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Interpretationsgemeinschaften

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Der sprechende Zuschauer

Zusammenfassung

Die Aneignung des Fernsehtextes ist grundsätzlich nicht auf das Rezeptionsgespräch in der Gruppe angewiesen. Denn jeder kann für sich allein und stumm das Bildschirmgeschehen verfolgen, so wie er auch Zeitung oder Buch liest. Anders als die heutigen Lektüregewohnheiten ist das Fernsehen jedoch weithin keine Aktivität von Monaden, die unberührt und unbeeinflußt vor sich hin rezipieren. Vielmehr ist die Fernsehrezeption in die alltägliche Lebenswelt der Rezipienten eingebettet und wird von dieser geprägt. Zu dieser alltäglichen Lebenswelt gehört auch das gemeinsame Fernsehen in Familie, Wohngemeinschaft, Freundeskreis oder Fangruppe. Allein schon diese knappe Aufzählung ganz unterschiedlicher Gruppen legt die Vermutung nahe, daß das fernsehbegleitende Sprechen keineswegs gleichartig, sondern recht heterogen ausfällt. Je nach Art und Zusammensetzung der Gruppe wird es ganz unterschiedliche Eigenschaften aufweisen, die sich auf spezifische Weise bündeln. Es liegt dann nahe, von Aneignungsstilen zu sprechen.

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Literatur

  1. Fernsehen als Ersatz für soziale Kontakte ist die Grundannahme etwa bei Graney/Graney (1974), Schramm (1969), Perlman/Gerson/Spinner (1978) und Rubin/Rubin (1982; 1982a).

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  2. Auch die Arbeiten von Rosenmayr (1969), Rosenmayr/Rosenmayr (1978), Reimann (1974), Tews (1974) und Lehr (1974) warnen bereits früh vor einer verengten Sichtweise.

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  3. Zur Theorie der Medienbiographie siehe ausführlicher beispielsweise Hickethier (1982), Kubier (1982), Kübier (1983) sowie Sander/Vollbrecht (1989).

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  4. „Das Spektrum reicht von kulturpessimistischen Theorien zur Schädlichkeit kindlichen Medienkonsums über die empirische Beschreibung des Nutzungsverhaltens im Tagesablauf bis zu differenzierten Lebensweltanalysen und langfristigen Wirkungsstudien mit einer Vielzahl erfaßter Randbedingungen“(Groebel 1994, 21).

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  5. Pointiert hat diese kritische Position zum Beispiel Bronfenbrenner (1976, 183) formuliert: „Die Hauptgefahr des Bildschirms liegt nicht so sehr im Verhalten, das er hervorruft, als im Verhalten, das er unterbindet — die Gespräche, die Spiele, die Familienfeste und Auseinandersetzungen, aus denen ein Kind so viel lernt, und die seinen Charakter prägen. Das Anschalten des Fernsehapparats kann dem Abschalten jenes Vorgangs gleichkommen, der Kinder zu Menschen werden läßt. “Einen (kritischen) Überblick zu gängigen Vorwürfen an das Medium Fernsehen geben zum Beispiel Maletzke (1988), Hurreimann (1994) und in Bezug auf fernsehbegleitende Eltern-Kind-Kommunikation Klemm (2000).

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  6. Zu beinahe identischen Befunden kamen bereits zuvor einige amerikanische Studien, z.B. Walters/Stone (1971), auf die sich Hunziker et al. auch beziehen. Vehemente Kritik an Hunzikers methodischem Vorgehen äußerte hingegen Teichert (1977); dazu Klemm (2000, 116).

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  7. Beispiele für ein solches Forschungsprogramm sind die Freiburger Langzeituntersuchung zur Medienrezeption von Vorschulkindern (zusf. u.a. Charlton/Klemm 1998, 714ff.), die Beobachtung und Interpretation kindlichen Verhaltens vor dem Bildschirm (z.B. Palmer 1986, Rogge 1990), das Auffinden, Rekonstruieren und Deuten von „Medienspuren“in Erzählungen von Kindern (Bachmair 1993 und 1993a), die Erstellung von „Medienbiographien“(z.B. Neumann-Braun/Schneider 1993) oder die ethnographische Erforschung der familiären Fernsehrezeption (z.B. Bryce 1987, Messaris 1983 und 1986, Lull 1990, Wolf 1987, Hurreimann 1989). Vgl. dazu den Forschungsüberblick in Klemm (2000).

