Zusammenfassung
Für Weiss kommen mit Dantes Problem der Sprachlosigkeit und mit der Suche der Protagonisten nach Herakles als dem abwesenden Retter exemplarisch zwei Phänome zum Ausdruck, die im allgemeinen wesentlich zum Kunstwerk gehören, auf dessen innere Verfaßtheit verweisen und damit gleichzeitig auf den Grenzbereich, in dem die Ausdrucksmöglichkeit der Kunst auch überschritten wird. Aus der “Divina Commedia” wird vor allem Dantes Problemati-sierung, ob und wie Schreckliches sprachlich auszudrücken ist, für den Erzählvorgang des Romans übernommen:
“Wer könnte je auch nur mit schlichten Worten das Blut beschreiben, all die grausen Wunden, die ich jetzt sah, auch wenn er’s wiederholte?
Jedwede Zunge würde sicherlich verstummen, weil der Geist und unsre Sprache die Kraft nicht haben, soviel zu umfassen.” (Inferno XXVIII, 1–6)
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Literatur
Hans Robert Jauß, Ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik, zweite Aufl. Frankfurt/M. 1984, S. 88.
Wolfgang Welsch, Adornos Ästhetik: eine implizite Ästhetik des Erhabenen in: Das Erhabene. Zwischen Grenzerfahrung und Größenwahn, hrsg. v. Christine Pries, Weinheim 1989, S. 185–213, hier: S. 209.
Siehe auch: Wolfgang Welsch, Ästhetik und Anästhetik, in: ders., Ästhetisches Denken, Stuttgart 1990, S. 9–40.
Jean-François Lyotard, Das Erhabene und die Avantgarde, in: Merkur 2/1984, S. 151–164, hier: S. 154. — Mir scheint es wichtig, das Erhabene in diesem Kontext nach zwei Seiten hin abzugrenzen: zum einen gegen die ästhetizistische Resakralisierung der Kunst bei Botho Strauß, Karl-Heinz Bohrer und George Steiner; zum anderen aber auch gegen die Einengung des Erhabenen auf das faschistisch Monströse und Pompöse, wie sie Michael Rutschky vornimmt. Mit Blick auf die “Allgewalt der deutschen Katastrophe” (S. 124) schreibt er: “Und das faschistische Erhabene ist in diesem Sinn reine Oberfläche gewesen, Inszenierung, keine Offenbarung eines Urgrunds — wobei gleich gesagt sein soll, daß der Sinn für das Erhabene, der gegenwärtig aufs faschistische Erhabene erpicht ist, vom politischen Sinn abgekoppelt ist” (S. 125).(...) “Im Rahmen dieser Kunstreligion kann der Führerbunker mit Auschwitz und Stalingrad sich vergesellschaften, in der Sphäre des Erhabenen”.
Michael Rutschky, Der Sinn für das Erhabene, in: Peter Mosler (Hg.), Schreiben nach Auschwitz, Nördlingen 1988, S. 107–127, hier: S. 127).
Wolfgang Welsch, Für eine postmoderne Ästhetik des Widerstands, in: Ästhetik, Revolte und Widerstand im Werk von Peter Weiss, a.a.O.1990 S. 327–333, hier: S. 328.
Peter Weiss, Stückentwurf zur Divina Commedia: Canto 3/Inferno (zitiert aus dem Nachlaß).
Moissej Kagan, Vorlesungen zur marxistisch-leninistischen Ästhetik, München 1974, S. 180. Napoleon hatte wohl recht mit seinem Aperçu, daß es vom Erhabenen zum Lächerlichen nur ein kleiner Schritt sei, da in der stalinistischen Kunstideologie der Staat selbst das vollendete ästhetische Kunstwerk verkörpert: “Der ‘sozialistische Realismus’ konnte dem Anschein nach der naturalistischste Realismus sein, weil er der Sache nach der vollständigste Ästhetizismus war. Die ästhetisch vollkommene Wirklichkeit wurde von der sozialistischen Politik geschaffen, deswegen war die ästhetische Form als Prinzip ein überwundenes Entfremdungsproblem, und die Kunst konnte endlich unmittelbar mimetisch sein.” (Peter Fürth, Phänomenologie der Enttäuschungen. Ideologiekritik nachtotalitär, Frankfurt/M. 1991, S. 93). — Zur Kritik der nachrevolutionären sowjetischen Kulturpolitik siehe bes.: Jürgen Rühle, Literatur und Revolution. Die Schriftsteller und der Kommunismus in der Epoche Lenins und Stalins, Frankfurt/M., Olten, Wien 1987, S. 161 ff.
