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Luhmanns analogisch-synthetisierender Theorietransfer

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Probleme sozio-ökologischer Systemtheorie

Part of the book series: Studien zur Sozialwissenschaft ((SZS,volume 129))

Zusammenfassung

Im Theoriekonglomerat der Allgemeinen Systemtheorie, die Anfang der 50er Jahre von Ludwig v. Bertalanffy begründet wurde, findet sich der konzeptionelle Hintergrund für tragende Modelle des Luhmannschen Funktionalismus. Das Feld der Allgemeinen Systemtheorie lag zunächst auf dem Gebiet von Kybernetik und Biologie. Sie besteht kurz gesagt in einer Verbindung von Modellen der Thermodynamik und Kybernetik und entwickelte sich vom Modell des offenen Systems über Gleichgewichts- und Regulationsmodellezu Selbstorganisationskonzepten wie z.B. dem vom Chemiker Ilya Prigogine vertretenen Prinzip der dissipativen Strukturen — der ‘Ordnung aus dem Chaos’ 120 — und dem von den Biologen Humberto Maturana und Francisco Varela konzipierten Organismus- Modell der ‘Autopoiesis’. Luhmann benutzt die Konzepte der allgemeinen System- und Evolutionstheorie als Matrizen zur Herstellung seiner soziologischen Kategorien, als da sind: Evolution, Reduktion von Komplexität, System/UmweltParadigma, doppelte Kontingenz und — last not least — Selbstreferenz/Autopoiesis. Dies wirft grundlegende Fragen der Gültigkeit sozialwissenschaftlicher Theorieimporte auf, die den Zusammenhang der Dualität natur- und geistes-/sozialwissenschaftlicher Theorienbildung nicht nur tangieren, da sie sich auch im Zentrum der Auseinandersetzungen um die Grundlagen der sozialwissenschaftlichen Theoriebildung befinden.

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Litetatur

  1. Prigogine, Stengers 19812, ders. 19854, und ders., Grégoire Nicolis, Die Erforschung des Komplexen, München, Zürich 1987.

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  2. Einen Überblick verbunden mit einer Bestandsaufnahme verschafft K.O. Apel, Die Erklären: Verstehen-Kontroverse in transzendentalpragmatischer Sicht, Ffm. 1979;

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  3. auch Habermas 1981 Bd.1., S.160ff.

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  4. W. Dilthey, Einleitung in die Geisteswissenschaften, Gesammelte Schriften Bd.1, Leipzig, Berlin 19232.

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  5. W. Windelband, Geschichte und Naturwissenschaft, Straßburg 19047.

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  6. H. Rickert, Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft, Tübingen 1899.

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  7. Den Unterschied zwischen Natur-und Geistes-/Sozialwissenschaften (gleich ‘Kulturwissenschaften’) bestimmt Windelband anhand einer methodologischen Differenz: “Die einen suchen allgemeine Gesetze, die anderen besondere geschichtliche Tatsachen: in der Sprache der formalen Logik ausgedrückt, ist das Ziel der einen das generelle, apodiktische Urteil, das der anderen der singuläre, assertorische Satz.” Er erläutert diese Vorgehensweisen im weiteren so: “(..) die Erfahrungswissenschaften suchen in der Erkenntnis des Wirklichen entweder das Allgemeine in der Form des Naturgesetzes oder das Einzelne in der geschichtlich bestimmten Gestalt; sie betrachten zu einem Teil die immer sich gleichbleibende Form, zum anderen Teil den einmaligen, in sich bestimmten Inhalt des wirklichen Geschehens. Die einen sind Gesetzeswissenschaften, die anderen Ereigniswissenschaften; jene lehren, was immer ist, diese was einmal war. Das wissenschaftliche Denken ist - wenn man neue Kunstausdrücke bilden darf, in dem einen Falle nomothetisch, in dem anderen ideographisch.” (Windelband 1904, S.11f.)

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  8. Max Webers Fundierung einer ‘verstehenden Soziologie’ schließt an diese Differenz an, was sich schon am Stellenwert des Sinnbegriffs zeigt. Allerdings wird dieser kategorial mit Hilfe der Bindung an das Subjekt mit dem Handlungsbegriff so verbunden, daß er sowohl zur Voraussetzung sozialen Handelns wie auch zur Voraussetzung des Verstehens sozialen Handelns wird und damit zur Basis jedweden sozialwissenschaftlichen Erklären. Webers Verständnis der Soziologie überbrückt damit die Differenz, die dem Neukantianismus als logisch fundamentale, also nicht weiter auflösbare galt, indem er ausführt, daß Soziologie eine Wissenschaft heißen soll, “welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will.” (Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 1972, S. 1 )

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  9. Lewis Mumford, Mythos der Maschine - Kultur, Technik und Macht, Ffm. 1977.

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  10. Theodor W. Adorno (Hrsg.), Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie, Darmstadt, Neuwied 1972; Ernst Topitsch (Hrsg.), Logik der Sozialwissenschaften, Königstein/Ts. 19801°; Jürgen Habermas, Zur Logik der Sozialwissenschaften, Ffm. 1970.

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  11. Wenn man das alternative ‘oder’ nicht als bloße rhetorische Figur versteht, drückt schon der Titel ‘Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie?’ implizit die Zweifel aus, ob von einer Luhmannschen Theorie der Gesellschaft überhaupt die Rede sein kann. Luhmanns Anspruch, Gesellschaft im ganzen begreifen zu wollen, wird von Habermas aber ausdrücklich anerkannt;

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  12. Jürgen Habermas, [Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie? - Eine Auseinandersetzung mit Niklas Luhmann], in: ders., Niklas Luhmann, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie, Ffm. 1971, S. 142. Es geht also wohl mehr um die Markierung einer Differenz zwischen dem Anspruch, kritische Theorie der Gesellschaft oder konventionelle Theorie der Gesellschaft zu sein. Damit verbunden, aber oft unterschwellig, wirkt der Gedanke, daß Kritik und Sozialtechnologie fundamentale Gegensätze seien. Praxisrelevanz und kritische Kritik müssen aber keine Gegensätze sein. Insofern sollte - denke ich - auch eine gesellschaftskritisch angelegte Theorie sozialtechnologische oder besser -reformerische Funktionen erfüllen können, will sie nicht lediglich fundamentaloppositionell habituieren. Zu vermuten ist, daß das große Interesse, welches Luhmanns Theorien entgegengebracht wird, hier seine Grundlagen hat. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Ulrich Beck, Wolfgang Bonß, Weder Sozialtechnologie noch Aufklärung?: Analysen zur Verwendung sozialwissenschaftlichen Wissens, Ffm. 1989.

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  13. Habermas, [Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie? - Eine Auseinandersetzung mit Niklas Luhmann], in: Habermas, Luhmann 1971, S. 142f.

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  14. auch Bernard Willms, System und Subjekt oder die politische Antinomie der Gesellschaftstheorie - Politiktheoretische Überlegungen zum Gegensatz Habermas-Luhmann, in: Franz Maciejewski (Hrsg.), Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie - Beiträge zur Habermas-Luhmann Diskussion, Ffm. 1973, S.43–77, besonders S.43f., sowie ders., Niklas Luhmanns Funktionalismus und das Problem der Demokratietheorie, in: ders., Funktion, Rolle, Institution, Düsseldorf 1971, S.11–40. Ähnliche Einschätzungen überwiegen auch bei anderen Autoren, bei Link/Marx werden sogar die funktionale Systemtheorie und der Marxismus “als die heute wohl einzigen allgemeinen Theorien der Gesellschaft” (Jochen Link, Krimhilde Marx, Das Problem der Systemtheorie - Der Ansatz von Niklas Luhmann und seine politischen Folgen, Gießen 1975, S.3) bezeichnet. Ziemlich eindeutig beruhen solche Einschätzungen im wesentlichen darauf, daß hier der Luhmannsche Anspruch allgemeiner Theorie gewürdigt werden soll, vor allem in Abwehr gegen Bindestrich-Soziologien und ‘middle-range’-Theorien und angesichts des Ideologieverdachts gegen umfassende Gesellschaftstheorien überhaupt, der innerhalb des Positivismusstreites deutlich zu Tage trat.

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  15. Jürgen Habermas, Technik und Wissenschaft als ‘Ideologie’, Ffm. 1968, S.146ff., sowie ders., Erkenntnis und Interesse, Ffm. 1973. Grundlegend erfolgte die Habermas’sche Ausarbeitung dieser Position im Zuge einer umfassenden Analyse positivistischen Gedankenguts im Kontext des Zusammenhanges erkenntnis-und gesellschaftstheoretischer Kernfragen und Denkmodelle. In Konsequenz seiner Analyse von ‘Erkenntnis und Interesse’ postuliert Habermas für die Sozialwissenschaften die Verfolgung eines emanzipatorischen Erkenntnisinteresses, das diesen einen Freiraum bzw. eine besondere Stellung zwischen den praktischen und hermeneutischen Erkenntnisinteressen von Geistes-und Naturwissenschaften sichern soll.

