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Auf der Suche nach einer Demokratietheorie für komplexe Gesellschaften

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Das politische Organisationsfeld
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Zusammenfassung

Dieses Kapitel versucht die Implikationen der Befunde und Konzepte, die in den vorhergehenden Abschnitten diskutiert wurden, für eine Theorie der Demokratie aufzuzeigen. Es geht darum, angemessene Demokratiekonzepte für den Gesellschaftszustand herzuleiten, in dem politische Macht immer mehr diffundiert und die Zurechnung ihrer Ausübung erschwert wird. Die in Demokratietheorien virulenten Machtvorstellungen, die entweder die vertikale Machtausübung als politische Führung durch Repräsentanten oder aber die kommunitäre Machtbildung durch möglichst direktes politisches Zusammenhandeln betonen, werden dieser Verlagerung der politischen Macht in relationale Abstimmungs- und Konstitutionsprozesse kaum gerecht (für eine analytisch sehr überzeugende Diskussion der in Demokratietheorien vorherrschenden Machtbegriffe vgl. Schiller 1991). Ebenso muß die Idee der Volksherrschaft sich mit dem Tatbestand auseinandersetzen, daß in komplexen Gesellschaften die Steuerungsmöglichkeiten durch politische Entscheidungen eingeschränkt sind und eine politische Intervention und Entscheidungsfindung häufig nur unter Einbeziehung privater bzw. korporativer, d.h. nicht-gewählter Akteure zustande kommt. Insofern gilt es, an dieser Stelle Konsequenzen aus den bisher geschilderten Entwicklungen und Widersprüchen zu ziehen. Die Konsequenzen für die Demokratietheorie bedeuten in mancher Hinsicht eine Verabschiedung von konventionellen Demokratievorstellungen, in jedem Fall wird eine Erweiterung oder Schwerpunktverlagerung gegenüber den konventionellen Sichtweisen nötig.

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Literatur

  1. Die Unparteilichkeits-Hypothese für das Abgeordneten-Handeln findet ihren Ausdruck in dem Verbot des imperativen Mandats; für eine fulminante Kritik des Verbots des imperativen Mandats als Verbot ohne wirkliche Sanktion und Geltung vgl. Bobbio 1988: 16.

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  2. Angesichts der Verknüpfung von gesellschaftlichen Differenzierungsprozessen mit den Veränderungen in der Binnenstruktur des Staates als Reaktion auf die Zunahme der Staatsaufgaben scheint Danilo Zolos Krisenbeschreibung einigermaßen angemessen: “The increasing differentiation and autonomy of the political system, the technical difficulty of administrative problems, the steep rise in interdependencies and negative externalities, the multiplication of factors of risk and of situations of emergency, the variety and mobility of social interests, the increasing sense of social discontinuity and personal uncertainty all come together to make the government of post-industrial countries difficult by democratic means. Problems continue to emerge which are less amenable to political handling, while political solutions require a consensus which is increasingly difficult to obtain through formal procedures under conditions in which the ’general will’ dissipates and fragments itself into a confused multiplicity of particularisms and localized interests” (Zolo 1992: 63).

