint z.B. Stefanie, dass der Wind, den sie beim Reiten spüre, keine körperliche Erfahrung sei: „Das [den Wind spüren] is aber nicht körperlich finde ich /I: Sondern?/ das hat damit ja nichts zu tun, auch wenn du den Wind spürst oder so dass — ich find das tut ja der Seele gut deinem Geist /I: Hmh/ da achtest du nicht auf dein — weniger auf deinen Körper. Wenn ich was weiß ich in der Sonne liege und mich entspanne oder im Schatten sitze und n Buch lese und mir Wind durchs Haar fährt oder so /I: Hmh/ Das is alles — das bezieh ich nicht körperlich das is für mich geistig“ (Stefanie, 623–628).

    Google Scholar 

  25. Die meisten der von mir interviewten Ordensschwestern und Ordensbrüder meinten auch, dass sie ihre Freizeit und ihren Urlaub am liebsten zum Ausschlafen und Erholen nutzen.

    Google Scholar 

  26. Um unbewusste Verbalisierungen handelt es sich bei konzeptuellen Metaphern. Sie waren Gegenstand der Metaphernanalyse im vorangegangenen Kapitel. 4. Manifeste Metaphern werden demgegenüber wohl vorrangig bewusst verwandt (vgl. hierzu Teil 3, Kap. 2.2.2).

    Google Scholar 

  27. Dass und wie diese individuelle Bewertung des eigenen Körpers sozial geprägt ist, darauf komme ich weiter unten zu sprechen.

    Google Scholar 

  28. Dass ich z.B. von mir das Bild habe, dick zu sein, ist meine persönliche Körperwahrnehmung (die eventuell vollkommen verzerrt ist), die ich gleichwohl im Rahmen der gesellschaftlich vorherrschenden Schönheitsvorstellungen von einem männlichen Körper treffe. ‚Ich bin dick‘ ist also ein Körperbild und keine Körpermetapher.

    Google Scholar 

  29. Das Konzept ‚Körperschema‘ weist eine Tradition auf, die bis zur Wende des 19. zum 20. Jahrhunderts zurückreicht. Entsprechend dieser langen Tradition hat sich auch sein genaues Verständnis immer wieder gewandelt. Als Überblick siehe S. Baumann (1986) und Joas (1992: 257–269). Zu Merleau-Pontys Verständnis von ‚Körperschema‘ siehe Teil 2, Kap. 2.2.1.

    Google Scholar 

  30. So etwa, wenn Mrazek körperbezogene Einstellungen unter anderem als positive oder negative Bewertungen des eigenen Körpers sowie seiner Teile und Funktionen versteht (Mrazek 1986: 227). Oder hinsichtlich des Aspekts ‚Körperzufriedenheit‘, insofern dieser ebenfalls ein evaluatives Moment enthält.

    Google Scholar 

  31. Aus psychoanalytischer Perspektive bilden Wünsche und Träume bzw. Phantasien sowie Freuden den Kern des Körperbildes. So meint z.B. Michel Bernard (1980), der sich an Freuds Konzept des „libidinösen Körpers“ anlehnt, das heißt, an der Vorstellung vom Körper als Quelle von Verlangen, Lust und Schmerz (ebd.: 28), dass „unser Körperbild nicht nur das Resultat unserer perzeptiv-motorischen Erfahrungen ist, sondern auch und vor allem jenes unserer durch die Schwankungen auf Grund von Wünschen, Freuden und Träumen geschärften sexuellen Sensibilität“ (ebd.: 66). Weil Träume und „Phantasien, die unsere unbewussten Wünsche heimsuchen“, im Zentrum des Körperbilds stehen (ebd.: 73), gelte es, Träume zu erzählen. Denn die Erzählung von Träumen erlaube, „das Leben unseres Körpers zu entziffern“ und somit die „archaische Sprache der Phantasien des Körpers jenseits der Rationalisierungen (...) wiederherzustellen“ (ebd.: 74).

    Google Scholar 

  32. Aus der Zusammenstellung dieser vier Interviewzitate pauschal zu schlussfolgern, dass Ordensangehörige mit sich und ihrem Körper unzufrieden, Ballett-Tänzerinnen hingegen zufrieden seien, würde der empirischen Realität widersprechen. Wie die Metaphernanalyse in Kapitel 4 gezeigt hat, ist eher das Gegenteil der Fall.

