Zusammenfassung
Überblickt man die sozialphilosophisch-sozialwissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen etwa der letzten zehn Jahre
-
a)
um das Sinnproblem individuellen und gesellschaftlichen Daseins überhaupt
-
b)
um den Sinn von Wissenschaft und Bildung in der zukünftigen Gesellschaft
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c)
um die zukünftige Gestaltung der politischen und sozialen O rdnungsstrukturen
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d)
um die Prinzipien und Methoden, nach denen Menschen für ein Leben in diesen Ordnungen und für ein Interesse an solchen Ordnungen vorbereitet werden sollen
-
e)
um die Glücks-, Humanitäts- oder Zufriedenheits-Erwartungen, die mit solchen Ordnungsvorstellungen verbunden werden, oder
-
f)
um die handlungspraktischen Notwendigkeiten und Voraussetzungen für solche Ordnungsentwürfe
dann ist die Vorherrschaft eines herausragenden Begriffes nicht zu übersehen: „Emanzipation“ ist das Schlagwort, mit dem intellektuelle und politisch-praktische Beiträge zur Veränderung bzw. Überwindung bestehender Zustände ihre Bedeutung legitimieren, mit dem sämtliche Hoffnungen und Verheißungen verbunden werden. „Emanzipation“ ist aber auch — und das ist seit der jüngsten „Tendenzwende“ zu wieder mehr Konservatismus und gesellschaftlicher Ruhigstellung immer stärker zu spüren — der Sammelbegriff für alle als ordnungs- und gesellschaftsgefährdend eingeschätzten Entwicklungen und Aktionen. Für die einen ist Emanzipation der Inbegriff für erst wirklich wahr werdende menschenwürdige, der menschlichen Natur adäquate Ordnung in den Sozialbeziehungen und in der Entfaltung individueller Menschlichkeit; für die anderen implizieren die Resultate emanzipatorischer Prozesse schlimmstensfalls sogar Anarchie, Unsicherheit, Willkür, Zivilisationskrisen.
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Anmerkungen
Der 15. Deutsche Soziologentag 1964 in Heidelberg zum Thema „Max Weber und die Soziologie heute“, auf dem Herbert Marcuse das erste Mal in Deutschland seine später für die programmatische Orientierung der Studentenbewegung wichtigen Thesen über die gesellschaftspolitischen Konsequenzen der seit Max Weber grundlegenden Wissenschaftspostulate der „Wertfreiheit” und der „Rationalität“ vortrug; der 16. Deutsche Soziologentag 1968 in Frankfurt, auf dem in nahezu militanter Gegnerschaft die sog. „Positivisten” und die sog. „kritischen Wissenschaftler“ (der „Frankfurter Schule” und der verschiedenen Positionen des Neomarxismus) aufeinanderprallten; sowie allem vorweg das Tübinger Streitgespräch 1961 zwischen Karl R. Popper und Theodor W. Adorno. Literatur: Otto Stammer (Hg.), Max Weber und die Soziologie heute, Verhdlgen. des 15. Deutschen Soziologentages, Tübingen 1965; Theodor W. Adorno (Hg.), Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft?, Verhldgen. des 16. Deutschen Soziologentages, Stuttgart 1969; Interne Arbeitstagung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, Sonderdruck aus: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 14. Jg. 1962, Heft 2.
Vor allem Theodor W. Adorno, u.a., Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie, 1969; Hans Albert, Traktat über kritische Vernunft,2 1969; ders., Plädoyer für kritischen Rationalismus, 1971; ders. Konstruktion und Kritik, 1972; Jürgen Habermas, Theorie und Praxis, 3 1969; ders., Zur Logik der Sozialwissenschaften, 1967: ders., Technik und Wissenschaft als Ideologie, 4 1970; ders., Erkenntnis und Interesse, 31970.
J. Habermas, Erkenntnis und Interesse, in: Technik und Wissenschaft als „Ideologie“, Frankfurt 1968, S. 158.
A.a.O., S. 159.