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  8. Mit der fernsehbegleitenden Eltern-Kind-Kommunikation beschäftigen sich vor allem amerikanische Medienforscher wie Bryce/Leichter (1983), Messaris (1983, 1986), Messaris/Ken (1983) sowie Wartella (1986). Eine sprachwissenschaftliche Betrachtung des kindlichen Sprechens beim Fernsehen liegt bisher nur im Ansatz vor (vgl. Klemm 2000, 276–298; Hepp 1994, 110–118). Beispiele kindlicher Fernsehaneignung werden auch in den Kapiteln 4 und 9 vorgestellt und analysiert.

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  9. Die in 8.3.1 ausgewählten Rezeptionsausschnitte stammen alle aus dem Kreise der Familie Hennig, allerdings sind jeweils Kinder unterschiedlichen Alters beteiligt. Zur Beschreibung der Zuschauerfamilie Hennig vgl. Kap. 1.

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  10. Selbstverständlich können bei solchen gemeinsamen Bezugnahmen auch gerade die Unterschiede zwischen den Generationen hervortreten (vgl. dazu z.B. Klemm 2000, 186).

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  11. Ausführlich analysiert wird Danielas Rezeption von „Rosa Roth“in Klemm (2000, 276–298).

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  12. Zumindest kleine Kinder vertrauen darauf, daß ihre Eltern alle Fragen beantworten können. Da man aber nie weiß, was ein Kind als nächstes thematisiert, kann man plötzlich unvorbereitet mit heiklen Fragen und Themen konfrontiert werden. Messaris (1983, 303f.) schildert dafür ein schönes Beispiel: Eine jüdische Mutter muß ihrer fünfjährigen Tochter möglichst schonend erklären, warum der im Werbefernsehen zu sehende Osterhase nicht zu ihr kommt, aber zu all ihren Freundinnen. Letztlich bleibt der überforderten Mutter nichts anderes übrig, als dem Kind schnell ein paar Süßigkeiten zu geben.

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  13. Kinder müssen — mit Unterstützung ihrer Eltern oder anderer Bezugspersonen — erst lernen, den komplexen Fernsehtext zu „lesen“, und in einem langwierigen Prozeß eine „viewing literacy“(Greenfield 1987, 20) entwickeln. Vgl. dazu Groebel (1994, 23): „Erst im Alter von sieben bis neun Jahren haben Kinder ihre Fähigkeiten so weit entwickelt, daß ein ähnliches Verständnis von Fernsehsendungen zwischen Kindern und ihren Eltern vorausgesetzt werden kann. “Dies bedeutet natürlich nicht, daß Eltern und Kinder ab dann über identische Aneignungsweisen verfügen, da der Alters- und Generationsunterschied immer Einfluß auf die Rezeption haben wird.

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  14. Ein wichtiger Unterschied zwischen kindlichem und erwachsenem Fernsehen besteht darin, daß Kinder Sendungen mehr erleben bzw. durchleben als verstehen (vgl. Rogge 1990, 45). Kinder folgen ihrer eigenen Handlungslogik, suchen nach anderen Filmstrukturen als die Eltern. Schon von daher wirken manche kindlichen Äußerungen während des Fernsehens auf Eltern bzw. Erwachsene inkohärent.

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  15. Unter Hilfen zur Lebensbewältigung möchte ich mit Charlton (1997, 10) alle diejenigen Bemühungen verstehen, die dazu beitragen, daß Kinder sich Lösungen für Fragen und Aufgaben erarbeiten können, die ihnen der Alltag stellt. Dazu gehören Themen wie Krankheit und Tod, auch z.B. die Vermittlung moralischer Werte oder ökonomischer Lebensumstände (s.u.).

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  16. Der Bezug auf die Familie kann auch Charaktereigenschaften betreffen. Als in „Ronja Räubertochter“die Mutter der Titelheldin furchtbar flucht, meint Yvette: „boa die alte hat een weg ich tat nich sone mutti harn. “Andrea stimmt zu: „nee du sone furie nich“, woraufhin Daniela ergänzt: „ich möcht oo ni sone“. Auch hier wird das symbolische Material des Fernsehens genutzt, um sich indirekt über die eigene Lebenswirklichkeit zu verständigen.

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  17. Solche Gesprächsinseln scheinen dem Urteil Arnolds (1993, 212) zu widersprechen, „daß für die Förderung der (moralischen) Entwicklung und Erziehung Fernseh-Zeit fast immer verlorene Zeit“sei. Kinder nutzen durchaus das fernsehbegleitende Sprechen als Testfeld für moralische Urteile.