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  3. Bekanntlich hat Rousseau (1977: 75f. und 84ff.) politische Souveränität an Akte der Vergesellschaftung geknüpft, die zur Ausbildung eines Gemeinwillens führen. Als Vollzug eines Gemeinwillens, der sich durch den Ausschluß von Partikularinteressen definiert, hat der souveräne Gesetzgebungsakt absolute Geltung und bezieht sich ohne Ausnahme auf den Erhalt des Gemeinwohls. Für Rousseau ist es wichtig, daß die Individuen unorganisiert als Einzelne und zwar genauer als Bestandteile eines organischen Volksganzen harmonisch miteinander interagieren. Die Ausbildung von Organisationen, die unterschiedliche politische Meinungen oder spezifische Berufs- und Statusinteressen sammeln, führt zur Spaltung und schließlich zur Auflösung des Gemeinwillens, weil sich durch die politischen Organisationen nur Sonderinteressen auf Kosten der Gemeinschaft artikulieren (vgl. Rousseau 1977: 88). Diese Kritik einer Mediatisierung oder Zergliederung des Bürgerwillens stellt natürlich alle Formen der politischen Stellvertretung in Frage. Besonders trifft dies die demokratische Regierungsform; in ihr ist dem Volk nicht nur die in Versammlungen organisierte Gesetzgebung übertragen, sondern auch alle Exekutivfunktionen (vgl. ebenda: 126ff.). Generell stellt die Vereinigung von Exekutive und Legislative in der plebiszitär verfaßten Demokratie hohe Anforderungen an die Motivation der Staatsbürger und macht darüber hinaus höchst anspruchsvolle Vorgaben für die Staatsgröße (ein kleiner Staat, in dem alle Bürger versammelt werden können) und die soziale Ordnung der Bürgerschaft (eine möglichst egalitäre Sozialstruktur ohne Statuskonkurrenz), was Rousseau dazu veranlaßt, die Verwirklichungschancendes demokratischen Regierungsmodells relativ skeptisch zu beurteilen. Die Übertragung der Gesetzgebung und in Demokratien auch der Regierungsfunktionen auf Repräsentanten oder auf ein Entscheidungsgremium der Volksvertreter erscheint Rousseau aber als indiskutable Alternative: “Die Souveränität kann aus dem gleichen Grunde nicht vertreten werden, wie sie nicht veräußert werden kann. Sie besteht im wesentlichen aus dem Gemeinwillen, und der Wille läßt sich nicht vertreten: entweder ist er er selbst oder er ist es nicht. Dazwischen gibt es nichts. Abgeordnete des Volkes sind und können nicht seine Stellvertreter sein. Sie sind nur seine Beauftragten. Sie können nichts endgültig beschließen. Jedes Gesetz, das das Volk nicht selbst bestätigt hat, ist null und nichtig: es ist kein Gesetz. Das englische Volk glaubt frei zu sein. Es täuscht sich sehr. Es ist nur während der Wahl der Parlamentsmitglieder frei. Sobald sie gewählt sind, ist es Sklave: es ist nichts. Der Gebrauch, den es in den kurzen Augenblicken von seiner Freiheit macht, verdient nichts Besseres, als daß es sie wieder verliert” (Rousseau 1977: 158/159).

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  4. Im Einklang mit Avigail Eisenbergs (1995) überzeugender Rekonstruktion der für die amerikanischen Pluralismus-Konzepte wichtigen ideengeschichtlichen Strömungen sei hier nur kurz darauf hingewiesen, daß eine differenzierte Analyse der Pluralismus-Theorie sich mit der amerikanischen Tradition der politischen Gruppentheorie (Arthur Bentley, David Truman), der pluralistischen Staatstheorie Harold Las-kis und den Gesellschafts- und Identitätskonzepten des amerikanischen Pragmatismus (George Herbert Mead, John Dewey) auseinandersetzen müßte. Gerade die Beschäftigung mit den ideengeschichtlichen Grundlagen der Pluralismustheorie macht deutlich, daß die emanzipatorische, herrschaftskritische Stoßrichtung der frühen Beiträge in dem heutigen Verständnis von politischem Pluralismus kaum noch präsent ist.

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  5. Bei Dahl (1961: 90–103 und 315–325) finden sich diese Annahmen in seiner Erläuterung des politischen Prozesses und der Zusammensetzung der Schicht der politisch Einflußreichen (political stratum), die zwar mit Augenmerk auf die Politikkonstellationen in der Universitätsstadt New Haven formuliert werden, aber eine allgemeingehaltene Ausrichtung besitzen. Geschickt den Begriff der politischen Elite vermeidend, versteht Dahl das politische Stratum als spezielle Subkultur derjenigen, für die Politik eine ganz besondere Bedeutung besitzt und die deshalb Politik, politische Entscheidungen und Abstimmungen, nach strategischem Kalkül betreiben. Voraussetzung für die aktive Teilnahme am politischen Geschehen ist, daß sie über kohärente politische Meinungen und Einschätzungen, nach denen Politik bewertet werden kann, verfügen; ferner bemühen sie sich, möglichst viele politische Informationen einzuholen, wobei ihnen nicht nur eine volle Ausnutzung des Medienangebots möglich ist, sondern auch die Nutzbarmachung von Beziehungskanälen zu politischen und relevanten sozialen Organisationen. Die Mitglieder dieser Schicht unterscheiden sich ganz deutlich von dem übrigen Teil der Bevölkerung, für den Politik nicht eine solche Relevanz und Greifbarkeit besitzt. Die Mehrheit der Bevölkerung verhält sich deshalb der Politik gegenüber passiv, irrational und uninteressiert. Die ’einfachen’ Bürger sind schlecht informiert, besitzen widersprüchliche politische Überzeugungen und gehen in ihren politischen Aktivitäten selten über das Wählervotum hinaus. Das unterschiedliche Verhältnis, das politische Aktivisten und politisch Apathische zur Politik haben, weitet sich aber nicht zu einer unüberbrückbaren Kluft zwischen ihnen aus; die politische Aktivistenschicht definiert sich nämlich nicht durch Abgeschlossenheit, sondern ist für jeden Bürger potentiell zugänglich: “In the United States the political stratum does not constitute a homogenous class with well-defined class interests. In New Haven, in fact, the political stratum is easily penetrated by anyone whose interests and concerns attract him to the distinctive political culture of the stratum. It is easily penetrated because (among other reasons) elections and competitive parties give politicians a powerful motive for expanding their coalitions and increasing their electoral followings” (Dahl 1961: 91).