    Google Scholar 

  33. Ich gehe davon aus, dass Individuen die Gegenüberstellung von Ideal- und Realbild im Normalfall (wenn auch unbewusst) vornehmen. Als nicht zum Normalfall zugehörig kann man bspw. magersüchtige Frauen zählen. Für magersüchtige Frauen entfällt der Konflikt zwischen Ideal- und Realbild, insofern sie kein Realbild von ihrem Körper besitzen. Während ihr Idealbild der (androgyne/geschlechtslose) Kinderkörper darstellt, ist ihre eigene Körperwahrnehmung in einem Maße verzerrt, dass ihnen jede realistische Einschätzung ihres Körpers abhanden gekommen ist. Das kann sich dann etwa in der Weise äußern, dass eine 30 Kilogramm schwere erwachsene Frau das Bild von sich hat, fett zu sein. Das Identitätsproblem magersüchtiger Frauen besteht unter dem hier angesprochenen Gesichtspunkt im Fixiert- und Orientiertsein am Idealbild des kindlichen Körpers (vgl. Gerling-hoff/Backmund 2001).

    Google Scholar 

  34. Der Spiegel im Ballettsaal spielt auch für die Kategorie ‚Körperkontrolle‘ eine wichtige Rolle (vgl. Kapitel 5.3.2).

    Google Scholar 

  35. Neben den selbst gemachten Erfahrungen, den Selbsterfahrungen, hat der Einzelne selbstverständlich auch Teil an Erfahrungen, die nicht seine eigenen sind, ihm aber bspw. über die Medien vermittelt werden. Diese so genannten Fremd- oder Sekundärerfahrungen haben im Vergleich zu den Selbstoder Primärerfahrungen in Gesellschaften, die sich als Informations-, Kommunikations- oder Wissensgesellschaften verstehen, deutlich an Bedeutung gewonnen.

    Google Scholar 

  36. Zum leiblichen Raum bzw. zum Verhältnis von Leib, Raum und Person siehe z.B. Fuchs (2000).

    Google Scholar 

  37. Zum Zusammenhang von Körperwahrnehmung und Selbsttheorie aus persönlichkeitspsychologischer Perspektive siehe Paulus (1986: 10ff.).

    Google Scholar 

  38. Dass Anna nicht von der Identitätsrelevanz ihrer Krankheit, geschweige denn von leiblichkörperlichen Grenzerfahrungen spricht, widerlegt nicht diese These, sondern spiegelt lediglich den Unterschied von Alltags- und Wissenschaftssprache wider. Substanziell dürfte keine Differenz vorliegen.

    Google Scholar 

  39. Dass Schwester Larissa im Interview dieses Erlebnis rationalisiert und als Berufungserlebnis interpretiert, darf nicht darüber hinweg täuschen, dass dieser kognitive Akt der Bewertung in einen spontanen, unmittelbaren leiblich-affektiven Umwelt-Bezug eingebettet ist, wie es bei Plessner heißt. Ihr Wissen basiert auf ihrem leiblichen Zur-Welt-sein (Merleau-Ponty).

    Google Scholar 

  40. James zufolge zeichnet sich eine religiös-mystische Erfahrung durch vier Merkmale aus: 1. Die betroffene Person erklärt sofort, dass es ihr nahezu unmöglich ist, den Inhalt der Erfahrung verbal angemessen wiederzugeben (Nichtmitteilbarkeit); 2. handelt es sich um eine sinnliche Erkenntnis einer tieferen Wahrheit, nämlich der, dass Gott existiert (Noetische Qualität); 3. mystische Erfahrungen sind von kurzer Dauer, können sich aber wiederholen (Flüchtigkeit); und 4. das Auftreten eines mystischen Zustandes erweckt bei der betroffenen Person das Gefühl, von der höheren Macht ergriffen oder überwältigt zu werden (Passivität) (James 1997: 384–405).

