Zusammenfassung
Kein anderer Philosoph hat die Begriffe seiner Zeit in vergleichbar systematisierter Form in Gedanken gefaßt, wie dieses Hegel angesichts der offensichtlichen Strukturdefizite von herkömmlichen Begriffslogiken geleistet hatte. Die nicht mehr problemlos zu überbrückenden Rißstellen, die mit der Unvereinbarkeit von gedachter begrifflicher Einheit und gesellschaftlichen Antagonismen aufgeworfen waren, harrten einer philosophischen Erklärung, die erst in Hegels System einer Phänomenologie des Geistes vermittelnd überbrückt werden konnte. Daß Hegel das Bewußtsein seiner Epoche in die Worte einer großen Philosophie ausgedrückt hatte -sieht man einmal von der dialektischen Entzweiung von Inhalt und Form seiner idealistischen Umdeutung der Wirklichkeit ab-, steht außer allem Zweifel, wenn man seine ontologische Konstruktion des absoluten Geistes als einen genialen Versuch ansieht, sich der zeitgeschichtlichen Herausforderung stellen zu wollen, den ein notwendig gewordener Reflexionsprozeß aus einer sich weiterentwickelten Naturaneignung bedingte.
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Literatur
Hierzu Riedel: “Im Unterschied zum Naturrecht, das in der Theorie zwischen Hobbes und Kant den “einzelnen” mit dem “allgemeinen” Willen oder “bürgerliche Gesellschaft” und “Staat” miteinander identisch setzt, geht Hegel, unter dem Eindruck der Französischen Revolution, davon aus, daß ihre Entzweiung als Prinzip der Differenz anzuerkennen und theoretisch zur Geltung zu bringen sei.” (Riedel 1970: 75). Auf das Verhältnis der Kantischen zur Hegeischen Gesellschaftstheorie geht Riedel ebenfalls ein (Riedel 1973: 51f).
Johannes Gröll führte unter Bezugnahme auf Hegels Subjektphilosophie aus: “Diese Theorie, die gegenüber der Kantischen ihre unbedingte Wissenschaftlichkeit herausstellt, erweist sich insofern als unwahr, als sie die soziale Wirklichkeit dadurch, daß sie ihr eine vorgängige ideelle Vernünftigkeit, den Nous, als das eigentlich und einzig Substantielle unterlegt, zum dialektisch nur noch zu explizierenden Resultat der Selbstverwirklichung der Vernunft macht und sie durchweg vernünftig erscheinen läßt.” (Gröll 1991: 53).
Lukács differenzierte Studie über den jungen Hegel setzte hier Maßstäbe (Lukács 1973). Ebenso Ritter: “es gibt keine zweite Philosophie, die so sehr und bis in ihre innersten Antriebe hinein Philosophie der Revolution ist wie die Hegels” (Ritter 1965: 18).
“Hegel erhebt die Revolution zum Prinzip der Philosophie um einer Philosophie willen, die als solche die Revolution überwindet. Hegels Philosophie der Revolution ist seine Philosophie als deren Kritik” (Habermas 1988: 128f). Hauke Brunkhorst schrieb: Hegel sah “in der Institutionalisierung des modernen Vernunftrechts die bleibende Leistung der Französischen Revolution. Sie ermöglicht die Organisation der Arbeit auf dem Niveau der “bürgerlichen Gesellschaft” durch eine Organisation intersubjektiver Anerkennungsverhältnisse im modernen Staat, die der bürgerlichen Gesellschaft Grenzen zieht und ihren Atomismus aufhebt” (Brunkhorst 1989: 166). Axel Honneth sah einen Wandel von einem intersubjektivistischen zu einem substantialistischen Modell der Sittlichkeit in Hegels Auseinandersetzung mit der Revolution (Honneth 1989: 174f). Andreas Wildt glaubte, daß es Hegel in erster Linie um die Ermöglichung von juristisch nicht fixierbaren Anerkennungsbeziehungen gegangen sei (Wildt 1970: 265f). Matthias Kettner beschrieb zwei verschiedene Revolutionsdeutungen bei Hegel (Kettner 1989: 186f).
Hegels Kritik an der Revolution hat Jürgen Habermas vortrefflich charakterisiert; (Habermas 1988: 1280.
“Der selbstsüchtige Zweck in seiner Verwirklichung, so durch die Allgemeinheit bedingt, begründet ein System allseitiger Abhängigkeit, daß die Subsistenz und das Wohl des Einzelnen und sein rechtliches Dasein in die Subsistenz, das Wohl und Recht aller verflochten, darauf gegründet und nur in diesem Zusammenhang wirklich und gesichert ist” (Hegel 1993: VII 340).
Dazu Michael Wolff: “In Wahrheit benutzt nach Hegels Meinung der Staat nicht nur die Institutionen der bürgerlichen Gesellschaft als Mittel zu seinem eigenen Zweck, sondern auch noch den Schein, der Zweck sei die Realisierung der besonderen Interessen der Bürger.” (Wolff 1984: 161).
“Zur bürgerlichen Verherrlichung des Bestehenden gehört immer auch der Wahn hinzu, daß das Individuum, das rein Fürsichseiende, als welches im Bestehenden das Subjekt sich selbst notwendig erscheint, des Guten mächtig sei. Ihn hat Hegel zerstört.” (Adorno 1991:50).
