Zusammenfassung
Die Psychologie des Unbewußten als Politische Psychologie (mit Betonung auf dem Politischen) — dies scheint entweder ein Mißverständnis oder eine Anmaßung zu sein. Denn es hat sich ja inzwischen längst herumgesprochen, daß die Freudsche Psychoanalyse — Erbin der transzendentalphilosophischen Naturphilosophie (vgl. Marquard, 1987) — von Beginn an als vor-und unpolitische Wissenschaft vom unbewußten Seelenleben auf die Bühne der europäischen Moderne trat. In Freuds riesigem Werk finden sich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, keinerlei bzw. höchst marginale Hinweise und Bezüge zu jenen politischen Themen, die seine Zeitgenossen und die zeitgenössischen Sozialwissenschaften — denken wir nur an Männer wie Max Weber, Ernst Troeltsch und Werner Sombart — bewegten. Freuds politische Abstinenz, gleichermaßen für seine Person wie für sein Werk geltend, liegt offen zutage, und sie durchdringt sein verzweigtes Oeuvre bis in die letzten Verästelungen. Im Zentrum von Freuds Denken steht das Unbewußte, also jene tiefste Schicht des Seelenlebens, die durch Zensur, Verdrängung und Amnesie dem Bewußtsein entzogen worden ist und aufgrund solcher erinnerungs-und bewußtseinsunfähiger Stillstellung ein gleichsam mythologisches und zeitloses Dasein führt. „Im Unbewußten sedimentiert sich, was immer im Subjekt nicht mitkommt, was die Zeche von Fortschritt und Aufklärung zu bezahlen hat. Der Rückstand wird zum Zeitlosen’.“ (Adorno, 1955, S. 61)
„Wir sind ihm Dank schuldig, weil er uns offen und ohne Umschweife gesagt hat, wie die Menschen gewöhnlich handeln, und nicht, wie sie handeln sollen.“
(Francis Bacon über Machiavelli)
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Literatur
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Lohmann, HM. (1988). „Die Stimme des Intellekts ist leise. . .“. In: König, H. (eds) Politische Psychologie heute. Leviathan, vol 9. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-88765-8_4
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