    Google Scholar 

  41. Schwester Pia meinte außerdem, in dem Moment der Gotteserfahrung wisse sie, dass Gott real sei. Er „ist da“, wie sie sagt, weil bzw. indem sie ihn spürt. Es ist offensichtlich die Evidenz des leiblich-affektiven Betroffenseins, die Schwester Pia die Gewissheit von der Realität Gottes gibt. James spricht in diesem Zusammenhang von einem „Realitätsempfinden“, das von einer religiösen Vorstellung herrühre und das nicht auf dem üblichen sinnlichen Wahrnehmungsweg gewonnen werde (James 1997: 87ff). Es sei ein spezieller Sinn, der für die Erfahrung Gottes als einer Realität kenntlich zeichnet. Mit Max Weber könnte man diesen Meta-Sinn als „religiöse Musikalität“ bezeichnen. Religiöse Musikalität ist für Weber das Kennzeichen, durch das sich die von ihm so genannten „religiösen Virtuosen“ von der religiös „unmusikalischen“ Masse unterscheiden (Weber 1973: 423). Ordensschwestern und Ordensbrüder sind solche religiöse Virtuosen. (Von Nonnen als religiösen Virtuosinnen spricht auch Lau 1993.)

    Google Scholar 

  42. Eine der von mir interviewten Ordensschwestern teilte mir jedenfalls mit, dass die Bücher aus dem Vier-Türme-Verlag Münsterschwarzach, in dem bspw. auch das Buch von Grün (1989) erschienen ist, von Ordensleuten sehr gern gelesen werden, weil sie nicht allzu umfangreich, verständlich geschrieben und zum Teil lebenspraktisch ausgerichtet seien.

    Google Scholar 

  43. Interessant wäre hier auch ein Vergleich mit anderen, sich ebenfalls durch hohen Körpereinsatz auszeichnenden Berufsgruppen, wie bspw. Bauarbeiter, Schmied oder Maurer. Ich würde vermuten, dass es hier Parallelen zu den Ballett-Tänzerinnen und -Tänzern gibt, dass es also bspw. auch für einen Bauarbeiter schwer zu ertragen wäre, in seinem mehrwöchigen Urlaub körperlich nichts zu tun.

    Google Scholar 

  44. Wenn hier von der Haut als Körpergrenze die Rede ist, darf das nicht mit dem Begriff des „Haut-Ichs“ von Didier Anzieu gleichgesetzt werden. Mit dem Begriff des Haut-Ichs zielt Anzieu auf eine psychische Aktivität (Bild, Vorstellung) des Kleinkindes, die auf den biologischen Funktionen der Haut aufsitzt, und durch die das Kind während seiner frühen Entwicklungsphasen „eine Vorstellung von sich selbst entwickelt als Ich“ (Anzieu 1991: 60).

    Google Scholar 

  45. Diese Haltung betrifft selbstverständlich nur den beruflichen, nicht den privaten Körperkontakt.

    Google Scholar 

  46. Diese Auflockerung des Körperumgangs hängt v.a. damit zusammen, dass es in vielen Ordensgemeinschaften im Anschluss an das Zweite Vatikanische Konzil zu einem verstärkten internationalen Austausch von Ordensangehörigen gekommen ist. Ordensschwestern, die seit langer Zeit im Kloster leben, stehen diesen ordensinternen Veränderungen im Körperumgang oftmals jedoch skeptisch gegenüber. So meinte z.B. Schwester Pia: „Es ist zwar so, dass die älteren Schwestern das nich unbedingt verstehen können, wenn man sich umarmt, aber es gibt auch ältere Schwestern, die das tun. Und die Grenzen, die es da gibt, werden dann schon immer wieder diskutiert. Also wenn sich zwei länger in den Armen liegen, dann könnte das in den Augen der älteren Generation ((schnippisch gesprochen)) schon ein bisschen viel sein. /I: Hmh/ Aber es ist auch nicht so, dass das ne Katastrophe ist.“ (Schwester Pia, 977–984)

    Google Scholar 

  47. Damit schließe ich mich an die Leibtheorie von Schmitz an, der in seinem Kategoriensystem des Leiblichen ebenfalls die Kategorie ‚Geschlecht‘ ausklammert, weil er davon ausgeht, dass die Struktur leiblichen Befindens geschlechtsneutral ist (vgl. Teil 2, Kap. 2.2.1).

    Google Scholar 

  48. Eine kritische Auseinandersetzung mit der phänomenologischen Mikrosoziologie Lindemanns und insbesondere ihrer zentralen These, dass die Geschlechterdifferenz ihre soziale Realität als leiblich-affektives Empfinden entfalte, liefert Villa (2000: 179–222).

