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Science Assessment: Eine Perspektive der Demokratisierung von Wissenschaft

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Zusammenfassung

Um die gegenwärtige Entwicklungsdynamik gesellschaftlicher Wissensordnungen und die sich daraus ergebende Notwendigkeit eines Science Assessment richtig einzuschätzen, muss man sich zunächst vor Augen halten, mit welch ungewöhnlicher und folgenreicher Erfindung es den modernen Verfassungsstaaten gelungen ist, aus den durch die wissenschaftliche Revolution des 17. Jahrhunderts ausgelösten Umwälzungen der Beziehung zwischen Wissen und Gesellschaft institutionelle Konsequenzen zu ziehen: der Gewährleistung der Freiheit der Wissenschaft. Erst diese schuf im Verein mit institutionellen Verwirklichungsformen in Gestalt von Universitäten, Akademien, wissenschaftlichen Gesellschaften, Instituten und Laboratorien einen Raum experimentellen wissenschaftlichen Denkens, für den Unzulänglichkeit und Ungewissheit wissenschaftlicher Erkenntnis konstitutiv waren und in dem der wissenschaftliche Irrtum nicht länger als Sünde oder Verbrechen sanktioniert wurde, sondern als Motiv für die Erweiterung des Wissens und damit des wissenschaftlichen Fortschritts insgesamt diente. Demnach hat diese institutionelle Differenzierung wesentlich zur Entfesselung der wissenschaftlich-technischen Revolution bis in die Gegenwart beigetragen. Denn die institutionelle Garantie eines sich selbst verantwortlichen Bereichs der Wissensproduktion, der ausschließlich nach eigenen Maßstäben Erkenntnisse und Wahrheitsbehauptungen in einem vielschichtigen Prozess erprobt und überprüft, steigert die Möglichkeit zu,,riskanten“, d.h. dem Risiko des Irrtums ausgesetzten, aber auch die Chance zu revolutionären, Erkenntnisdurchbrüche eröffnenden Forschungsvorhaben.

Bei der Überarbeitung der Expertise für diesen Beitrag habe ich eine Vielzahl von wichtigen Anregungen von Jochen Glaeser erhalten, für die ich mich sehr herzlich bedanke.

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Literatur

  1. Diese Formierung neuzeitlicher Wissenschaft legt es nahe, die Wissenschaft dieser (im Kontext reflexiver Modernisierung so genannten) erst-modernen Konstellation als „absolute Monarchie“ zu kennzeichnen (Böschen 2003a).

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  2. Damit würde in der Wissenschaft der Konstitutionalisierungsprozess einsetzen, der für die politischen Regime schon im 18. Jahrhundert unter dem Eindruck des Liberalismus stattfand (vgl. Mayr 1987: 169ff.). So zeigte Mayr, dass im England des 18. Jahrhunderts die Uhrwerksmetapher hierarchischer Ordnung zunehmend verblasste und durch die Metapher der Waage als Sinnbild des aufkommenden Liberalismus ergänzt wurde.

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  3. Dies gilt in besonders auffälliger Weise für die Humangenetik, Reproduktions-und Intensivmedizin, spielt aber auch in einer Reihe anderer Forschungsfelder (etwa „Grüne“ Gentechnik, Nanotechnologie, Forschungen zu „Künstlicher Intelligenz” u.ä.) eine wesentliche Rolle.

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  4. Um ein historisch verblüffendes Beispiel zu nennen: Leonardo da Vinci schreibt in seinem Tagebuch: „Auf welche Art viele Menschen mittels einer Vorrichtung etliche Zeit unter Wasser bleiben können. — Wie und warum ich nicht niederschreibe, wie ich nach dem von mir erfundenen Verfahren ebensolange unter Wasser bleiben kann, als es ohne Essen tunlich ist. Dies veröffentliche und verbreite ich nicht wegen der bösartigen Natur der Menschen. Sie würden Mord auf dem Meeresgrund verüben, indem sie Schiffe von unten aufbrechen und sie mitsamt den Menschen, die darauf sind, versenken würden. “ (zit. nach: van der Wal 2002: 38 ).

