Zusammenfassung
Der Begriff „politische Justiz” hat zweifellos einen pejorativen Akzent. Kirchheimer bezeichnet sie als den „dubiosesten Abschnitt der ’Rechtspflege’”, weil die „Vorkehrungen und Einrichtungen des staatlich betreuten Rechts dazu benutzt werden, bestehende Machtpositionen zu festigen oder neue zu schaffen” (Kirchheimer 1965, S. 11); andere Autoren sprechen von dem Mißbrauch der Rechtspflege des Staates zur Unschädlichmachung des persönlichen oder politischen Gegners (Krüger, S. 726ff., 727) oder beklagen die politische Blindheit oder Voreingenommenheit der Richter, die sie ihre Aufgabe, nämlich die Schaffung und Wahrung von Gerechtigkeit, verfehlen läßt (Schmid, S. 14ff., 193ff.; Hannover/HannoverDrück). Politische Justiz bezeichnet nach diesem Verständnis eine „pathologische Gestalt des Verhältnisses von Staat und Recht” (Krüger, S. 726), und „Political Justice” läß sich daher keinesfalls, wie Kirchheimer betont, mit „politischer Gerechtigkeit” übersetzen, sondern stellt eher eine Erscheinungsform der Außerkraftsetzung von Gerechtigkeit dar (Kirchheimer 1965, S. 11). Es ist dann nur konsequent, daß Kirchheimer sein Buch „allen Opfern der politischen Justiz in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft” widmet, denn sie alle sind danach Opfer von Ungerechtigkeit. Aber sollte er, der zur Emigration gezwungene deutsche Jude, sein Buch auch den Angeklagten des Nürnberger Prozesses, Streicher, v. Schirach, Hess, Speer, v. Neurath und wie sie alle geheißen haben, gewidmet haben? Liest man den Abschnitt über den Nürnberger Prozeß (a.a.O., S. 473ff.), so wird man das verneinen müssen. Also gibt es doch eine „gerechte”, zumindest legitime politische Justiz? Was haben wir eigentlich unter politischer Justiz zu verstehen? Welches sind ihre Strukturmerkmale, die zu offensichtlich widersprüchlichen Stellungnahmen Kirchheimers in ein und derselben Abhandlung geführt haben?
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Preuß, U.K. (1989). Politische Justiz im demokratischen Verfassungsstaat. In: Luthardt, W., Söllner, A. (eds) Verfassungsstaat, Souveränität, Pluralismus. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-87760-4_10
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