    Google Scholar 

  49. Bei homosexuellen Frauen und Männern ist das Prinzip dasselbe: Sie verfügen über denselben kulturellen Bezugsrahmen hinsichtlich der Strukturierung des Begehrens, also über das Wissen der Differenzierung zwischen Homo- und Heterosexualität. Entsprechend fungiert dieses Wissen zur „Strukturierung von Leibesinseln und der davon ausgehenden leiblichen Erfahrungen. Anders gesagt: je nachdem, wie jemand in der Sexualität angerufen/angesprochen/angefasst wird, wird sich dieser Jemand geschlechtlich erleben“ (Villa 2000: 197).

    Google Scholar 

  50. Wenn ich es recht sehe, spielt in den Arbeiten von Lindemann oder bspw. auch von Villa dieser Aspekt, die Geschlechtsidentität über die Differenzerfahrung zu Kindern zu thematisieren, keine Rolle. Könnte es sein, dass es sich hierbei um einen blinden Fleck in der feministischen Geschlechterforschung handelt?

    Google Scholar 

  51. Von den signifikanten unterscheidet Lindemann „insignifikante Körperformen“, womit sie Vulva/Klitoris, Männerbrust und den Innenraum des männlichen Körpers meint (Lindemann 1993: 196–212).Kritisch hierzu siehe Villa (2000: 211f.,219ff).

    Google Scholar 

  52. Auch aus dem Zitat von Pater Michael kann geschlossen werden, dass Blicken die Qualität eignet, das eigene Geschlecht leiblich-affektiv anzusprechen. Pater Michael hatte erzählt, dass er schöne Frauen wahrnimmt. Diesbezüglich sagt er im Schlusssatz dieses Zitats: „was mich so auf den ersten Blick dann ‘natürlich anspricht“. Die Wahrnehmung schöner Frauen „spricht“ ihn „natürlich“ „auf den ersten Blick“ „an“. Dieses „Ansprechen“ kann man als Teil einer leiblichen Kommunikation (vgl. Teil 2, Kap. 2.2.5) verstehen, in der das Erblicken der Frau der Absender, die Bewertung ‚schöne Frau‘ die Information, und die leibliche Empfindung im Moment des An gesprochenwerdens der Empfänger dieses kommunikativen Aktes sind. Indem Pater Michael beim Anblick einer schönen Frau spontan etwas empfindet, realisiert er sich als Mann.

    Google Scholar 

  53. So meinte z.B. Rainer: „Ja, ich hab nicht wirklich nen männlich ausgeprägten Körper in dem Sinne. /I: Hmh/ Weil ich hab schon teilweise weibliche Formen. Also deshalb hab ich mich auch nie so zu ner körperlichen Definition hinreißen lassen.“ (Rainer, 693–697). Die „körperliche Definition“, die Rainer nicht abzugeben willens war, bezog sich auf die Frage, was Mannsein für ihn bedeute. Er weiß, dass er keinen im Sinne der gesellschaftlichen Geschlechternorm männlichen Körper hat, doch ist das für ihn kein Problem, vermutlich weil er sein Personsein nicht mit seinem Geschlechtsein identifiziert.

    Google Scholar 

  54. Wie die Interviews mit den Ballett-Tänzerinnen und Ordensangehörigen gezeigt haben, lässt sich der kontrollierte Umgang mit dem eigenen Körper in der Tat auf einer Art Kontinuum mit den beiden Polen Körper-Bejahung und -Verneinung platzieren. Allerdings sind Zweifel angebracht, ob, wie Plessner es andeutet, die Gleichsetzung von körperlicher „Spitzenleistung“ mit Bejahung so einfach vorzunehmen ist. Wie sich noch zeigen wird, ‚erkaufen‘ nämlich Ballett-Tänzerinnen und -Tänzer ihre körperliche Perfektion bspw. mit dem kontinuierlichen Verdrängen von Schmerzen, das man wohl kaum als Körper-Bejahung bezeichnen kann.

    Google Scholar 

  55. Foucault zufolge hat die Zahl der Institutionen, welche außer dem Gefängnis — dessen historische Genese als nunmehr zeitgemäßer Straf- und Machttypus er in seinem Buch Überwachen und Strafen aufzeigt — den Körper zu disziplinieren trachten, in einem Maße zugenommen, dass es seine exemplarische Funktion verloren habe und die Gesellschaft selbst zur körperlichen Kontroll- und Sanktionsinstanz geworden sei. Foucault spricht aus diesem Grund auch von der „Disziplinargeseilschaft“ (vgl. hierzu sowie zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der „Disziplinargesellschaft“ Breuer 1987).

