Zusammenfassung
Lassen Sie mich mit einer Definition beginnen: Poena est malum passionis, quod infligitur ob malum actionis.1 Dieser Satz des Hugo de Groot, schon 1625 inhaltlich nicht neu, umgreift bis heute alles, was als Strafe und als Strafrecht gedacht worden ist.2
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Literatur
Grotius, De iure belli ac pacis, Paris 1625, Lib. II, Cap. XX.
Zum Folgenden insbes. auch Roxin, Sinn und Grenzen staatlicher Strafe, JuS 1966, 377ff; Schmid-häuser Schmid-häuser, Vom Sinn der Strafe, 2. Aufl., Göttingen 1971, und neuestens H.-L. Schreiber, Widersprüche und Brüche in heutigen Strafkonzeptionen, ZSt W 94, 279ff.
Siehe dazu Armin Kaufmann, Probleme rechtswissenschaftlichen Erkennens am Beispiel des Strafrechts. In: Wissenschaft und Verantwortung (Universitätstage Berlin 1962), S. 145ff.
Die sehr umfängliche und ergiebige Diskussion im Anschluß an den Vortrag konnte nur zum Teil berücksichtigt werden. — Ulrich Scheuner vertrat die These, daß das Strafrecht immer politisch und sozial konservativ sei, weil es die bestehende Ordnung schütze. Das ist nur insofern richtig, als das positive Strafrecht die Positivität des Rechts, also den status quo, voraussetzt und damit schützt, ohne Rücksicht freilich auf Alter oder politische Herkunft der Inhalte der Rechtsnormen; in diesem Sinne: Wolfgang Kluxen, Heinz Hübner, Paul Mikat, Klaus Stern, Armin Kaufmann.
BVerfGE 45, 187 ff (253 f); vgl. Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl., Berlin 1969, S. 1.
Grotius, a. a. O., Lib. II Cap. XX, IV 1. — Daß der späte Plato ähnliche Gedanken entwickelt hat, ist eine andere Frage.
Schon 1799 bemerkte Feuerbach: „Dieser Spruch, den unsere Criminalisten so oft für ihre Theorien anführen, ist, eine so schöne Wahrheit er auch enthält, doch nur in gewisser Hinsicht wahr; so wie er in anderm Betracht ganz falsch ist. Sieht man auf die Execution der Strafe, so ist er durchaus falsch. Diese findet nicht darum statt, ne peccetur, sondern allein quia peccatum est. Versteht man ihn von der Drohung der Strafe, so ist er völlig wahr. Denn nicht um begangene Beleidigungen zu hindern (quia praeterita revocari non possunt), sondern um zukünftige unmöglich zu machen, wird das Strafgesetz gegeben.“(Revision der Grundsätze und Grundbegriffe des positiven peinlichen Rechts, Erster Theil, Erfurt 1799, S. 61) — Was ist dem, 180 Jahre später, eigentlich hinzuzufügen? Vgl. auch Kant im Anhang zur Neuauflage der „Metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre“ (Ausgabe d. Preuß. Akademie d. Wiss., Bd. VI, S. 363, Fußnote, Hervorhebungen dort): „Die Strafgerechtigkeit (iustitia punitiva), da nämlich das Argument der Straßarkeit moralisch ist (quia peccatum est), muß hier von der Strafklugheit, da es bloß pragmatisch ist (ne peccetur) und sich auf Erfahrung von dem gründet, was am stärksten wirkt, Verbrechen abzuhalten, unterschieden werden und hat in der Topik der Rechtsbegriffe einen ganz anderen Ort, locus iusti, nicht des conducibilis oder des Zuträglichen in gewisser Absicht, noch auch den des bloßen honesti, dessen Ort in der Ethik aufgesucht werden muß.“
BVerfGE 45, 187ff (259).
