Zusammenfassung
Hölderlin hat für seinen einzigen Roman, aber auch schon für das in Schillers Thalia erschienene Fragment von Hyperion mit der Form des Briefromans eine literarische Gattung gewählt, die wie keine andere die Schriftform von Briefen und das fiktive Geschehen des Romans engfuhrt.1 Durch die besondere zeitliche Komposition2 hat Hölderlin den Briefroman zu einer in sich reflektierten Darstellungsform gesteigert. Es ist schon in der Gattungslogik des Briefromans angelegt, daß der briefschreibende Hyperion auch das Schreiben selbst thematisiert; im Text des Hyperion ist zwar von der Tätigkeit des ›Schreibens‹ öfter die Rede, aber das Substantiv ›Schrift‹ kommt hier nicht vor.3 Nur im Fragment von Hyperion findet sich einmal, ganz am Anfang, das Kompositum »Grabschrift« als Kennzeichnung jener »Sentenz«4, die Hölderlin drei Jahre später über den ersten Band des Hyperion als Motto setzt. Die »Grabschrift des Lojola« steht hier über dem Text, einer Inschrift gleich: »Non coerceri maximo, contineri minimo, divinum est.« (I,2)5 Insofern kann das Buch selbst als »Grab« verstanden werden. Der Sinn der »Grabschrift« ließe sich so deuten, daß in dem ›kleinen‹ Buch Hyperion etwas ›begraben‹ liegt, das dennoch durch keine Macht der Erde bezwungen werden kann: also die revolutionären Hoffnungen Hyperions und die Liebe zu Diotima. Das ist wahrscheinlich nicht falsch, aber — in bezug auf die poetologische Proble- matik der Schrift - noch zu wenig weit gedacht. Es ist daher nicht sosehr danach zu fragen, was diese »Grabschrift« bedeutet, sondern vielmehr danach, was es bedeutet, daß es eine »Grabschrift« ist, die als Motto über dem Text steht. Denn durch die »Grabschrift« wird das Buch selbst zum »Grab« und der Inhalt des Buches zu einem toten Körper.
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Literatur
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Groddeck, W. (1998). »Hörst Du? hörst Du? Diotima’s Grab!« Zur Aporie der Schriftlichkeit in den Hyperion-Briefen. In: Bay, H. (eds) Hyperion — terra incognita. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-87304-0_8
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