Zusammenfassung
Die Frage nach „verwaltungswissenschaftlichen“ Aspekten der materialistischen, sich auf Marx beziehenden Staatstheorie mag zunächst als kurios erscheinen. In der Tradition dieser Theorie gilt der Staat als von den ökonomischen Produktions- und Klassenverhältnissen der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft bestimmtes „Überbau“-Phänomen, das zweierlei verkörpert: die ideologisch-illusorische Form eines jenseits von Ausbeutung und Klassenkampf stehenden „Gemeinwesens“ und den gewaltförmigen Organisator von Klassenherrschaft, die eben die Vorstellung eines „Gemeinwesens“ zur Ideologie stempelt. Das Interesse der im historischen Kontext der revolutionären Arbeiterbewegung entstandenen und sich entwickelnden Marxschen Staatstheorie mußte sich daher auf das wissenschaftlich begründete Zerreissen dieses ideologischen Schleiers und auf die Bedingungen einer Neutralisierung bzw. Zerschlagung des staatlichen Gewaltapparats als Voraussetzung einer revolutionären Transformation der Gesellschaft konzentrieren. Wenn der bürgerliche Staat selbst Produkt der kapitalistischen Produktionsverhältnisse ist, kann es weder darauf ankommen, ihn zu reformieren noch darauf, mit seiner Hilfe strukturelle gesellschaftliche Veränderungen durchzusetzen. Er wird vielmehr als gesellschaftliche Form im Zuge eines revolutionären Prozesses übflüssig werden und verschwinden („absterben“). Schon von daher und nicht nur wegen des Status der Marxschen Theorie als „Oppositionswissenschaft“ ist begreiflich, daß Fragen einer (im weitesten Sinne) „Betriebswirtschaftslehre des Staates“ in ihr keine wesentliche Rolle spielen konnten. Einer sich im Zusammenhang sozialrevolutionärer Bewegung verstehenden Theorie kann es nicht um immanente Funktionserklärungen der politisch-administrativen Apparatur mit dem Ziel von Rationalisierung und Effizienzsteigerung gehen. Ihre Fragestellung ist eine radikal andere als die einer Verwaltungswissenschaft, welche die bestehenden gesellschaftlich-politischen Strukturen zu ihrer — wenn auch möglicherweise zu reformierenden — Grundlage macht.
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Esser, J., Hirsch, J. (1982). Materialistische Staatstheorie und Verwaltungswissenschaft. In: Hesse, J.J. (eds) Politikwissenschaft und Verwaltungswissenschaft. Politische Vierteljahresschrift, vol 13/1982. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-88633-0_6
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