I. Kant, Ausgewählte kleine Schriften, Hamburg 1965, S. 1.
R. Descartes, Methode des richtigen Vernunftgebrauchs, I. Absch., I. Satz: „Nichts in der Welt ist gleichmäßiger unter den Menschen verteilt als der gesunde Verstand!“
Karl Marx, Zur Judenfrage, in: Frühe Schriften, 1. Bd., hgg. von H.J. Lieber, P. Furth, Darmstadt 1962, S. 455.
Karl Marx, a.a.O., S. 458, 460–61.
Karl Marx, a.a.O., S. 478.
Karl Marx, a.a.O., S. 473.
vgl. Karl Marx, Die Frühschriften, hgg. von S. Landshut, Stuttgart 1953, S. 378 ff.
Karl Marx, Frühe Schriften, a.a.O., S. 208 ff.
insb. im Kapitel „Der Fetischcharakter der Ware und sein Geheimnis“.
Karl Marx, Frühe Schriften, a.a.O., S. 479
Karl Marx, Die Frühschriften (Landshut), a.a.O., S. 240.
Karl Marx, Frühe Schriften, a.a.O., S. 568.
A.a.O., S. 564.
A.a.O., S. 569.
A.a.O., S. 568.
A.a.O., S. 703 f. Vgl. hierzu auch die Analysen von Georg Lukacs, Geschichte und Klassenbewußtsein, Berlin 1923, und Herbert Marcuse, Neue Quellen zur Grundlegung des Historischen Materialismus in: Ideen zu einer kritischen Theorie der Gesellschaft, Frankfurt 1969.
A.a.O., S. 704.
A.a.O., S. 602.
A.a.O., 1969 (1947).
Hans Freyer, Theorie des gegenwärtigen Zeitalters, Stutgart 1956; ders., Ober das Dominantwerden technischer Kategorien in der Lebenswelt der industriellen Gesellschaft, Mainz 1960, Arnold Gehlen, Die Seele im technischen Zeitalter, Hamburg 1957; ders., Anthropologische Forschung. Zur Selbstbegegnung und Selbstentdeckung des Menschen, Hamburg 1961.
Helmut Schelsky, Der Mensch in der wissenschaftlichen Zivilisation, Köln und Opladen 1961, abgedruckt in: ders., Auf der Suche nach Wirklichkeit, Düsseldorf/Köln 1965.
Auf der Suche nach Wirklichkeit, a.a.O., S. 557.
A.a.O., S. 471.
Claus Offe, Das politische Dilemma der Technokratie, in: C. Koch, D. Senghaas (Hrsg), Texte zur Technokratiediskussion, Frankfurt 1971, S. 156.
Wolfgang Schluchter, Aspekte bürokratischer Herrschaft, Studien zur Interpretation der fortschreitenden Industriegesellschaft, München 1972, S. 302.
Karl Marx, Das Kapital, III. Bd., Frankfurt 1971, S. 765 f.
Vgl. etwa M. Horkheimer, Studien über Autorität und Familie, Paris 1936; E. Fromm, Ober Methode und Aufgabe einer analytischen Sozialpsychologie (1932), in: Analytische Sozialpsychologie und Gesellschaftstheorie, Frankfurt 1970; W. Reich, Massenpsychologie und Faschismus, 1933: ders., Dialektischer Materialismus und Psychoanalyse, Kopenhagen 1934; H.P. Gente (Hg.), Marxismus, Psychoanalyse, Sexpol (Dokumentation), Frankfurt 1970; S. Bernfeld, Ausgewählte Schriften, Darmstadt 1969.
Triebstruktur und Gesellschaft (1965); Der eindimensionale Mensch (1967); Kultur und Gesellschaft, I und I1 (1965); Psychoanalyse und Politik (1968); Ideen zu einer kritischen Theorie der Gesellschaft (1969); Versuch über die Befreiung (1969).
Die Furcht vor der Freiheit (1966); Der moderne Mensch und seine Zukunft (1970); Das Menschenbild bei Marx (1969); Revolution der Hoffnung (1971); Analytische Sozialpsychologie und Gesellschaftstheorie (1970).
H. Marcuse, Der eindimensionale Mensch. Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft, Neuwied und Berlin, 1967, S. 140.
