Das mehrdeutige Selbst H.R. Maturanas Konzept philosophisch betrachtet

Zusammenfassung

Phänomene fallen als solche erst auf und werden gegebenenfalls erklärungsbedürftig, wenn etwas unserem Horizont an Erwartbarem im alltäglichen Lebensvollzug widerspricht. Unser Alltagsleben, auch das der Wissenschaftler, besteht zum größten Teil aus der Bestätigung selbstgewisser und selbstverständlicher Erwartungen. Die Selbstgewißheit im Umgang mit anfallenden Situationen wird auch im Falle kleinerer Störungen schnell in dem Selbstverständnis wieder hergestellt, wir hätten aus der uns umgebenden objektiven Realität dieses oder jenes Objekt nicht adäquat wahrgenommen, weshalb wir unsere Wahrnehmung aufmerksam zu korrigieren versuchen, als ob es um das Nachstellen oder bessere Einstellen einer Spiegelreflexkamera ginge. Das empiristische Selbstverständnis einschließlich seiner objektivistischen Interpretation, daß unsere Wahrnehmungen als Grundform unserer Erkenntnis von uns unabhängig »da draußen« existierende »Objekte« repräsentieren, überwog auch noch in unserem Jahrhundert im Alltag der Wissenschaftler. Es wurde epistemologisch durch den logischen Empirismus und durch die auf Denotation begrenzte Sprachanalyse legitimiert. Zudem schien es durch informationstheoretische und kybernetische Modelle (erster Ordnung), wie sie im Kontext der Nachrichtentechnik und ersten Automatengenerationen entstanden waren, wissenschaftlich bestätigt worden zu sein.