Zusammenfassung
In den vorangegangenen Kapiteln wurde manchmal ganz selbstverständlich von einzelnen Sprachen und ihren zugehörigen Grammatiken gesprochen (z. B. von dem Deutschen, dem Englischen), als gäbe es die Einheitlichkeit dieser Sprachen und Grammatiken. Wie schon im Kap. 4.4 ausgeführt, liegt einer solchen Redeweise aber immer ein bestimmter Grad an Abstraktion und Idealisierung zugrunde, der nur hinsichtlich gewisser Gesichtspunkte zulässig ist. Ich habe dort unterschieden zwischen verschiedenen Stufen der Abstraktion:
-
A
— individuelles Sprachsystem
-
B
— homogenes Sprachsystem einer Gruppe, relativ zu bestimmten Arten von Verständigungssituationen (Soziolekt)
-
C
— dialektische und diatypische Ausprägungen einer Sprache zu einer Zeit
-
D
— Einzelsprache zu einer Zeit
usw.
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Literatur
L. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Oxford 1958, Frankfurt 1967, §§ 66 ff.;
S. Kanngiesser, Aspekte der synchronen und diachronen Linguistik/Tübingen 1972.
Implizit haben sehr viele Linguisten eine solche Annahme zugrunde gelegt; ausdrücklich ist sie z. B. von Chomsky formuliert worden: «Der Gegenstand einer linguistischen Theorie ist in erster Linie ein idealer Sprecher-Hörer, der in einer völlig homogenen Sprachgemeinschaft lebt, seine Sprache ausgezeichnet kennt und bei der Anwendung seiner Sprachkenntnis in der aktuellen Rede von solchen grammatisch irrelevanten Bedingungen wie - begrenztes Gedächtnis - Zerstreutheit und Verwirrung - Verschiebung in der Aufmerksamkeit und im Interesse - Fehler (zufällige oder typische) nicht affiziert wird» (N. Chomsky, Aspects of the Theory of Syntax, Cambridge [Mass.] 1965, dt. Übersetzung 1969, 13).
Eine charakteristische Folge der Homogenitätsannahme ist die Verkürzung des Historizitätsbegriffs in der vorherrschenden historischen Sprachwissenschaft des 19. und 20. Jahrhunderts: Geschichte einer Sprache wurde primär nicht als kontinuierlicher Prozeß von Innovationen verstanden, sondern als eine Folge klar unterschiedener Sprachzustände, deren jeder mehr oder weniger als homogen galt. Das eigentlich innovierende und sich dann sozial durchsetzende Moment der historischen Veränderung blieb unverstanden.
Aus ähnlichen Gründen können auch Sprachen, die kaum noch gesprochen werden, zu Nationalsprachen erklärt werden, um die Eigenständigkeit zu dokumentieren, wie etwa in der Republik Irland nach der Loslösung von Großbritannien.
H. P. Althaus/H. Henne, Sozialkompetenz und Sozialperformanz. Thesen zur Sozialkommunikation, in: Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik 38 (1971), 1–15.
Der Grammatikstandard ist nicht zu verwechseln mit der Grammatik eines Standarddialekts oder einer Standardsprache, denn bei diesen handelt es sich um spezifische Ausprägungen einer Sprache.
Kanngiesser 1972, 91 f.
Vgl. Kanngiesser 1972, 100, 58.
Bei diesen Beispielen könnte man noch annehmen, daß die fremdsprachlichen Elemente dem Deutschen als feste Wendungen inkorporiert sind (wenngleich dies nur unzulänglich deren phonologische Struktur und Aussprache erklären würde); ausgeprägter ist das gemeinsame Vorkommen von Eigenschaften aus zwei ganz verschiedenen Sprachen beim sogenannten codeswitching von Zweisprachigen, das seinerseits ganz bestimmte Regularitäten aufweist und mit charakteristischen Transferenzen verbunden ist. Beispiel: «Before that wir haben gewohnt about vier Meilen von hier» (vgl. M. Clyne, Perspectives on Language Contact, Melbourne 1972, 33).
Aus: H. J. C. von Grimmelshausen, Der abenteuerliche Simplicissimus (bearb. W. Keiler), Leipzig 1927, 215, 193.
Kanngiesser 1972, 102.
Vgl. z. B. G. Nickel (Hrsg.), Reader zur kontrastiven Linguistik, Frankfurt 1972.
Die Mundartgeographie hat u. a. aufgrund von Dialekterhebungen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts die geographische Ausbreitung mittelalterlicher Dialekte und darüber hinaus der sog. hochdeutschen Lautverschiebung zu rekonstruieren versucht.
Kanngiesser 1972, 118.
Kanngiesser 1972, 141.
Grundlegend für Probleme der Zweisprachigkeit und der sich daraus ergebenden Sprachinterferenzen ist das Buch von U. Weinreich, Languages in Contact. Findings and Problems, The Hague 1963.
Wichtige Sammelbände zum gesamten Problembereich (ausgenommen die mehr historischen Fragestellungen) sind J. J. Gumperz/D. Hymes (eds.), The Ethnography of Communication, Ausgabe des American Anthropologist 66, part 2, 1964;
J. J. Gumperz/D. Hymes (eds.), Directions in Sociolinguistics, New York 1972;
J. A. Fishman (ed.), Readings in the Sociology of Language, The Hague 1968;
J. A. Fishman (ed.). Advances in the Sociology of Language, Vol. I: Basic Concepts, Theories and Problems: Alternative Approaches, The Hague 1971, Vol. II: Selected Studies and Applications, The Hague 1972.
Detaillierte Untersuchungsergebnisse enthalten: W. Labov/P. Cohen/C. Robins/J. Lewis, A Study of the Non-Standard English of Negro and Puerto Rican Speakers in New York City, Final Report, Vols. I and II, Washington D. C. (Office of Education) 1968 (Neben Ergebnissen werden hier vor allem eine Reihe von Untersuchungsmethoden dargestellt;
W. Labov hat in zahlreichen Aufsätzen einzelne Teile der Untersuchung in überarbeiteter Form publiziert); J. A. Fishman/R. C. Cooper/R. Ma et al., Bilingualism in the Barrio, Final Report, New York (Yeshiva Univ.) 1968, ebenfalls in: Language Sciences Series, Bloomington (Ind.) 1971.
Eine allgemeine Einführung in die historische Linguistik gibt W. P. Lehmann, Historical Linguistics: an Introduction, New York 1962 (dt. Übers. Heidelberg 1969).
Viele grundlegende Probleme zum Sprachenkontakt wie auch zur historischen Veränderung von Sprachen sind bereits von O. Jespersen behandelt, z.B. in: O. Iespersen, Language, its Nature, Development and Origin, London 1922 (dt. Übers. Heidelberg 1925);
O. Jespersen, Mankind, Nation and Individual from a Linguistic Point of View, London 1946.
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Wunderlich, D. (1981). Sprach- und Grammatikfamilien. In: Grundlagen der Linguistik. WV studium, vol 17. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-90063-0_11
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