BVerfGE 20, 323 ff (331); 50, 125 ff (133); 50, 205 ff (214); Scholz, in: Maunz — Dürig — Herzog — Scholz, Grundgesetz-Kommentar, Art. 102 Rn 1 = Anm. I 1c, München 1981; Leibholz/Rinck, Grundgesetz-Kommentar, Art. 20, Anm. 28 b, 6. Aufl., Köln 1980.
v. Liszt, Lehrbuch, 3. Aufl., Berlin 1888, S. 25 f; abschwächend 22. Aufl., Berlin 1919, S. 24.
Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Kants Schriften, Bd. VI, S. 331ff; S. 337 (Ausg. d. Preuß. Akademie d. Wiss.).
Brief an Erhard (1792), Kants Schriften, Bd. XI, S. 398 f. (Ausg. d. Preuß. Akademie d. Wiss.); Hervorhebung bei Kant.
Siehe oben Note 7.
Es gibt keinen Grund für die Annahme, daß Kant seine Differenzierung zwischen moralischer (göttlicher) Gerechtigkeit und menschlicher (irdischer) Zweckmäßigkeit des Strafens nach 1792 geändert haben sollte, wie Welzel annimmt (Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl., Berlin 1969, S.240). Vgl. auch Kants handschriftlichen Nachlaß, Bd. VI, Nr. 8029: „Alle Strafe im Staat geschieht wohl zur correction und zum Exempel, aber sie muß allererst um des Verbrechens an sich selbst willen gerecht seyn, quia peccatum est. Der Verbrecher muß nicht über Unrecht klagen können.“(Kants Schriften, Bd. XIX, S. 596; Ausg. d. Preuß. Akademie d. Wiss.). Auch das Inselbeispiel, das meist als Beleg für Kants Konzept der reinen Vergeltung zitiert wird, besagt nichts anderes: Die Bewohner einer Insel wollen auswandern; aus welchen Gründen, bleibt bei Kant offen. Nach der Kantischen Version der Vertragstheorie sind die Auswanderer verpflichtet, sich anderen Staaten anzuschließen. Die Frage, ob die Auswanderer vor dem Verlassen der Insel den zum Tode verurteilten Mörder noch hinrichten müssen, bejaht Kant — und zwar für die „Welt, die von moralischen Prinzipien“, d. h. von Gott regiert wird — mit den berühmten Worten: „damit jedermann das widerfahre, was seine Thaten werth sind, und die Blutschuld nicht auf dem Volke hafte, das auf diese Bestrafung nicht gedrungen hat: weil es als Teilnehmer an dieser öffentlichen Verletzung der Gerechtigkeit betrachtet werden kann.“(Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Kants Schriften, Bd. VI, S. 333; Ausg. d. Preuß. Akademie d. Wiss.). Wie man zu dieser Antwort Kants auch stehen mag, sie ist jedenfalls nicht absurd und kein Beleg für ein Konzept der reinen Vergeltung. Auch ein irdischer Kleinstaat der Gegenwart könnte sich vor dieses Problem gestellt sehen.
In seiner tiefschürfenden Analyse der Straftheorie Kants kommt Naucke (Kant und die psychologische Zwangstheorie Feuerbachs, Hamburg 1962, S. 36; vgl. auch Naucke, Die Reichweite des Vergeltungsstrafrechts bei Kant, Schleswig-Holsteinische Anzeigen 1964, S. 203 ff) zu dem Ergebnis: „Da der Grund, wie Kant ihn versteht, die Strafe schon in jeder Hinsicht bestimmt, kann die Erreichung eines Zwecks nur ein gleichsam unbeabsichtigtes, wenn auch vielleicht willkommenes Nebenprodukt einer als verdient und aus Gerechtigkeit verhängten Strafe sein.“— Dieser Deutung, die Naucke selbst „etwas kühn“nennt, vermag ich nicht zu folgen. Welche Rolle sollte denn der „Strafelugheit“i. S. Kants noch zukommen, wenn die „Strafgerechtigkeit“nicht nur die Begründung, sondern auch die Notwendigkeit des menschlichen Strafgesetzes ergäbe? — Es muß bei Kants eigener Äußerung bleiben, daß auf Erden die „Strafgerechtigkeit“die „Rechtfertigung“der Strafgesetze abgibt, mit denen der Gesetzgeber weitergehende „Absichten“verfolgt („Strafvernunft“). Von der Deutung Nauckes unberührt bliebe übrigens die fragmentarische Natur des Strafrechts in der Rechtslehre Kants.