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  16. Im Sinne einer grundlegenden Getrenntheit zweier Arten von Rationalität statt Formen besonderer Ausprägung innerhalb gesellschaftlicher Entwicklungen; näheres vgl. Habermas 1981, Bd.1, S.28ff. Zur Kritik an dieser anthropologisierenden Rationalitätskritik vgl. Axel Honneth, H. Joas, Kommunikatives Handeln, Ffm. 1986.

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  17. Arno Bammé, Wenn aus Chaos Ordnung wird - Die Herausforderung der Sozialwissenschaften durch die Naturwissenschaftler, in: Soziologie 1986/2, S.117ff.

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  18. Am deutlichsten kommt dieser Wandel des Charakters der Naturwissenschaften m.E. im Bild des ‘Dialogs mit der Natur’ zum Ausdruck, mit dem Prigogine seine Ausführungen auf den Punkt bringt: “Jede große Epoche der Wissenschaft hat ein bestimmtes Modell der Natur entwickelt. Für die klassische Wissenschaft war es die Uhr, für die Wissenschaft des 19.Jahrhunderts, der Epoche der industriellen Revolution, war es ein Motor, der irgendwann nicht mehr weiterläuft. Was könnte für uns ein Symbol sein? Wir stehen vielleicht den Vorstellungen Platons näher, der die Natur mit einem Kunstwerk verglich. Statt die Wissenschaft durch den Gegensatz zwischen Mensch und Natur zu definieren, sehen wir in der Wissenschaft eher eine Kommunikation mit der Natur.” ( Prigogine, Stengers 1981, S. 29 )

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  19. Früher als Luhmann hat Hejl einen Versuch der Umsetzung der Theorie selbstreferentieller Systeme auf die Sozialwissenschaften unternommen;

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  20. Peter M. Hejl, Sozialwissenschaft als Theorie selbstreferentieller Systeme, Ffm., N.Y. 1982. Seine Ausführungen sind aber deutlich auf organisationssoziologische Forschungsperspektiven zugeschnitten, erreichen also nicht den Abstraktions-und Allgemeinheitsgrad, wie er für Luhmanns Umsetzung innovativer Bewegungen aus den Natur-und Systemwissenschaften kennzeichnend ist.

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  21. Dies fordert natürlich auch polemische Bemerkungen heraus, deren inhaltliche Treffsicherheit durch längere Umschreibungen nicht erreicht werden könnte. Deshalb schließe ich mich Claude Lévi-Strauss an, der angesichts solcher Tendenzen eine ernste Gefahr darin sieht, “den Fortschritt der Erkenntnis mit der wachsenden Komplexität der Geisteskonstruktionen zu verwechseln.” (Claude Lévi-Strauss, Traurige Tropen, Ffm. 1978, S. 44 )

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  22. So lautet jedenfalls die allgemeine, weit verbreitete Auffassung unter Biologen/Naturwissenschaftlern die (Un-)Kompliziertheit der Theorien Darwins betreffend, vgl. etwa auch Gould 1984, S.7.

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  23. Näheres vgl. S. Moser, Grundbegriffe der Naturphilosophie bei Wilhelm von Ockham, Innsbruck 1932.

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  24. Karl R. Popper, Logik der Forschung, Tübingen 1982’, S.97ff., besonders S.100f.

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  25. Dieser Aphorismus wurde mir am Rande eines Seminars nachts um 2 Uhr an der Bar von Schloß Ehringerfeld zugespielt (Danke!). Den Sinnspruch konnte ich mir merken, der Autor ist mir leider entfallen. Er kann aber auch ohne Zitation einer Fachautorität bleiben, denn er steht für sich, - ich fürchte bloß seinem Inhalt nicht immer gerecht werden zu können.

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  26. auch J. Friedrich, Soziologie und Kybernetik - Zum Verhältnis von Naturwissenschaften, Sozialwissenschaften und Systemwissenschaften, Ffm., Bern, Cirencester 1980, S.65ff. und 93ff., der in der mangelnden Abstraktionsleistung solcher reduktionistischen Ansätze den Grund für die fehlende Ablösung von objektwissenschaftlichen Beständen der Ausgangsdisziplin sieht, und der damit diesen Faktor für die inhaltliche Unangemessenheit einer Anwendung dieser Theorien im Bereich der Sozialwissenschaften verantwortlich macht.

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  27. Ich folge hier Friedrich, der die Position bezieht, “daß sowohl gegenüber der Allgemeinen Systemtheorie wie auch gegenüber der Kybernetik die Behauptung eines naturalistischen Reduktionismus historisch nicht begründbar ist.” (Friedrich 1980, S.113f.) Im weiteren halte ich es für einen fatalen Irrtum, von der vermeintlichen Basis eines naturalistischen Reduktionismus sozialwissenschaftlicher Umsetzungen der allgemeinen Systemtheorie auf eine prinzipielle ideologische Bomiertheit gesellschaftswissenschaftlicher Systemtheorien zu schließen - er ist fatal, da er die konservative Präokkupation dieser Theoriestrategie zementiert und darüberhinaus die eigene Theorieentwicklung von den sich bietenden Möglichkeiten transdisziplinärer Querschnittswissenschaften abschneidet.

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  28. in dem hier verfolgten Zusammenhang besonders William K. Kapp, Erneuerung der Sozialwissenschaften - Ein Versuch zur Integration und Humanisierung, Ffm. 1983, und Friedrich 1980, besonders S.15ff. daneben auch Helmut Willke, Systemtheorie und Handlungstheorie -Bemerkungen zum Verhältnis von Aggregation und Emergenz, in: ZfS 7, 1978/4, S.380–389.

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  29. In recht einfache Worte gekleidet faßt Kapp dies so: “Obwohl anorganische Materie, lebende Organismen und menschliche Gesellschaft zutiefst miteinander verbunden sind, müssen sie dennoch als im Wesen verschiedene und gesonderte Organisationsebenen betrachtet werden. Zwar besteht zwischen diesen Strukturen sowohl im Sinne der Evolution als auch in dem Sinne, daß die soziale Struktur die beiden anderen umfaßt (die organische ‘umfaßt’ die anorganische), ein ständiger Zusammenhang, zugleich aber weisen sie qualitative Unterschiede auf und sind durch verschiedene Grade an Komplexität gekennzeichnet.” (Kapp 1983, S.85)

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  30. Von Lorenz, wie auch von manchen anderen ihm auf dem Weg der evolutionären Erkenntnistheorie folgenden Autoren wie z.B. Riedl, wird diese Denkfigur auch mit dem Begriff der Fulguration belegt - gemeint ist aber inhaltlich dasselbe;

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  31. Konrad Lorenz, Die Rückseite des Spiegels - Versuch einer Naturgeschichte menschlichen Erkennens, München 1973, S. 47f.

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  32. Mit Hilfe der Konzeption einer Stufenleiter ‘spezifischer Entwicklungsformen der Materie’, also einer diskontinuierlichen Anordnung der Bewegungsgesetzmäßigkeiten von atomaren und subatomaren Teil- chen, von chemischen Elementen, Molekülen und Verbindungen, von organischem Leben und schließlich der Sozialität menschlicher Gesellschaften, längs einer kosmologischen Entwicklungsachse zunehmender Komplexität, versucht Friedrich auf Grundlage der Vorstellungen des dialektischen Materialismus eine objektivierende Abgrenzung und Klassifikation der Wissenschaften im Zusammenhang einer Bearbeitung von Problemen des Theorientransfers durchzuführen und zu begründen. Hiernach sind die wissenschaftlichen Theorien der verschiedenen Disziplinen insofern nicht übertragbar, als sie objektbereichsspezifische Erkenntnisse formulieren, werden es aber in dem Maße, wie sie sich mittels zunehmender Abstraktion von den spezifischen Gegenstandsfeldern ablösen und sich in Richtung der Erfassung des kosmologischen Universalprozesses bewegen, der das Allgemeine darstellt, welches sich in besonderer Weise in den verschiedenen Organisationsebenen materieller Komplexität niederschlägt. Generell steht so einer Anwendung kybernetischer Systemtheorien auf die Sozialwissenschaften nichts entgegen - allerdings ist die spezifische Erkenntnissituation derselben, wie sie durch die Involvierung des Subjekts in ihren Gegenstandsbereich gegeben ist, zu berücksichtigen;

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  33. Friedrich 1980, S.25ff.