    Google Scholar 

  56. Aus dem Rahmen dieses Verhaltensmusters fiel nur Schwester Regina. Sie war, verglichen mit den anderen Ordensleuten, sehr bewegungsfreudig, gestikulierte fiel, stand während des Interviews mehrfach auf und nahm einmal meine Hand, um mir eine Gebetsgeste zu zeigen. Ihre Bewegungsaktivität lässt sich vielleicht darauf zurückführen, dass Schwester Regina erst mit 40 Jahren in den Orden eingetreten ist und von daher die klösterliche Sozialisation keine so tiefen Körperspuren hinterlassen konnte wie dies bei Ordensleuten der Fall zu sein scheint, die früher eingetreten sind und länger im Kloster leben.

    Google Scholar 

  57. Anders ist es in den (weniger häufig vorkommenenden) Fällen, wo die Körperkontrolle absichtsvoll aufgegeben wird, bspw. beim Bungee-Jumping oder beim ausgelassenen Tanzen. Hier kommt der Verlust der Körperkontrolle eher einer Selbstbestätigung denn einem Selbstverlust gleich.

    Google Scholar 

  58. Diese Ansicht Elias’ ist nicht unkritisiert geblieben. Als Hauptkritiker der Zivilisationstheorie von Elias zeichnet sich im deutschen Sprachraum nach wie vor Hans-Peter Duerr aus (vgl. Duerr 1988, 1990, 1995).

    Google Scholar 

  59. Beim Wippen mit dem Fuß handelt es sich, phänomenologisch streng genommen, nicht um einen Körper-, sondern um einen Leibkontakt: Der wippende Fuß berührt gewissermaßen nur ‚sich selbst‘, indem er durch seine Bewegung eine eigenleibliche Regung bewirkt. Hermann Schmitz spricht in Bezug auf diese und ähnliche Phänomene — z.B. das ‚Festhalten‘ an einer Zigarette oder an einem Glas Wein, das Spielen mit einem Bleistift etc. — auch von „einseitiger Einleibung“ (vgl. Teil 2, Kap. 2.2.5). Hier gibt es im übrigen eine interessante Nähe zur Neurophysiologie. In neurophysiologischer Terminologie werden die hier angesprochenen Phänomene eigenleiblicher Wahrnehmung als „Propriozeption“ (Eigenwahrnehmung) bezeichnet. Oliver Sacks weist in seinem Buch Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte darauf hin, dass die Propriozeption „für die Wahrnehmung unserer selbst unerlässlich ist. Nur durch die Eigenwahrnehmung sind wir nämlich in der Lage, unseren Körper als zu uns gehörig, als unser ‚Eigen-tum‘, als uns selbst zu erleben (Sherrington 1906, 1940)“ (Sacks 1997: 69f; Herv. im Orig.). An zahlreichen, für den Leser z.T. sehr skurrilen und deshalb mitunter auch komischen ‚Fällen‘ zeigt Sacks, dass mit einer propriozeptorischen Störung eine Störung der Körper-Identität einhergeht. So berichtet er von einer Frau, die an einer sensorischen Polyneuropathie leidet und deshalb keine ihrer Körperbewegungen mehr verspürt: „Sie hat mit ihrer Eigenwahrnehmung auch die grundlegende, organische Verankerung der Identität verloren — jedenfalls die der körperlichen Identität, des ‚Körper-Ichs‘, das für Freud die Grundlage des Selbst war: ‚Das Ich ist vor allem ein körperliches‘.“ (ebd.: 80). (Um möglichen Missverständnissen vorzubeugen: Der Wahrnehmungsverlust der eigenen Körperhaltung, des Muskeltonus und der Körperbewegungen — also der Propriozeption — ist nicht per se gleichbedeutend mit dem Verlust der personalen Identität.)

    Google Scholar 

  60. Die selbstvergewissernde Funktion des eigenleiblichen Körperkontakts zeigt sich in besonders dramatischer Form bei Personen mit autoaggressivem Verhalten. So ist z.B. von sog. borderline-Patienten bekannt, dass sie sich selbst physische Verletzungen (Brennen, Schneiden, Schaben) zufügen, um ihre psychischen Schmerzen zu neutralisieren und dadurch sich ihrer selbst zu vergewissem und Selbstkontrolle zu gewinnen. Beziehungsweise, sie fügen sich diese Verletzungen zu, um sich überhaupt zu spüren und das Gefühl zu haben, noch lebendig zu sein (vgl. Wenglein et al. 1996).