Ästhetik der Kunst, Berlin/DDR 1987, S. 265–387, hier: S. 304.
Ebd., S. 308.
Burkhardt Lindner, Der Widerstand und das Erhabene. Über ein zentrales Motiv der “Ästhetik des Widerstands” von Peter Weiss, in: Literaturmagazin 27/1991 (Widerstand der Ästhetik?. Im Anschluß an Peter Weiss), S. 28–44, hier: S. 43.
Ebd.
Ebd., S. 29.
Demgegenüber faßt Karl-Josef Müller das Erhabene direkt als eine auf ästhetisierte Gewalt beruhende Kunstform. Damit bleibt er anhand der Stahlmann-Episode in Angkor Wat jedoch der Idee des Heroismus verhaftet. Die Deutung bleibt hier unbefriedigend, weil nicht klar wird, worin im Hinblick auf das Subjekt des Erhabenen der Unterschied zwischen der ästhetischen Verherrlichung gewalttätiger Machtverhältnisse in der Khmer-Metropole und Stahlmanns eigenem Heroismus besteht. (Vgl. Karl-Josef Müller, Haltlose Reflexion. Über die Grenzen der Kunst in Peter Weiss’ Roman Die Ästhetik des Widerstands, Würzburg 1992, S. 132–137).
Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, hrsg. v. Karl Vorländer, Hamburg 1959, S. 102, S. 114. — Zur Kritik an Kant siehe: Peter Bürger, Kritik der idealistischen Ästhetik, Frankfurt/M. 1983, S 144 ff.
Peter Weiss, Meine Ortschaft, in: ders., Rapporte, a.a.O., S. 124.
Peter Weiss, Meine Ortschaft, S. 124.
Antonia Birnbaum, Über den Wunsch, das letzte Wort in der Geschichte zu behalten, in: Der Wunderblock. Zeitschrift für Psychoanalyse, Berlin 1989, S. 16. -
Auch Wolfgang Fach sieht im Roman eine subversive Ästhetik des Krieges am Werk, die “ästhetisch dem Grabenkampf in nichts unterlegen” ist. (Wolfgang Fach, Tod und Verklärung. Über die elitäre Konstruktion der Wirklichkeit, Wien 1989, S. 149 ff.). Die Vernachlässigung der Geschichtlichkeit führte schnell zur Anthropologisierung des Schrecklichen bei Weiss.
So z.B. bei: Walter Schulz, Metaphysik des Schwebens. Untersuchungen zur Geschichte der Ästhetik, Pfullingen 1985, S. 345, 347 f.
Demgegenüber ist daran festzuhalten, daß Weiss gezielt eine “Geschichte des sekundären Entsetzens” konstruiert, deren Grundlage die “Kunde, nicht die Anschauung der Vernichtung selbst” ist. (Klaus Briegleb, Widerstand als tätige Erinnerung. Uwe Johnson und Peter Weiss, in: Das Argument 2/1992, S. 205–218, hier: S. 216).
Die Kritik von Günther Anders an der Antiquiertheit des Kantischen Erhabenen gründet in der Monströsität unserer Geschichte. In seinen Tagebüchern findet sich im Mai 1949 eine “Akademische Einfügung”, in der Kants Konstruktion von begrenzter Einbildungskraft (Comprehension) und überlegener Verstandesleistung (Apprehension) verworfen wird. (Günther Anders, Besuch im Hades, München 1985, S. 47). Eine knappe und instruktive Skizze zur Ästhetik von Günther Anders findet sich in: Ludger Lütkehaus, Philosophieren nach Hiroshima. Über Günther Anders, Frankfurt/M. 1992, S. 40–57.