H. Marcuse, a.a.O., S. 29/32.
H. Marcuse, Versuch über die Befreiung, Frankfurt 1969, S. 26 f.; ähnlich schon E. Fromm, Der moderne Mensch und seine Zukunft, Frankfurt 1970, S. 119 ff.
Vgl. das Schicksal der Provo-, Hippi-, Blumenkinder-, Underground-Bewegungen.
H. Marcuse, Repressive Toleranz, in: R.P. Wolff, B. Moore, H. Marcuse, Kritik der reinen Toleranz, Frankfurt 1966.
H. Marcuse, Der eindimensionale Mensch, a.a.O., S. 72.
G. Rohrmoser, Emanzipation und Freiheit, München 1970.
bes. J. Habermas (Hrsg), Antworten auf Herbert Marcuse, Frankfurt 1969.
Zur Kritik Marcuses und seiner die politische Praxis der Studentenbewegung formenden Thesen vgl. E.K. Scheuch (Hg.), Der Wiedertäufer der Wohlstandsgesellschaft, 1968; E. Richert, Die radikale Linke, 1969; H.G. Helms, Fetisch Revolution, 1969; F. Schoeller (Hrsg.), Die neue Linke nach Adorno, 1969; K. Sontheimer u.a., Der Überdruß an der Demokratie, 1970; A. Lindbeck, Die politische Ökonomie der Neuen Linken, 1973.
Strukturwandel der Öffentlichkeit, Neuwied 21965; Theorie und Praxis, Neuwied und Berlin 1963; Zur Logik der Sozialwissenschaften, Tübingen 1967; Technik und Wissenschaft als „Ideologie“, Frankfurt 1968; Erkenntnis und Interesse, Frankfurt 1968; Protestbewegung und Hochschulreform, Frankfurt 1969.
Vgl. S. 22.
Th. W. Adorno, Negative Dialektik, Frankfurt 1966.
A.a.O., S. 240, 241.
J.Habermas, Theorie und Praxis, a.a.O., S. 233.
A.a.O., S. 289.
J. Habermas, Erkenntnis und Interesse, a.a.O., S. 60 ff.
A.a.O., S. 69.
A.a.O., S. 80 ff.
J. Habermas, Technik und Wissenschaft als „Ideologie“, a.a.O., S. 98.
A.a.O., S. 91.
Vgl. hierzu die Oberlegungen in: J. Habermas, Protestbewegung und Hochschulreform, Frankfurt 1969, S. 43 f., S. 92 ff., S. 202 ff.
J. Habermas, Technik und Wissenschaft als „Ideologie“, a.a.O., S. 137 f.
J. Habermas, Strukturwandel der CSffentlichkeit, a.a.O., S. 95.
M. Theunissen, Gesellschaft und Geschichte. Zur Kritik der Kritischen Theorie, Berlin 1969; G. Rohrmoser, Das Elend der Kritischen Theorie, Freiburg 21970; A. Wellmer, Kritische Gesellschaftstheorie und Positivismus, Frankfurt 41973; B. V. Heiseler u.a., Die „Frankfurter Schule“ im Lichte des Marxismus, Frankfurt 1970; B. Willms, Kritik und Politik. Jürgen Habermas oder das politische Defizit der „Kritischen Theorie”, 1972; A.Schmidt, Zur Idee der Kritischen Theorie, München 1974.
