Zusammenfassung
Den Weimarer Konservatismus nach Regeln strenger Begrifflichkeit zu definieren, fällt schwer. Denn er war alles andere als eine in sich gefestigte, homogene Bewegung mit klaren Zielperspektiven und einheitlichem Erscheinungsbild. Sein ideologisches, organisatorisches und soziales Profil war vielschichtig und wenig konsistent. Es war diffus und speiste sich aus teils verwandten, teils heterogenen und widerstreitenden Traditionen und Traditionselementen. Deren einzelne Stränge wurden nie zu einem geschlossenen, wirklich mehrheitsfähigen Konzept verschmolzen. Daraus resultierten Konflikte und Verwerfungen in Permanenz, die im Zeichen von Mobilisierungs- und Wahlerfolgen zeitweilig überbrückt, auf Dauer aber nicht überwunden werden konnten. Die verschiedenen Strömungen und Gruppierungen zusammenzubinden erwies sich als Aufgabe, die je länger desto mehr der Quadratur des Kreises glich. Charakteristisch war und blieb ein beträchtlicher Mangel an Integrationskraft, der regelmäßig seinen Ausdruck fand in der tiefen Abneigung gegen den Kompromiss nach innen wie nach außen. Die Formulierung des letzten Vorsitzenden der deutschnationalen Partei, Alfred Hugenberg (1865–1951): nicht „Brei“, sondern „Block“, verlieh dem seinen unnachahmlichen Ausdruck.2 Nicht zuletzt hier wurzelten die Ursachen für das fortwährend zu beobachtende Schwanken, für Illusionen und Prozesse der Desorientierung, am Ende auch fur das rasche Scheitern einer eigenständig konservativen Politik im Bündnis mit der NSDAP.3
„Eine Kraftentfaltung des deutschen Volkes ist unmöglich, wenn nicht die deutsche Arbeiterschaft mit zu diesem Volke gehört. Kein Gedanke der staatlichen Erneuerung kann verwirklicht werden, wenn die Arbeiterschaft sich gegen ihn stellt.“1
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Literatur
Heinz Brauweiler: Berufsstand und Staat. Betrachtungen über eine neuständische Verfassung des Deutschen Staates (Aus der Ring-Schriftenreihe des Politischen Kollegs). Berlin 1925, 204.
Alfred Hugenberg: Block oder Brei? In: Unsere Partei Nr. 24 vom 1.11.1928.
Unter Verzicht auf ausführliche bibliographische Angaben sei hier nur auf einige neuere Arbeiten verwiesen: Axel Schildt: Konservatismus in Deutschland. Von den Anfängen im 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. München 1998; Shelley Baranowsky: The sanctity of rural life. Nobility, Protestantism and Nazism in Weimar Prussia. New York 1995;
Wolfram Pyta: Dorfgemeinschaft und Parteipolitik 1918–1933. Die Verschränkung von Milieu und Parteien in den protestantischen Landgebieten Deutschlands in der Weimarer Republik (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien 106). Düsseldorf 1996;
Stephanie Merkenich: Grüne Front gegen Weimar. Reichs-Landbund und agrarischer Lobbyismus 1918–1933 (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien 113). Düsseldorf 1998; sowie meine ältere Studie: Konservatismus als „nationalrevolutionäre Bewegung“. Konservative Kritik an der Deutschnationalen Volkspartei 1918–1933. In: Deutscher Konservatismus im 19. und 20. Jahrhundert. Festschrift für Fritz Fischer zum fünfundsiebzigsten Geburtstag und zum fünfzigsten Doktorjubiläum. Hg. von Dirk Stegmann, Bernd Jürgen Wendt und Peter-Christian Witt. Bonn 1983, 295–331.
Zu den ideenpolitischen Horizonten vgl. Rolf Peter Sieferle: Die Konservative Revolution. Fünf biographische Skizzen. Frankfurt/Main 1995;
Stefan Breuer: Anatomie der konservativen Revolution. 2. Aufl. Darmstadt 1995;
Jerry Z. Muller: The other God that Failed. Hans Freyer and the Derealization of German Conservatism. Princeton 1987.
Helmuth Plessner: Die verspätete Nation. Über die politische Verführbarkeit bürgerlichen Geistes. Frankfurt/Main 1974, 36f.