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  34. So etwa sehr massiv im Zusammenhang der neueren Soziobiologie die Erklärung altruistischen (tierischen und menschlichen) Sozialverhaltens in Rekurs auf den ‘Egoismus’ der Gene unter Zuhilfenahme genetisch erfaßter Verwandtschaftsverhältnisse. Vgl. grundlegend dazu Edward O. Wilson, Sociobiology - the new synthesis, Harward U.P. 1976; R. Dawkins, Das egoistische Gen, Berlin 1978; sowie Krebs, Davies 1984. Im Zusammenhang der Friedens-und Konfliktforschung ist hier auch die Problematisierung kriegerischen Sozialverhaltens unter Rekurs auf die biotische Disposition zur Aggressivität zu nennen;

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  35. Konrad Lorenz, Das sogenannte Böse - Zur Naturgeschichte der Aggression, München 19807. Siehe dazu auch Irenäus Eibl-Eibesfeldt, Der vorprogrammierte Mensch - Das Ererbte als bestimmender Faktor im menschlichen Verhalten, München 19824. Zur Kritik vgl. im allgemeinen Erich Fromm, Anatomie der menschlichen Destruktivität, Reinbek bei Hamburg 1977, und im besonderen Gerhard Roth (Hrsg.), Kritik der Verhaltensforschung - Konrad Lorenz und seine Schule, München 1974, sowie Jost Herbig, Im Anfang war das Wort - Die Evolution des Menschlichen, München 1986.

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  36. Ausführliche Informationen und begriffliche Erläuterungen bietet in Verbindung mit einer erkenntnistheoretischen Einschätzung der Problematik von Analogieschlüssen Hans Jörg Sandkühler (Hrsg.), Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften, 4 Bde., Hamburg 1990, hier: Bd.1, S.101ff.

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  37. auch K.W. Deutsch, Mechanism, Organism and Society. Some Models in Natural and Social Science, in: Philosophy of Science, Vol.18, 1951/No.3, S.232ff.

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  38. Luhmann 1984, S.16ff. An dieser Stelle erscheint es mir unerläßlich Luhmann selbst ausführlich zu Wort kommen zu lassen: “Die moderne Systemtheorie hat zwei Vorfahren: den Begriff des Organismus und den Begriff der Maschine. Ihre wichtigsten Anregungen verdankt sie den Auflösungsprozessen, welche die klassischen Modelle des beseelten Organismus und der mechanischen Maschine zersetzt und umgebildet haben. Der Organismus ist für die heutige Biologie nicht mehr ein beseeltes Wesen, dessen Seelenkräfte die Teile zu einem Ganzen integrieren, sondern ein adaptives System, das auf wechselnde Umweltbedingungen und -ereignisse durch Einsatz eigener Leistungen sinnvoll kompensierend, substituierend, blockierend oder ergänzend reagiert, um auf diese Weise die eigene Struktur invariant zu halten (Homöostatik). Die Maschine wird heute zunehmend nicht einfach als Mittel zu einem spezifischen Produktionszweck, sondern als Selbststeuerungsanlage konstruiert, die auf wechselnde Umweltinformationen nach eingegebenen Programmen mit wechselnden Leistungen reagiert, um auf diese Weise nicht ein immer gleiches Produkt herzustellen, sondern darüber hinaus abstrakter konzipierte Zwecke unter veränderlichen Bedingungen gleichmäßig zu bedienen (Kybernetik). So bekannt diese Umdeutungen der traditionellen Konzeptionen sind, so selten wird nach ihrer gemeinsamen Wurzel gegraben. Die alten Begriffe von Organismus und Maschine sind aus der ontologischen Systemvorstellung erwachsen. Diese sah im System die Zusammenordnung von Teilen zu einem Ganzen: Aus der inneren Ordnung der Teile geht das Ganze hervor, das dank dieser Ordnung etwas anderes sei als die reine Summe der Teile. Auf diese Weise, durch interne Differenzierung, wurde die ontologische Grundfrage nach dem Sein des Seienden, nach der Substanz, scheinbar beantwortet, in Wahrheit jedoch nur verdunkelt. Der ontologische Status des Systems selbst konnte ungeklärt bleiben, weil die Teile als Elemente oder Atome die Substantialität des Ganzen zu garantieren schienen. Die Frage, wie dies möglich sei, fixierte die Aufmerksamkeit und lenkte sie auf die interne Ordnung des Systems. Deren Rationalität war das Problem. Die Umwelt des Systems wurde ignoriert oder lediglich als interne Ordnung eines umfassenden Systems gesehen. Diese Isolierung des Systems auf sich selbst muß unter dem wachsenden Druck des empirischen Interesses aufgegeben werden. Empirisch zu beobachten sind soziale Systeme nur, wenn man sie als Handlungssysteme vorstellt. Das zwingt dazu, den Systembegriff von der rein kategorialen Ebene herunterzuholen. Damit zugleich drängt sich die Relevanz der Umwelt für das System auf - wenn auch die funktionale Forschung, weil sie dafür keine Theorie besaß, ihre bisherigen Erfolge vornehmlich auf Gebieten errungen hat, wo sie die Umwelt mit gewissem Recht vernachlässigen konnte: Inselkulturen, kleine Gruppen, organisierte Betriebe. Die funktionale Systemtheorie, die in der Sozialwissenschaft, aber auch in der neueren Biologie, in der Technik automatischer Regelungssysteme und in der psychologischen Persönlichkeitstheorie ans Licht drängt, ist von ontologischen Prämissen her nicht mehr zu verstehen. Für sie gilt Stabilität nicht mehr als das eigentliche Wesen eines Systems, das andere Möglichkeiten ausschließt; sondern die Stabilisierung eines Systems wird als Problem aufgefaßt, das angesichts einer wechselhaften, unabhängig vom System sich ändernden, rücksichtslosen Umwelt zu lösen ist und deshalb eine laufende Orientierung an anderen Möglichkeiten unentbehrlich macht. So ist Stabilität nicht mehr als unveränderliche Substanz zu begreifen, sondern als eine Relation zwischen System und Umwelt, als relative Invarianz der Systemstruktur und der Systemgrenzen gegenüber einer veränderlichen Umwelt. Die Erhaltung einer relativen Indifferenz gegenüber Umweltbedingungen, einer distanzierten Autonomie und einer reaktionsbeweglichen Elastizität, die unvermeidbare Umwelteinwirkungen kompensieren kann, das sind die wichtigsten Systemleistungen, deren Untersuchung Gegenstand der funktionalen Forschung ist.” (Niklas Luhmann, Soziologische Aufklärung Bd.1 - Aufsätze zur Theorie sozialer Systeme, [Funktionale Methode und Systemtheorie], Opladen 1974°, S.38f.)

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  39. Luhmann 1984, S.86f. u.a. Die klassische Formulierung des Bestandsproblems bezogen auf die Kontinuität der Identität eines Systems (wie sie z.B. noch Parsons Latenz-Funktion zugrunde liegt) wird von Luhmann zunächst von der Frage einer invarianten Identität des Systems abgekoppelt und auf das Problem der Erhaltung strukturierter Komplexität durch Reduktion von Komplexität bezogen und unter der Leitvorstellung der Autopoiese verschoben auf die Reproduktion der Elemente, so daß das existentielle Bestandsproblem eines jeden Systems nun als Kontrolle der Bedingungen der Fortsetzung der Reproduktion seiner Elemente gefaßt werden kann; denn gelingt dies nicht und bricht die Selbstreproduktion der Elemente ab, so zerfällt das System.’

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  40. Niklas Luhmann, Die Wirtschaft der Gesellschaft, Ffm. 1988a, S.52, näheres vgl. auch ebd. S. 49f.

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  41. Condorcet ist der vielleicht früheste Vertreter dieser Richtung, hat jedenfalls den grundlegenden Gedanken m.E. in reinster Form ausgesprochen, weshalb ich auch hier auf ihn anspiele;

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  42. Condorcet, Entwurf einer historischen Darstellung der Fortschritte des menschlichen Geistes, (original: Esquisse d’un tableau historique des progrès de l’esprit humain, Paris 1794), hrsg. und übersetzt v. Wilhelm Alff, Ffm. 1976. Prototypisch ist auch Comtes Dreistadiengesetz, da mit Hilfe des Modells der exakten Naturwissenschaften eine Rekonstruktion der Menschheitsgeschichte erfolgt;

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  43. Auguste Comte, Rede über den Geist des Positivismus/Discours sur l’Esprit Positif, dt.-frz. Ausgabe, hrsg. v. Iring Fetscher, Hamburg 19662. Auf einer anderen Linie argumentiert Hegel, der den Versuch unternimmt, den Verlauf der Gattungsgeschichte als Objektivation des Voranschreitens menschlichen Geistes zu interpretieren, wie er in der Philosophiegeschichte auf den Begriff gebracht werden kann;

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  44. G.W.F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, Sämtliche Werke, hrsg. v. H. Glockner, Bde.1–26, Stuttgart 1927ff., Bd.11.

