Zusammenfassung
Die Kategorien “Interesse” und “Norm” lassen sich als Formeln für zwei unterschiedliche Arten der Analyse von Einzelhandlungen rekonstruieren. Der Rollenbegriff verweist auf eine komplexere Ebene der Handlungsbeschreibung, nämlich auf bestimmte Prinzipien, mit deren Hilfe vollständige Einzelhandlungen einer Person zu fortgesetzten und multiplen Handlungen zusammengefaßt werden. Rollen sind aus dieser Sicht Handlungen, deren Bestandteile vollständige Einzelhandlungen sind. Damit ist auch impliziert, daß sie nach den Prinzipien der normativen wie der kausalen Handlungsanalyse untersucht werden können.
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Anmerkungen
“Higher-order purposes generate not new kinds of action, but supra-conducts of otherwise ordinary infra-actions, infra-actions which can be performed either with no higher order intention at all or else with different one” (Ryle 1982, S. 116).
Die in der analytischen Handlungstheorie diskutierte Frage, ob es unterschiedliche Handlungen sind (Goldman 1970) oder Handlungen unter verschiedenen Beschreibungen (Anscombe 1956, Davidson 1985), ist für die folgende Betrachtung ohne Bedeutung.
Ausnahmen bilden Handlungen, die als Regelverstöße zugleich einen Austritt aus der Rolle nach sich ziehen, etwa wenn ich meine Aufsichtspflichten als Erzieher deutlich verletze. Eine solche Handlung ist dann eine mehrstufige Handlung, die auf beide Ebenen, die der Einzelhandlung und die des Austritts aus der Rolle bezogen ist.
Wichtiger Vertreter dieser Ansicht ist Dahrendorf (1970).
Dieser Aspekt wird besonders von Nadel (1969, S. 29f.) betont: Rollen sind “never enacted all at once, being present so to speak in a piece. Rather they are enacted phase by phase, occasion by occasion”.
“The structure of role expectations is organized in such a way that meaningful behavioral units (‘husband’, ‘father’, ‘teacher’) are created from what would otherwise be a series of disparate, isolated and disconnected elements of behavior” (Sarbin/Allen 1968, S. 498). Der Hinweis auf Rollenerwartungen ist daraus zu verstehen, daß diese Autoren Rollen über die standardisierten Rollenerwartungen an das Subjekt des Rollenhandelns (die soziale Identität) definieren.
Solche zentralen Bestandteile der Rolle bezeichnet Nadel als “governing property”. Gegensatz dazu bilden die “further characteristics” (1969, S. 34f.).
Soziale Identität bezieht sich auf “Personen und den kompletten Satz von Attributen, die man für die Mitglieder jeder dieser Kategorien als gewöhnlich und natürlich empfindet. Die sozialen Einrichtungen etablieren die Personenkategorien, die man dort vermutlich antreffen wird” (Goffman 1972, S.9f.).
Dies gilt auch dann, wenn die Person ihre Rolle verheimlicht, z.B. die Rolle des Spions. Falls die anderen die gleichen Informationen hätten, würden sie diese Rolle ebenso identifizieren können.
Jede Rolle hat auch latente Aspekte; ein Beispiel dafür wäre ein “typischer” Lehrer, der auch außerhalb seiner beruflichen Tätigkeit als “typischer” Lehrer klassifiziert wird (weil er z.B. andere ständig belehren möchte).
Die Identifikation einer Handlung im Rollenkontext ist ein Beispiel für die Anwendung der “dokumentarischen Methode der Interpretation”; vgl. Garfinkel(1967, S. 78).
Es sind dies Handlungen, die einer “persönlichen Identität” zuzurechnen sind (vgl. Goffman 1972, S. 74).
Zur Krankenrolle und ihren normativen Implikationen vgl. Parsons (1951).
Auch bei Rollen auf Grund innerer Zustände liegen Eintrittsbedingungen vor, die sich allerdings nicht für alle Zustände verallgemeinern lassen. Intuitiv sieht man dies beim Eifersüchtigen: über ein gewisses Maß hinaus ist seine Disposition erklärungsbedürftig. Dabei wird man auf bestimmte Bedingungen verwiesen, die die Übernahme dieser Rolle verständlich machen, etwa besondere Erlebnisse, spezifische Sozialisation u.a.
Auch gewöhnliche Berufsrollen sind möglicherweise mit inneren Zuständen in anerkannter Weise verbunden: es ist intuitiv verständlich, wenn ein Erzieher über einen undankbaren Zögling Ärger empfindet oder ein Spion Angst vor Entdeckung hat.
U. Gerhardt hat diesen Typ von Rollen als “Situationsrollen” bezeichnet (Gerhardt 1971, S. 234).
Zur Übersicht vgl. Biddle/Thomas (1966). Insbesondere vertritt diese Ansicht Znaniecki (1965), der von Rolle als einem “dynamic system of actions” spricht (S. 207).
Dies trifft insbesondere für Popitz (1967) zu.