Vgl. die zeitgenössische Studie von Ernst von Borsig: Reagrarisierung Deutschlands? Eine Untersuchung über ihre Möglichkeiten und Grenzen. Jena 1934; sowie zu den Diskursen um 1900 Hartmut Harnisch: Agrarstaat oder Industriestaat. Die Debatte um die Bedeutung der Landwirtschaft in Wirtschaft und Gesellschaft Deutschlands an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. In: Osteibische Agrargesellschaft im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Agrarkrise — junkerliche Interessenpolitik — Modemisierungsstrategien. Hg. von Heinz Reif. Berlin 1994, 33–50.
Ewald von Kleist-Schmenzin: Adel und Preußentum. In: Süddeutsche Monatshefte 23 (1926), 379.
Vgl. Jens Flemming: Landwirtschaftliche Interessen und Demokratie. Ländliche Gesellschaft, Agrar-verbände und Staat 1890–1925. Bonn 1978, 252ff.;
Bernd Kölling: Familienwirtschaft und Klassenbildung. Landarbeiter im Arbeitskonflikt: Das ostelbische Pommern und die norditalienischen Lomellina 1901–1921. Vierow bei Greifswald 1996, 159ff.
Nachlass Weilnböck, Privatbesitz, Luitpold Weilnböck (1865–1944, MdR-DNVP und Vorstandsmitglied im Reichslandbund) an Prieger (geschäftsftihrender Vorsitzender des Bayerischen Landbundes), 23.9.1924. Zum Kontext vgl. Jens Flemming: Zwischen Industrie und christlich-nationaler Arbeiterschaft. Alternativen landwirtschaftlicher Bündnispolitik in der Weimarer Republik. In: Industrielle Gesellschaft und politisches System. Beiträge zur politischen Sozialgeschichte. Festschrift für Fritz Fischer zum siebzigsten Geburtstag. Hg. von Dirk Stegmann, Bernd Jürgen Wendt und Peter-Christian Witt. Bonn 1978, 259–276.
BA KO, N 1231, Nachlass Hugenberg 28, Schlange-Schöningen (Vorsitzender des deutschnationalen Landesverbandes Pommern) an Hugenberg, 19.5.1924.
Vgl. Heinz Hagenlücke: Deutsche Vaterlandspartei. Die nationale Rechte am Ende des Kaiserreichs (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien 108). Düsseldorf 1997.
Friedrich Naumann: Demokratie und Kaisertum. Ein Handbuch für innere Politik. 4. Aufl. Berlin-Schöneberg 1905, 91 f.
Gerhard A. Ritter: Kontinuität und Umformung des deutschen Parteiensystems 1918–1920. In: Entstehung und Wandel der modernen Gesellschaft. Festschrift für Hans Rosenberg zum 65. Geburtstag. Berlin 1970, 383.
Georg Decker: Krise des deutschen Parteiensystems? In: Die Gesellschaft 3/I (1926), 11. Vgl. auch ders.: Der Tod einer Partei. In: Ebd. 5/I (1928), 385–399. Die Ergebnisse der historischen Wahlforschung sind aufbereitet bei Jürgen W. Falter u.a.: Wahlen und Abstimmungen in der Weimarer Republik. Materialien zum Wahlverhalten 1919–1933. München 1986;
sowie Jürgen W. Falter: Hitlers Wähler. München 1991, bes. 110ff.
Amrei Stupperich: Volksgemeinschaft oder Arbeitersolidarität. Studien zur Arbeitnehmerpolitik in der Deutschnationalen Volkspartei (1918–1933) (Göttinger Bausteine zur Geschichtswissenschaft 51). Göttingen-Zürich 1982, 95.
Den Anfang machte hier der Berufsständische Reichsausschuss der DNVP: vgl. BA B, R 8005, DNVP 1, Berufsständischer Reichsausschuss an die Landesverbände, 23.3.1919. Im Juli 1919 konstituierte sich der Reichsarbeiterausschuss: vgl. Deutschlands Arbeiterfreund Nr. 394 vom 3.12.1919.
