Zusammenfassung
Die Einführung von ’Staaten als Akteuren’ zur Konstitution einer zwischenstaatlichen Rechtsinstitution liegt vor allem aus Effizienzgründen nahe: Die Diskussion von Kooperationsproblemen zwischen mehreren Personen in Kapitel 2 hat gezeigt, daß bei zunehmender Anzahl von Beteiligten starke Koordinationsprobleme auftreten. Der Einwand, daß diese Koordinationsprobleme zu vernachlässigen sind, da die Einrichtung einer Institution mit positiven und negativen Sanktionsmöglichkeiten kooperatives Verhalten fördern kann, sticht insofern nicht, als erstens die Etablierung einer solchen Instanz selbst ein Kooperationsproblem darstellt, und zweitens insbesondere negative Sanktionen die Entdek-kung und Identifizierung jedes defektierenden Akteurs voraussetzen. Mit zunehmender Anzahl der Beteiligten und der damit verbundenen abnehmenden individuellen Bereitschaft zu freiwilliger Kooperation erschweren sich daher die Aufgaben einer zentralen Kontrollinstanz. Das führt zu einem weiteren Aspekt: Bei zunehmender Zahl der Beteiligten werden die ’Überwachungsmaßnahmen’ ebenfalls teurer, soweit sie überhaupt noch zu organisieren sind; demnach sinkt die Entdeckungswahrscheinlichkeit im Falle der Defektion, und es besteht ein erhöhter Anreiz zum ’Trittbrettfahren’.
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Literatur
Bezogen auf die Außenpolitik. Die Einschränkung auf liberale oder demokratisch verfaßte Rechtsstaaten ergibt sich aus dem dieser Arbeit zugrundeliegenden ethischen Individualismus. Autoritäre oder autokratische Staaten sind im Rahmen dieses meta-ethischen Ansatzes nicht begründbar. Für eine Gegenüberstellung binnenorientierter staatlicher Präferenz- und Handlungstheorie verschiedener Staatstypen s. De Jasey (1985).
Die klassischen normativen Theorien des Völkerrechts, etwa von Gentili, Grotius, Pufendorf oder Vattel, konzentrieren sich auf Fragen des ius ad bellum, dessen Bedeutung hier keineswegs bezweifelt werden soll; da der Schwerpunkt dieser Arbeit auf Fragen der friedlichen Organisation zwischenstaatlicher Kooperation und des friedlichen Wandels zwischenstaatlicher Beziehungen liegt, wird auf diese Theoretiker jedoch nicht zurückgegriffen.
Allerdings läßt sich in den letzten Jahren ein verstärktes Interesse innerhalb der Disziplin Internationale Politik am ’Staat’ als einem eigenständigen Phänomen wahrnehmen; doch gehen diese Untersuchungen selten über deskriptive Analysen oder eine Kontrastierung verschiedener implizit unterlegter Staatstheorien hinaus. Vgl. Evans/ Rueschemeyer/ Skocpol (1985); Ikenberry/ Hall (1989); Navari (1991): darin besonders Navari (1991a) und Charvet (1991); Banks/ Shaw (1991): darin besonders Navari (1991b) und Shaw (1991); großen Einfluß hatte Giddens (1984), der aus einer soziologischen Perspektive kommend die internationalen Einflüsse auf die innenpolitische Entscheidungsfindung hervorhebt.
Vgl. Hill (1991).
Machiavelli betrachtet die Außenpolitik im Grunde nur instrumenteil und bezogen auf die Innenpolitik; Rousseau wird nicht extra behandelt, da die kantische politische Theorie weitgehend als philosophische Begründung und Systematisierung Rousseau’scher Gedanken gesehen werden kann; die sich bei Bentham findenden Überlegungen zu den zwischenstaatlichen Beziehungen können hier vernachlässigt werden, da Bentham weitgehend von einer Überwindung zwischenstaatlicher Konflikte durch internationale Handelsbeziehungen ausgeht, ohne deren Voraussetzungen weiter zu spezifizieren.
Kant (1795) S. 132. Vgl. zu den Konzeptionen Hobbes’ und Kants auch Kersting (1993).
Kant (1795) S. 133.
Die marginalen Ausnahmen der Zulässigkeit der Fahnenflucht und der Gehorsamsverweigerung im Falle der Todesstrafe können getrost vernachlässigt werden.
