Zusammenfassung
Eine sachliche Behandlung des Themas wird im allgemeinen dadurch erschwert, daß in der alltäglichen Vorstellung von Patienten und in der Sprache der Massenmedien »Streß« pauschal als gesicherter Risikofaktor Koronarer Herzkrankheiten betrachtet wird. Wer als betroffener Patient seinen angeblichen Streß für den Ausbruch der Krankheit verantwortlich macht, lenkt darüber hinaus von unbequemeren Tatsachen wie starkem Rauchen und ungesunder Ernährung ab oder rechtfertigt sie sogar. Begreiflicherweise weckt dieses Thema daher im Kollegenkreis Emotionen. Die vorliegende Schrift versucht, eine wissenschaftliche Darstellung unseres gegenwärtigen Kenntnisstandes zu geben. Ich gehe dabei von drei kritischen Thesen aus, die sich gegen die alltägliche Vorstellung von Streß als koronarem Risikofaktor formulieren lassen:
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1.
Im Gegensatz zum Laienkonzept sieht die Wissenschaft »Streß« nicht als unspezifische Aktivierung im Gefolge ganz beliebiger Stimuli und Emotionen. Kreislaufschädigende Effekte gehen vielmehr von spezifischen sozioemotionalen Belastungen aus, die wir unter den Begriff des aktiven Distreß subsumieren und die im folgenden genauer erläutert werden (These der mangelnden Spezifizierung des Streßkonzeptes).
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2.
Im Gegensatz zum Laienverständnis spielen psychosoziale Faktoren in der Pathogenese der Koronaren Herzkrankheit am ehesten bei den Menschen eine Rolle, denen es selbst fernliegt, sich als »gestreßt« zu bezeichnen. Dies hängt, wie gezeigt wird, mit einer bestimmten Ausprägung der Wahrnehmung der eigenen Verausgabung zusammen. Sie scheint für Menschen typisch zu sein, die sogenanntes koronargefährdendes Verhalten aufweisen (These der fehlerhaften Identifizierung der durch Streß gefährdeten Personen).
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3.
Im Gegensatz zum Laienverständnis vom »gebrochenen Herzen«, aber auch im Gegensatz zur ersten Generation wissenschaftlicher Streßforschung gehen wir heute davon aus, daß sozioemotionale Belastungen — für sich genommen — in einem intakten Organismus das Herz-Kreislauf-System nicht substantiell zu schädigen vermögen, daß sie aber auf dem Boden struktureller Schädigungen von Gefäßen und Endorganen den Ausbruch der Krankheit beschleunigen. Mit anderen Worten: es besteht ein positiver Interaktionseffekt zwischen dem Vorhandensein Distreß-induzierender sozioemotionaler Belastungen und dem Vorhandensein — möglicherweise auch milde ausgeprägter — somatischer kardiovaskulärer Risikofaktoren (These der Überschätzung der pathogenen Rolle von Streß).
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© 1987 Friedr. Vieweg Verlag, Braunschweig/Wiesbaden
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Siegrist, J. (1987). Einleitung. In: Siegrist, J. (eds) Chronischer Streß und koronares Risiko. Vieweg+Teubner Verlag. https://doi.org/10.1007/978-3-322-87598-3_1
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-87598-3_1
Publisher Name: Vieweg+Teubner Verlag
Print ISBN: 978-3-528-07942-0
Online ISBN: 978-3-322-87598-3
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