Zahlreiche Belege dafür in den Akten des Arbeiterbundes: beispielsweise BA B, R 8005, DNVP 246, Deutschnationaler Arbeiterbund an die Ortsgruppen, 28.4.1928, oder auch: Ebd., 238, Von Bielefeld bis Kassel. Bericht der Bundesleitung des Deutschnationalen Arbeiterbundes, erstattet auf der 9. Reichstagung in Kassel am 21. November 1929 (Arbeiterbundschriften 15), Berlin 1929. Vgl. daneben auch die parteioffiziösen Hinweise bei Max Weiß (Hauptgeschäftsflihrer der DNVP): Politisches Handwörterbuch (Führer-ABC). Berlin 1928, 45f.
In der DNVP vertrat die Belange des Protestantismus der Evangelische Reichsausschuss: vgl. BA B, R 8005, DNVP 455 bis 465; sowie Kurt Nowak: Evangelische Kirche und Weimarer Republik. Zum politischen Weg des deutschen Protestantismus zwischen 1918 und 1932. Göttingen 1981, bes. l01ff.
Vgl. Stupperich: Volksgemeinschaft (Anm. 15), 36ff.
Ebd., 43ff. Ausführlich zur Entwicklung der gelben Landarbeiterentwicklung vgl. Flemming: Interessen (Anm. 8), 275ff. 21 Ebd., 277ff.
Diese Bemerkungen stützen sich auf Stupperich (wie Anm. 15) sowie eine Durchsicht der Akten des Arbeiterbundes: BA B, R 8005, DNVP 236 bis 262.
Graf Westarp sprach in diesem Zusammenhang abschätzig von „suggestiver Panik“: BA B, N 2329, Nachlass Westarp 37, Westarp an Kreth, 10.1.1919.
Zitiert nach Stupperich (Anm. 15), 19. Ganz ähnlich argumentierte der Alldeutsche Gertzlaff von Hertzberg-Lottin (1880–1945): BA B, N 2329, Nachlass Westarp 42, Hertzberg-Lottin an von Brockhusen-Langen, 28.10.1919.
Ebd., 40, Westarp an Schiele, 13.2.1919.
Ebd., 27, Hoetzsch an Westarp, 5.11.1918 (dies war ein Beitrag zu der schon vor der Revolution angelaufenen Programmdebatte bei den Deutschkonservativen), ediert von Peter-Christian Witt: Eine Denkschrift Otto Hoetzschs vom 5. November 1918. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 21 (1973), 337–353, Zitat 347.
Vgl. Weiß: Handwörterbuch (Anm. 17), 851ff. (Artikel: Sozialversicherung und soziale Lasten). Zu den darüber in der Partei geführten Debatten vgl. Stupperich (Anm. 15), 98ff.
Rademacher an Westarp, 1.3.1927, zitiert nach Stupperich (Anm. 15), 105f. Zum Kontext vgl. Michael Stürmer: Koalition und Opposition in der Weimarer Republik. Düsseldorf 1967, 203ff.
Vgl. Stupperich (Anm. 15), 106f.
Mit anderen Worten, aber in diesem Sinne formulierte der christlich-soziale DNVP-Reichstags-abgeordnete Reinhard Mumm: BA B, N 2203, Nachlass Mumm 150, Mumm an den Theologieprofessor Emil Weber (1882–1950), 24.8.1928.
Zu den Wahlkandidaturen vgl. Stupperich (Anm. 15), zur vom Alldeutschen Verband geförderten „Machtergreifung“ Hugenbergs vgl. Heidrun Holzbach: Das „System Hugenberg“. Die Organisation bürgerlicher Sammlungspolitik vor dem Aufstieg der NSDAP (Studien zur Zeitgeschichte 18). Stuttgart 1981, 192ff.
Gustav Hartz: Irrwege der deutschen Sozialpolitik und der Weg zur sozialen Freiheit. Berlin 1928.
Kritisch dazu aus christlich-sozialer Sicht: Reinhard Mumm: „Einer trage des anderen Last“. In: Soziale Praxis 38 (1929), 363–365.
Neben Holzbach (Anm. 31) vgl. Stupperich (Anm. 15), 164ff. Aus der Sicht der Parteiführung vgl. zu den Sezessionsbewegungen: Die Abtrünnigen. Die Geschichte einer Absplitterung, die die Festigung der Partei brachte (Deutschnationales Rüstzeug 16). Berlin 1930. 34 BA KO, N 1003, Nachlass Wegener 11, Wegener an Rittergutsbesitzer Rojahn, 25.7.1928.