Karl Heinz Bohrer, Die Ästhetik am Ausgang ihrer Unmündigkeit, in: Merkur H. 10/11 (1990), S. 851–865, hier: S. 863.
Ebd., S. 865.
Karl Heinz Bohrer, Erwartungsangst und Erscheinungsschrecken. Die griechische Tragödie als Antizipation der modernen Epiphanie, in: Merkur (1991), H. 5, S. 371–386, hier: S. 385.
Auf eine explizite Erörterung der Bildrezeption im Roman soll hier zugunsten des zentralen Aspektes des Erhabenen verzichtet werden. Die Rezeptionsstufen der Guernica-Deutung sind ausführlich rekapituliert bei: Michael Hofmann, Ästhetische Erfahrung in der historischen Krise. Eine Untersuchung zum Kunst- und Literaturverständnis in Peter Weiss’ Roman “Die Ästhetik des Widerstands”, Bonn 1990, S. 46–78 und Kurt Oesterle, Das mythische Muster, a.a.O., S. 137–168.
Es ist wenig hilfreich, diese Darstellungsgrenze einfach zu ignorieren und ein Schreckensbild einzufordern, das “konkret und greifbar” ist. Gerade die Romankritik am Pseudofaktischen der stalinschen Kunstideologie erzwingt ja, Abwesendes mitzureflektieren. (Peter Horn, Diskurs über die lang andauernde unästhetische Praxis der Kultur und Kulturwissenschaften in der Metropole und den Kulturkolonien und über die Notwendigkeit einer neuen ästhetischen Praxis anhand des Romans Ästhetik des Widerstands von Peter Weiss, in: Acta Germanica. Jahrbuch des Südafrikanischen Germanistenverbandes, Bd. 16, Frankfurt/M. u.a. 1983, S. 173–246, hier: S. 219).
Max Imdahl bemerkt über den Zusammenhang von nicht-mimetischer Bildlichkeit und mythischer Bildsprache bei Picasso zutreffend: “Jede Verwechslung des wirklichen Terroraktes und der wirklich Getroffenen mit ihrem Bild ist ausgeschlossen und folglich das Wirkliche zum Ausweis seiner Wirklichkeit bewahrt: Das Wirkliche der Schrecken des Bombenangriffs auf die Stadt Guernica ist in keiner Hinsicht durch ein Abbild illusioniert, wohl aber ist es in einer durch ein Bild erweckten Vorstellung beschworen. Diese in der Vorstellung beschworene Wirklichkeit des historischen Ereignisses aber ist aufgehoben enthalten in der Vorstellung eines Mythischen über aller historischen Zeit: Gerade in seiner Aufgehobenheit im Mythischen ist und bleibt das historische Ereignis des Bombenangriffs auf Guernica in schlechthinniger Aktualität gegenwärtig, und gerade das Mythische macht die Unfaßlichkeit dieser Untat in ihrer Unfaßlichkeit faßbar.” (Max Imdahl, Picassos Guernica, Frankfurt/M. 1985, S. 95 f.).
Dieser politische Themenkomplex ist dokumentiert in: Gert Bastian/Petra K. Kelly (Hg.), Guernica und die Deutschen. Dokumentation einer gescheiterten Wiedergutmachung. Mit einem Vorwort von Heleno Sana, Hamburg/Zürich 1992. — Den schleichenden Prozeß, in dem das ehemals Monströse derart zerkleinert wird, daß dessen besondere und häufig auch einmalige Dimension in der Ideologie der Normalität aufgelöst wird, beschreibt der Kunsthistoriker John Berger anhand der Katastrophe in Hiroshima: “Natürlich kommen diese Tatsachen in Büchern vor. Es mag sogar sein, daß Schulkinder die Daten lernen. Aber das, was diese Tatsachen bedeuten, ist herausgerissen worden. Und ursprünglich war ihre Bedeutung doch so klar, auf eine so monströse Weise lebendig, daß jeder Kommentator in der ganzen Welt schockiert war und jeder Politiker sich verpflichtet fühlte ‘Nie wieder!’ zu sagen (während er anderes plante). Es war ein systematischer, langsamer und gründlicher Prozeß der Unterdrückung und Ausmerzung. Diesen Prozeß hat man hinter der poltischen Realität verborgen.” (John Berger, Das Sichtbare und das Verborgene. Essays. Aus dem Englischen von Kyra Stromberg, München/Wien 1990, S. 298).