Die Einschätzung der Hegeischen Rechtsphilosophie durchzog eine streitsame, wohl längst noch nicht abgeschlossene Rezeptionsgeschichte. Nach Karl Marx war es insbesondere Rudolf Haym, dessen Verdikt von einer preußischen Staatsphilosophie lange auf dem Hegeischen Werk lastete (Haym 1857). Erst später sollte dann das Hegeische Werk eine erste wohlmeinende Würdigung in den Arbeiten von Georg Lukács und der Kritischen Theorie widerfahren (Lukács 1973). Wie wenig allerdings eine konservative Hegel-Interpretation, die das Erbe Hegels einem Totalitarismus zuschlagen möchte, zum eigentlichen Schisma der Hegeischen Problematik vorzudringen vermag, zeigt exemplarisch die Arbeit von Ernst Topitsch (Topitsch 1981).
Dazu Habermas: “Über den eigentlichen Prozeß der Entstehung des abstrakten Rechts aus dem historischen Zusammenhang der gesellschaftlichen Arbeit, über seine Verwirklichung in der industriellen Gesellschaft verweigert uns die im Schatten der Logik ausgeführte Rechtsphilosophie die Ankunft, die der jüngere Hegel detailliert gegeben hatte.” (Habermas 1988: 133).
An Hegels Herr-Knecht-Verhältnis in seiner “Phänomenologie des Geistes” exemplifiziert Hans Heinz Holz verinnerlichte Bewußtseinsformen zur Selbstinterpretation der frühbürgerlichen Klassengesellschaft (Holz 1968).
Shlomo Avineri belegte, daß Hegel den Zwangscharakter des Staates immer niedriger ansetzte, wie sich dieser des gewachsenen Selbstbewußtseins und der Zusammenarbeit seiner Staatsbürger, mithin also der fortschreitenden rechtlichen Durchdringung der staatlichen Gemeinschaft, weiter versicherte (Avineri 1976: 226f). Ernst-Wolfgang Böckenförde sprach sogar davon, daß bei Hegel “die Gesetzgebung der Regierung überlegen” sei (Böckenförde 1958: 144).
Hegel führte in §243 seiner Rechtsphilosophie bekanntlich aus: “Wenn die bürgerliche Gesellschaft sich in ungehindeter Wirksamkeit befindet, so ist sie innerhalb ihrer selbst in fortschreitender Bevölkerung und Industrie begriffen.” (Hegel 1993: VII 389). Kein anderer hatte den Zusammenhang von Ideologieproduktion und ökonomischer Zeitbedingtheit in Hegels frühen Werken klarer und besser erkannt als Georg Lukács. An seiner Studie werden sich nachfolgende Arbeiten zu messen haben (Lukács 1973). Entgegen ihres versprochenen Titels zeigt demgegenüber die Arbeit von Ludwig Siep über “Praktische Philosophie im Deutschen Idealismus” nur wenig Verständnis für die praktische Bedingtheit Hegelscher Philosophiekritik (Siep 1992).
Zum Dogma vom monarchischen Prinzip siehe auch Hocevar 1968: 207f. Avineri interpretierte Hegels Philosophie als eine Kritik an den politischen Verhältnissen in Deutschland. Er führte aus: “Die Ohnmacht des politischen Lebens beruht nach Hegels Ansicht darauf, daß es in Deutschland statt eines gemeinsamen Allgemeinen bloß ein Aggregat von partikularen Interessen gibt.” (Avineri 1976: 57). Zur gleichen Thematik siehe auch Boldt 1975: 119f.
Klaus Lichtblau charakterisierte Hegels Methode wie folgt: “Durch diese Erhebung “wesensloser Abstraktion” zur Absolutheit wird die Anschauung -das positive Moment der empirischen Wissenschaft, welches Hegel gegen Kants Formalismus geltend macht-als “innere Totalität” vernichtet und das Natürliche, welches Hegel gerade auch als das Sittlich-Rechtliche rekonstruieren möchte, als ein Aufzugebendes gedacht.” (Lichtblau 1978: 90).
Zur Editionsgeschichte: Habermas 1988: 150f. Über die politischen Intentionen und den konstitutionellen Kontext, in dem Hegels Schrift über die württembergische Verfassung stand, informiert die Arbeit von Rolf K. Hocevar (Hocevar 1968: 137f).
Ähnlich hatte auch die kenntnisreiche Studie von Shlomo Avineri über Hegels politische Theorie geurteilt; darin wurde Hegel als der “erste große politische Philosoph der modernen Gesellschaft” gewürdigt, der sich dem durch die Französische Revolution aufgeworfenen Bruch gesellschaftlicher Kontinuität, dem Problem der Geschichtlichkeit gestellt habe (Avineri 1976: 10).
Seyla Benhabib prägte im Zusammenhang von Hegels Auffassung vom Subjekt der Geschichte den markanten Begriff der “Philosophie des singulären Kollektivsubjekts” (Benhabib 1992: 10f).
Auf die Repräsentationsvorstellungen Hegels geht Elisabeth Weisser-Lohmann, näher ein (Weisser-Lohmann 1993: 210f). Rolf K. Hocevar faßt zusammen: “Die Bedeutung der politischen und staatsphilosophischen Entwürfe und Systeme Hegels liegt darin, daß in ihnen alle Möglichkeiten der Herstellung einer politischen Einheit im Sinne der politischen Repräsentation historisch und philosophisch tiefer und umfassender gegründet werden, als es seine eigene und die ihm folgende Zeit vermocht hätten. Hegels Verdienst wird nicht dadurch geschmälert, daß er einer bestimmten Lösung des sich selbst gestellten Problems den Vorzug gegeben hat.” (Hocevar 1968: 210).
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Meyer, T. (1997). Auf der Schwelle zur Neuen Zeit: Hegels dialektische Rechtfertigung des Ständestaates. In: Stand und Klasse. Studien zur Sozialwissenschaft, vol 184. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-86882-4_7
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Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
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