Zusammenfassung
In den bisherigen Abschnitten wurde das Strafrecht der DDR dargestellt, d.h. welches Verhalten verboten ist und mit welchen Rechtsfolgen Übertretungen der Verbote geahndet werden. Schon dabei wurde nicht nur auf das geschriebene Recht abgestellt, sondern die Wirklichkeit insofern einbezogen, als auch die Ausfüllung rechtlicher Spielräume oder gar die Überschreitung des geschriebenen Rechts in der Praxis berücksichtigt wurden. Eine weitere Dimension der Wirklichkeit wird mit der Frage erschlossen, wie oft das Strafrecht der DDR tatsächlich übertreten wird und wie sich diese Übertretungen auf die verschiedenen Strafvorschriften verteilen. Neben die Frage nach dem Strafrecht tritt damit die Frage nach der tatsächlichen Kriminalität in der DDR. Diese beiden Bereiche stehen einerseits in schroffem Gegensatz, andererseits aber auch in enger Beziehung zueinander. Einerseits sind die strafbaren Handlungen Verstöße gegen das Strafrecht und damit Fälle seines Versagens. Andererseits definiert aber das Strafrecht überhaupt erst, was strafbare Handlungen sind, und erzeugt sie damit gewissermaßen.
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Literatur
J. Hellmer, Zur Kriminalität in beiden Teilen Deutschlands, in: Festschrift für Reinhart Maurach zum 70. Geburtstag, hrsg. von F.-C. Schroeder und H. Zipf, 1972, S. 641 ff.
J. Hellmer, Zur Kriminalität in beiden Teilen Deutschlands, in: Festschrift für Reinhart Maurach zum 70. Geburtstag, hrsg. von F.-C. Schroeder und H. Zipf, 1972, S., 648f.
Nachw. bei F.-C. Schroeder, Inhalt und Entwicklung von Staat und Recht nach dem neuen Parteiprogramm der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Jahrbuch für Ostrecht, Bd. III/1 (1962), S. 45ff., 52. Aus neuester Zeit V.N. Kudrjavcev, Die sozialistische Gesetzlichkeit und die Rechtswissenschaft (russ.), Zeitung „Pravda“vom 3.7.1981, S. 2f. — Auf einem wissenschaftlichen Kongreß in Moskau im Dezember 1977 wurde dem Verfasser ein Pelzmantel gestohlen. Auf dem Polizeireivier am Roten Platz wurde er dazu etwa zwei Stunden lang vernommen und mußte jede der etwa fünf protokollierten Seiten eigenhändig unterzeichnen. Er wurde gebeten, nach zwei Tagen wieder anzurufen. Bei diesem Anruf wurde ihm erklärt, in der Angelegenheit könne leider nichts unternommen werden, da keine förmliche Strafanzeige von seiten des Verfassers vorliege!
Gazeta Prawnicza (Juristische Zeitung) vom 1.12.1980.
H. Harrland/M. Hegner/R. Hiller/H. Schwarz, Kriminalstatistik. Leitfaden, 1968, S. 48. — Dagegen fiel die in Anm. 2 genannte Äußerung Kudrjavcevs bei dem Abdruck einer Übersetzung dieses Beitrages in der Zeitschrift „Neue Justiz“, 1981, S. 458ff., bemerkenswerterweise einer „Kürzung“zum Opfer.
W. Heinz argwöhnt eine Zählung als lediglich eine Straftat (Die Strafrechtspflegestatistik in der DDR. Entwicklung und Stand im Vergleich mit der Bundesrepublik, Jahrbuch für Ostrecht, Bd. XVIII, 1977, S. 49ff., 80 Fußnote 154). Er stützt diesen Argwohn im wesendichen auf die Regelung, daß nach § 64 StGB DDR bei mehrfacher Gesetzesverletzung die Strafe nach dem Charakter und der Schwere des gesamten strafbaren Handelns zu bemessen ist. Dieses Argument erscheint jedoch nicht überzeugend; weitere Angaben für diese These finden sich nicht. Auffallend ist allerdings der geringe Überschuß der Zahl der „Straftaten“gegenüber der der „Täter“in der Kriminalstatistik der DDR, der bei laufend sinkender Tendenz 1980 22,7% betrug (Statistisches Jahrbuch 1981, S. 379).