H.v. Hentig, Systemzwang und Selbstbestimmung, Stuttgart, 1970, (1968); I. Dahmer, Erziehungswissenschaft als kritische Theorie und ihre Funktion in der Lehrerausbildung, didactica, 3. Jg., 1969; H.G. Rolff, Die Demokratie der Unmündigen. Behinderung und Chancen einer Erziehung zur Emanzipation, in: G. Hartfiel (Hrsg.), Die autoritäre Gesellschaft, Köln und Opladen,1972 (1969); H.J. Gamm. Kritische Schule. Eine Streitschrift für die Emanzipation von Lehrern und Schülern, München 1970; H.-J. Heydorn, Ober den Widerspruch von Bildung und Herrschaft, Frankfurt 1970; D. Benner, Erziehung und Emanzipation, Päd. Rundschau, 24, 1970; W. Lempert, Bildungsforschung und Emanzipation, Neue Sammlung, 1969, Heft 4; ders., Leistungsprinzip und Emanzipation, Frankfurt 1971; ders., Zum Begriff der Emanzipation, Neue Sammlung, 1973. Heft 1, abgedr. in: M. Greiffenhagen, Emanzipation, Hamburg 1973, S. 216 ff.; D. Hoffmann, Ansatz und Tragweite einer „kritischen Erziehungswissenschaft“, Westermanns Päd. Beiträge, Jg. 1971; J. Beck u.a., Erziehung in der Klassengesellschaft, München 1970; W. Klafki, Erziehungswissenschaft als kritische Theorie, in: Erziehungswissenschaft (Funk-Kolleg), Frankfurt 1971, Bd. 3; K.H. Schäfer, K. Schaller, Kritische Erziehungswissenschaft und kommunikative Didaktik, Heidelberg 1971; K.G. Fischer, Emanzipation als Lernziel der Schule von Morgen, in: ders., Überlegungen zur Didaktik des Politischen Unterrichts, Göttingen 1972; Th. Feuerstein, Emanzipation und Rationalität einer kritischen Erziehungswissenschaft, München 1973; B. Clausen, Emanzipation-Normengefüge-Erziehung, Zeitschrift für Päd., 19, 1973; H. Giesecke, Bildungsreform und Emanzipation, München 1973; H. Bath, Emanzipation als Erziehungsziel? Bad Heilbrunn 1974; L. Kerstiens, Modelle emanzipatorischer Erziehung, Bad Heilbrunn 1974; L. Rössner, Erziehungswissenschaft und Kritische Pädagogik, Stuttgart 1974.
K. Mollenhauer, Erziehung und Emanzipation, München 1968, S. 10.
A.a.O., S. 11. A.a.O., S. 67.
Bildungsreform und Emanzipation, a.a.O., S. 483.
Zum Begriff der Emanzipation, a.a.O., S. 223.
Bildungsforschung und Emanzipation, a.a.O., S.483.
Zum Begriff der Emanzipation, a.a.O., S. 226.
Bildungsforschung und Emanzipation, a.a.O., S. 488; vgl. neuerdings hierzu differenzierter K. Mollenhauer, Theorien zum Erziehungsprozeß, München 1972, S. 19 ff.
A.a.O., S. 483 f.
H. Giesecke, Die Jugendarbeit, München 1971, S. 152 f.
H. v. Hentig, Systemzwang und Selbstbestimmung, a.a.O., S. 7.
W. Lempert, Bildungsforschung und Emanzipation, a.a.O., S. 493.
Für viele L. Krappmann, Soziologische Dimensionen der Identität, Stuttgart 1971; H. Fend, Konformität und Selbstbestimmung, Weinheim 1971; F. Wellendorf, Schulische Sozialisation und Identität, Weinheim 1973.
L. Krappmann, a.a.O., S. 9 ff.
H. E. Richter, Lernziel Solidarität, Hamburg 1974.
Vgl. den gleichnamigen von F. Nyssen herausgegebenen Aufsatz-Sammelband (Göttingen 1971).
Vgl. das gleichnamige von J. Beck u.a. veröffentlichte Buch (München 1970 ).
Vgl. den gleichnamigen Titel eines Buches von H.J. Gamm (München 1972).
H. J. Gamm, a.a.O., S. 45.
H. J. Gamm, a.a.O., S. 159.
H. J. Gamm, a.a.O., S. 11 ff.
H. J. Gamm, a.a.O., S. 62 f.
H. J. Gamm, a.a.O., S. 146.
J. Beck u.a., a.a.O., S. 149.
G. Koneffke, Integration und Subversion — Zur Funktion des Bildungswesens in der spätkapitalistischen Gesellschaft, in: Das Argument, Nr. 54, 1969.
W.-D. Narr, Ist Emanzipation strukturell möglich?, in: M. Greiffenhagen (Hrsg.), Emanzipation, Hamburg 1973, S. 201.
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Hartfiel, G. (1975). Einführung. In: Hartfiel, G. (eds) Emanzipation — Ideologischer Fetisch oder reale Chance?. Kritik, vol 6. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-88713-9_1
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