Zusammenfassung
In der Gegenwart ist die mit dem Beginn der Neuzeit ausdrücklich und bewußt einsetzende Grundbewegung der Geschichte als Emanzipation in eine neue Phase eingetreten. Die realen und geschichtlichen Konsequenzen gelungener Emanzipation richten sich kritisch und destruktiv gegen den traditionalen Begriff geschichtlicher Emanzipation ebenso, wie sie den Versuch einer Erneuerung eben dieses Begriffes in der Gegenwart provozieren. Die in der kritischen Theorie artikulierte Problematik einer revolutionär praktischen Aufhebung der Philosphie steht in einer nicht mehr diskutierten Abhängigkeit von einer geschichtsphilosophischen These, nach der das Wesen der neuzeitlichen Welt im Prinzip einer emanzipativen Geschichte gründet, an der alle nicht durch dieses Prinzip gesetzte und durch es definierte Geschichte zur Vorgeschichte herabsinken soll. Dieses geschichtsphilosophische Selbstverständnis der kritischen Theorie bedürfte nicht einer erneuten Überprüfung, wenn nicht am Ende der Neuzeit der den Fortschritt der Emanzipation tragende Begriff sich als unvereinbar mit dem Verständnis von Humanität erwiesen hätte, um deren Verwirklichung willen Emanzipation doch gefordert wird. Der geschichtliche Stand der emanzipativen Geschichte in der Gegenwart ist daher theoretisch wie praktisch nur bestimmbar, wenn die Frage nach dem Verhältnis von Neuzeit und Emanzipation gestellt wird. Erschöpft sich Emanzipation im Umkreis der Möglichkeiten, die ein am Resultat emanzipativer Geschichte gewonnener Begriff ihrer geschichtlichen Bestimmung allein zu konzedieren vermag, dann verzichtet Philosophie auf ihr Recht zum Einspruch gegen den drohenden Rückfall der Moderne in eine nun barbarisch gewordene Remythologisierung. Geschichte verschwindet an ihrem in der Gegenwart drohenden Ende in den kreisförmig ablaufenden Prozeß indifferenter Natur, gegen die sich der Mensch entweder im Postulat abstrakter Selbstbehauptung wendet oder in die er als ein nun selbst unerheblich gewordener Zwischenfall zurücksinkt. Undurchschaut bleibt die Dialektik der Identität ohnmächtiger Selbstbehauptung und blinder Ermächtigung der Natur, zu deren Gunsten der Mensch als ein geschichtliches Wesen abdankt. Die als religionsphilosophische Auflösung der Substanz christlichen Glaubens interpretierte neuzeitliche Philosophie von Pascal bis Kierkegaard bestimmte sich demgegenüber durch den Willen, diese Dialektik dem emanzipativen Bewußtsein zu vergegenwärtigen. In der Gegenwart hängt die Wiederholung dieser Einsicht davon ab, die geschichtsphilosophische Theorie der Neuzeit im Verhältnis zu ihrer ungeschichtlich abstrakten Auslegung als Emanzipation von den Voraussetzungen her zu gewinnen, welche die Neuzeit als ihre eigenen anerkannt hat. In der hermeneutischen Aufhebung eines historischen Begriffs von Geschichte verschwinden diese Voraussetzungen, weil sich die Dialektik begriffener Geschichte im Hegelschen Sinn in der undurchschauten Abstraktion von emanzipatorischem Entwurf und hermeneutischer Erfahrung der Geschichte auflöst.
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Literaturhinweise
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Rohrmoser, G, Nietzsche und das Ende der Emanzipation. Rombach, Freiburg 1972.
Rohrmoser, G, Herrschaft und Versöhnung, Rombach, Freiburg 1972.
Rohrmoser, G, Die Krise der Institutionen, Goldmann, München, 4. Aufl. 1973.
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Rohrmoser, G. (1975). Rückblick auf die Emanzipation. In: Hartfiel, G. (eds) Emanzipation — Ideologischer Fetisch oder reale Chance?. Kritik, vol 6. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-88713-9_3
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Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-531-11233-6
Online ISBN: 978-3-322-88713-9
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