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  45. Der wesentliche Unterschied dieser beiden Richtungen liegt darin, daß mit Hilfe der naturalistischen Leitvorstellung solche Phänomene gesellschaftlicher Entwicklung wie z.B. das Wachstum der kapitalistischen Industrie oder die Etablierung von verfaßten Nationalstaaten oder auch die Ausdifferenzierung arbeitsteiliger Organisationen “unmittelbar als empirische Phänomene behandelt und als Folgen der strukturellen Differenzierung von Gesellschaftssystemen begriffen werden (konnten). Sie brauchten nicht mehr nur als empirische Indikatoren für eine interne, auf Lernprozesse und Wissensakkumulation zurückgeführte Geschichte des Geistes, nicht mehr als Anzeichen für eine Rationalisierung im Sinne der Geschichtsphilosophie gedeutet zu werden.” (Habermas 1981 Bd.1, S.219) Noch einfacher ausgedrückt liegt der Unterschied darin, ob man unter der Prämisse arbeitet, daß innerhalb der Geschichte die Vernunft die wesentliche historische Kraft aller Fortentwicklungen ist, oder ob man darauf verzichtet zugunsten von primär naturalen Kräften.

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  46. Derek Freeman, The Evolutionary Theories of Charles Darwin and Herbert Spencer, in: Current Anthropology Vol.15, 1974/No.3, S.211–221.

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  47. Herbert Spencer, The Works of Herbert Spencer - A System of Synthetic Philosophy, (Reprint of the Edition 1899), Osnabrück 1966 (im folgenden zitiert als Spencer 1899, arab. Ziffer des Bandes, Titel, Seitenzahl). Nach dem Wahlspruch “Knowledge of the lowest kind is un-unified knowledge; Science is partially-unified knowledge; Philosophy is completely-unified knowledge” (Spencer 1899, Vol.1, First Principles, S.104) verbindet Spencer Wissen, Science und Philosophie. Das Wesen der Philosophie liegt für ihn in der Integration und Generalisierung der in den verschiedenen Wissenschaften erkannten Gesetzmäßigkeiten bzw. verifizierten Theorien, genauso wie es Aufgabe der verschiedenen Wissenschaften ist, eine Menge von Wissen um einzelne Fakten unter theoretisch formulierte Gesetzmäßigkeiten zu subsumieren - das Streben nach philosophischer Wahrheit ist also für Spencer gleich der Höchstleistung menschlichen Erkennens, wie sie in der maximalen Aggregation von Wissen auf letztlich ein ‘Principle zum Ausdruck kommt.

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  48. An dieser Stelle sollte die große Bedeutung der von Darwin während seiner Weltumseglung an Bord der Beagle durchgeführten Feldforschungen gerade auch im Kontrast zur früher vorherrschenden Musealisierung der Naturforschung oder dem zeitgenössischen Trend zur enzyklopädischen Arbeit hervorgehoben werden;

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  49. Ch. Darwin, Charles Darwin - Reise eines Naturforschers um die Welt, hrsg. v. J.v. Carus, Stuttgart 1875. In diesem Zusammenhang spricht André Leisewitz sogar von Darwin als einem frühen Exemplar eines neuen Forschungstyps;

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  50. André Leisewitz, Soziale Entwicklungsbedingungen der Darwinschen Evolutionstheorie, in: Dialektik 5, S.14–26.

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  51. Schon im ersten Satz seiner Einleitung zur ‘Origin of Species’ weist Darwin auf diese Frage hin; derart formulierte Problemstellungen finden sich in vielfältigster Weise in seinem gesamten Werk, also etwa auch in ‘The Descent of Man’;

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  52. Charles Darwin, Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl, (in der Übersetzung von Carl W. Neumann) Stuttgart 1981, sowie ders., Die Abstammung des Menschen, (Teil 1./2. in einem Bd., in der Übersetzung von J. Victor Carus) Wiesbaden 1986. Da die Probleme, die sich im Verlauf Darwins eigener Studien an Bord der Beagle ergaben, darüberhinaus symptomatisch für die mangelhaften Integrationsmöglichkeiten der Erkenntnisse der verschiedenen Zweige der biologischen Naturforschung (also vor allem Biogeographie und Paläontologie sowie Morphologie und Systematik) waren, muß von einem beträchtlichen von der empirischen Ebene her induzierten theoretischen Problemdruck ausgegangen werden, unter dem sich Darwins Theorie entwickelte und durchsetzte. Vgl. zu dieser Aussage vor allem Lefèvre 1984, der es versteht die einzelnen Probleme und Lösungsschritte derart folgerichtig auf die Entwicklung zeitgenössischen naturtheoretischen Denkens zu beziehen, daß man fast den Eindruck eines notwendigen Theoriedurchbruchs erhält.

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  53. Die zahlreichen Vergleiche der Darwinschen mit der Kopernikanischen Revolution deuten klar auf diesen beiden gemeinsamen Effekt der Dezentrierung des Weltbildes hin. Der Mensch steht nicht länger im Mittelpunkt der Welt, und da, wo Kopemikus in ‘De revolutionibus orbium coelestium’ 1543 zunächst seinen Planeten aus dem Zentrum des Universums verbannte, wird er selbst knapp 3 Jahrhunderte später in Darwins ‘Descent of Man’ 1871 von seinem Platz ober-oder außerhalb der Natur verwiesen;

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  54. Mayr 1979, S.156ff., und Peters 1972, S.326. Darwin selbst muß sich der Brisanz dieser Frage bewußt gewesen sein, denn in der’Origin of species’ (1859) wird die Frage der Abstammung des Menschen offengelassen und erst in ‘Descent of Man’ behandelt, obwohl Überzeugung und Vorarbeiten dazu schon in den 40er Jahren abgeschlossen gewesen waren. In der ‘Origin’ findet sich auf einer der letzten Seiten nur der knappe Hinweis, daß ‘in einer ferneren Zukunft ein weites Feld für noch bedeutendere Forschungen offenstehe’, “Licht wird auch fallen auf den Menschen und seine Geschichte.” (Darwin 1981, 5.676) Vgl. genau dazu auch Lefèvre 1984, S.21ff.

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  55. Die universalistische Definition von Evolution, die Spencer als physikalisch-materielles Naturgesetz versteht, lautet: “Evolution is an integration of matter and concomitant dissipation of motion during which the matter passes from an indefinite, incoherent homogeneity to a definite, coherent heterogeneity; and during which the retained motion undergoes a parallel transformation.” (Spencer 1899, Vol.1, First Principles, S.321) In einer Anmerkung fügt er noch hinzu: “The definition of Evolution needs qualifying by introduction of the word ‘relatively’ before each of its antithetical clauses.” (ebd.) Wichtig zum Verständnis dieser Formel ist Spencers erkenntnistheoretische Position, der im Viktorianischen Zeitalter gängige Agnostizismus, für den die Welt in prinzipiell Unerkennbares und sinnlich Erfahrbares, in absolutes Sein und dessen Manifestationen zerfällt;

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  56. Kellermann 1967, S.57, sowie Spencer 1899, Vold, First Principles, S. 112f. Das gesuchte Prinzip, welches in allen Manifestationen des Seins zum Ausdruck kommt, ist die Kraft (force), die für Spencer sowohl ‘noumenon’ (Ding an sich), als auch ‘phainomenon’ (Erscheinung) ist. Konkretisierungen der Kraft als der absoluten Größe sind Stoff (matter) und Bewegung (motion) als Inhalte und Zeit und Raum als Formen;

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  57. Kellermann 1967, S.58. Im weiteren leitet nun Spencer sein Evolutionsgesetz aus einzelnen Gesetzmäßigkeiten wie der ‘Indestructibility of Matter’, der ‘Continuity of Motion’, der ‘Persistance of Force’ und einigen weiteren ab, die sich nur unschwer als Umformulierungen zeitgenössischer physikalischer Sätze erkennen lassen. Am wichtigsten ist dabei die eigenwillige Umstellung von Helmholtz’ Energieerhaltungssatz, der zum Satz der ’Erhaltung der Kraft’ wird, vgl. Spencer 1899 Vol.1, First Principles, Kapitel IV, V, VI, sowie Kellermann 1976, S. 163. Da nun das obige Evolutionsprinzip Spencers die Veränderungen von Materie und Bewegung in Raum und Zeit aufeinander bezogen beschreiben kann, ist es das Prinzip, mit dem sich Wissen und Erkenntnisse aller Wirklichkeits-und Wissenschaftsbereiche integrieren lassen: Es gilt für die anorganische Evolution (Gegenstand von Astronomie/Geologie) genauso wie für die organische Evolution (Gegenstand von Biologie/Psychologie) wie auch für die superorganische Evolution (Gegenstand der Soziologie);

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  58. Spencer 1899, Vol.6, Principles of Sociology I, S.3. Die große definitorische Beliebigkeit der Spencerschen Formel ist oft kritisiert worden, am besten vielleicht in der Persiflage von William James: “Evolution is a change from a nohowish untalkaboutable all-alikeness to a somehowish and in general talkaboutable not-at-all-alikeness by continuous sticktogetherations and somethingelseifications.” (zit. nach Richard Hofstadter, Social Darwinism in American Thought, Boston 1955, S.129) Hinzuzusetzen bleibt aber, daß gerade diese begriffliche Kontingenz verbunden mit ihrem axiomatischen Charakter die weite Anwendbarkeit und vielfältig konkretere Begriffsbildung Spencers trägt, was sich nicht zuletzt daran ablesen läßt, daß sich viele Spencersche Begriffe in der Soziologie/Systemtheorie durchgesetzt haben.

