Zusammenfassung
Zum Ausgangspunkt werden im folgenden ausgewählte Ergebnisse und Erkenntnisse einer neuerdings vielbeachteten, sozialwissenschaftlich inspirierten Aufarbeitung der Psychiatriegeschichte genommen. Diese begann mit den schon als moderne Klassiker geltenden Untersuchungen von Foucault, Dörner, Rothman, Castel und Scull112, und hat sich mittlerweile — insbesondere in Großbritannien und den USA — in einer zweiten Generation von spezifischeren Forschungen fortgesetzt (vgl. als Überblick Scull 1989a). Häufig wird in Zusammenhang mit den genannten Autoren von einer „revisionistischen“ Geschichtsschreibung gesprochen. Mit dieser Bezeichnung wird auf das Verhältnis zur konventionellen, von Psychiatern geschriebenen Geschichte Bezug genommen. Letztere sehen die Geschichte der medizinischen Psychiatrie im wesentlichen als linearen und kumulativen Prozeß, in dem Ideen, Ideale, wissenschaftliche Entdeckungen und technologische Erfindungen die entscheidenden Anstöße und Antriebskräfte darstellen. Die Kristallisationspunkte dieses psychiatrischen Geschichtsverständnisses bilden die (bislang drei) psychiatrischen „Revolutionen“, die dem Wirken großer Persönlichkeiten und immanenten Entwicklungen der psychiatrischen Wissenschaft zugeschrieben werden: die „Befreiung der Irren von den Ketten“ durch Tuke und Pinel, die Entwicklung des Neurosenkonzepts und der Psychoanalyse durch Freud, schließlich die Einbeziehung der sozialen Dimension durch die Sozialpsychiatrie (Rebell 1976, 19). Typischerweise vermittelt die konventionelle Geschichtsschreibung eine optimistische Sicht der Entwicklung, in der jede entscheidende Stufe mit einem (Teil-)Sieg der (medizinischen) Wissenschaft über Vorurteile und Irrationalität endet.
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Forster, R. (1997). Kontinuität und Wandel. Zur primären Medikalisierung der Psychiatrie. In: Psychiatriereformen zwischen Medikalisierung und Gemeindeorientierung. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-87283-8_5
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-87283-8_5
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Print ISBN: 978-3-531-12782-8
Online ISBN: 978-3-322-87283-8
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