Zusammenfassung
Ein Großteil der sprachwissenschaftlichen Tätigkeiten besteht in der systematischen Gegenüberstellung von sprachlichen Daten mit Theorien bzw. Theorieentwürfen. Ich habe ausgeführt, daß es keine strikten Prozeduren gibt, um aus Daten Theorien abzuleiten, d. h. jedes derart vorgeschlagene Operationalisierungsprogramm enthält, ohne daß es zugestanden wird, bereits eine Anzahl theoretischer Prämissen, oder es muß fehlschlagen. Noch viel weniger allerdings kann man aus Theorien Daten ableiten; man kann nur, unter der Voraussetzung bestimmter klarer Anfangsdaten, mit Hilfe der Theorie andere neue Daten vorhersagen und in den unklaren Fällen Entscheidungen treffen. Auch wenn methodisch-heuristische Prozeduren weder strikt, eindeutig oder vollständig sind noch in klarer Weise zu gewichten sind, sind sie doch unerläßlich. Einzelne Wahrnehmungen, Erfahrungen und Urteile müssen verglichen und bewertet werden, damit sinnvolle theoretische Begriffe gefunden werden können; und Theoretisie-rungen sind nur sinnvoll, wenn sie in bezug auf die tatsächlichen Sachverhalte und unser Wissen darüber adäquat sind. Schon das einzelne Datum, nämlich eine sprachliche Feststellung, ergibt sich aufgrund von (vor-) theoretischen Orientierungen; Datenbeschaffung und -auswahl sowie Da-tenexplorierung (besonders Klassifizieren und Generalisieren) erfolgen deutlich auf der Grundlage theoretischer Prämissen.
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Literatur
So beginnt auch Bloomfield seine Darlegung der Grundprinzipien der Sprachwissenschaft jeweils mit Feststellungen wie: «Annahme 1. In gewissen Gesellschaften sind aufeinanderfolgende Äußerungen entweder gleich oder teilweise gleich. […] Annahme 4. Verschiedene Morpheme sind gemäß ihren Lautmerkmalen entweder gleich oder teilweise gleich. […] Annahme 8. Verschiedene nichtminimale Formen mögen gleich oder teilweise gleich sein gemäß der Anordnung ihrer Konstituenten und gemäß den Stimulus-Reaktions-Merkmalen, die dieser Anordnung korrespondieren» (L. Bloomfield, A set of postulates for the science of language, in: Language 2 (1926), 153–164).
H. Paul, Prinzipien der Sprachgeschichte, 4. Aufl., Tübingen 1909, Kap. V «Analogie».
Eine kurze neuere Darstellung der historisch vergleichenden und rekonstruierenden Methoden, zusammen mit den (wenn auch nicht sehr scharfen) theoretischen Voraussetzungen, findet sich in H. M. Hoenigswald, Language Change and Linguistic Reconstruction, Chicago 1960.
H. Penzl, Methoden der germanischen Linguistik, Tübingen 1972, 116.
A. K. Joshi, Properties of formal grammar with mixed types of rules and their linguistic relevance, Transformations and Discourse Analysis Papers No. 77, Univ. of Pennsylvania 1969.
C. J. Fillmore, The Case for Case, in: E. Bach/R. T. Harms, Universals in Linguistic Theory, New York 1968, 1–88;
J. M. Anderson, The Grammar of Case, Towards a localistic Theory, Cambridge 1971.
Als Beispiel sei eine Arbeit von L. Hirschman genannt, in der nach mehreren Gesichtspunkten Kategorialgrammatik, Phrasenstrukturgrammatik, gemischte Adjunktionsgrammatik und ein Harrisscher Typ von Operatorgrammatik verglichen werden, und zwar vor allem danach, in welchem Umfang und in welcher Weise sich in diesen Grammatiken Transformationen formulieren lassen (L. Hirschman, A comparison of formalisms for transformational grammar, Transformations and Discourse Analysis Papers No. 87, Univ. of Pennsylvania 1971).
B. Partee, Some transformational extensions of Montague Grammar, in: R. Rodman (ed.), Papers in Montague Grammar, Occasional Papers in Linguistics No. 2, UCLA (Los Angeles) 1972; außerdem das unveröffentlichte/Manuskript Montague Grammar and Transformational Grammar, 1972.