Vgl. z.B. Hegels „Grundlinien der Philosophie des Rechts“, § 218 (Hervorhebungen dort): „Indem Eigentum und Persönlichkeit in der bürgerlichen Gesellschaft gesetzliche Anerkennung und Gültigkeit haben, so ist das Verbrechen nicht mehr nur Verletzung eines subjektiv-Unendlichen, sondern der allgemeinen Sache, die eine in sich feste und starke Existenz hat. Es tritt damit der Gesichtspunkt der Gefährlichkeit der Handlung für die Gesellschaft ein, wodurch einerseits die Größe des Verbrechens verstärkt wird, andererseits aber setzt die ihrer selbst sicher gewordene Macht der Gesellschaft die äußerliche Wichtigkeit der Verletzung herunter und führt daher eine größere Milde in der Ahndung desselben herbei.“ Darauf, daß sich bei Hegel die gerechte Vergeltung als Rechtfertigung der Strafe mit der Generalprävention verbindet, weist jetzt Seelmann (JuS 1979, 687 ff) in seiner treffenden Analyse der Straftheorie Hegels hin.
Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl., Berlin 1969, S. 238.
In der Diskussion war kontrovers, ob ein religiöser Bezug, ein Rekurs auf Gott für die Entstehung der öffentlichen Strafe und für die Rechtfertigung der Strafe wesentlich sei. Die Rechtswissenschaft der Gegenwart muß die Frage anders stellen und beantworten: „Der Staat straft nicht, damit überhaupt in der Welt Gerechtigkeit, sondern damit Rechtlichkeit des Gemeinschaftslebens (Geltung und Befolgung seiner Rechtsordnung) sei“(Welzel, a.a.O., S. 240). Ob dieser „Straiklugheit“auch echte („moralische“) „Straigerechtigkeit“— beides i. S. Kants — entspricht, das ist die tiefste, die letzte Frage der Rechtsphilosophie; siehe oben bei Note 3.
Die Frage, wie vom deterministischen Ansatz aus Wertungen über menschliche Akte überhaupt gefunden und als Zwecke staatlichen Handelns genommen werden können, wird nicht gestellt.
Im Text können und sollen nur der Grundansatz und das eigentliche Reformziel wiedergegeben werden. Die weitere Entwicklung wird kompliziert und verdunkelt durch Einflüsse des positiven Rechts, das ja ein Schuldstrafrecht ist, und durch mannigfache kriminalpolitische, dogmatische und terminologische Kompromisse und Mißverständnisse. So heißt es schon in der 3. Aufl. des v. Liszt-schen Lehrbuchs 1888 (S. 29): „Der kategorische Imperativ der Vergeltung deckt sich mit den Nützlichkeitsrücksichten der Politik. In der Vertiefung des Schuldbegriffs haben wir die Versöhnung des Widerstreits gefunden. Die Strafe ist Interessenschutz, weil und soweit sie Vergeltung ist; sie ist Vergeltung, wenn und soweit sie Interessenschutz ist.“(Hervorhebung dort) — Anderseits bleibt noch in der 22. Aufl. (1919) die Schuldlehre (zum RStGB!) eigentümlich formal und verkürzt: Der Verbotsirrtum wird weniger berücksichtigt als selbst in der damals allgemein abgelehnten Rechtsprechung des Reichsgerichts; und sogar die Putativnotwehr in unvermeidbarem „Tatirrtum“läßt die volle „Vorsatzschuld“bestehen (S. 174)! — In der défense sociale werden Errungenschaften der Dogmatik des modernen Schuldstrafrechts als Forderungen der Spezialprävention erhoben; daß selbst die radikale Richtung (Grammatica) in eigentümlicher Ambivalenz zur Schulddogmatik verbleibt, hat Hilde Kaufmann nachgewiesen (v. WEBER-Festschrift, Bonn 1963, S. 419 ff, bes. S. 436). 21 Kriminologie und Sanktionsgesetzgebung, ZSt W 92, 143 ff (153); auch zum Folgenden.
