Zusammenfassung
Wenn Menschen hungern und verhungern, wenn ihre Armut und ihre Machtlosigkeit auch Rechtlosigkeit ist, wenn Kinder in eine Zukunft ohne Hoffnung hineingeboren werden, dann fällt es schwer zu behaupten, daß sie „erlöst“ seien. Auf diesem Hintergrund ist die Theologie der Befreiung zu verstehen: Theologie darf von Erlösung reden, das sollte ihre Größe sein; Theologie muß von Erlösung reden — das kann ihre Last werden. Wie soll man mitten in der Zerstörung des elementar Menschlichen dem Wort Erlösung noch einen Sinn beilegen? Die Überlegung drängt sich auf, daß derart offenkundige Unerlöstheit ein soziales und ökonomisches Phänomen sei, daß aber wiederum die Gestaltung der sozialen und ökonomischen Dinge von der Politik abhänge. Wenn aber Erlösung zumindest auch an die Politik geknüpft und Theologie Erlösungslehre ist, dann muß Theologie, um ihrem Gegenstand zu genügen, politisch werden: Das ist die Logik, die hier unausweichlich scheint. Damit ist in aller Kürze der Ausgangspunkt der Theologie der Befreiung umschrieben; es kann wohl kein Zweifel darüber bestehen, daß die Problemstellung als solche nicht nur berechtigt, sondern notwendig ist. Die Frage, die ich in diesem Referat an die Befreiungstheologie richten will, betrifft nicht ihren Ausgangspunkt, sondern ihren Lösungsvorschlag. Er muß daraufhin untersucht werden, ob er dem doppelten Auftrag genügt, auf den er antworten will: dem Anspruch, eine Politik zu entwerfen, die nicht nur politisch gut, sondern theologisch wirksam, d. h. erlösend ist und so dem weiteren Anspruch, das Erbe der Theologie richtig zu verwalten und ihre Lehren mit Realität zu erfüllen, die dem Anspruch ihrer Worte gerecht wird. Weil Theologie der Befreiung trotz ihres grundsätzlich einheitlichen Ausgangspunktes sowohl in ihren praktisch-politischen Anweisungen wie in ihren theologischen Begründungen von Autor zu Autor verschieden ist, möchte ich mich hier auf das 1972 erschienene bahnbrechende Werk von Gustavo Gutierres beschränken, das den freilich schon vorher vorhandenen Ausdruck „Theologie der Befreiung“ populär gemacht und ihm seine Konturen gegeben hat.1 Die Frage, wieweit Gutiérrez selbst sein Projekt weiterentwickelt und auch verändert hat, soll hier ebenso ausgeklammert bleiben wie die Verhältnisbestimmung zu anderen befreiungstheologischen Entwürfen; all dies würde den Rahmen eines Referates bei weitem überschreiten. Ebenso wenig steht hier das Problem der Orthodoxie des peruanischen Theologen zur Debatte. Was untersucht werden soll, ist der Argumentationstypus seines Hauptwerks, der auch unabhängig von eventuellen weiteren Entwicklungen seines Denkens sein repräsentatives Gewicht behält. An diesen Argumentationstypus soll die Frage seiner inneren Stimmigkeit gestellt werden, aber auch die Frage nach seiner Wahrheit, nämlich nach der Übereinstimmung zwischen seinem Anspruch und seinem tatsächlichen Lösungsgehalt.
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Lieratur
G. Gutierrez, Teologia de la Liberación (Salamanca 1972 ); ich zitiere der leichteren Zugänglichkeit halber nach der deutschen Ausgabe: Theologie der Befreiung (München 1973, 19826; im folgenden abgekürzt ThB). An späteren Werken wäre zu erwähnen: La fuerza historica de los pobres (Deutsch )
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Ratzinger, J. (1986). Einleitung: Der Ausgangspunkt der Befreiungstheologie. In: Politik und Erlösung Zum Verhältnis von Glaube, Rationalität und Irrationalem in der sogenannten Theologie der Befreiung. Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften, vol 279. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-90075-3_1
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