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  6. In diesem Zusammenhang muß natürlich darauf hingewiesen werden, daß Dahl (1971; 1972: 35–53) selbst die Schwächen seiner Demokratiebestimmung nachvollzogen hat, und deshalb von einer Lobpreisung des eingeschränkten und elitären Pluralismus in Amerika zu einer kritischen Einschätzung der Demokratisierungsblockaden in den realexistierenden Demokratien, die er wegen ihrer nicht konsequenten Durchsetzung der Volkssouveränität ’Polyarchies nennt, gelangt (zu den Veränderungen in den Positionen Dahls vgl. auch Jordan 1990c). Insofern hat sich Dahl in späteren Arbeiten von einer Idealisierung des amerikanischen Pluralismus, wie sie in der folgenden Passage anklingt, abgewandt: “The fundamental axiom in the theory and practise of American pluralism is, I believe, this: Instead of a single center of sovereign power there must be multiple centers of power, none of which is or can be wholly sovereign. Although the only legitimate sovereign is the people, in the perspective of American pluralism even the people ought never to be an absolute sovereign; consequently no part of the people, such as a majority, ought to be absolutely sovereign” (Dahl 1967: 24).

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  7. Die von Lowi empfohlene Aufwertung der Zentralmacht und deren Fähigkeit — im Sinne einer hierarchischen Steuerung — die untergeordneten administrativen Ebenen auf den Gehalt der Entscheidungen und auf die formalen Abläufe der Entscheidungsfindung zu verpflichten, geht allerdings auch einher mit dem Abbau von ’access points’ im politischen Entscheidungsprozeß.Die Einschränkung der Zugangs- und Beeinflussungsmöglichkeitentrifft jedoch nicht nur die etablierten Interessenorganisationen, sondern auch die spontanen, ressourcenschwächeren Mobilisierungsversuche von Bürgergruppen (für eine weitergehende Kritik der von Lowi vorgeschlagenen ’juridical democracy’ aus demokratietheoretischer Sicht vgl. Schaefer 1988).

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  8. Die Mobilisierung von benachteiligten Interessengruppen wird möglicherweise als Sonderfall der reziproken Unterstützungserwartungenund -leistungen zu schildern sein, die Hansen verallgemeinernd als Bedingung der Zusammenarbeit zwischen Kongreßabgeordneten und etablierten Interessengruppen schildert: “Fundamentally,... interest group access results from congressional strategies for dealing with electoral uncertainty. Lawmakers operate in highly uncertain electoral environments. They have an idea of the positions they need to take to gain reelection, but they do not know for sure. Interest groups offer to help. In exchange for serious consideration of their policy views, they provide political counsil for members of Congress. They provide political intelligence about the preferences of congressional constituents, and they provide political propaganda about the performances of congressional representatives” (Hansen 1991: 5).

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  9. Als Ausnahme (innerhalb der deutschen Politik), aber auch als typisches Beispiel (hinsichtlich der Eigenschaften) für ein solches quasi-institutionalisiertes Verhandlungssystem mag hier die sog. ’Konzertierte Aktion’ im deutschen Gesundheitswesen fungieren, der es nachweislich gelang, die Kostenexplosion zumindest zeitweise zu bremsen (vgl. dazu Wiesenthal 1981).

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  10. Cawson führt dazu aus: “Parliament does have residual power and its role is not entirely symbolic; indeed on moral and ethical questions its power is critically important. For example, in issues such as capital punishment, abortion law reform, and so on, corporate representation is inappropriate. But in addition to such moral issues, liberal-democratic institutions, including those at the local level, continue to be important with issues pertaining to the distribution of taxes and benefits where payment is made or benefit received by individuals. Thus to the extent that social provision is made on the bais of universal categories — that is, on die basis of citizenship — and not as a reward for contribution to the Gross National Product, parliamentary representation continues to be the most effective and important mechanism for establishing general rules” (Cawson 1982: 45).

