Zusammenfassung
Wer nach langer Beschäftigung mit Hölderlins späterem Werk zum Hyperion zurückkehrt, kann überrascht sein von den Echos und Resonanzen, die bis in die einzelnen wörtlichen Prägungen im frühen erzählenden Prosawerk das Spätwerk einläuten. Einer der letzten vollendeten Gesänge, Andenken, ist nicht zuletzt auch Andenken an Hyperion.1 Nicht nur die bange Frage nach jenem Namen, Bellarmin, an den Hyperions Briefe sich richten und vor dem das Erinnern und Erzählen sich ereignet (»Wo aber die Freunde? Bellarmin/ Mit dem Gefährten?«; v. 36f.), evoziert den Roman, sondern auch die Erfahrung von »sterblichen Gedanken« (»Nicht ist es gut,/ Seellos von sterblichen/ Gedanken zu seyn«; v. 29ff.) ist bereits wörtlich vorgeprägt im zweiten Brief Hyperions: »Der Wonnegesang des Frühlings singt meine sterblichen Gedanken in Schlaf.« (I,9) Sterblich sind die Gedanken ans Sterben: »Fern und todt sind meine Geliebten, und ich vernehme durch keine Stimme von ihnen nichts mehr«. (I,9) Der Gesang der Natur gibt Schlaf, der Gesang des Dichters erbittet ihn: »Es reiche aber,/ Des dunkeln Lichtes voll,/ Mir einer den duftenden Becher,/ Damit ich ruhen möge; denn süß/ Wär’ unter Schatten der Schlummer«, (v. 25ff.) Auch hier ist es der Frühling, »zur Märzenzeit,/ Wenn gleich ist Nacht und Tag« (v. 20f.), dessen »Einwiegende Lüfte« in der Gabe des Schlummers die sterblichen Gedanken nehmen; aber damit auch das Gedächtnis. Dagegen denkt und singt Andenken an, wie auch der Roman Hyperion nicht im Schlaf und Wonnegesang der Natur verweilt, sondern bis zum letzten Satz erzählend, erinnernd, andenkend (»So dacht’ ich«; II,124) in der exzentrischen Bahn des Romans den Gesang der Dichtung bahnt.2
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Literatur
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Nägele, R. (1998). Andenken an Hyperion. In: Bay, H. (eds) Hyperion — terra incognita. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-87304-0_1
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