Die Inszenierung von Verbrechen

Zusammenfassung

Formelle wie informelle¹ Schauprozesse stellen zentrale Momente der stalinistischen Inquisitionskultur dar. Das öffentliche Bekenntnis von fiktiven Verbrechen, welche die Parteikader vor der Parteiversammlung abzulegen haben, gehört zum unverzichtbaren Verhaltensrepertoire, über das die Kader verfugen müssen. Es wird in langwierigen Prozessen der sekundären politischen Sozialisation eingeübt. Die stalinistische Inquisitionskultur imitierte in den Schauprozessen „bürgerliche“Rechtsformen. Der öffentliche Prozeß wurde als Gerichtsprozeß inszeniert. Die Partei saß über die Verbrecher zu Gericht. Richter, Staatsanwalt, Verteidiger, Sachverständige und auch die angeklagten Parteigenossen selbst bemühten sich, die strafwürdigen Tatbestände zu ermitteln, die Schuld der Angeklagten zu bestimmen und das Strafmaß festzulegen. Vor allem die scheinbare Bereitwilligkeit der angeklagten Glaubensgenossen, sich selbst abstruser Vergehen zu beschuldigen und freiwillig das eigene Todesurteil zu unterschreiben, verlieh der stalinistischen Dramaturgie der Schauprozesse einen makabren Beigeschmack. Alle an diesem öffentlichen Prozeß beteiligten Akteure - wie in den berüchtigten Moskauer Schauprozessen exemplarisch demonstriert - spielten ihre Rollen nach einem vorab in den geheimen Ermittlungsprozeduren eingeübten und einstudierten Drehbuch, das von den Säuberungsspezialisten des stalinistischen Terrorsystems festgelegt wurde.