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  11. Befinden sich Schmitters Arbeiten bis zur Mitte der 80er Jahre eher in einem Spannungsverhältnis zu demokratietheoretischen Annahmen, so erkennt Schmitter (1989; 1993; 1994; 1995) in seinen aktuelleren Veröffentlichungen ausdrücklich die Demokratie-Defizite in einer durch Neo-Korporatismus geprägten Politikgestaltung an, spricht darüber hinaus vom Niedergang des Makro-Korporatismus und siedelt korporatistische Arrangements — wie Cawson — hauptsächlich auf der Meso-Ebene an und macht sogar demokratietheoretisch relevante Vorschläge zum Ausgleich der Ressourcenungleichheiten zwischen Interessengruppen und zur Stärkung organisationsschwacher Interessen.

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  12. In einem Typologisierungsversuch führt John Keane (1988: 35ff.) fünf Kennzeichnungen der ’civil society’ aus der politischen Ideengeschichte auf; diese leiten sich grundsätzlich aus unterschiedlichen Staatsverständnissen her. Zu unterscheiden sind: a) eine erste Version, die den Staat aus einem unfriedlichen Naturzustand der Gesellschaft herleitet; die durch den souveränen Staat regulativ hergestellte, stabile soziale Ordnung ist die ’civil society’ (die bekannten Begründungsweisen von Hobbes dienen Keane als Beispiel), b) eine zweite Version, die den Staat nicht als Negation der ursprünglichen Defizite von sozialer Ordnung versteht, sondern ihn als Instrument zur Sicherung einer potentiell freiheitlichen, solidarischen und egalitären Ordnung etabliert; die ’civil society’ erkennt die Herrschaft des (Staats-) Gesetzes als Garant von Eigentum und Freiheit an (John Lockes Regierungslehre fungiert hier als Beispiel), c) eine dritte Version, die den Staat nur als notwendiges Übel zur Regulierung des Allgemeinwohls begreift und davon ausgeht, daß vorab die fundamentalen Gesetze der reziproken Beachtung von Interessen und der Gewährung von Solidarität in der Gesellschaft enthalten sind; je mehr die ’civil society’ in diesem Sinne verwirklicht ist, desto stärker regiert sie sich und ihre Angelegenheiten selbst (Thomas Paine wird als Urheber dieser Variante angeführt), d) eine vierte Version, die den Staat aus den inneren Widersprüchen der bürgerlichen Gesellschaft herleitet; der Staat transzendiert die Partikularinteressen der Institutionen und Klassen der bürgerlichen Gesellschaft und führt diese zu einer Einheit zusammen; die ’civil society’ zeichnet sich durch eine separate pluralistische Gliederung aus, welche gleichsam ihren Bestand gefährdet (natürlich ist hier Hegels Staatsphilosophie maßgeblich) und e) eine fünfte Version, die den Mißbrauch der staatlichen Interventionsmacht fürchtet und die ’civil society’ davor zu schützen trachtet; die ’civil society’ wird hier als autonome, sich selbst organisierende und rechtlich zu schützende Sphäre gekennzeichnet (Tocqueville begründet diese Version); für eine ähnliche, wenngleich noch grobkörnigere Typologie vgl. auch Taylor 1991.

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  13. Ein solches Zwei-Phasen-Modell zur Charakterisierung der Entwicklung von neuen sozialen Bewegungen ausgehend von der Phase des spontanen, nur schwach organisierten Protests hin zur Institutionalisierung als politische Interessengruppe mit den Konsequenzen der Aneignung von materiellen Ressourcen und von rechtlicher Kompetenz (letzteres geschieht, um die Interessen der Bürgergruppen auf rechtsstaatlichem Wege einklagen zu können), der Ausbildung von Mitgliedsrollen und von Mechanismen der intra-organisationellen Arbeitsteilung und der Etablierung einer organisationeilen Führungsspitze schlägt Claus Offe (1990b) vor.