    Google Scholar 

  61. So heißt es bei Douglas: „Der Körper als soziales Gebilde steuert die Art und Weise, wie der Körper als physisches Gebilde wahrgenommen wird; und andererseits wird in der (durch soziale Kategorien modifizierten) physischen Wahrnehmung des Körpers eine bestimmte Gesellschaftsauffassung manifest. (...) Infolge dieser beständigen Interaktion ist der Körper ein hochgradig restringiertes Ausdrucksmedium. In den ihm eigenen Formen der Ruhe und Bewegung kommt der soziale Druck auf mannigfaltige Weise zum Ausdruck. Die Sorgfalt, die auf seine Pflege verwendet wird, die Regeln der Nahrungsaufnahme und der Therapie, die Theorien über das Schlaf- und Bewegungsbedürfnis, über die normalen körperlichen Entwicklungsstadien, über die Erträglichkeitsgrenze bei Schmerzen, die normale Lebensspanne — kurz, all die kulturell geprägten Kategorien, die die Wahrnehmung des Körpers determinieren, müssen den Kategorien, in denen die Gesellschaft wahrgenommen wird, eng korrespondieren, weil und insofern auch diese sich aus den kulturell verarbeiteten Körpervorstellungen ableiten“ (Douglas 1974: 99).

    Google Scholar 

  62. Mitunter können selbst ordensinterne Veränderungen der sozialen Körperkontrolle zu Irritationen und Problemen bei Ordensangehörigen führen. So berichtet Gertrud Hüwelmeier von den Auswirkungen des Zweiten Vatikanischen Konzils im Frauenorden der „Armen Dienstmägde Jesu Christi“ (ADJC) auf die Weiblichkeitskonstruktionen dieser Ordensschwestern. Auf der Grundlage des II. Vatikanum entschloss sich die Ordensleitung des ADJC, nach knapp 150 Jahren Ordensgeschichte den Habit- und Schleierzwang aufzuheben. Seit einigen Jahren ist es den Ordensschwestern erlaubt, selbst innerhalb der Klostermauern ‚zivile‘ Kleidung zu tragen. Diese Lockerung der Kleiderzwangs führte bei einigen, vor allem den älteren Ordensschwestern zu neuartigen Selbstreflexionen über Aussehen, Kleidung und Erscheinungsbild (Hüwelmeier 1999, 2000).

    Google Scholar 

  63. Ein normaler Arbeitstag enthält für Ballett-Tänzerinnen zwei Trainings- und Probeeinheiten, nämlich von 10.00 bis 14.00 Uhr und von 18.00 bis 22.00 Uhr.

    Google Scholar 

  64. Man kann sich das bspw. auch an Menschen mit Essstörungen verdeutlichen, die, so Feistner (1997), versuchen, gegen ihren und mit Hilfe ihres Körpers ihre Identität zu finden. Für bulimische und magersüchtige Frauen besteht dabei ein, vielleicht sogar das zentrale Identitätsziel darin, „ihren Körper unter totaler Kontrolle zu haben“ (ebd.: 525).

    Google Scholar 

  65. Zur Bedeutung des Spiegels für Bodybuilder vgl. Honer (1985: 133f.).

    Google Scholar 

  66. Dazu mag z.B. beitragen, dass das Engagement von Ballett-Tänzerinnen in einem festen Ensemble immer nur auf ein Jahr befristet ist. Im Normalfall wird der Einjahresvertrag automatisch verlängert, zumindest an kleineren Opernhäusern, aber Garantie gibt es dafür keine. Die von mir interviewten Ballett-Tänzerinnen und -Tänzer beklagten obendrein, dass seit 1989 die Konkurrenz auf dem Tänzermarkt deutlich härter geworden sei, da auf ihn zunehmend Tänzerinnen aus den osteuropäischen Ländern drängen, von denen einige bekanntermaßen zu den Hochburgen des klassischen Balletts zählen. Das Leben in einer Ordensgemeinschaft stellt sich unter diesen Gesichtspunkten der Konkurrenz und Zukunftssicherheit gänzlich anders dar.