Es kann hier offen bleiben, ob das Wort “Funktionsträger” geeignet ist, die vielfältigen sozialen Identitäten zu repräsentieren.
In Dreitzels Funktionsbestimmung spielen Kategorien eine Rolle, wie Bedürfnisbefriedigung und Wertrealisierung, auf deren deskriptiven Gehalt ich nicht eingehe. Diese Kategorien sind für die Frage der Identifi-zierbarkeit von Rollen in Handlungen irrelevant.
Ausdrücklich wird dies von Nadel (1969) und Popitz (1967) vertreten. Implizit ist diese Annahme auch bei Berger/Luckmann (1969) präsent, die von Rollen als “typisierten Handlungen” sprechen. “Rollen treten in Erscheinung, sobald ein allgemeiner Wissensvorrat mit reziproken Verhaltenstypisierungen entsteht” (S. 79).
Auch für Parsons/Shils ist Rolle eine “inferred entity” auf der Grundlage konkreter Handlungsorientierungen (1951, S. 92). Bei diesen Autoren steht allerdings nicht der Rollenbegriff des Alltags im Vordergrund, sondern seine Verbindung mit dem “sozialen System”.
Aus diesem Grund können die impliziten Hinweise auf die Person auch absichtlich hervorgebracht werden. Vgl. dazu Goffman (1959).
Diese definitorische Festlegung von Rollen auf die interaktiven Aspek te findet sich in anderer Weise auch bei Gerth und Mills (1970, S. 25). Rollen sind demnach “Einheiten des Verhaltens, die... an dem Verhalten anderer orientiert sind”. Gerth und Mills definieren Rolle in einem interaktiven Bezug zu anderen Rollen; wieweit dies der Fall ist, kann jedoch nicht definitorisch festgelegt werden. Auch ein “Eremit” konstituiert eine höherstufige Intention für eine Reihe von Handlungen im Rahmen einer sozialen Identität, also eine Rolle.
Dies vertreten etwa Sarbin/Allen (1968, S. 497).
Diese Intention der Rollenanalyse ist bei Gerth und Mills (1970), Nadel (1969), Sarbin und Allen (1968) und Popitz (1967) klar ausgesprochen.
Zu diesem Begriff vgl. Goffman (1972a). Auf die Dimension der typischen sequenziellen Entwicklung einer Rolle verweist Nadel (1969, S. 43).
Die überzeitliche Konstanz bezieht sich auf die definierten Kriterien der sozialen Identität, nicht notwendigerweise auf deren Realisierung in Handlungen. So ist die Rolle “Mittelschullehrer” überzeitlich definiert; ein junger und unerfahrener Mittelschullehrer wird jedcch vermutlich anders agieren als ein alter und erfahrener. Solche Unterschiede der “Rollenper-formanz” sind wegen der Verknüpfung von Rolle und Person immer vorhanden.
Eine weitere Unterscheidung, die das Verhältnis von Rolle und Person betrifft, spricht Jaques (1976) an; er verweist auf die Dimension der “Ab-hebbarkeit” der Rolle von der Person: “the extent to which it can be institutionalized so as to be able to exist as an explicit vacancy in a social net for which an occupant can be sought” (S. 30). Nach diesem Kriterium können Alters- und Geschlechtsrollen, aber auch Rollen auf Grund innerer Zustände am wenigsten von einer Person abgehoben werden, am ehesten gilt dies für Rollen in bürokratischen Organisationen.
Ein Beispiel wären auch jene Rollen, die mit einem “Primärstatus” verbunden sind, also etwa Alter und Geschlecht, oder die “konstitutionell veranlagte ‘Kapazität’“ der Person (D. Ciaessens 1965, S. 62).
Der Zugang zu Berufsrollen und den über sie vermittelten Lebenschancen ist jedoch nur innerhalb bestimmter sozialer Voraussetzungen über Eintrittshandlungen und -Strategien gesichert. Für bestimmte Personen ist der Zugang zu begünstigten Positionen auf Grund ihrer Ausgangsbedingungen eher möglich. So spielen zugeschriebene Rollen auch in unserer Gesellschaft für den Erwerb von Rollenidentitäten eine zentrale Rolle. Dieses Beispiel weist darauf hin, daß der Gegensatz von erworbenen und zugeschriebenen Rollen (bzw. ihren Voraussetzungen) weniger einen strikten Gegensatz, sondern eher eine Dimension mit vielen Zwischenstufen bezeichnet.
“Unter Rollen-Set verstehe ich die Kombination von Rollen-Beziehungen, in die eine Person auf Grund ihrer Inhaberschaft eines bestimmten sozialen Status verwickelt ist.” (Merton 1973, S. 322)
Insbesondere Gross et al. (1958) haben darauf hingewiesen, daß von Konsens darüber, was man von einem Rollensubjekt erwarten kann, empirisch keine Rede ist. Statt einen Konsens zu postulieren (was die “klassische” Rollentheorie tat), schlagen Gross et al. vor, ihn als eine empirisch offene Dimension zu behandeln.