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  14. In aktuelleren Veröffentlichungen von Habermas (1989; 1990; 1992) zu einer um das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit formulierten Demokratietheorie entwirft Habermas ein rechtsbasiertes Modell von miteinander verknüpften Kommunikationsnetzwerken, das der möglichst rationalen und legitimen politischen Programmdiskussion und Entscheidungfindung dienen soll. Ging Habermas (1981: 571 ff.) vorher von der Gefahr einer Liquidation der Öffentlichkeit aus, weil sie der Beeinflussung durch politische Manipulationstechniken und den Werbestrategien und Konsumideologien der großen Medienkonzerne zunehmend ausgesetzt ist, wird nun das normative Modell eines von Machtfragen weitestgehend unbehelligten Flusses der Informationen zwischen den veranstalteten Öffentlichkeiten der politischen Programmdiskussion und Entscheidungsfindung und den Arenen einer öffentlichen Meinungsbildung der Bürger vorgestellt. Dieses Modell fokussiert “auf das Zusammenspiel der institutionell verfaßten Willensbildung mit den spontanen, nicht-vermachteten Kommunikationsströmen einer nicht auf Beschlußfassung, sondern auf Entdeckung und Problemlösung programmierten, in diesem Sinne nicht-organisierten Öffentlichkeit” (Habermas 1990:43). Da Habermas Politik nunmehr als durch zivilgesellschaftliche Kräfte und politische Institutionen gemeinsam bewältigte Problementdeckung, Problemdiskussion und Problemlösung beschreibt, wird eine quasi-kybernetische Interpretation der Politik eingeführt, derzufolge die Beziehungen zwischen dem politischen Entscheidungsbereich und einer zivilgesellschaftlich mobilisierten Öffentlichkeit analog eines Verhältnisses zwischen Zentrum und Peripherie organisiert sind (vgl. dazu Habermas 1992: 429ff.). Im Zentrum befindet sich die durch demokratische Verfahren eingesetzte und kontrollierte Entscheidungsmaschine, die Regelungen und Leistungen an die in der Peripherie lokalisierten Bürger — Konsumenten, aber auch Zulieferer von Informationen — abgibt. Da die politische Entscheidungsmaschine nur effizient und problemsensibel arbeitet, wenn sie durch authentische Informationen aus den informellen Öffentlichkeiten der Peripherie ’programmiert’ wird, stellt sich in Demokratien eine starke Interdependenz zwischen den Ebenen ein, die die Leistungsfähigkeit und die Legitimität der Politikgestaltung garantiert. Ergänzend sei hier noch angemerkt, daß Habermas in der Verwendung des Zentrum-Peripherie-Modells auf Konzeptualisierungsversuche von Bernhard Peters (1993) zurückgreift; Peters gibt dem Verhältnis zwischen Zentrum und Peripherie jedoch eine weitaus realistischere Ausdeutung. Und zwar weist Peters (1993: 345ff.) der zivilgesellschaftlichen Peripherie nur in dem Moment eine politikbestimmende Wirkung zu, in dem sich Probleme und Interessen der organisationsschwachen Bürgergruppen, die durch die vermachtete Politikgestaltung der politischen Routine-Entscheidungen nicht berücksichtigt werden, auf so brisante Art und Weise akkumulieren oder miteinander verketten, daß größere Verwerfungen in der Peripherie und nachfolgend in der politischen Öffentlichkeit entstehen. Die politischen Akteure im Zentrum der Politikformulierung sehen sich erst durch solche krisenhaften Zuspitzungen dazu genötigt, kurzfristig auf die bislang ignorierten ’issues’ einzugehen.

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  15. Für eine solche umfassende Reformstrategie plädieren aus demokratietheoretischer Sicht Dahl (1989: 322ff.), Offe (1989: 762) sowie Offe und Preuss (1991: 169). Die Kennzeichnung der Zivilgesellschaft als konfliktfreie Sphäre unvermittelter Kommunikation kann aber auch aus einer anderen Perspektive mit Kritik bedacht werden: Jeffrey Alexander (1993: 802) betont nachdrücklich, daß die Konflikte in der Gesellschaft nicht unbedingt auf eine Kolonisierung der Lebenswelt zurückgehen müssen, sondern daß umgekehrt die Kämpfe um sozialen Status und um die Anerkennung kollektiver Identitäten, die in der ’civil society’ entstehen, auf die anderen Handlungsfelder übergreifen und dort als Störfaktoren wirksam werden können.

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  16. Michael Walzer (1992a) spricht in diesem Zusammenhang von dem Paradox des Zivilgesellschaft-Arguments. Nicht nur verpflichtet die Staatsbürgerschaft die Bürger zur Ausübung von politischen Rechten und Pflichten, die über die Rollenerwartungen und Aktivitäten im Kontext der Mitgliedschaft von Individuen in spezifischen Organisationen oder Assoziationen hinausgehen, der Staat selbst ist nicht mit anderen Zusammenschlüssen oder Organisationszusammenhängen innerhalb der Zivilgesellschaft und anderer Sphären der Gesellschaft vergleichbar: “It (the state; F.J.) both frames civil society and occupies space within it. It fixes the boundary conditions and the basic rules of all associational activity (including political activity). It compels association members to think about the common good, beyond their own conceptions of the common good” (Walzer 1992a: 103).

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Janning, F. (1998). Auf der Suche nach einer Demokratietheorie für komplexe Gesellschaften. In: Das politische Organisationsfeld. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-89956-9_4

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-89956-9_4

  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden

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