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  5. Diese Differenzierung ist auch deshalb von so großer Bedeutung, weil die Wissenschaftssoziologie zeigen konnte, dass die Produktion wissenschaftlichen Wissens zunehmend in Netzwerken stattfindet (vgl. Strtibing et al. 2004).

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  6. Diese Aufteilung ist wohl auch der besonderen Konstruktion und Erhärtung wissenschaftlicher Aussagen und damit ihrer Transformation zu Fakten geschuldet. Isabelle Stengers schreibt hierzu: „Ein experimentell gewonnenes Faktum kann nie,rein` sein. Es ist immer von einem System erzeugt, dessen Rolle nicht nur darin besteht, es messen zu können, sondern das auch dazu dient, all jenen entgegenzutreten, die eine abweichende, fachlich unanfechtbare Deutung vorschlagen können. Die Kontroverse ist folglich in Wahrheit die,Geburtsstunde` des Faktums, und echte Kontroversen sind der Beleg dafür, daß der Wissenschaftler nicht alle möglichen Gegenargumente vorhergesehen hat oder daß er vom Standpunkt desjenigen, dessen Einwand er vorwegnehmen wollte, nur ungenügend darauf eingegangen ist.“ (Stengers 1998: 54f.).

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  7. Neben dieser Kritiklinie lassen sich natürlich weitere formulieren, z.B.: die Verbindung von wissenschaftlichem Wissen mit Anwendungskontexten ist nicht per se ein Nachweis für das Entstehen einer neuen Formation, sondern erst der Nachweis von Bedingungen, die Wissen analog dem Produktionsparadigma materieller Güterproduktion herstellbar werden lassen (vgl. hierzu: Hack 2001).

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  8. Dabei ist zu berücksichtigen, dass diese Debatte eine ihrer Wurzeln in der Frage nach einer grundsätzlichen Einheit der verschiedenen Wissenschaften hat. Von dieser Position einer Einheit der Wissenschaften ausgehend argumentiert vor allem Jürgen Mittelstraß für ein Verständnis von Transdisziplinarität, das im Gegensatz zu früheren Debatten weniger eine Theorieform darstelle, sondern sich vielmehr als Forschungsprinzip manifestiere (vgl. Mittelstraß 1998: 46ff.; 2001: 97ff.). Da er jedoch von einem Lebensweltkonzept ausgeht, „deren innere Form selbst eine wissenschaftliche“ (Mittelstraß 1998: 48) ist, kommt die Herausforderung der Verbindung unterschiedlicher Wissensformen nicht in den Blick, weil sie als gleichartig angenommen werden.

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  9. Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen, ist es wichtig zu betonen, dass „umfassend“ relativ zu einem bloßen disziplinären Kontext zu verstehen ist. Dies bedeutet nicht, dass durch den umfassenden Problemzusammenhang eine vollständige Problembeschreibung möglich ist; vielmehr geht es um eine bescheidenere Perspektive unter Angabe der offenen Momente. Zu welch krassen Fehleinschätzungen es kommen kann, wenn man für sich die interdisziplinäre und damit auf jeden Fall richtigere Perspektive reklamiert, zeigt das Beispiel der Southwood-Kommission im Kontext der BSE-Geschichte (vgl. Dressel 2002: 84 ).

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  10. In seiner berühmten Rede Über die Grenzen der Naturerkenntnis (vgl. Du Bois-Reymond (1872/1997), gehalten 1872 auf der Jahrestagung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte, behauptete er, dass es unmöglich sein dürfte, geistige Prozesse durch die Beschreibung physiologischer Vorgänge abbilden zu können. Dieses Postulat einer Grenze naturwissenschaftlicher Erkenntnisfähigkeit provozierte geradezu Versuche zur Überwindung genau dieser Grenze.