Über Rollenkonflikte vgl. die Studien von Gross et al. (1958); Katz/Kahn (1966) und Grace (1972).
Vgl. dazu Goode (1973).
Solche Rollen bezeichnet Nadel (1969) als “relational roles” (S. 83).
M. Banton (1965, S. 21 ff.) unterscheidet zwei Traditionen der Rollentheorie; der “dramaturgisch” orientierten, sozialpsychologischen stellt er die “strukturelle” Tradition der Soziologie gegenüber. Er verweist auch darauf, daß die strukturelle Tradition historisch einer normativen Sicht der Gesellschaft entstammt.
Ein Beispiel für das Fortwirken der Definition von Linton stellen die Festlegungen von Davis (1966, S. 77) dar: “The role then is a manner in which a person actually carries out the requirements of his position. It is the dynamic aspect of status or office and as such is always influenced by factors other than the stipulations of the position itself.” Status ist “position in the general institutional system recognized by entire society” (ebd., S. 88). Aus Position und Status sind dann die Rechte und Verpflichtungen an den Positionsinhaber abgeleitet, der sie in seinem Rollenhandeln realisiert. Ähnliche Definitionen und die damit verknüpften Hintergrundsannahmen einer normativen Motivierung des Handelns vertreten Popitz (1967), Banton (1966) und Parsons (1951).
In den hier behandelten theoretischen Annahmen ist mit Erwartung stets normative Erwartung gemeint, die Verpflichtungen und Anrechte definiert.
Mit der Kategorie “Position” wird die “soziale Identität” und deren Kontext erfaßt.
Diese Ansicht, wonach Status ein Teil der Rolle ist, vertritt auch E. Hughes (1972). Nadel (1969, S. 29) sieht in der Unterscheidung von Status und Rolle die Differenz von Norm und Handlung. Auf Grund dieser Deutung ist die erkenntnismäßige Priorität von Rolle als Handlung gegenüber der Norm, die auf sie angewendet wird, ebenfalls vorausgesetzt.
M.a.W., nicht normative, sondern kognitive Erwartungen sind — nach Galtungs Terminologie — für die Identifikation von Rollenhandlungen und der Rolle selbst bestimmend (Galtung 1954).
Man kann allerdings auf Grund dieser Kriterien eingeschätzt werden. Dies ist jedoch kein Beispiel für Rollenhandeln, sondern für die Anwendung von Klassifikationskriterien. Andererseits erschöpfen Alter und Geschlecht nicht diese Kriterien, auf Grund derer wir eingeschätzt werden; zentral sind auch die Kriterien der Schichtzugehörigkeit, bzw. Indizien für die Zugehörigkeit zu “abweichenden” Gruppen.
Zur normativen Rollendefinition vgl. Parsons/Shils 1951, S. 78. Auch in späteren Arbeiten hat Parsons an dieser Definition festgehalten. Vgl. Parsons (1976, S. 180).
Damit entfallen Rollen auf Grund innerer Zustände ebenso wie “Situationsrollen”.
Da Rolle von der Person zu unterscheiden ist, läßt sich auch daraus ablesen, daß sie als Hinweis auf Charakteristika der Person interpretiert werden kann.
Sarbin/Allen (1968) drücken dies durch den Begriff der “role enactment” aus: auf den konkreten Vollzug der Rolle in Handlungen sind Eigenschaften, Dispositionen und Fertigkeiten der Person von Einfluß.
Schon Popitz hat gegen Dahrendorf bemerkt, daß die Vorgabe einer Rolle nicht identisch ist mit rollenkonformen Verhalten (Popitz 1967, S. 41).
Auch bei Biddle/Thomas (1966) ist die Person als eine Voraussetzung des Rollenbegriffs genannt: “the concept pertains to the behavior of particular persons” (S. 29).
Goffman spricht von einer angezeigten Distanzierung des Selbst von der sozialen Identität, von “a wedge between the individuum and his role, between doing and being. This ‘effectively’ expressed pointed separa-tedness between the individual and his putative role shall call role distance. (...) the individual is actually denying not the role but the virtual self that is implied in the role for all accepting performers” (Goffman 1972b, S. 95).
Rolle ist “ein Aspekt des gesamten Individuums, ein in der Hinsicht (Perspektive) gegebene Ansicht, die auf das Ganze der Person verweist, ohne es zu sein” (Rapp 1973, S. 95).
Vor allem vor dem Hintergrund der Arbeiten von Mead (1972, 1969).
Meads Unterscheidung zwischen “me” und “I” kann als Versuch angesehen werden, den Zusammenhang von Person und sozialen Standardisierungen mit Hilfe einer Metapher zu erläutern (1972, S. 173ff.).
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Balog, A. (1989). Rollen als Mehrstufige Handlungen. In: Rekonstruktion von Handlungen. Studien zur Sozialwissenschaft, vol 77. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-88740-5_6
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