Für diese Argumentation spielt es keine Rolle, ob die Souveränität dem Staat, resp. Gesetzgeber, oder — wie bei Rousseau — der legitimierenden Versammlung zugesprochen wird.
Kant (1793) S. 88 f.; in der Metaphysik der Sitten (1797) interpretiert Kant die bei Rousseau rein formale Differenzierung von Legislative und Exekutive (Vgl. Rousseau [1762] III. Buch 1. Kapitel) fast schon im Sinne von ’checks and balances’, aber der Kern der Argumentation bleibt auch noch hier erhalten: “Der Beherrscher des Volks (der Gesetzgeber) kann also nicht zugleich der Regent sein, denn dieser steht unter dem Gesetz, und wird durch dasselbe, folglich von einem anderen, dem Souverän, verpflichtet. Jener kann diesem auch seine Gewalt nehmen, ihn absetzen, oder seine Verwaltung reformieren, aber ihn nicht strafen (...); denn das wäre wiederum ein Akt der ausübenden Gewalt, der zu oberst das Vermögen, dem Gesetze gemäß zu zwingen, zusteht, die aber doch selbst einem Zwange unterworfen wäre; welches sich widerspricht.” (S. 436) Entsprechend fährt Kant wenige Seiten später fort:
“Der Grund der Pflicht des Volks, einen, selbst den für unerträglich ausgegebenen Mißbrauch der obersten Gewalt dennoch zu ertragen, liegt darin: daß sein Widerstand wider die höchste Gesetzgebung selbst niemals anders, als gesetzwidrig, ja als die ganze gesetzliche Verfassung zernichtend (sic!) gedacht werden muß.” (S. 440)
In diesem Zusammenhang könnte man von der Souveränität des ’politischen Körpers’ oder konstitutiver Souveränität sprechen.
Der Zusammenschluß der Personen in einen Staat erfolgt aus der Notwendigkeit des Privatbesitzes, dient also dem Erwerb einen Rechtstitels über angeeignete Gegenstände. Kant unterscheidet in diesem Sinne provisorisches und peremptorisches Eigentum. Nach welchen Kriterien man die Gegenstände etc., auf die man einen Rechtstitel beansprucht, auch tatsächlich zugesprochen bekommt, kann aber nur im Rahmen des öffentlichen Rechts geregelt werden, für das die Vertragsidee das Legitimitätskriterium stellt: “Was das Volk (die ganze Masse der Untertanen) nicht über sich selbst und seine Genossen beschließen kann, das kann auch der Souverän nicht über das Volk beschließen.” (Kant (1797) passim) Vgl. zur Unterscheidung verschiedener Typen von Vertragstheorien Nida-Rümelin (1987); zur kantischen Vertragstheorie s. Kersting (1984) und Ludwig (1993).
Vgl. Kant (1797) Einleitung, insbes. S. 325 f.
Kant (1795) S. 133.
Kant (1795) S. 134.
Allerdings besteht eine Pflicht zum Friedensbund; vgl. dazu auch Geismann (1983) und Höffe (1990) S. 262 ff.
Es ist nicht ganz klar, ob damit die traditionellen, von Kant attackierten Theorien vom gerechten Krieg gemeint sind; denn wenige Sätze vorher hat Kant noch dafür argumentiert, diese Interpretation des Völkerrechts aus formalen Gründen abzulehnen, da in ihrem Rahmen keine universalistischen Maximen entwickelt werden können.
Kant (1795) S. 134; Hervorhebungen im Original.
Und das ist eine stärkere Behauptung, als daß sie es nicht wollen; anderer Ansicht ist Geismann (1983).
Kant (1795) S. 147; Hervorhebung im Original.
Kant (1797) §§ 41, 42; während Geismann (1983) diesen Einwand weitgehend ignoriert, stellt Höffe (1990) sogar einen Widerspruch fest (S. 270).
Bzw. hat kein Staat gegenüber seinen Bürgern das Recht, einen Krieg zu führen, dem nicht alle hätten zustimmen können.
Das Problem des ’ungerechten Feindes’ (Kant (1797) § 60) bedarf einer eigenen Erörterung; es wird teilweise bei der Diskussion des Rechts auf Nicht-Einmischung in innere Angelegenheiten in Kapitel 4 wieder aufgenommen.
Höffe (1990) S. 272.
Kant (1797) S. 474.
Vgl. dazu auch Kants emphatisches Plädoyer im “Beschluß” in Anschluß an § 62 über das Weltbürgerrecht in Kant (1797).