Von dieser Idee des Schrecklich-Erhabenen als Bewußtsein vom Inkommensurablen der Kunst gegenüber dem Opferleiden ist strikt die “Erhabenheit und Schönheit” zu unterscheiden, die Alfred Messmann dem Gemälde moralisch als “Ausdruck menschlicher Würde im Kampf gegen menschenvernichtende Destruktivität” zuschreibt. Eine Unterscheidung ist schon deshalb nötig, weil in dieser Argumentation der Überwältigungscharakter, dem sich die Protagonisten ausgesetzt sehen und der im theoretischen Zentrum des traditionellen Begriffs des Erhabenen angesiedelt ist, unberücksichtigt bleibt. (Alfred Messmann, Kunst als Spiegel. Zum Verhältnis von Kunst und Subjekterfahrung, dargestellt an P. Weiss’ Interpretation von Géricaults Gemälde “Floß der Medusa”, in: Manfred Holodynski, Wolfgang Jantzen (Hg.), Studien zur Tätigkeitstheorie V, Bielefeld 1989, S. 93–100, hier: S. 96).
Peter Weiss im Gespräch, a.a.O., S. 278. — Die Weiss-Forschung hat ganz unterschiedlich zur Beendigung der Rezeption Stellung genommen: Genia Schulz wertet den Abbruch als Selbstschutz des Erzählers vor unendlichen heteronomen Projektionen (Genia Schulz, Versionen des Indirekten, a.a.O., S. 84 f.); Burkhardt Lindner führt ihn analog auf die unbewußte Verdrängung der Bedrohung zurück, die das Original auslöst (Burkhardt Lindner, Der Widerstand und das Erhabene, a.a.O., S. 39); Karl-Josef Müller sieht darin ebenfalls einen versuchten Selbstschutz des Erzählers vor der unerträglichen Botschaft des Werkes (Karl-Josef Müller, Haltlose Reflexion, a.a.O., S. 99), während Michael Hofmann die Überlagerung subjektiver Momente als Krisendiagnose in Abrede stellt (Michael Hofmann, Ästhetische Erfahrung in der historischen Krise, a.a.O., S. 98); auch Kurt Oesterle sieht darin keine Abwendung von dem Gemälde (Das mythische Muster, a.a.O., S. 186).
Dagegen behauptet Klaus Herding allzu schematisch: “je schwärzer ein Bild, desto mehr Einblick in Grenzerfahrung bietet es Weiss, desto mehr Möglichkeiten aber auch, sich zu neuen Ufern abzustoßen.” (Klaus Herding, Arbeit am Bild als Widerstandsleistung, in: Die Ästhetik des Widerstands, a.a.O., S. 246–273, hier: S. 251). Diese unzutreffende Formel vernachlässigt, daß Weiss immer auch den immanenten Grenzbereich der Kommunikation im Kunstwerk verortet.
Christa Bürger, Arbeit an der Geschichte, in: Mythos und Moderne. Begriff und Bild einer Rekonstruktion, hrsg. von Karl Heinz Bohrer, Frankfurt/M. 1983, S. 493–506, hier: S. 505.
Die mythopoetischen Romanmotive sind überzeugend herausgearbeitet bei: Jörg Drews, “‘Echte Trauer’ — Was ist das?”, in: protokolle 1/1987, S. 105–132.
Kunibert Erbel wertet das Verstummen nicht allein als akute Schocklähmung, sondern verweist auf die biographischen Kontinuitäten im Leben der Mutter, die sich bereits von Anbeginn an nicht von ihrer Körpersprache entfernen will. (Kunibert Erbel, Sprachlose Körper und körperlose Sprache. Studien zu “innerer” und “äußerer” Natur in “Die Ästhetik des Widerstands” von Peter Weiss, St. Ingbert 1991, S. 124 ff).
Åsa Eldh, The Mother in the Work and Life of Peter Weiss, Frankfurt/M. und New York 1990, S. 150.