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  59. Gute Darstellungen der Darwinschen Gedanken bzw. der ihm folgenden neodarwinistischen und synthetischen Evolutionstheorie bieten etwa Ernst Mayr, Evolution und die Vielfalt des Lebens, Berlin, Heidelberg, N.Y. 1979, und Franz M. Wuketits, Grundriß der Evolutionstheorie, Darmstadt 1982, sowie J. Maynard Smith, The Theory of Evolution, Harmondsworth 1975. Eine tiefgreifende Darstellung der verschiedenen Anwendungsfelder der Evolutionstheorie vor allem innerhalb der Biologie sowie auch in anderen Disziplinen (kosmische und präbiotische Evolution, kulturelle und technische Evolution) bietet der Sammelband von Rolf Siewing (Hrsg.), Evolution, Stuttgart, N.Y. 19873.

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  60. etwa Ulrich Kull, Evolution des Menschen–Biologische, soziale und kulturelle Evolution, Stuttgart 1979, S.173f.; vorgestellt wird dort das Konzept der Meme (Dawkins), die eine Art von kultureller Variations-und Selektionseinheit entsprechend den Genen darstellen sollen. Vgl. auch D.T. Campbell, Variation and Selection Retention in Socio-Cultural Evolution, in: General Systems Vol. 14, 1969, S.69–85, sowie ders., Zum Konflikt zwischen biologischer und sozialer Evolution, in: Klaus R. Scherer, Adelheid Stahnke, Paul Winkler (Hrsg.), Psychobiologie–Wegweisende Texte der Verhaltensforschung von Darwin bis zur Gegenwart, München 1987, S. 414–434.

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  61. Der Evolutionsgedanke Spencers ist aufs engste verbunden mit seiner Auffassung der Gesellschaft anhand der Organismusanalogie, denn Integration und Differenzierung als die grundlegenden Phänomene der universellen Evolution zeigen sich sowohl als Wachstum und Differenzierung in der Entwicklung des Organismus wie auch in der struktur-funktionalen Komplexitätssteigerung und Differenzierung von Gesellschaften. Zusammenfassend lassen sich folgende Punkte der Spencerschen Organismus-Gesellschafts-Analogie auflisten:

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  62. Gesellschaften zeigen Wachstumserscheinungen;

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  63. Sie bilden strukturelle Differenzierungen aus;

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  64. Im Zuge struktureller und funktionaler Ausdifferenzierung wird eine wechselseitige Abhängigkeit der verschiedenen Teile hinsichtlich ihrer Leistungen aufgebaut;

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  65. Jeder mehrzellige Organismus ist selbst eine Gesellschaft oder ein soziales System;

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  66. Die Einheiten eines individuellen oder sozialen Organismus leben eine Zeit lang weiter, auch wenn der Gesamtorganismus stirbt bzw. zerfällt;

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  67. Umgekehrt überdauern die Ganzheiten eines individuellen oder sozialen Organismus das Leben ihrer einzelnen Einheiten/Elemente, wenn sie nicht zerstört werden;

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  68. B. Obwohl die Organisation einerseits kontinuierlich, andererseits diskret ist, ist die

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  69. gesetzmäßige Grundlage der Organisation die gleiche: Die erforderliche wechselseitige Beeinflussung der Elemente/Teile zum Zwecke der Koordination erfolgt in Organismen direkt (über physikochemische Interaktion), in Gesellschaften hingegen indirekt über sprachliche Kommunikation. Vgl. Spencer 1899, Vol.6, Principles of Soziology I, S. 450.

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  70. Auch die evolutionäre Stufenleiter Spencers, die aus einer Sequenz primitiver, militärischer und industrieller Vergesellschaftungstypen besteht, zeigt die zentrale Stellung der Organismus-Analogie, denn sie arbeitet vor allem anhand verschiedener Formen der Differenzierung und Integration sowie differierender Muster der sozialen Kontrolle. Eine Übersicht bietet etwa Gabor Kiss, Einführung in die soziologischen Theorien, 2 Bde., Reinbek b. Hamburg 1976, Bd. I, S. 261.

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  71. Diese Einschätzung scheint dem betont liberalistischen Habitus Spencers zuwiderzulaufen, und tatsächlich könnte man geneigt sein, von einem unvermittelten Gegensatz von individualistischen und organizistischen Denkweisen in Spencers Werk zu sprechen. Dem ist allerdings nicht so, denn die liberalistischen Überzeugungen Spencers werden von ihm seiner organizistischen Auffassung in spezifischer Weise - nämlich über die soziale Evolution - untergeordnet. Dies zeigt sich etwa in der Interpretation Kellermanns, der festhält, “daß Spencer wegen seiner politisch-weltanschaulichen Überzeugung primär das Individuum und nicht die Gesellschaft zum Ausgangspunkt seiner sozialwissenschaftlichen Erklärungen machte; zweitens läßt sich sagen, daß Spencer damit (..) eher psychologisierend als soziologisch verfährt und daß er nicht wegen der Verwendung des biologischen Organismus in struktureller Analogie zur Gesellschaft Organizist genannt werden kann, wohl aber wegen seiner evolutionistischen Gleichsetzung der ontogenetischen Entfaltung des Organismus mit der phylogenetischen Entfaltung von Gesellschaften.” (Kellermann 1976, S.172f.) Deutlicher wird Spencers Verknüpfung von individualistischem und organizistischem Denken aber von Jonas aufgezeigt: “Nachdem die große klassische Tradition - die die wechselseitige Abhängigkeit der Menschen aus den Institutionen und Werten der bürgerlichen Gesellschaft zu erklären versucht hatte - zu einem utilitaristischen Atomismus degeneriert war, greift Spencer auf die Biologie zurück, um gegenüber dem Atomismus die funktionale Einheit der Gesellschaft zu betonen. Sein Buch ‘Social Statics’ erscheint 1850, neun Jahre vor dem Buch von Darwin, und vertritt grundsätzlich die These von Lamarck. Die Gesellschaft ist ein Organismus, dessen Entwicklung aus dem Streben nach innerem und äußerem Gleichgewicht zu erklären ist, ein Streben, das für die einzelnen Elemente sich als Kampf um das Dasein darstellt. Diese Idee des Daseinskampfes war zuerst von Malthus mit aller Härte auf das Gebiet der Sozialökonomie angewendet worden. Der Utilitarismus hatte aus ihr eine flache Harmonievorstellung entwickelt dergestalt, daß der Tüchtigste mit seinem Erfolg zugleich auch die Gesamtsumme des menschlichen Glücks vermehre. Bei Spencer wird diese Idee verbunden mit der Vorstellung, daß der Kampf um das Dasein die eigentliche Bedeutung habe, den gesellschaftlichen Gesamtorganismus weiterzuentwickeln. Die psychologischen Motive (..) sind bei Spencer nicht mehr Selbstzweck wie im Utilitarismus, sondern Mittel, mit dem sich der Hyperorganismus der Gesellschaft im Gleichgewicht erhält und voranschreitet: ‘Organic and social evolutions conform to the same law’(..).” (Friedrich Jonas, Geschichte der Soziologie, Reinbek b. Hamburg 1968, Bd.II, S.89f.)

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  72. So betont etwa Kellermann, daß Spencers außerordentlicher Einfluß auf die frühe amerikanische Soziologie schon daran abzulesen ist, daß “drei der vier Grundsätze soziologischen Arbeitens, auf welche sich die Mitglieder der ‘American Sociological Society% 1906 einigten, deutlich auf Spencer verweisen, der übrige (Punkt 3) auf Comte: ‘1. Es ist die Aufgabe der Soziologie, wissenschaftliche Gesetze über das menschliche Verhalten aufzustellen, die den unveränderlichen Naturgesetzen in der physikalischen und organischen Welt entsprechen.’; ‘2. Sozialer Wandel ist gleichzusetzen mit der ’sozialen Evolution’ und ist als Fortschritt aufzufassen, der zu einer besseren Gesellschaftsordnung führe; ’3. Diese Aufwärtsentwicklung kann durch ständiger Besserung dienende Eingriffe im Sinne des Meliorismus, durch Kenntnis der soziologischen Gesetze beschleunigt werden.’; ’4. Das soziale Verhalten und die Gesellschaft beruhen auf dem individuellen Verhalten und sind aus diesem abzuleiten.”’ (Kellermann 1976, S.192f.)