Kant (1797) S. 467.
Kant (1793) Teil III, S. 106 ff.; Kant (1797) § 65, S. 475 ff.
Der einzige Punkt, den Kant diskutiert, ist die Möglichkeit des privaten Grundbesitzerwerbs, da hier die eigentliche Begründung der Staatskonstitution angesprochen ist: die einzelnen Staaten verfügen, wie Kant es ausdrückt, nur über einen provisorischen Grundbesitz, da zwischen den Staaten die ursprüngliche Gemeinschaft am Grundbesitz nicht durch ein gemeinsames Recht aufgehoben wurde.
Anders Geismann (1983), der eine “letztlich auf die Aufhebung der äußeren Souveränität zielende Pflicht, an der weltweiten, allseitigen und allgemeinen Sicherung der rechtlichen Freiheit mitzuwirken” feststellt (S. 367).
Ähnlich auch Höffe (1990) S. 275.
Der Begriff der Interdependenz wird hier nur in der schwachen Bedeutung verwendet, daß von einer erfolgreichen staatlichen Autarkie nicht mehr ausgegangen werden kann. Die Erfahrung, die Staaten der sog. ’Dritten Welt’ in den 70er Jahren mit dem Konzept der ’self reliance’ gemacht haben, kann in diesem Sinne durchaus generalisiert werden.
Beitz’ Theorie geht nicht explizit von einer Auflösung der Einzelstaaten in einem Weltstaat aus, argumentiert jedoch dafür staatliche Grenzen, bzw. die Organisation von Bürgern in Einzelstaaten, für die Begründung normativer Prinzipien einer zwischenstaatlichen Rechtsordnung zu ignorieren. Diese Konzeption läuft auf die Überführung des Völkerrechts in ein universelles Weltbürgerrecht hinaus, das Staaten als Gemeinschafts- und Organisationsformen keine Bedeutung zuerkennt, was letztlich die Auflösung der staatlichen Rechtsordnung impliziert. In diesem Sinne versucht Beitz das Rawlssche Differenzprinzip zur Begründung distributiver Gerechtigkeit auf die globale Ebene zu übertragen. Leider ist nicht immer ganz klar, ob Beitz eine moralphilosophische Theorie globaler Gerechtigkeit entwickeln will oder eine politische Theorie zwischenstaatlicher Rechte; vgl. zum Problem des Auseinanderfallens konstitutiver und legitimatorischer Aspekte und ihrer Folgen für eine globale Theorie distributiver Gerechtigkeit auch Kapitel 4.
In der hobbesianischen Wertetheorie wird bekannterweise das klassische ’summum bonum’ durch ein material nicht mehr zu fassendes ’maximum bonum’ ersetzt, was nichts anderes heißt, als daß die Individuen immer nach ’mehr’ streben, egal wovon: “Das größte der Güter ist ein ungehindertes Fortschreiten zu immer weiteren Zielen.” (Hobbes [1647] S. 29) Um die Möglichkeit zu haben, nach irgendwelchen Gütern zu streben, müssen jedoch erst die Bedingungen geschaffen werden, die individuelle Bestrebungen überhaupt ermöglichen. Die Vermeidung des plötzlichen, gewaltsamen Todes, als das wesentliche Argument, den ’Naturzustand’ zu beenden, muß in diesem Sinne als die Schaffung ebensolcher Voraussetzungen interpretiert werden und nicht als Vermeidung eines — ’objektiven’ — ’summum malum’. Hobbes greift hier bereits auf eine sehr marginale Variante der Idee sozialer Grundgüter vor, wie sie Rawls entwickelt hat.
Diese These übernimmt sogar Nozick (1974), dessen ’invisible hand’-Prozeß von der Ausweitung partieller Schutzbündnisse zu einem Minimalstaat eigentlich als theoretische Alternative zur, bzw. Korrektur der Vertragstheorie intendiert ist.
In diesem Sinne ist die moderne Staatenwelt nicht mit dem hobbesianischen Naturzustand vergleichbar, sondern ähnelt eher einem Ultra-Minimalstaat im Sinne Nozicks. Es mag für viele Staaten zutreffen, daß sie aus wirtschaftlichen oder strategischen Gründen in ihrer ’Existenz’ gefährdet oder gar bedroht sind; für eine ganze Reihe von Staaten gilt jedoch, daß sie sich entweder selbst schützen können oder von anderen Staaten geschützt werden. Anders ausgedrückt: In der modernen Staatenwelt ist die notwendige Bedingung der Gleichheit aller Akteure nicht in dem Maße gegeben, daß sich nicht eine Form ’natürlicher Dominanz’ herausbilden könnte. Damit ist allerdings die Frage nach der Legitimität dieser Dominanz nicht geklärt.