Robert Cohen, Versuche über Weiss’ Ästhetik des Widerstands, a.a.O., S. 9.
Andreas Huyssen, Memory, Myth, and the Dream of Reason: Peter Weiss’s The Aesthetics of Resistance, in: Fall 1986, Working Paper No. 1, Milwaukee, S. 17.
Es kann keine Rede davon sein, daß es sich hierbei um einen Realismus handelt, der “die Erlebnisse der Mutter, die zu ihrem Verstummen und schließlich zu ihrem Tod führen, fassen” kann. (Klaus Jochem, Widerstand und Ästhetik bei Peter Weiss. Zur Kunstkonzeption und Geschichtsdarstellung in der “Ästhetik des Widerstands”, Berlin 1984, S. 99). Schließlich nähert sich der Erzähler behutsam gerade den Gesichten an, nicht jedoch den sie unmittelbar auslösenden Umständen.
Andreas Huber, Mythos und Utopie, a.a.O., S. 353.
Alphons Söllner, Kritik totalitärer Herrschaft. Rationalität und Irrationalität in Peter Weiss’ Ästhetik des Widerstands, in: “Zerstörung, Rettung des Mythos durch Licht”, a.a.O., S. 179–198, hier: S. 193.
Es bleibt unklar, weshalb Ballhausen in diesen Erlebnissen eine Symbiose von “Rückzug und Aufbruch, Todesangst, Todesnot und Lust” der Mutter ausmachen kann. (Maria Häußler Ballhausen, Mnemosyne/Mimikry. Der “andere Schauplatz” und die Sprache des Unbewußten in der “Ästhetik des Widerstands” von Peter Weiss. Konfigurationen einer dialektischen Anthropologie, Diss. Darmstadt 1989, S. 269).
Hierzu kommentiert Carol Poore, daß für die Mutter der Grad für das ungeschminkte und durch keine ideologischen oder rationalen Kalküle gebrochene Sehen der Zukunft in der Vielzahl denkbarer Bedeutungen des Gegenwärtigen liegt: “She perceives these horrors by identifying with the victims so totally and remembering them so intensely that she passes beyond the point where efforts to understand could have any meaning for her.”(Carol Poore, Mother Earth, Melancholia, and Mnemosyne: Women in Peter Weiss’ Die Ästhetik des Widerstands, in: The German Quarterly, Vol. 58 (1985), No 1, S. 68–86, Zitat: S. 73).
Diese Opferperspektive ist für das gesamte Werk von Weiss charakteristisch, besonders kommt sie jedoch im Dokumentarstück “Die Ermittlung” zum Ausdruck. Bereits die Tatsache, daß die Auschwitz-Zeugen keine Namen tragen, weil sie auch im Lager dieser Individualität beraubt waren, liefert einen Hinweis auf die subtile Moralität von Weiss. (Vgl. Peter Weiss, Die Ermittlung. Oratorium in 11 Gesängen, Reinbek 1969).
Christian Bommert, Peter Weiss und der Surrealismus. Poetische Verfahrensweisen in der Ästhetik des Widerstands, Opladen 1991, S. 80.
Ralph Giordano, Die zweite Schuld oder Von der Last Deutscher zu sein, Hamburg 1987. — In diesem Kontext ist es auch wichtig, sich die heutigen Formen schmerzlosen Erinnerns als subtilste Art des Verdrängens zu vergegenwärtigen.
Siehe hierzu bes.: Lothar Baier, Volk ohne Zeit. Essay über das eilige Vaterland, Berlin 1990, S. 59 ff.
Peter Weiss, Laokoon oder die Grenzen der Sprache, in: ders., Rapporte, 2. Aufl. a.a.O., S. 170–186, hier: S. 181. — Wenn demgegenüber Birgit Feusthuber meint, der Schrecken der Mutter selbst werde durch Sprache gebannt, so übersieht sie, daß gerade das subjektive Erleben des Opfers gar nicht mehr kommunikativ erreichbar ist. (Birgit Feusthuber, Sprache und Erinnerungsvermögen, a.a.O., S. 212.).
