Zusammenfassung
Unsere Untersuchung des Meinungsbildes über den Fraktionswechsel begann mit der Analyse der rechtswissenschaftlichen Äußerungen. Diese werden in Parlamentsdebatten, Stellungnahmen der Parteien und in einigen Kommentaren der Zeitungen wieder aufgenommen605. In Leserbriefen finden sie sich nur sporadisch606; in ihnen wird vielmehr wie auch sonst in der von Parteien und Zeitungen geführten Diskussion überwiegend auf angebliche Vor- oder Nachteile einer verstärkten Parteibindung des Abgeordneten, auf die angeblich vorliegende oder fehlende Berechtigung der Forderung nach mehr Mitbestimmung des Wählers durch den Wahlakt und auf den tatsächlichen oder vorgegebenen Mißbrauch des Mandats durch die Fraktionswechsler abgestellt. In dieser Diskussion dominieren eindeutig die Parteien: Sie wählen die Argumente nach Belieben aus, ihre Aktionen und Äußerungen werden von der Presse zustimmend oder ablehnend kommentiert, der Bürger nimmt ihre Argumente auf und reformuliert sie. Rechtswissenschaftliche Argumentation, bis 1968 übereinstimmend in der Ablehnung des Mandatsverlustes bei Austritt, öffnet sich seit der Regierungskrise in Niedersachsen zunehmend den Argumenten für eine verstärkte Parteibindung des Abgeordneten und verhilft einer in den Regierungsparteien SPD und FDP vertretenen Ansicht zur Reputation einer wissenschaftlichen Minderheitsmeinung, die nicht mehr übergangen werden kann. Unsere oben formulierte Hypothese, die unzureichende methodologische Basis der bisherigen Verfassungsinterpretation schließe eine pragmatische Anpassung rechtswissenschaftlicher Ergebnisse an politischen Strömungen nicht aus607, wird damit bestätigt. Die Presse leistet keinen erkennbaren eigenständigen Beitrag zur Problemlösung, sondern bleibt Resonanzboden der Argumentation der Parteien. Wo ein eigenständiger Beitrag vom Bürger kommt608, bleibt er unberücksichtigt. Wir formulieren daher die Hypothese: Die Parteien haben in der Frage des Fraktionswechsels das Meinungsbild entscheidend bestimmt. Sie bewährt sich auch durch nachfolgende Überlegungen.
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© 1974 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen
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Müller, M. (1974). Analyse und Kritik des Meinungsbildes. In: Fraktionswechsel im Parteienstaat. Studien zur Sozialwissenschaft, vol 21. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-88218-9_5
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-88218-9_5
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Print ISBN: 978-3-531-11261-9
Online ISBN: 978-3-322-88218-9
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