R. Posner, Heuristische Grundsätze der generativen Syntaxforschung. Arbeitspapier des Lehrstuhls für Linguistik der T. U. Berlin, 1970.
W. Huber/W. Kummer, Transformationelle Syntax des Deutschen, Syntaktische Transformationen I, München 1973.
R. P. Botha, The methodological status of grammatical argumentation, The Hague 1970.
Zur Methodik des amerikanischen Strukturalismus — und ebenfalls zu der seiner europäischen Varianten — gibt es inzwischen so viel Literatur, daß es sich erübrigt, sie hier aufzuführen. Ich nenne nur einen Aufsatz von Harris, in dem die Methode in recht klarer Weise am Englischen und am Hidatsa (einer amerikanischen Indianersprache) demonstriert ist, man also auch den Wert der Methode in vergleichender Hinsicht erkennen kann: Z. S. Harris, From morpheme to utterance, in: Language 22 (1946), 161–183.
Ein Computerprogramm zur Überprüfung von Transformationsgrammatiken, die in der Version von Chomskys Aspects (1965) formuliert sind, ist von J. Friedman entwickelt worden: J. Friedman, A computer model of transformational grammar, New York 1971.
Vgl. Kap. 8. Ich habe dort zu zeigen versucht, daß Chomsky in seiner Explikation des Begriffs >grammatisch in L< nicht ohne semantische Überlegungen auskommen konnte.
So ist auch die Montague-Grammatik ein System von miteinander verbundenen Verkettungsalgebren, d. h. ein System von mehreren formalen Sprachen in unserem Sinne, die sich dabei wechselseitig interpretieren.
In diesem Sinne lassen sich z. B. Adjektive und Adverbien als Operatoren verstehen: Ein Adjektiv operiert auf einer Nominalphrase, was wiederum eine Nominalphrase ergibt; ein Adverb operiert auf einer Verbalphrase, was wiederum eine Verbalphrase ergibt; ein Satzadverb operiert auf einem Satz, was wiederum einen Satz ergibt: >altAdj, mein AutoNP< → mein altes AutONP >schnellAdv/laufenVP< → schnell laufen vp >hoffentlichS — Adv, Karin kommtS< → Karin kommt hoffentlichs Man erkennt hier übrigens, daß diese Operationen nicht rein syntaktisch verstanden werden können, da ihre formalen Ergebnisse jeweils verschieden sind: Der Operator wird entweder dazwischengestellt, vorgestellt oder nachgestellt (zu dem letzteren gibt es auch Alternativen, wie z. B. >hoffentlich kommt Karin<, in denen eine Umordnung der Wörter des Ausgangssatzes stattfindet).
Um ein einfaches Beispiel zu nehmen: Wir können die Multiplikation entweder in der Weise verstehen, daß sie z. B. die Relation zwischen dem Zahlenpaar >2,3< und der Zahl 6 darstellt, oder aber so, daß sie uns eine Anweisung gibt, wie wir zu dem Zahlenpaar >2,3< eine weitere Zahl, nämlich 6, konstruieren können.
Eine dieser Ordnungen ist unter dem Namen «Chomsky-Hierarchie» bekannt. Vgl. dazu N. Chomsky, On formal properties of grammars, in: Information and Control 2 (1959), 137–167;
ferner die Übersicht in H. Schnelle, Methoden mathematischer Linguistik, in: Enzyklopädie der geisteswissenschaftlichen Arbeitsmethoden, München 1968, 135–160.
Als Standardwerk über die sogenannten kontextfreien Sprachen (welche die wichtigste Klasse der formalen Sprachen bilden) gilt S. Ginsburg, The mathematical theory of context-free languages, New York 1966.
Eine sehr viel explizitere und ausführlichere Darstellung formaler Grammatiken, als sie hier gegeben werden kann, findet man, zusammen mit zahlreichen linguistisch motivierten Anwendungsbeispielen, in dem Buch A. Kratzer/E. Pause/A. v. Stechow, Einführung in Theorie und Anwendung der generativen Syntax, Frankfurt 1973.