Zur Deutungsgeschichte siehe: Burkhardt Lindner, Der Schrei des Laokoon. Winckelmann, Lessing... Peter Weiss, Bonn 1985, S. 65–88 (Wege der Literaturwissenschaft, hrsg. von Kolkenbrock-Netz/Plumpe/Schrimpf. Sonderdruck). Siehe ebenso: Martin Rector, Laokoon oder der vergebliche Kampf gegen die Bilder. Medienwechsel und Politisierung bei Peter Weiss, in: Rainer Koch u.a. (Hg.), Peter Weiss Jahrbuch 1, Wiesbaden 1992, S. 24–41
Michael Hofmann, Der ältere Sohn des Laokoon. Bilder und Worte in Peter Weiss’ Lessingpreisrede und in der Ästhetik des Widerstands, in: Rainer Koch u.a. (Hg.), Peter Weiss Jahrbuch 1, a.a.O., S. 42–58.
Peter Weiss, Laokoon oder die Grenzen der Sprache, a.a.O., S. 171.
Dieses Motiv taucht schon frühzeitig in Weiss’ Werk auf, beispielsweise in den Ausführungen zu Luis Buñuel in: Avantgardefilm, in: Rapporte, a.a.O., S. 34 f.
Peter Weiss, Laokoon oder Über die Grenzen der Sprache, a.a.O., S. 180.
Ebd., S. 182 f.
Ebd., S. 183.
Ebd., S. 182.
Es ist hier auch Lindners These zuzustimmen, daß an der Figur des älteren Sohnes die “Begründung der Poesie abgelesen” wird. (Burkhardt Lindner, Der Schrei des Laokoon, a.a.O., S. 83). — Im Gegenteil zu Bernad Dieterle, der im Laokoon-Projekt eine für Weiss’ Werk im Ganzen richtungsweisende “Ästhetik des Schreis” ausmacht, lese ich den Text als Ästhetik des erstickten und unterdrückten Schreis. (Bernad Dieterle, Erzählte Bilder. Zum narrativen Umgang mit Gemälden, Marburg, 1988, S. 141 ff.).
Zu optimistisch scheint mir die These, in der Kunst nehme das “Grauen Gestalt” an, das sogleich “seine zerstörerische Wirkung” verliere und sich dennoch “unverscheuchbar dem Gedächtnis des Betrachters” aufdränge (Koebner/Sautermeister/Schneider [Hg.], Deutschland nach Hitler, Opladen 1987, S. 264). — Weiss insistiert doch gerade auf den Schwierigkeiten, Grauen in Kunst umzusetzen. Es ist jedenfalls zu unterscheiden zwischen der Darstellung des Grauens in der Kunst und den realen Schrecken vor dem Grauen. Während Weiss in seinem Roman zahlreiche Bilder für das Schrecken bereithält, ist er gegenüber dem Grauen und seiner infernalischen Totalität eher zurückhaltend. Die “Ästhetik des Widerstands” ist konzipiert als Anamnese eines gewaltigen Aufschreis, der in seiner universellen Leidensgeschichte jedoch immer unterdrückt war.
Es grenzt aber schon an Absurdität, wenn Bergh/Munkhammar in dem erzwungenen Verstummen sogar noch ein befreiendes “Denken jenseits der Unfreiheit und der Schuld” ausmachen. Mit der Ideologie, ausgerechnet in der Situation größter Entmenschlichung eine Zündflamme der Emanzipation zu sehen, wird ein neuer Mythos geboren. Siehe: Bergh/Munkhammar, Über die Mythen in der Ästhetik des Widerstands, a.a.O., S. 209; kritisch hierzu auch: Andreas Huber, Mythos und Utopie, a.a.O., S. 167 f.
Siehe hierzu die beiden ‘Seher’-Briefe Rimbauds: Arthur Rimbaud, Poetische Werke, hrsg. von Hans Therre und Rainer G. Schmidt. Bd. 1, München 1979, S. 11 ff.
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Birkmeyer, J. (1994). Der Schrecken, das Erhabene, die Bilder. In: Bilder des Schreckens. Deutscher Universitätsverlag. https://doi.org/10.1007/978-3-322-89626-1_8
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