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  73. Daß Parsons’ eigene Position zu Spencer ambivalent ist, zeigt schon, daß er ihn zugunsten eines funktionalistisch-handlungstheoretischen Ansatzes in seinem ‘The Structure of Social Action’ programmatisch für tot erklärt, ihn aber später im Zuge des Wiederaufgreifens evolutionären Gedankenguts reanimiert hat. Unabhängig davon verweisen solche Grundbegriffe der Parsons’schen Soziologie wie ‘Struktur’, ‘Funktion’,’ Integration’, ’Adaptation’, ’Differenzierung’ oder ’Gleichgewicht’ und schließlich auch ’Evolution’ eindeutig auf Spencer;

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  74. Kellermann 1976, S.194.

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  75. Der Artbegriff wird von Darwin faktisch aufgelöst, jedenfalls die Vorstellung einer konstanten Wesenseinheit ersetzt zugunsten eines nur temporär als Einheit bestimmbaren Komplexes an Merkmalen. Die damit erreichte Temporalisierung und Flexibilisierung des Artbegriffs räumt ein wesentliches Hindernis der theoretischen Fassung organischer Evolutionsprozesse beiseite;

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  76. E. Mayr, Artbegriff und Evolution, Berlin 1967, sowie Lefèvre 1984, S. 21f.

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  77. auch Mayr 1979, S.34ff., S.230ff.

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  78. Zum Begriff vgl. Marshall D. Sahlins, Evolution: Specific and General, in: ders., Elman R. Service, Evolution and Culture, Ann Arbor 1960, S.12–44. Den Komplementärbegriff der spezifischen Evolution ersetze ich hier durch multiple Evolution, um den Aspekt der Pluralität spezifischer Linien hervorzuheben. Dadurch soll auch die Bedeutung, in der das Begriffspaar hier verwendet wird, von Sahlins abgehoben werden, dem es in erster Linie um den Umfang der Geltungsansprüche von Theorien soziokultureller Evolution geht, wo es mir um teleologisch gefaßte Universalprozesse oder Offenheit der Entwicklungsmöglichkeiten geht. Vgl. auch Klaus Eder, Komplexität, Evolution und Geschichte, in: Maciejewski 1973, S.9–42, der das Begriffspaar in einer anderen Variante verwendet, um allgemeine ökonomische von speziellen kulturellen Faktoren zu unterscheiden. Zur Entwicklung der Diskussion um den Evolutionsgedanken in der Kulturanthropologie vgl. A. Kardiner, E. Preble, Wegbereiter der modernen Anthropologie, Ffm. 1974, sowie Rüdiger Schott, Der Entwicklungsgedanke in der modernen Ethnologie, in: Saeculum 1961/12, S.61–122.

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  79. Näheres dazu vgl. Habermas 1976, [Einleitung: Historischer Materialismus und die Entwicklung normativer Strukturen], S.25f., und ders., (Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie?..), in: Habermas, Luhmann 1971, S.150f., sowie Luhmann 1974, [Funktion und Kausalität], S.18f.

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  80. T. Parsons, Das Problem des Strukturwandels: eine theoretische Skizze, in: Zapf 19794, S.35–54.

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  81. Zum markanten Unterschied der theoretischen Fassung der Entwicklungsrichtung der Evolution bei Darwin und Spencer vgl. Stephen Jay Gould, Darwin nach Darwin - Naturgeschichtliche Reflexionen, Ffm., Berlin, Wien 1984, S.26ff.

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  82. In allgemeinster Form läßt sich eine darwinistische Erklärungsstrategie in den Sozialwissenschaften identifizieren als ein Versuch, adaptative reproduktionsfähige soziale (Handlungs-oder Kommunikation-)Systeme zu isolieren und die Entwicklung ihrer Merkmale auf die im Reproduktionsprozeß wirksamen Mechanismen der Konstruktion/Stabilisierung von Elementen und deren Variation und Selektion zurückzuführen. Zu unterscheiden sind dabei zwei Ansatzmöglichkeiten, nämlich individuelle Akteure oder soziale Kollektive als Träger ‘genetischer’ und phänotypischer Merkmale bzw. interaktionistisch oder strukturalistisch orientierte Umsetzungen;

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  83. Bernhard Giesen, Christoph Lau, Zur Anwendung darwinistischer Erklärungsstrategien in der Soziologie, in: KZSS 33, 1981, S.229–256. Eine wesentliche Bedingung zur Anwendung darwinistischer Erklärungsstrategien auch in nichtbiologischen Forschungsfeldern liegt in der Möglichkeit, den Populationsbegriff (und den der Umwelt dieser Populationen!) in einem erweiterten Sinne zu gebrauchen; im Falle des Forschungsfeldes ‘Entwicklung der Wissenschaften’ konzipiert etwa Toulmin i.d.S. mit Mitteln der Theorien Darwins eine Erklärungsstrategie, die er (in Absetzung vom Evolutionsverständnis der Wissenschaftstheorie Poppers und der ‘Evolutionären Erkenntnistheoretiker’) ’ökologisch’ nennt, um nicht das Mißverständnis einer immanenten evolutionären Höherentwicklung auch auf die Evolution der Wissenschaften zu übertragen;

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  84. Stephen Toulmin, Darwin und die Evolution der Wissenschaften, in: Dialektik 5, S.68–78.

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  85. Emerich K. Francis, Darwins Evolutionstheorie und der Sozialdarwinismus, in: KZSS 33, 1981, S.209–228, hier S.213.

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  86. Dies scheint mir die Grundlage der betont anti-evolutionistischen Position Max Webers zu sein, der statt dessen seine universalhistorische Forschungsperspektive mit Hilfe eines Gerüsts überzeitlicher Idealtypen zu strukturieren versucht;

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  87. Max Weber, Der Sinn der ‘Wertfreiheit’ der Sozialwissenschaften, in: ders. 1973, S.263–310, hier besonders S.284ff., sowie ders. 1972, besonders S.122ff.

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  88. Luhmann, [Sinn als Grundbegriff der Soziologie], in: Habermas, Luhmann 1971, S. 95.

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  89. Zunächst erscheint es merkwürdig, daß Luhmann solche Erklärungsäquivalente für Variation/Selektion/Restabilisierung auch für die ontogenetische Entwicklung psychischer Systeme annimmt: “Im Falle des organisch-psychischen Systemkomplexes Mensch könnte man entsprechend an Wahrnehmung, Lust/Unlust-Differenzierung und Gedächtnis denken.” (Luhmann, [Systemtheoretische Argumentationen - Eine Entgegnung auf Jürgen Habermas], in: Habermas, Luhmann 1971, S.364) Diese über den Erklärungsmechanismus sich vollziehende Vermischung ontogenetischer und phylogenetischer Entwicklungsebenen ist aber gar nicht verwunderlich, wenn man sich die Schematik der Theoriebildung verdeutlicht, denn dadurch wird klar, daß solche funktionalen Gleichförmigkeiten auf allen Ebenen auftreten müssen, weil sie als solche der weiteren Theoriekonstruktion vorausgesetzt werden.

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  90. Luhmann, [Systemtheoretische Argumentationen - Eine Entgegnung auf Jürgen Habermas], in: Habermas, Luhmann 1971, S. 364.

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  91. Luhmann, [Sinn als Grundbegriff der Soziologie], in: Habermas, Luhmann 1971, S. 97.

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  92. Luhmann 1975, [Die Weltgesellschaft], S.61.

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  93. vor allem Luhmann 1981c, [Geschichte als Prozeß und die Theorie sozio-kultureller Evolution], S.178–197.

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  94. Logisch gesehen ist unklar, ob das Vorverständnis der organischen Evolution, die zu “(..) Systemen von höherer struktureller Komplexität führt, die dann ihrerseits infolge ihrer Erhaltungsüberlegenheit die Ausgangslage weiterer Evolution verändern” (Luhmann 1981c, S.193) auf die sozio-kulturelle Evolution übertragen wird, oder ob umgekehrt ein Vorverständnis sozio-kulturellen Fortschritts, der in zunehmender Komplexität liegen soll, der organischen Evolution unterlegt wird. Da aber in der biologischen Evolution die weitere phylogenetische Entwicklung gerade oft auch von unspezialisierten, relativ wenig komplexen Formen ausgeht, und außerdem die Erhaltungsüberlegenheit komplexerer Systeme nicht mehr als eine vage Möglichkeit ist (die Saurier sind schon lange ausgestorben, die relativ dazu äußerst wenig komplexen Grünalgen existieren kaum bis gar nicht verändert fort), ist ziemlich klar, welche der beiden Alternativen zutrifft.