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  18. Zur Rezeptionsmodalität ‚Sich Gruseln‘ vgl. Baldauf (1998). Ob dieses Verhalten der Erwachsenen angemessen ist, soll hier nicht beurteilt werden. Solche Erlebnisse dienen aber sicher dem medienbezogenen „Erwachsenwerden“und sind ein notwendiger Schritt zum Erwerb einer angemessenen Medienkompetenz. Vor allem sind sie in der Gruppe weniger riskant als bei der Einzelrezeption.

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  19. Nach Ansicht von Rogge (1990, 20) „bleibt die symbolische Auseinandersetzung meist im Rahmen jenes Maßes an Erträglichkeit und jener Grenzen, die Kinder sich selber setzen und deshalb aushalten können. “Es ist selten, daß Kinder völlig konzentriert dem Fernsehen folgen.

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  20. Eine ähnliche Funktion hat die fernsehbegleitende Kommunikation sicher auch für die Entwicklung älterer Kinder und vor allem von Jugendlichen: „In Gesprächen über Filme und Fernsehsendungen konstruieren sich Menschen ein gemeinsames Bild von der Wirklichkeit. Dies gilt besonders für Jugendliche, die dabei sind, sich aus dem Sinnsystem der Familie zu lösen und eigene Werte und Erklärungsmuster zu entwickeln“(Charlton/Klemm 1998, 716).

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  21. Bryce/Leichter (1983, 313) geben zu bedenken, daß Kindern auch abseits des Fernsehens die,Dinge des Lebens“eher implizit vermittelt werden: „learning at home may not always occur in identifiable formal discussions“. Die Sozialisation durch die Eltern „tends to be a cumulative function of many cues given out by parents over time, most of which are not deliberate in intent“(Robertson/Rossiter/Gleason 1979; zit. nach Bryce/Leichter 1983, 313).

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  22. Zur Rezeptionskommunikation unter Geschwistern ausf. Alexander/Ryan/Munoz (1984), die als Hauptfunktion die wechselseitige Unterstützung beim Verstehen und Interpretieren des Fernsehtextes herausarbeiten. Rogge (1990, 48–55) protokolliert und diskutiert in einer kontrastiven Studie, wie sich vier Kinder während,3iene Maja“verhalten. Hepp (1994, 110–118) analysiert, wie mehrere Kinder „Pippi Langstrumpf“kommentieren. Ähnliche Kommunikationen ergeben sich in unserem Korpus zum Beispiel während der Kinderfilme „Ronja Räubertochter“und „König der Löwen“.

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  23. Vgl. Mead (1964, 159): „taking the role of the other“.

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  24. Vgl. Brody/Stoneman (1983, 339):,Jedes Mitglied einer Familie übernimmt verschiedenste Rollen in unterschiedlichen sozialen Kontexten. Diese Rollen beinhalten sowohl ein bestimmtes Verhaltensmuster der Person, die die jeweilige Rolle einnimmt, als auch die Erwartungen der anderen Familienmitglieder, daß die Person, die eine bestimmte Rolle einnimmt, sich in gewisser Weise Verhalten werde. Rollenverhalten ist kontextabhängig. “

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  25. Vgl. Charlton/Neumann (1988, 370 f):,JFür Kinder ist die Frage von Nähe/ Distanz in Interaktionen ungleich drängender. Massenmedien sind in diesen Prozeß der Regelung von Nähe und Distanz zwischen Individuen auf vielfältige Weise eingebunden. “

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  26. Morley (1986, 146) weist darauf hin, daß die empirischen Befunde über geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Fernsehrezeption nicht auf biologischen Verschiedenheiten basieren, sondern den jeweiligen sozialen Rollen geschuldet sind, die Männer und Frauen innerhalb von Familie und Gesellschaft einnehmen. Da die gesellschaftliche Arbeitsteilung in den meisten Fällen in Beziehung zum Geschlecht der Menschen steht, ergibt sich allerdings in den meisten Familien die beschriebene ‚klassische Konstellation‘ von arbeitendem Mann und Hausfrau.

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Püschel, U., Holly, W., Steffen, M., Ayaß, R., Klemm, M., Schulte, D. (2001). Interpretationsgemeinschaften. In: Holly, W., Püschel, U., Bergmann, J. (eds) Der sprechende Zuschauer. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-89599-8_8

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