Hartmann, Ethik, 3. Aufl., Berlin 1949, S. 628. — Auch für Kant ist das Sollen nur möglich unter der Voraussetzung der Freiheit (s. dazu Naucke, Kant und die psychologische Zwangstheorie Feuerbachs, Hamburg 1962, S. 25).
a. a. O., S. 799 (Hervorhebung von mir).
M.E. Mayer, Die schuldhafte Handlung und ihre Arten im Strafrecht, Leipzig 1901, S. 100; Der All-gemeine Teil des Deutschen Strafrechts, Heidelberg 1917, S. 451.
Kritisch Engisch, Die Lehre von der Willensfreiheit in der strafrechtsphilosophischen Doktrin der Gegenwart, 2. Aufl., Berlin 1965, S.41f.
Vgl. Welzel, a.a.O., S. 241; Henkel, Die „richtige“Strafe, Tübingen 1969;
Stratenwerth, Tatschuld und Strafzumessung, Tübingen 1972.
a. a. O., S. 239.
Daß auch mit „kommunikativer“Schuldzuschreibung das „Einüben in Rechtstreue“erfolgreich verbunden ist, hat Dornseifer dargelegt (Rechtstheorie und Strafrechtsdogmatik Adolf Merkels, Berlin 1979, S. 108 ff).
In der Diskussion nahm einen breiten Raum ein die Frage, wann die Prägekraft des Strafrechts notwendig sei und wann nicht (das Problem des fragmentarischen Charakters) und inwieweit sie überhaupt vorhanden sei. Über die Notwendigkeit der Bewehrung mit Strafe und die Möglichkeit, auf Sanktionen zu verzichten, lassen sich derzeit theoretische Aussagen kaum machen. Schon Kant verwies auf die „Erfahrung“; die Erfahrungswissenschaft Kriminologie hat aber in diesem Bereich kaum Ergebnisse zu bieten (Vgl. Schöch, ZSt W 92, 143 ff). Zur Prägekraft des Strafrechts nannte ich zwei Beispiele: 1. Seit die unterlassene Hilfeleistung bei Unglücksfällen unter Strafe gestellt worden ist (§ 330 c RStGB, jetzt § 323 c StGB), hat sich dieses rechtliche Gebot allgemein durchgesetzt, mag auch die Dunkelziffer — wie bei allen Unterlassungsdelikten — relativ hoch sein. 2. Ein negatives Beispiel bietet § 218 RStGB alter Fassung. Schon seit Jahrzehnten gelangten Abtreibungen seitens der Schwangeren kaum noch zur Aburteilung (Dunkelziffer erheblich über 90%!). Es fehlte die Verfolgungsintensität bei Polizei wie Justiz, wohl einem Wandel der gesellschaftlichen Wertvorstellungen folgend.
Vgl. Schöch, ZStW92, 143 ff.
Anderseits geht der Makel der Verurteilung und der Bestrafung in unserer Gesellschaft oft über das Maß der gerechten Vergeltung hinaus. Der Vorbestrafte hat, soweit die Strafe bekannt geworde ist oft weitere erhebliche Nachteile, die nicht mehr schuldangemessen sind. — In der Diskusion ven wies ich darauf, daß es nur in den Niederlanden einigermaßen erreicht wird, daß mit.dem Vollzung der Strafe auch „die Sache abgetan“ist. Das hängt dort wohl mit der Tradition des Gefängniswesens zusammen, die im Religiösen und Kirchlichen wurzelt (in der calvinistischen Rthik.
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Kaufmann, A. (1983). Die Aufgabe des Strafrechts. In: Die Aufgabe des Strafrechts. Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften, vol 262. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-88227-1_1
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