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  95. Luhmann entwickelt den Begriff der ‘Reduktion von Komplexität’ in Anlehnung an die Kybernetik von Ashby, wo das ‘law of requisite variety’ zur effektiven Bestimmung notwendiger Steuerungs-bzw. reaktiver Regelungskapazitäten gegenüber einer Vielzahl von das System beeinflussenden Umwelt- parametern eingesetzt wird;

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  96. William Ross Ashby, Einführung in die Kybernetik, Ffm. 19852. Die von Ashby eingeleitete Ausrichtung der Aufmerksamkeit kybernetischer Theorie auf große, komplexe Systeme, die es nicht weiter erlauben, mit Modellen nur einer oder weniger Variablen zu arbeiten, wird von Luhmann aus naheliegenden Gründen des soziologischen Gegenstandsbereichs aufgegriffen. Das ‘Gesetz der erforderlichen Vielfalt’ läßt sich auch erläutern am Beispiel eines Strategiespiels: Je mehr mögliche Züge der Gegner offen hat, um so mehr Spielzüge muß man selbst zur Verfügung haben, um sie parieren zu können. Bezogen auf das primäre Modell eines Organismus heißt es also: Je höher die Komplexität möglicher Zustände oder Ereignisse seiner Umwelt, desto größer müssen die Reaktionsmöglichkeiten des Organismus sein, um diese zu kompénsieren. Da die Umweltkomplexität in diesem Kalkül stets höher ist als die des Organismus, auch wenn sie verringert wird dadurch, daß nur der bestandskritische Ausschnitt zählt, also die für den Organismus relevanten Umweltereignisse, die auf ihn als Störgrößen einwirken können, ist der Organismus gezwungen, Komplexität zu reduzieren, d.h. durch interne Organisation (bestimmt strukturierte Komplexität) Strategien auszubilden, mit denen eine Vielzahl von möglichen verschiedenen Umweltereignissen gleichermaßen gemeistert werden können - ein Chameleon wird sich mit seinem komplexen Farbanpassungsmechanismus auf verschiedenen Untergründen erfolgreich tarnen können; auch der menschliche Körper reguliert seine Temperatur auf einen bestimmten Sollwert hin mit demselben komplexen Mechanismus, gleich ob es hagelt oder schneit, man sich am Strand sonnt oder eine Sauna betritt. Näheres vgl. auch Heinz Kleger, Lebenswelten und Systeme, Zürich 1989, S.163ff.

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  97. Kurz und prägnant ist der zentrale Satz (das ‘Dogma’) der komplexitätstheoretischen Überlegungen Luhmanns: “Ein System muß, wenn es sich erhalten will, seine eigene Komplexität zu der der Umwelt in ein Verhältnis der Entsprechung bringen - ‘requisite variety’ bei Ashby - und im übrigen seine geringere Komplexität durch verstärkte Selektivität wettmachen.” (Luhmann, [Moderne Systemtheorien als Form gesamtgesellschaftlicher Analyse], in: Habermas, Luhmann 1971, S. 10 )

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  98. Luhmann 1984, S.41, besonders Anm. 18, wo er sich gegen Systemdefinitionen wendet, die Systeme als Menge(n) von Elementen mit Relationen definieren und stattdessen verlangt, die “Begrifflichkeit von ‘System’ und ‘Komplexität’ analytisch zu trennen.”

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  99. Luhmann 1984, S.42, S.46f. Luhmann setzt sich über dieses Problem geschickt hinweg, indem er einfach definiert: “Die Selektion placiert und qualifiziert die Elemente, obwohl für diese andere Relationierungen möglich wären. ” (Luhmann 1984, S. 47 )

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  100. Luhmann, [Sinn als Grundbegriff der Soziologie], in: Habermas, Luhmann 1971, S. 93f.

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  101. Dieses Vorgehen wird von Luhmann wie folgt konkretisiert: “Die bloße Übertragung bewährter Modelle auf einen weiteren Fall wird dem Umstand nicht gerecht, daß eine ganz andersartige Ebene der Systembildung ins Spiel kommt. Darüber besteht Einigkeit. Die offene Frage ist, ob und mit welchen begrifflichen Umdispositionen auch diese neue Ebene noch systemtheoretisch begriffen werden kann. Meine These ist, daß dieses Ziel mit zwei Schritten zu erreichen ist, nämlich (1) durch Abstraktion der Begriffe Komplexität und Selektivität (..); und (2) durch Auffassung der Komplexität nicht als begründendes Prinzip, sondern als Problem für Systeme, mit Bezug auf welches funktional vergleichende Analysen geführt werden können. Es dürfte demnach genügen, für Sinnsysteme einen neuartigen, mit organischen Prozessen konkret unvergleichbaren Selektionsstil anzunehmen, der durch Verfügung über Negationen und Virtualisierungen erreicht wird und mit dem Begriff des ‘Bestimmens’ bezeichnet werden könnte.” (Luhmann, [Systemtheoretische Argumentationen..], in: Habermas, Luhmann 1971, 5.299£)

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  102. Habermas, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie?..], in: Habermas, Luhmann 1971, S. 162.

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  103. Maturana 1982, S.170f., sowie ders., Francisco Varela, Der Baum der Erkenntnis - Die biologischen Wurzeln menschlichen Erkennens, Bern, München, Wien 1987. Eine kurze Zusammenfassung der Definitionsentwicklung gibt Maturana, The Biological Foundations of Self Consciousness and the Physical Domain of Existence, in Luhmann et al., Beobachter. Konvergenz der Erkenntnistheorien?, München 1990, S.47–118, hier S.78ff.

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  104. Manfred Eigen, Selforganisation of Matter and the Evolution of Biological Macromolecules, in: Naturwissenschaften 58, 1971, S.465–523; ders., Ruthild Winkler, Das Spiel–Naturgesetze steuern den Zufall, München, Zürich 1975; ders., Schuster 1979; ders. 1987. Siehe auch Erich Jantsch, Autopoiesis: A Central Aspekt of Dissipative Self-Organization, in: Milan Zeleny (Ed.), Autopoiesis. A Theory of Living Organisation, N.Y., Oxford 1981, S.65–88, und ders., The Unifying Paradigm Behind Autopoiesis, Dissipative Structures, Hyper-und Ultracycles, in: Milan Zeleny (Ed.), Autopoiesis, Dissipative Structures and Spontaneous Social Orders, Boulder/Colorado 1980, S. 81–87.

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  105. zum Begriff etwa Bammé 1983, S.149f.;

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  106. auch Maturana 1982, S.183ff. u. 160ff., wo das Modell der Autopoiesis einem Algorithmus folgend graphisch simuliert wird.

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  107. Luhmann 1984, S.57 Anm.58. Dabei ist innerhalb von Luhmanns Theorie von einer zumindest partiellen Substitution des Begriffs der Reduktion von Komplexität durch den Begriff der Autopoiese auszugehen. Der frühere Leitgedanke einer grenzerhaltenden Ordnung wird so einerseits spezifiziert, erfährt andererseits aber einen Bedeutungswandel; siehe auch Luhmann, Autopoiesis als soziologischer Begriff, in: Haferkamp, Schmidt 1987, S. 307–324.

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  108. Gerhard Roth, Selbstorganisation und Selbstreferentialität als Prinzipien der Organisation von Lebewesen: in: Dialektik 12, Köln 1986, S.194ff., hier S.198; Hervorhebung-A.M.

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  109. Roth 1986, in: Dialektik 12, S.198f.

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  110. Roth 1986, in: Dialektik 12, S.199f.

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  111. Roth 1986, in: Dialektik 12, S.201.

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  112. Roth 1986, in: Dialektik 12, S.202.

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  113. Zielend auf das Verständnis der Evolution eines multizellulären Organisationsmusters, unterscheidet Maturana drei Möglichkeiten der Interaktion autopoietischer Systeme: 1. Die interagierenden Systeme verlieren ihre Identität nicht, sie verschmelzen nicht zu einer einzigen autopoietischen Einheit, sondern sind in ihrer Autopoiese miteinander verkoppelt. 2. Die Systeme verschmelzen miteinander und bilden zusammen eine autopoietische Einheit unter Auflösung der Verkopplung der verschmelzenden Systeme. 3. Es entsteht ein autopoietisches System höherer Ordnung, das in einem Raum existiert, welcher durch die Art der Verkoppelung der autopoietischen Systeme niederer Ordnung definiert wird. Die Evolution der Mehrzeller wird als eine der dritten Möglichkeit folgende Interaktion dargestellt. Ein Beobachter kann die Funktion der autopoietischen Systeme erster Ordnung (der Zellen) als allopoietisch für das autopoietische System zweiter Ordnung (dem mehrzelligen Organismus) beschreiben, was dazu führen kann, daß die Autonomie der untergeordneten Systeme sowie das Organisationsmuster des Systems höherer Ordnung in der Beschreibung verkürzt werden; klar ist aber, daß die Evolution des Organisationsmusters des autopoietischen Teilsystems der Evolution des Organisationsmusters des zusammengesetzten autopoietischen Systems untergeordnet werden muß;

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  114. Maturana 1982, S.211ff. Von einem autopoietischen System dritter Ordnung ist in Bezug auf staatenbildende Insekten die Rede, wobei die einzelnen Organismen diesem Organisationsmuster und seiner Evolution untergeordnet werden, wodurch ihre unterschiedlichen Morphogenesen und ihr organisiertes Sozialverhalten erklärt werden soll;

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  115. Maturana 1982, S.37. Problematisch ist aber schon hier, ob dieses Organisationsmuster ein im physikalischen Raum existentes ist, ob der ‘Staat’ also ein lebendes System ausmacht, weil die Verkoppelung der einzelnen Organismen keine direkt physiologische ist, sondern mittels Tropholaxis geschieht (eine chemische ‘Kommunikation’ über die aufgenommene Nahrung, die zu unterschiedlichen morphologischen Differenzierungen–’ Arbeiterinnen’, ‘Königin’ etc.–und unterschiedlichen Verhaltensrepertoires führt). Vgl. im weiteren auch D. Mossakowski, H.K. Nettman, Is There a Linear Hierarchy of Biological Systems, in: Gerhard Roth, Helmut Schwegler (Hrsg.), Self-organizing Systems. An interdisziplinary approach, Ffm., N.Y. 1981, S. 39–46.