Statistisches Jahrbuch 1981 der Deutschen Demokratischen Republik, 1981, S. 379ff.
W. Heinz aaO (Anm. 5), S. 78, Fußnote 148 m. Nachw.
H. Mettin — E. Rabel, Der soziale Charakter des Rückfalldiebstahls, 1967.
J. Hellmer, Zur Kriminalität in beiden Teilen Deutschlands, in: Festschrift für Reinhart Maurach zum 70. Geburtstag, hrsg. von F.-C. Schroeder und H. Zipf, 1972, S. 641 ff.
Polizeiliche Kriminalstatistik 1980, 1981, S. 6, 170f. Dabei erfolgen zwar z.T. Doppelzählungen, doch fallen die Staatsschutzdelikte mit 0,2% der Gesamtkriminalität ohnehin nicht ins Gewicht.
Kommentar 1969, § 196 Anm. 1; Kommentar 1981, § 196 Anm. 1, 2.
Statistisches Bundesamt Wiesbaden, Fachserie 10: Rechtspflege. Reihe 3: Strafverfolgung, 1980, erschienen 1981.
E. Blankenburg/K. Sessar/W. Steffen, Die Staatsanwaltschaft im Prozeß strafrechtlicher Sozialkontrolle, 1978, S. 25.
Die Schätzung, daß die durch den neuen Erfassungsmodus eingetretene Entlastung der Kriminalstatistik der DDR 20–25% beträgt (A. Freiburg, Probleme der vergleichenden Kriminologie. Allgemeine Kriminalität und Jugendkriminalität in deutsch-deutschem Vergleich, in: Beiträge zur Jugendforschung [Walter Jaide zum 65. Geburtstag], hrsg. von B. Hille und B. Roeder, 1979, S. 121 ff.), erscheint als rein spekulativ.
A. Freiburg, Probleme der vergleichenden Kriminologie. Allgemeine Kriminalität und Jugendkriminalität in deutsch-deutschem Vergleich, in: Beiträge zur Jugendforschung [Walter Jaide zum 65. Geburtstag], hrsg. von B. Hille und B. Roeder, 1979, S. 128)
Polizeiliche Kriminalstatistik 1980, 1981, S. 24.
Statistisches Bundesamt, Fachserie 10: Rechtspflege. Reihe 3: Strafverfolgung — 1980 -, 1981, S. 28.
Hingegen besteht Übereinstimmung darin, daß der Schuldspruch unter Absehen von Strafe, der in der DDR übrigens wesentlich häufiger möglich ist (s.o. III 3) und damit auch häufiger sein dürfte als in der Bundesrepublik, statistisch nicht als Verurteilung gilt. In der DDR gilt er nicht einmal rechdich als Verurteilung (§ 243 StPO). In der Strafprozeßrechtswissen-schaft der DDR wird der Schuldspruch unter Absehen von Strafe inzwischen allerdings als „Sonderfall des verurteilenden Urteils“angesehen (Strafverfahrensrecht. Lehrbuch, 1977, S. 358).
Nach der überwiegenden Auffassung in der Bundesrepublik Deutschland entspricht die Zahl der „Täter“in der Kriminalstatistik der DDR seit 1968 der Zahl der Verurteilten in der Bundesrepublik (J. Hellmer, Jugendkriminalität, 4. Aufl. 1978, S. 54
A. Freiburg, Kriminalität in der DDR 1981, S. 53). Dies trifft aber wiederum deshalb nicht zu, weil in der Zahl der „Täter“der Kriminalstatistik der DDR auch die Einstellungen gegenüber Jugendlichen nach §§ 75, 76 StPO enthalten sind. Die entsprechenden Zahlen machen für die Bundesrepublik für das Jahr 1980 82 518 Fälle, das sind 161 pro 100 000 der strafmündigen Bevölkerung aus (Statistisches Bundesamt Wiesbaden, Fachserie 10: Rechtspflege. Reihe 3: Strafverfolgung — 1980 -, 1981, S. 29, 79). — Umgekehrt müßten zu der Zahl der Verurteilungen in der Bundesrepublik noch die Fälle der Aussetzung der Entscheidung nach § 27 JGG gezählt werden, die der „bedingten Verurteilung“in der DDR entsprechen (s.o. IV 2b, V). Ihre Zahl beträgt jedoch im Jahr 1980 nur insgesamt 1960 und damit 4 pro 1C0 000 der strafmündigen Bevölkerung (Statistisches Bundesamt Wiesbaden, Fachserie 10: Rechtspflege. Reihe 3: Strafverfolgung — 1980 -, 1981, S. 79).