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  11. Zum einen orientiert sie sich damit an der einflussreichen Definition von Clifford Geertz, welche den symbolisch-expressiven Charakter menschlichen Handelns heraushebt und wonach Kultur definiert wird als „a historically transmitted pattern of meanings embodied in symbols, a system of inherited conceptions expressed in symbolic form by means of which men communicate, perpetuate, and develop their knowledge about and attitudes towards life.“ (Geertz 1973: 89). Zum anderen betont sie die Verwobenheit von Praxis und Symbolverwendung und wendet sich gegen solche Kulturauffassungen, die den Aspekt der Erfahrung zu gering ansetzen, aber ebenso gegen solche Praxisperspektiven, die den Aspekt der Symbolisierung zu gering erachten (vgl. Knorr-Cetina 1999: 10f.).

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  12. Dabei charakterisiert Knorr-Cetina (1999: 81) ein „experimentelles Register“ als „a register that brings to attention scientists’ sensory way of working and their strategies of preserving invisible phenomenal realities and embodied experience.”

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  13. Was das bedeutet, lässt sich z.B. an dem Unterschied zwischen natürlichen Farbpigmenten und industriell gefertigten nachzeichnen. Zwar verfügen die industriell gefertigten über eine bessere Standardkonformität und damit Gleichmäßigkeit und Reproduzierbarkeit in den Farbeigenschaften, jedoch haben sich die möglichen optischen Effekte erheblich reduziert (vgl. Soentgen 1999 ).

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  14. Die sogenannte „Sokal-Affäre“ gibt hier ein beredtes Zeugnis. Dementsprechend ist der Titel in Anlehnung an den bekannten Aufsatz von Michael Polanyi (1962/1968) gewählt, in dem er forderte, dass sich die Gelehrtenrepublik selber müsse regieren dürfen.

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  15. Zum Beispiel wurden mit dem Alkali Act von 1863 in England Unternehmen der LeBlanc-Industrie dazu verpflichtet, ihre Emissionen drastisch zu reduzieren. Im Vorfeld war allerdings eine entsprechende Filtertechnik entwickelt worden (vgl. Sturchio/Thackray 1987: 23). Der Bau hoher Schornsteine und seine Folgen lässt sich sehr eindrücklich an der Auseinandersetzung um den sogenannten Freiberger Hüttenrauch zeigen, im Zuge dessen 1889 mit 140m die höchste Esse Europas errichtet wurde (vgl. z.B. Andersen 1996 ).

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  16. Silicone sind sog. siliciumorganische Verbindungen. Als Besonderheit weisen sie eine SiliciumKohlenstoff-Bindung auf, die so in der Natur keine Analoga kennt. Durch diese Struktur ist der Aufbau dieser Stoffe gewissermaßen teils anorganischer, teils organischer Natur, wobei diese Kombination für die ganz besonderen Eigenschaften dieser Substanzen verantwortlich ist. So sind sie viel wärmebeständiger im Vergleich zu herkömmlichen Kohlenstoffpolymeren und zugleich flexibler verarbeitbar, weil sie sich einerseits als Flüssigkeiten, andererseits als verformbare bzw. plastisch-elastische Massen verhalten (vgl. Relier et al. 2000: 16 ).

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  17. Gleichwohl werden immer wieder zur Lösung von Problemen wissensbasierte Strategien eingesetzt oder diskutiert. Diese setzen darauf, durch „Informationsmobilisierungsstrategien“, der Organisation eines gleichberechtigten und informierten Zugangs zu Wettbewerbsprozessen, und durch „Förderung der Selbststeuerung” den Problemen zu begegnen (vgl. z.B. Benzler 1998: 279 ).

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  18. Dabei vertritt Bernhard Gill die These, dass der wesentliche Motor in den unterschiedlichen Naturvorstellungen bestünde und die Risikodebatte mehr oder minder nur Ausdruck dieser Konstellation sei (Gill 2003).

