Zusammenfassung
Der Begriff der Freiheit, von dem sich das pädagogische Ziel der Erziehung zur Autonomie ableitet, hat stets zwei Bedeutungsdimensionen gehabt: Freiheit von Zwang, Unterdrückung und Entfremdung — Freiheit von etwas: in dieser Bestimmung ging der Freiheitsbegriff als negatorische und formale Kategorie in die Tradition” émanzipatorischer Erziehungswissenschaft ein. Freiheit hatte aber auch immer die “positive” Bedeutung der freien Entfaltung und des freien Ausdrucks des Selbst — in dieser Bestimmung ging der Freiheitsbegriff etwa in Konzeptionen der ästhetischen Erziehung oder der Entwicklungspädagogik ein. Der formale Freiheitsbegriff entfaltete sich historisch im Naturrecht, der materiale in den Sozialutopien der Neuzeit — so die Unterscheidung von Bloch. Die Tradition der emanzi-patorischen Erziehungswissenschaft hat sich in der Bundesrepublik vorwiegend auf die pädagogische Konzeptualisierung des formalen Freiheitsbegriffs konzentriert; dies war vor dem Hintergrund der Erfahrungen von Krieg und Totalitarismus verständlich. Damit war jedoch ein Verlust der utopischen Dimension verbunden, die für die Pädagogik, wie ich zeigen möchte, auch konstitutiv ist. Die Gestaltung der Zukunft ist heute mehr denn je eine Frage nicht nur der Kritikfähigkeit, sondern auch der schöpferisch-utopischen Einbildungskraft. Die folgenden Überlegungen sollen einen Beitrag zur Diskussion der Frage liefern, wie diese utopische Dimension der Pädagogik zurückgewonnen werden kann, ohne das emanzipatorische Prinzip formaler Freiheit (und “negativer Erziehung”) aufzugeben.
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Literatur
H. Roth, Erziehungswissenschaft zwischen Psychologie und Soziologie. In: B. Götz/J. Kalt-schmid, Hg.: Erziehungswissenschaft und Soziologie. Darmstadt 1977.
Die Erziehungswissenschaft, schreibt Heinrich Roth, sei hermeneutisch und erfahrungswissenschaftlich und müsse Teil einer neuen, interdisziplinären Fakultät werden. Das Verhältnis von pädagogischer Hermeneutik und Empirie bestimmt Roth so: “die Forschungsdaten der Wissenschaften vom Menschen und der Gesellschaft [sind] unter der Fragestellung der Erziehbarkeit des Menschen zu kritisieren und zu integrieren”: Ebd., S. 266.
So hat Wolfgang Lempert z.B. hervorgehoben, daß Erziehungsziele wie individuelle Autonomie, kritische Reflexivität und Kreativität selbst erst unter bestimmten historisch-gesellschaftlichen Bedingungen zu Leitbildern der Erziehung werden konnten. Einmal hervorgebracht, werden diese Fähigkeiten aber zu Medien oder Katalysatoren, die die Kritik an der Gesellschaft vorantreiben. Wolfgang Lempert, Pädagogik und Soziologie. In: Götz/Kaltschmidt, Erziehungswissenschaft und Soziologie.
Die folgende Systematik macht einige Anleihen bei Harm Paschen, Logik der Erziehungswissenschaft. Düsseldorf 1979.
Eine “klassische” Definition findet sich bei Brezinka: Erziehung ist eine bewußte, zielgerichtete und zweckrationale Einwirkung, “die psychischen Dispositionen anderer Menschen aufzubauen, zu erhalten, zu ändern (dauerhaft zu bessern) oder auch zu verhüten”: W. Brezinka, Metatheorie der Erziehung. München 1978, S. 43.
Zum Konzept der “objektiven Hermeneutik” siehe U. Oevermann/ Th. Allert,/ E. Konau,/J. Kramer: Die Methodologie einer “objektiven Hermeneutik” und ihre allgemeine forschungslogische Bedeutung in den Sozialwissenschaften. In: H.-G. Soeffner, Hg.: Interpretative Verfahren in den Sozial- und Textwissenschaften. Stuttgart 1979 S. 352–434.
Aufenanger trifft diese Unterscheidung für die Moralerziehung: Stefan Aufenanger, Entwicklungspädagogik. Die soziogenetische Perspektive. Weinheim 1992.
Jürgen Oelkers, Utopie und Wirklichkeit: Ein Essay über Pädagogik und Erziehungswissenschaft. In: Zeitschrift für Pädagogik 36 (1990)
Vgl. Heinz-Elmar Tenorth, “Alle alles zu lehren.” Möglichkeiten und Perspektiven allgemeiner Bildung. Darmstadt 1994 S. 162f.
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Harten, HC. (1997). Einleitung. In: Kreativität, Utopie und Erziehung. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-89806-7_1
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