Zusammenfassung
Viele Menschen, die 1989 den Aufbruch in Osteuropa und Ostdeutschland mitgetragen haben, gingen von der Erwartung aus, daß die marktwirtschaftlich organisierten Gesellschaften des Westens in der Lage seien, materiellen Wohlstand und persönliche Freiheit, wirtschaftliches Wachstum und soziale Gerechtigkeit miteinander zu verbinden. Wie mittlerweile offenkundig wird, geben sie sich nicht mit einem plakativen Bekenntnis zur Sozialen Marktwirtschaft zufrieden, hinter dem sich sehr unterschiedliche Deutungsmuster verstecken. Die Ordoliberalen der Freiburger Schule, insbesondere Alfred Müller-Armack schlossen in eine „bewußt sozial gesteuerte Marktwirtschaft“ die Tarifautonomie, die Mitbestimmung, die breite Streuung des Produktiwermögens, später auch eine ökologische Dimension, worauf sich seit einigen Jahren umweltbewußte Gruppen berufen, ein. Das Konzept der „aufgeklärten sozialen Marktwirtschaft“ unter Karl Schiller enthielt die staatliche Konjunktursteuerung und die konzertierte Aktion der wirtschaftspolitischen Entscheidungsträger; der „Freiburger Imperativ“ und die „Keynessche Botschaft“ sollten so miteinander versöhnt werden. Vertreter der katholischen Soziallehre, beispielsweise Oswald von Nell-Breuning, sprachen von einer Marktwirtschaft mit sozial befriedigenden Ergebnissen, wenn der Arbeitsmarkt sich im Gleichgewicht befindet, wenn die Arbeitsverhältnisse menschengerecht gestaltet sind und wenn die Einkommensverteilung fair ist. Die beiden Kirchen haben 1994 in der Diskussionsgrundlage zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland an das Leitbild der Sozialen Marktwirtschaft erinnert, das den sozialen Ausgleich nicht bloß zum Etikett einer in sich leistungsstarken Marktwirtschaft mache, sondern wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und soziale Gerechtigkeit als gleichrangige Komponenten enthalte. Die Neoliberalen der 80er Jahre, als deren extremer Wortführer Friedrich von Hayek gilt, hielten den Zusatz „sozial“ zu „Marktwirtschaft“ für überflüssig, weil eine staatlich garantierte Wettbewerbswirtschaft, in der dauerhafte Monopolgewinne ausgeschlossen sind und die Konsumentensouveränität gewahrt ist, Wohlstand für alle und die Absicherung gegen individuelle Notlagen ermögliche.
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© 1998 Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler GmbH, Wiesbaden
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Hengsbach, F. (1998). Wachstum und Verteilung — Warum lösen die Wachstumsgesellschaften ihre Verteilungskonflikte nicht?. In: Bartmann, H., John, K.D. (eds) Umwelt, Beschäftigung und Zukunft der Wachstumsgesellschaften. Gabler Verlag. https://doi.org/10.1007/978-3-322-87082-7_4
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Online ISBN: 978-3-322-87082-7
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