    Google Scholar 

  67. Sie meint, auch schon mit einer Bronchitis und 40 Grad Fieber getanzt zu haben. Diese vollkommene Körperkontrolle auf der Bühne findet sie selbst ein wenig merkwürdig. „Komischerweise ist das auch so, dass man auf der Bühne auch nie hustet oder niest (...). Aber so dass ich einen Hustenanfall gekriegt habe oder so auf der Bühne, ist noch nie passiert.“ (Zoé, 1120–1125).

    Google Scholar 

  68. Leopolds Unfall passierte im ersten Teil einer Vorstellung, in der er die Hauptrolle tanzte. In der Pause wollte er sich seinen Knöchel zwar vom Arzt untersuchen lassen, die Vorstellung aber dann fortsetzen. Erst die Diagnose des Arztes machte ihm das Ausmaß seiner Verletzung klar. Die Vorstellung wurde daraufhin abgebrochen.

    Google Scholar 

  69. Auf die Alltäglichkeit von Selbstinszenierungen, ‚schauspielerischer‘ Rollenübernahmen und ihrer Distanznahme, kurz: auf das Leben als ein alltägliches Drama hat insbesondere Ronald Hitzler hingewiesen (vgl. z.B. Hitzler 1992, 1993).

    Google Scholar 

  70. Ich gebrauche die beiden Begriffe ‚Biographie‘ und ‚Geschichte‘ mehr oder weniger synonym, lediglich mit einer kleinen Schwerpunktsetzung. Während ‚Biographie‘ eher die selektive Vergegenwärtigung der eigenen Geschichte sowie ein reflexives, sich-selbst-thematisierendes Moment bezeichnet, also das geschichtliche Werden, verweist ‚Geschichte‘ eher auf das Moment des geschichtlichen Gewordenseins. Damit unterscheiden sich beide Begriffe von dem des ‚Lebenslaufs‘, der auf eine Chronologie von Lebensdaten abzielt (zum Unterschied von Biographie und Lebenslauf siehe Hahn 1991).

    Google Scholar 

  71. Diese These mag dem einen oder der anderen möglicherweise als trivial erscheinen. Dass sie es nicht ist, darauf hat in jüngster Zeit etwa die Sektion ‚Biographieforschung‘ der Deutschen Gesellschaft für Soziologie auf dem von ihr veranstalteten Workshop „Biographie und Leib“ hingewiesen (vgl. Alheit et al. 1999). Wie Fischer-Rosenthal (1999) in seinem programmatischen Aufsatz zu dieser Tagung schreibt, hat der Cartesianismus in den Wissenschaften (inklusive Soziologie und Psychologie) dazu geführt, dass Selbstbiographie einerseits, Leib und Körper andererseits bislang in aller Regel getrennt voneinander behandelt wurden (ebd.: 17). Für die biographische Identitätsforschung bzw. für jene Identitätsmodelle, die sich mit der Dimension ‚Kontinuität‘ befassen, gilt dasselbe (vgl. Teil 1).

    Google Scholar 

  72. Körpergeschichte meint hier also nicht eine Geschichte des Körpers, wie sie in historischen Arbeiten etwa von Duden (1991), Imhof (1983), Laqueur (1992), Sarasin (2001) oder auch Elias (1976) und Foucault (1976) vorgelegt worden ist.

    Google Scholar 

  73. Ian Burkitt kritisiert dies und meint, unter Rückgriff auf die historischen Arbeiten von Foucault und Elias, dass solche „body regimes and disciplines are part of the cultural and personal regulation of the body through which agency is produced in many, if not all, societies. Body regimes (...) are not peculiar to modernity“ (Burkitt 1999: 140).

    Google Scholar 

  74. Zur Erinnerung: Ich hatte an früherer Stelle betont, dass im unmittelbaren Lebensvollzug die carte-sianische Trennung zwischen Körper und Geist nicht existiert, sondern im Leib aufgehoben ist (vgl. bspw. Teil 2, Kap. 4.1). Das Beten kann somit als weiteres Beispiel für die Verschränkung von Körper und Geist in der Leiberfahrung angesehen werden.