N. Chomsky, Syntactic Structures, The Hague 1957;
ders., Aspects of the Theory of Syntax, Cambridge (Mass.) 1965 (dt. Übersetzung Frankfurt 1969).
In verallgemeinerten Regeln dieser Art können statt einem Einzelsymbol a auch Ketten von zwei, drei usw. Symbolen ersetzt werden: a b: → x usw.
Die erste Auffassung (Baumstrukturen) wird in mathematischer Hinsicht von Ginsburg und Partee untersucht, die zweite Auffassung (Klammerungsausdrücke) von Peters und Ritchie; für die Formulierung von Transformationen erweisen sich diese beiden Auffassungen nicht in jeder Hinsicht als äquivalent. S. Ginsburg/B. H. Partee, A mathematical model of transformational grammars, in: Information and Control 15 (1969), 297–334;
S. Peters/R. W. Ritchie, On the generative power of transformational grammars, Technical Report in Computer Science, Univ. of Washington, Seattle 1969.
Auf einen weiteren, und zwar noch wichtigeren, Unterschied zwischen den Auffassungen von Harris und Chomsky gehe ich weiter unten in Kap. 10.9 ein.
Vgl. B. Partee, Some transformational extensions of Montague Grammar, in: R. Rodman, Papers in Montague Grammar, Los Angeles 1972, 1–24, 2 ff.
Die wichtigsten Aufsätze von Harris sind in einem Sammelband zusam-mengefaßt: Z. S. Harris, Papers in Structural and Transformational Linguistics, Dordrecht 1970.
Eine Auswahl der späteren Aufsätze, zusammen mit mehreren Kommentaren und verschiedenen Arbeiten, die von Harris beeinflußt sind und auch bestimmte Anwendungen vorschlagen, enthält der folgende Sammelband: S. Plötz (Hrsg.), Transformationelle Analyse. Die Transformationstheorie von Zellig Harris und ihre Entwicklung, Frankfurt 1972.
In der Einführung zu diesem Band skizziert S. PlöTz in übersichtlicher Weise die Entwicklung der Harrisschen Position. Nützlich ist auch die mehr systematische Zusammenstellung der verschiedenen Arten von Operationen in: S. Plötz, Operationen in der Linguistik, Hamburg 1971.
Z. S. Harris, Discourse Analysis, in: Language 28 (1952), 1–30. Den Mangel an theoretischer Konzeption kritisiert M. Bierwisch in seiner Rezension, in: Linguistics 13 (1965), 61–73.
Diese Positionen sind dargestellt in folgenden Aufsätzen: 1: Co-Occurence and transformation in linguistic structure, in: Language 33 (1957), 283–340; 2: derselbe Aufsatz, außerdem: Transformational theory, in: Language 41 (1965), 363–401; 3: The elementary transformations, Transformations and Discourse Analysis Papers No. 54, Univ. of Pennsylvania 1964; 4: The two systems of grammar: Report and paraphrase, Transformations and Discourse Analysis Papers No. 79, Univ. of Pennsylvania 1969.
Das Argument kann auch so geführt werden, daß es sich im einen Fall um Paraphrasen handelt, im andern Fall der resultierende Satz sogar ungrammatisch ist. In dem anschließenden längeren Beispiel werde ich auch diese Modifikation des Arguments anführen.
Chomsky 1965 (dt. Übers. 1969), 37.
Die ersten vier dieser Sätze sind entnommen aus W. Huber/W. Kummer, Transformationelle Syntax des Deutschen, München 1973, Kap. 1.5. — Die Argumentation an Hand dieser vier Sätze würde parallel zur Chomskyschen verlaufen.
U. a. aus diesem Grande verzichten Huber/Kummer (1973), Kap. 10, auf eine einheitliche Passivtransformation. Die Passivbildung ist ihrer Auffassung nach durch eine Folge von zwei Transformationen erfaßbar, die jede für sich wesentlich gene’eller sind; zugleich wird es auch möglich, die Formen des Mediopassivs zu erfassen (im wesentlichen wird hier nur eine dieser Transformationen angewendet).
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Wunderlich, D. (1981). Systematische Operationen. In: Grundlagen der Linguistik. WV studium, vol 17. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-90063-0_10
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