Zusammenfassung
Humboldts lyrische Schilderung des Verstehens kann nur „modern“ in der Formulierung, nicht aber in der Sache überboten werden, und es ist beeindruckend, daß hier eine metaphorische Sinnlichkeit aus der Musik gewählt wurde, die im Bereich der Kommunikation und ihrer Theorie selten ist; meist werden Metaphern aus der Optik und dem Bereich des Sehens verwendet. Was hier „Berührung der Kette sinnlicher Vorstellungen und inneren Begriffserzeugungen“ heißt, bezeichnet die moderne kognitive Linguistik als imaginatives Szenario. Einige davon habe ich als prototypische Szenarien für Gefühle beschrieben. Beobachten läßt sich schon im Alltag, daß „imaginative Gesten“ zur Erzeugung eines imaginativen Szenarios beitragen und dem Hörer dessen Rekreation erleichtern. Die Geste unterstreicht gleichsam die Rede, und sie kann dies, weil sie von den gleichen Schematisierungen Gebrauch macht, wie sie in der Sprache sich nachweisen lassen. Die Erzeugung eines imaginativen Szenarios wird in der alltäglichen Rede und auch im therapeutischen Dialog unterstrichen durch imaginative Gesten: Wir „unterstreichen“ durch eine Handbewegung diesen oder jenen Punkt, „heben“ stimmlich „hervor“, „kreisen“ mit angedeuteten Bewegungen ein Thema ein, wir beenden ein „Argument“ nach einigen Sätzen durch Veränderung unserer Sitzposition (Streeck und Dally 1995 haben dafür ein Beispiel aus einer Therapiesitzung analysiert) — kurz: der Körper spricht in Andeutungen mit und dieses „embodiment“ unterstützt die These der kognitiven Linguistik. Der Körper spricht.
„It will be a further task of psychoanalysis and biology to find out to what extent and detail the mental processes parallel the bodily ones, and how many somatic phenomena may and must be transposed to the mental level.“ (Paul Federn 1952, zit. nach Gaddini 1969, S. 477)
„‚Die Menschen verstehen einander nicht dadurch, daß sie sich Zeichen der Dinge wirklich hingeben, auch nicht dadurch, daß sie sich gegenseitig bestimmen, genau und vollständig denselben Begriff hervorzubringen, sondern dadurch, daß sie gegenseitig einander dasselbe Glied der Kette ihrer sinnlichen Vorstellungen und inneren Begriffserzeugungen berühren, dieselbe Taste ihres geistigen Instrumens anschlagen, worauf alsdann in jedem entsprechende, nicht aber dieselben Begriffe hervorspringen ... Wird ... auf diese Weise das Glied der Kette, die Taste des Instruments berührt, so erzittert das Ganze, und was als Begriff aus der Seele hervorspringt, steht im Einklang mit allem, was das einzelne Glied bis auf die weiteste Entfernung umgibt.‘“ (W v. Humboldt, zit. nach Cassirer 1923, S. 105)
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Buchholz, M.B. (1996). Die Metaphernanalyse einer vollständigen Therapie: die erste Sitzung. In: Metaphern der ‚Kur‘. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-87286-9_8
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Print ISBN: 978-3-531-12843-6
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