Zusammenfassung
Die kulturelle Selbstbeschreibung der Moderne war stets von einer erheblichen Ambivalenz geprägt: Zum einen konnte man sich das erste Mal in der abendländischen Geschichte mit der Selbstzumutung ausstatten, man sei selbst der Urheber des innerweltlichen Geschehens. Die moderne Kultur ist geradezu beseelt davon, an die Gestaltbarkeit der Welt, an den Fortschritt der menschlichen Geschichte und an die nahezu universale Problemlösungskompetenz von Wissenschaft, Politik und Ökonomie zu glauben: Wissen gegen das Vorurteil der Religion und der Metaphysik; Demokratie gegen den Herrschaftsanspruch feudaler und geistlicher Aristokraten; Unternehmergeist und Arbeitsmoral gegen die Wohlstandsmängel der Subsistenzwirtschaft und die soziale Not von Mangelökonomien. Zum anderen aber prägt die moderne Kultur eine grundlegende Verunsicherung: Die Enttraditionalisierung der Lebensführung und die radikale Erosion von Erfahrungswissen aufgrund der Beschleunigung von Ereignissen, die vielfältigen und oft beschriebenen Freisetzungsprozesse aus alten Versorgungsbezügen in materieller und sinnhafter Hinsicht, die Rationalisierung und Versachlichung von Sozialbezügen und Weltanschauungen haben ein kulturelles Syndrom hervorgebracht, das in der Moderne eher eine Lähmung denn aktive Gestaltungskräfte freizulegen scheint. Diese beiden hier nur angedeuteten Wurzeln der Moderne — die titanische Selbstüberschätzung und die paralysierende Verunsicherung — haben die Selbstbeschreibungen der modernen Kultur stets mitbegleitet.
Zuerst erschienen in Berliner Journal für Soziologie, 4. Jg. 1996.
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Nassehi, A. (1997). Das Problem der Optionssteigerung. In: Rademacher, C., Schweppenhäuser, G. (eds) Postmoderne Kultur?. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-87297-5_3
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