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Einbahnstraße

Die Produktion einer Bildungs-Kultur: Das Erbe des Formalismus und das Dilemma bürokratischer Bildung

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Bürokratie als Schicksal?
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Zusammenfassung

Bei den modernen Versuchen, eine nachkriegs-, nachformalistische Literaturtheorie zu formulieren, enthüllen sich auf zwei Ebenen die Dilemmas einer Bildungskultur. Auf der einen Seite hat das Erbe des Formalismus, das als blindes Gesetz in Lehre und Schreiben waltet, tiefe Spuren in den Literaturseminaren hinterlassen. Wenn dieses blinde Gesetz herausgefordert wird, fallen Literaturstudien zurück in ahistorische Methoden der Erklärung und Interpretation, wie z.B. Semiotik, Strukturalismus, Response-Kritik, linguistische Analyse und anderes mehr. Auf der anderen Seite wohnt dieses blinde Gesetz auch in der Kultur, da sich die Kultur in Krisenzeiten in ahistorische, „neutrale“ Gebiete von „Fähigkeiten“ verwandelt und in die Forderung, daß die zivilisierte Gesellschaft auf gewissen, aber unmeßbaren Ebenen der Bildung schreibt und liest.1 Jedoch sind Literaturwissenschaftler weder durch ihre Ausbildung noch durch Neigung darauf vorbereitet, Bildung als einen Aspekt der sozialen Geschichte der Kunst zu behandeln; sie sind nur wenig darauf vorbereitet, die gewöhnlichen Mythen, die hinter den kulturellen Forderungen nach einer gebildeten Bevölkerung stehen, in Frage zu stellen oder ihnen auf den Grund zu gehen. Der Versuch, das formalistische Erbe der Literaturanalyse beim Unterricht in Lesen und Schreiben anzuwenden, legt nahe, daß die Literaturkritik an der „Heilung“ sozialer Probleme teilnehmen kann.

Erst das Sprechen, das die Schrift in sich aufhebt, befreit die menschliche Rede von der Lüge, sie sei schon menschlich. Theodor W. Adorno

Seine Erschöpfung ist die eines Gladiators nach dem Kampf, seine Tätigkeit war ein Übertünchen der Ecke seines Büros. Franz Kafka

Ich setze im ganzen Artikel voraus, daß Bürokratie sowohl soziale Ausübung als auch intellektuelle Aktivität ist, die der kapitalistischen Produktionsweise auf einem gewissen Stadium der Organisation entspricht, wo der Staat sich selbst durch Verfahren und Totalität reproduziert. Seine universellen Tendenzen sind die Erscheinungsformen bürokratischer Äußerungen, und im Reich sozialer und politischer Bedürfnisse verhüllen diese Tendenzen den Kampf. Im Reich kultureller Schöpfungen ist „Bildung“ eine Form imaginärer Ausübung, und bürokratische Kritik beherrscht diese Ausübung, indem sie dem Kampf und der Kritik eine Aura von Pädagogik und Schauspiel verleiht. (Vgl. meinen Artikel „The Literacy of the Spectracle: The Legacy of Walter Benjamin and the Production of Performance“, für Open Letter, Herbst 1982.)

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Literatur

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Stanley Diamond Wolf-Dieter Narr Rolf Homann

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© 1985 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen

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Zaslove, J. (1985). Einbahnstraße. In: Diamond, S., Narr, WD., Homann, R. (eds) Bürokratie als Schicksal?. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-89401-4_7

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-89401-4_7

  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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