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  19. In Deutschland waren dies vor allem die Enquete-Kommission des Bundestages „Chancen und Risiken der Gentechnik“ (1984–1987) sowie das TA-Verfahren zur Herbizidresistenz von Nutzpflanzen am Wissenschaftszentrum Berlin (1991–1993). War der technische Entwicklungsstand zur Zeit der Enquete-Kommission noch überwiegend von Grundlagenforschung geprägt, so behandelte das zweite Verfahren bereits konkrete Probleme der Freisetzung einer bestimmten gentechnisch veränderten Pflanzensorte.

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  20. Grundlage für die folgende Darstellung sind die Arbeiten von: Ammon/Behrens 1998, Gill 1996, Gleich 1996, van den Daele/Pühler/Sukopp 1996.

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  21. Fruchtbare Erweiterungsmöglichkeiten liegen demnach in der näheren Analyse des dynamischen Aspekts, d.h. der Genese und Anerkennung von Risikowissen in der Gesellschaft. Bisher liegen jedoch nur für vereinzelte (Risiko-)Felder Analysen vor, die der Frage der Wissensdynamik nachgehen (vgl. z.B. Wynne 1992; Böschen 2000; Dressel 2002). Eine umfassende problembezogene Differenzierung steht bisher noch aus.

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  22. In gewisser Weise trifft sich die hier dargelegte Vorstellung mit der von Schomberg (1997: 108) dargelegten einer „auf einem Vorsorgeprinzip basierenden Plattform der langfristigen politischen Planung.“.

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  23. In eine ähnliche Richtung argumentieren Groß et al. (2003: 242; Herv. im Original), indem sie die These vertreten, dass „die Kategorie der,Robustheit` nicht als Qualifikation des Wissens eingeführt werden sollte, sondern als Qualifikation von Forschungsstrategien,die es mit veränderlichen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und unerwarteten Umweltdynamiken aufnehmen. Robustheit ergibt sich aus dem rekursiven Design und der experimentellen Methodik ökologischer Gestaltungen.“ Allerdings verhindert m.E. nach der Blick auf das Konzept der „Realexperimente” die Sicht auf die demokratiepolitischen Herausforderungen, auf die in diesem Beitrag abgestellt werden soll.

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  24. Dies würde jedoch die Rolle von Experten erheblich verändern. „The expert, as facilitator, has to become a specialist in how people learn, clarify, and decide for themselves. Toward this end, we need to know more about the kinds of intellectual and material conditions that help citizens to formulate their own ideas.“ (Fischer 1999: 301).

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  25. Mit den jeweiligen Elementen werden jeweils besondere Rechtsbereiche des bürgerlichen Individuums definiert und geschützt. Zum bürgerlichen Element gehören all diejenigen Rechte und Schutzpositionen, die die individuelle Freiheit sichern (z.B. Freiheit der Person, Eigentum etc.). Zum politischen Element zählen die Möglichkeiten der Teilnahme am politischen Entscheidungsprozess (hier vor allem das Wahlrecht). Zum sozialen Element zählen schließlich solche Rechte, die ein Leben mit einem Mindestmaß an wirtschaftlicher, aber auch ziviler Sicherheit ermöglichen (zur Kritik an Marshall: Saretzki 2000: 21f ).

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  26. Ein sehr gelungenes Beispiel für diese Form der Grenzüberschreitung wird in einer Studie von Epstein (1996) präsentiert. Aktivisten der homosexuellen Szene lernten nicht nur eine Menge über die wesentlichen wissenschaftlichen Aspekte, sie konnten sogar über experimentelle Pfade Entscheidungen treffen.

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Böschen, S. (2004). Science Assessment: Eine Perspektive der Demokratisierung von Wissenschaft. In: Wissenschaft zwischen Folgenverantwortung und Nichtwissen. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-87351-4_3

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  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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