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  116. Roth 1986, in: Dialektik 12, S.194ff., und ders., Selbstorganisation, Selbsterhaltung, Selbstreferentialität, in: Günter Köppers, Andreas Dress, Hubert Hendrichs (Hrsg.), Selbstorganisation–Die Entstehung von Ordnung in Natur und Gesellschaft, München 1986, S.149–180, besonders S.177ff., sowie F.J. Varela, Autonomy and Autopoiesis, in: Roth, Schwegler 1981, S. 14–23.

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  117. F.J. Varela, Die Biologie der Freiheit, (Interview), in: Psychologie heute 1982/9, S.82–93.

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  118. Walter L. Bühl, Grenzen der Autopoiesis, in: KZSS 39, 1987/2, S.225–254, hier S.225.; siehe auch Maturana 1982, S.180ff.

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  119. Im Sinne der hier vertretenen Auffassung unterscheidet auch Varela zwei Analysetypen, den’ Input-Output- Type’ und den ‘Closure-Type’, und nicht etwa zwei unvermittelte Seinsweisen; sie werden entsprechend als analytischer Perspektivenwechsel dem Wandel des System/Umwelt-Paradigmas von einer Theorie umwelt- offener Systeme zu einer Theorie autopoietisch/selbstreferentiell geschlossener Systeme zugeordnet;

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  120. F.J. Varela, Two Principles for Self-Organization, in: H. Ulrich, G.J.B. Probst (Hrsg.), Self-Organization and Management of Social Systems, Berlin 1984, S.25–32. Im Zusammenhang damit lassen sich die Begriffe Autopoiesis und Allopoiesis auch als komplementäre Momente und nicht als exklusive Gegensätze verstehen, insofern sie verschiedene Spezifika von Systemen charakterisieren können;

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  121. A.M. Andrew, Autopoiesis- Allopoiesis Interplay; in: Zeleny 1981, S.157–166, sowie F.J. Varela, Describing the Logic of the Living, in: Zeleny 1981, S.36–48. Mit dem Modell der Autopoiese sind im weiteren zwei bemerkenswerte Implikationen verbunden, die beide geeignet sind, Positionen der neodarwinistischen synthetischen Evolutions- theorie zu relativieren, und beide betreffen fundamentale Beziehungen des Organismus: 1., die zur Umwelt, und 2., die zum Genom. 1.) Im Neodarwinismus bestimmen Umweltfaktoren über ihre selektive Wirkung auf die Organismen die Richtung der Evolution. Die organismusinterne Kohärenz ordnungsstiftender Faktoren, deren Variabilität und interne Selektion spielen dabei nur eine marginale Rolle, so lautet die durchaus nachvollziehbare Kritik an dieser Richtung. Die Adaptation an die Umwelt ist das jeweilige ‘telos’ der Evolution, und wenn es auch keine absolut (final) angepaßten Organismen gibt, so führen doch Umwelt- veränderungen zu Schüben eines permanenten ‘Hinterheradaptierens’ der Organismen. Die Umwelt setzt mithin alle Maßstäbe für das Überleben und für die Evolution der Lebewesen. Demgegenüber impliziert die Theorie der Autopoiesis, daß die einzige Variable, die als Sollwert homöostatisch zu stabilisieren ist, die Autonomie des Organismus in Fortsetzung seiner Autopoiesis ist. Lebewesen müssen am Leben bleiben; wie sie das realisieren, ist unerheblich. Folglich kann die Umwelt dem Organismus nur eine Schwelle vorgeben. Werden diese Minimalanforderungen vom Organismus erfüllt, so ist er ‘angepaßt’, und die Kategorie des Überlebens der Bestangepaßten oder besser Angepaßten sagt nichts mehr aus, denn oberhalb dieser Schwelle entsteht für den Organismus ein Freiraum an morphogenetischen Möglichkeiten, der lediglich internen Gesetzmäßigkeiten folgend evolutionär gefüllt wird. 2.) Gene befinden sich aus der Sicht der Autopoiesistheorie weder in einer Kommandoposition, noch ist der Organismus nur ein ’Behälter’ für die von anderen so gesehene eigentliche Essenz der Evolution, nämlich für die überlebenden ’ egoistischen’ Gene. Ihre funktionale Einzigartigkeit liegt in ihrer strukturellen Stabilität und ihrer Fähigkeit zur identischen Replikation. Sie sind nicht autonom, sondern auf das Mitwirken anderer Komponenten der Zelle angewiesen, zumal sie sich nur mit Hilfe von Enzymen replizieren oder auch reparieren können - autonom ist nur das autopoietische System als Ganzes. Vgl. dazu Roth 1986, S.203ff., und Maturana, Varela 1987. Zu ergänzen ist: Da wo MaturanaNarela mit Hilfe ihres (primär kognitionsbiologisch angelegten) Autopoiesis-Modells auch interessante und diskussionswürdige Kontrastüberlegungen zur neodarwinistischen synthetischen Evolutionstheorie anstellen, indem sie Evolution - verstanden als ’phylogenetic drift’ - alternativ erklären, insofern sie Umweltselektion als erklärendes Moment ablösen durch die Permanenz einer ’ structural coupling’ der Autopoiesis des lebenden Systems an seine naturale Umwelt, - wobei beide Varianten einer Theorie der Evolution insofern konform gehen, als die Evolution organischer Systeme als eine unter ständiger Wechselwirkung mit der Umwelt, in der sie existieren, sich vollziehende gilt, - fällt Luhmanns Auffassung der Evolution autopoietischer Systeme auf einen überholten Fortschrittsevolutionismus steigender Komplexität und zunehmender Differenzierung zurück, dem jeglicher konstitutiver Bezug zur Rolle der Umwelt im Prozeß der Evolution zugunsten einer lediglich logischen Voraussetzung abgeht, und der sich insofern durch die Theorie der Autopoiesis bestätigt glaubt, als diese vermeintlich mit ihrer Betonung der Geschlossenheit der Autopoiesis bzw. der Autonomie lebender Systeme auch alle Relevanz der Umwelt für deren Entwicklung negiert. Vgl. hinsichtlich der Kontrastüberlegungen zur synthetischen Evolutionstheorie auch Maturana 1990, S.47–118, hier S.64 sowie 67f. und 72f. Bzgl. der Umdeutung von ’structural drift’ in einen Fortschrittsevolutionismus siehe auch Walter L. Bühl, Grenzen der Autopoiesis, in: KZSS 39, 1987/2, S.238.

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  122. Eine Art geflügelter Drache, der sich selbst vom Schwanz her aufzufressen versucht, und von Heinz v. Foerster zur Demonstration von Phänomenen der Selbstreferenz verwendet wird;

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  123. H. v. Foerster, Erkenntnistheorien und Selbstorganisation, in: Schmidt 1987, S.133–158, hier S.155.

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  124. Bühl bezeichnet es sogar als den ’ Gipfelpunkt autopoietischer Metaphysik’, wenn ausgehend von ‘Leben’ über ‘Bewußtsein’ und ‘Gesellschaft’ (und hier dann auch ’Wissenschaft’, ’Wirtschaft’ und die anderen Subsysteme) schließlich auch das ’Sinnprozessieren’ selbst als autopoietisch konstituiert begriffen wird, insofern für Luhmann auch die “Selbstbeweglichkeit des Sinngeschehens (..) Autopoiesis par excellence (ist)” (Luhmann 1984, S.101);

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  125. Walter L. Bühl, Grenzen der Autopoiesis, in: KZSS 39, 1987/2, S.232f.

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  126. Walter L. Bühl, Grenzen der Autopoiesis, in: KZSS 39, 1987/2, S.231.

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Metzner, A. (1993). Luhmanns analogisch-synthetisierender Theorietransfer. In: Probleme sozio-ökologischer Systemtheorie. Studien zur Sozialwissenschaft, vol 129. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-88748-1_4

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  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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