A. Freiburg, Kriminalität in der DDR. Zur Phänomenologie des abweichenden Verhalten im sozialistischen deutschen Staat, 1981, S. 213ff.
Polizeiliche Kriminalstatistik 1980, 1981, S. 48.
Polizeiliche Kriminalstatistik 1980, 1981, S. 7.
L. Auerbach, Stand, Entwicklung und Ursachen der mitteldeutschen Jugendkriminalität, Jahrbuch für Ostrecht, Bd. VII/2 (1966), S. 37 ff.
Umfaßt auch den Sexuellen Mißbrauch Widerstandsunfähiger.
Umfaßt auch die Unterschlagung i.S. des herkömmlichen deutschen Rechts.
Nach Lehrbuch 1978, S. 47 beträgt der Anteil der Eigentums- und Wirtschaftsstraftaten „seit Anfang der sechziger Jahre ziemlich constant“sogar 54%.
S.a. A. Freiburg aaO (oben Anm. 19), S. 286f.
Damals betrugen die Fälle des Pflichtwidrigen Verhaltens nach einem Verkehrsunfall zusammen mit der Gefährdung der Sicherheit im Verkehr und den Angriffen auf das Verkehrswesen nach §§ 197–199 StGB 604 bzw. 580 Fälle gegenüber 2526 bzw. 2611 Fällen der Herbeiführung eines schweren Verkehrsunfalls.
Geschätzt nach der Verurteilten-Statistik, Statistisches Bundesamt, Fachserie 10: Rechtspflege, Reihe 3: Strafverfolgung — 1980 -, 1981, S. 18.
Lehrbuch 1978, S. 47.
Die in der Polizeilichen Kriminalstatistik ebenfalls nicht enthaltenen Staatsschutzdelikte betragen im Jahr 1980 9078 Fälle (Polizeiliche Kriminalstatistik 1980, 1981, S. 170f.). Davon sind jedoch 18 Fälle von Mord und Totschlag und 5622 „sonstige Staatsschutzdelikte“. Diese Fälle dürften überwiegend auch in der allgemeinen Polizeilichen Kriminalstatistik erfaßt sein. Der Rest von 3438 Staatsschutzdelikten kann mit 0,09% an der Gesamtkriminalität außer Betracht bleiben.
AaO (Anm. 28), S. 28.
Drucksache des Deutschen Bundestages Nr. VI/3080, Rdn. 444. Vgl. auch Rdn. 445 zur Steigerung des Anteils der vorsätzlichen Körperverletzung seit 1964.
Schroeder, Über Straftatbestände und Kriminalität in den sozialistischen Staaten, in: Kriminalität (Forschung und Information, Schriftenreihe der Rias-Funkuniversität, hrsg. von Ruprecht Kurzrock, Bd. 20), 1976, S. 37ff.
Schroeder, Über Straftatbestände und Kriminalität in den sozialistischen Staaten, in: Kriminalität (Forschung und Information, Schriftenreihe der Rias-Funkuniversität, hrsg. von Ruprecht Kurzrock, Bd. 20), 1976, S. 45.
F-C. Schroeder, Zunahme der Gewaltkriminalität in der DDR. Zeitschrift „Deutschland Archiv“, 1980, 282 ff.
F.-C. Schroeder, Die Entwicklung der Kriminalität in der DDR 1979, Zeitschrift „Deutschland Archiv“, 1981, 840ff.
S. Freiburg aaO (Anm. 19), S. 245; W. Oschlies, Jugendkriminalität in Osteuropa, 1979, S. 84.
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Schroeder, FC. (1983). Die Kriminalität in der DDR. In: Das Strafrecht des realen Sozialismus. WV studium, vol 124. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-88230-1_9
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