Brandenburgisches Landeshauptarchiv Potsdam, Pr.Br. Rep. 37 Boitzenburg, von Arnim-Kröchlen-dorff, Nationaler Sozialismus? o.D. (vermutlich vor den März-Wahlen 1933).
BA B, R 72, Stahlhelm 234, Aktennotiz: Verhältnis von Stahlhelm und Reichsbund Deutscher Angestellten-Berufsverbände, 15.12.1930.
Vgl. Volker R. Berghahn: Der Stahlhelm. Bund der Frontsoldaten 1918–1935. Düsseldorf 1966, 107.
BA B, R 72, Stahlhelm 235, Die berufsständische Arbeitnehmerorganisation des Stahlhelm, Rundfunkvortrag von Bernhard Rausch (am 20.7.1932 der Mitteldeutschen Rundfunk-Gesellschaft eingereicht).
Ebd., 233, Erhebung über die Industriearbeiter im Stahlhelm. Stichtag: 1.2.1928.
Ebd., 234, Die berufsständische Lösung der sozialen Frage. Reden anlässlich der Kundgebung der Stahlhelm-Selbsthilfe am 8. Februar 1931 in Leipzig, 15 (Duesterberg, Warum Stahlhelm-Selbsthilfe?). Zu den Debatten um die Gründung vgl. ebd., 11, Bundesvorstands-Sitzung, 27. und 28.4.1929; ebd., 231, Sitzung des Ausschusses für Arbeiterfragen, 7.7.1929; ebd., 237, Tagung der Landes-Sozial-Referenten, 9. und 10.11.1929; sowie ebd., 13, Bundesvorstand, 11. und 12.11.1930.
Ebd., 237, Tagung der Landes-Sozial-Referenten, 9. und 10.11.1929 (Hartz, Staatliches Zwangsver-sicherungs-Sparsystem). Vgl. auch ebd., 234, Satzungen der Stahlhelm-Selbsthilfe, 8.2.1932, bes. 9ff.
Ebd., 299, Rede Duesterbergs fur die Reichspräsidentenwahl, o.D. (1932). Zu den Vorstellungen über den künftigen Staatsaufbau vgl. auch Friedrich Everling: Stahlhelm und organischer Staat. Berlin o.J.
Duesterberg (Anm. 40), S. 17.
Zum Selbstverständnis des DINTA vgl. Karl Arnhold: Die menschliche Arbeitskraft im Produktionsprozess, ihre Schulung und Erhaltung. Bielefeld 1926; sowie Paul Osthold: Der Kampf um die Seele unseres Arbeiters. In: Peter Hinrichs / Lothar Peter (Hg.): Industrieller Friede? Arbeitswissenschaft, Rationalisierung und Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik. Köln 1976, 220–224. Kritisch dazu von freigewerkschaftlicher Seite Fritz Fricke: Sie suchen die Seele! Berlin 1927.
Vgl. BA B, R 72, Stahlhelm 233, Arbeitnehmergruppe des Pommerschen Landbundes an Stahlhelm, 22.1.1930; ebd., 235, von Rohr-Demmin (Pommerscher Landbund) an Hildebrandt (Bundessozial-referent im Stahlhelm), 5.3.1931; ebd., 234, Stahlhelm Landesverband Pommern-Grenzmark an Stahlhelm-Bundesamt, 29.2.1932; ebd., 234, Graf Eulenburg-Wicken (Landesverband Ostpreußen) an Stahlhelm-Bundeskanzler Wagner, 24.2.1930; ebd., 240, Stahlhelm-Bundesamt an Landesamt Baden-Württemberg, 14.6.1932.
Ebd., Stahlhelm 237, Tagung der Landes-Sozial-Referenten, 9. und 10.11.1929 (Wagner: Grundsätzliche Gedanken zu einem sozialen Programm des Stahlhelm); ebd., Stahlhelm 248, Wagner: Das Knochengerüst des Dritten Reichs (Exposé für einen Vortrag auf der Arbeitstagung über die „organische Idee“ in Potsdam, 10.–13.6.1930).
Ebd., Stahlhelm 309, Wagner an die Bundesführer Seldte und Duesterberg, 5.12.1931.
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Flemming, J. (2003). Integration und Abstoßung. In: Hering, R., Nicolaysen, R. (eds) Lebendige Sozialgeschichte. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-89787-9_21
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