    Google Scholar 

  75. Zum Beispiel meinte Schwester Pia, ihre Entscheidung für einen Ordenseintritt hätte auch damit zu tun gehabt, dass sie durch das Ordenskleid ihren Entschluss für das Leben in einer religiösen Gemeinschaft für andere sichtbar machen konnte: „Also für mich war wie gesagt schon wichtig dass ich, in eine Gemeinschaft gehe die ein Ordenskleid hat. (...) Also für mich is eben dieses ‚Ich gebe Zeugnis ab durch das was ich anhabe, dass ich ganz Gott gehöre‘- es war für mich eigentlich die Motivation, ähm das was ich vorhin eben erzählt habe mit der U-Bahn dass mich die Leute da ansprechen, zeigt mir einfach dass die Leute das Zeichen auch ernst nehmen. Deswegen is es mir auch wichtig.“ (Schwester Pia, 938–945). Für Schwester Pia symbolisiert das Ordenskleid einen religiösen „Sinn“ außerdem in der Hinsicht, dass sie beim Tragen ihres Habits die „Weite“ Christus spürbar realisiert: „Aber, irgen- irgendwo is für mich dieses Weite des Ordenskleides was Schöneres. Also Christus is genauso weit da hat viel Platz drunter, also ich könnt mir z.B. nicht vorstellen n enges Ordenskleid anzuhaben. /I: Hmh/ Das würde mich, viel mehr behindern. /I: Hmh/ Rein vom Praktischen her aber auch einfach vom Sinn her.“ (Schwester Pia, 991–994)

    Google Scholar 

  76. Beispielhaft für solche, mit dem Tragen des Habits verbundene leibliche Empfindungen, ein Interviewausschnitt von Schwester Regina: „Und ich habe, gesagt wie ich mich (1) behütet fühle. /I: Ja/ Es war als ob ich wirklich, (2) umhüllt war von einer Liebe. (...) Es war einfach dieses freudige Gefühl, ‚Jetzt gehöre ich hier her, ich trage, sozusagen eine Uniform‘.“ (Schwester Regina, 766–773).

    Google Scholar 

  77. Dass der Habit selbst eine Art Verkörperung sozialer Strukturen ist, deutet allein schon die begriffliche Nähe von Habitus (=Verköperung sozialer Strukturen) und Habit an.

    Google Scholar 

  78. Am Beispiel des Schreibmaschineschreibens weist Fuchs darauf hin, dass das Leibgedächtnis „auch auf der physiologischen Ebene nicht im Gehirn lokalisiert werden (kann), da es das Erlernte ohne die Gegenwart des Körpers nie mehr aktivieren könnte; es gehört vielmehr dem gesamten Organismus an“ (Fuchs 2000: 392, Fn. 3). Wenn das Leibgedächtnis nicht im Gehirn sitzt, dann möglicherweise im Bauch bzw. den Eingeweiden, da sich dort, jüngsten neurophysiologischen Ergebnissen zufolge, ein dem ‚Kopfhirn‘ funktional gleichwertiges Gedächtnis befinde (vgl. Luczak 2000).

    Google Scholar 

  79. Fuchs zufolge ist die „Gewohnheit (..) die grundlegende zeitliche Struktur des Leibes. Sie bezeichnet die sensomotorischen Vollzüge, die durch Wiederholung und Übung ‚in Fleisch und Blut‘ übergegangen sind, sich also dem Leib als Dispositionen eingebildet haben“ (Fuchs 2000: 326).

    Google Scholar 

  80. Hier zeigt sich noch einmal Merleau-Pontys zutreffende Bezeichnung des Leibes als „Situationsräumlichkeit“: Der Leib stellt eine Räumlichkeit dar, die durch die Orientierung auf eine situationsspezifische Aufgabe hin existiert. Insofern ist der Leib das Mittel zur Welthabe (vgl. Teil 2, Kap. 2.1.1).

    Google Scholar 

  81. Dass diese Kategorien, die hinsichtlich einer Theorie personaler Identität einen analytischen Stellenwert haben, in der Alltagserfahrung des Individuums ineinander spielen, sollte unmittelbar evident sein.

    Google Scholar 

Download references

Authors

Rights and permissions

Reprints and permissions

Copyright information

© 2002 Springer Fachmedien Wiesbaden

About this chapter

Cite this chapter

Gugutzer, R. (2002). Die Bedeutung von Leib und Körper für die personale Identität. Eine empirische Untersuchung von Ordensangehörigen und Ballett-Tänzerinnen. In: Leib, Körper und Identität. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-90147-7_4

Download citation

  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-90147-7_4

  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-531-13719-3

  • Online ISBN: 978-3-322-90147-7

  • eBook Packages: Springer Book Archive

Publish with us

Policies and ethics