Besonders deutlich wird die Bedeutung des territorialen Zusammenhangs bei Lockes Konzeption eines impliziten Vertrages; vgl. Locke (1690) § 118.
Hier zeigt sich eine seltsame Inkonsistenz in der Argumentation Beitz’: Einerseits nimmt Beitz diesen Einwand als plausibel vorweg und versucht ihn zu entkräften, indem er ihn auf moralpsychologische Argumente reduziert (Beitz [1979] Teil III Kapitel 4): Die engere Verbindung von Bürgern eines Staates spricht den Gerechtigkeitssinn stärker an als das Verhältnis zwischen Bürgern unterschiedlicher Staaten. Andererseits baut Beitz’ an Rawls orientierte Argumentation entscheidend darauf auf, daß die Weltgesellschaft ein soziales Unternehmen zum wechselseitigen Vorteil darstellt (Teil III Kapitel 3): Fragen der Verteilung des kooperativen ’surplus’ entstehen nur in kooperativen Gemeinschaften.
Vgl. dazu auch Abschnitt 4.3. dieser Arbeit.
In diesem Sinne stellt die These von Beitz einen theoretischen ’Rückschritt’ vom Kantianismus der Rawlsschen Theorie zu einer hobbesianischen Interpretation der Vertragsidee dar.
Die Forderung nach einem Verfassungsgerichtshof ergibt sich nicht notwendig aus der vertragstheoretischen Argumentation, sondern aus empirischer Erfahrung und aus pragmatischen Gründen der Kontrollmöglichkeit politischer Institutionen und Organe.
Pogge rekonstruiert — im Sinne Rawls — zwei Versionen einer Urzustandssituation zur Wahl von Prinzipien globaler Gerechtigkeit: (R1) sieht vor, daß im Urzustand repräsentative Personen vertreten sind, die zunächst nationale Prinzipien wählen und in einem zweiten Schritt, in dem der ’Schleier der Unwissenheit’ bereits partiell gelüftet ist, sich auf internationale Prinzipien einigen. (R2) geht davon aus, daß die Prinzipien globaler Gerechtigkeit unter einem ’dicken Schleier der Unwissenheit’ von Repräsentanten von Staaten gewählt werden. (S. 236 f.) Dagegen stellt Pogge sein Modell, in dem Personen unter einem ’dicken Schleier der Unwissenheit’ sowohl nationale als auch globale Prinzipien der Gerechtigkeit wählen. (S. 238 f.)
Abschließend S. 245 ff. hebt Pogge es als einen Vorteil seines Modells hervor, daß es gegen kommunitaristische Einwände und den Vorwurf des Kulturimperialismus eine bessere Position darstelle als ein 2-Stufen-Modell. M. E. verhält es sich genau andersherum, da eine globalisierte Version der Vertragstheorie eine globale Akzeptanz ihrer philosophischen Grundannahmen voraussetzt. Dagegen überläßt ein 2-Stufen-Modell die kulturelle und gesellschaftliche Gestaltung der unmittelbaren Lebenswelt fast vollständig der innerstaatlichen Rechtsordnung und ermöglicht daher eine sehr viel größere Flexibilität und Vielfalt.
Kant (1795) S. 163.
Soweit die innere Rechtsordnung der kantischen Maxime entspricht.
Der erste Definitivartikel aus Zum ewigen Frieden, der die Grundsätze einer republikanischen Verfassung formuliert, kann hier in seinen Prizipien auf eine zwischenstaatliche Gemeinschaft übertragen werden: Freiheit der Glieder einer Gesellschaft (als Staaten), Abhängigkeit aller vom gleichen Gesetz und eine auf Gleichheit gegründete Verfassung; vgl. Kant (1795) S. 126.
Ein Ansatz dazu findet sich bereits in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und grundlegenden Freiheiten.
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Chwaszcza, C. (1995). Zur Legitimität zwischenstaatlicher Institutionen. In: Zwischenstaatliche Kooperation. DUV Sozialwissenschaft. Deutscher Universitätsverlag. https://doi.org/10.1007/978-3-322-90039-5_4
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