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Part of the book series: Studienbücher zur Sozialwissenschaft ((WVST,volume 13))

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Zusammenfassung

Es gibt vier Gesichtspunkte, auf Grund derer der Staatsphilosoph Montesquieu zu den Vorläufern der Soziologen gerechnet werden kann:

  1. a)

    Montesquieu erkannte als erster in voller Deutlichkeit, daß soziale Ordnungen weder von moralischen Prinzipien einer »von Natur aus« gegebenen Einheit von Staat und Gesellschaft (»koinonía« — vgl. Aristoteles) noch von dem zweckrationalen Willen eines übermächtigen Staates (Hobbes) ableitbar seien. Er meinte vielmehr, daß die politische Verfassung das Resultat von eigenartigen und komplexen sozialen Faktoren sei und versteht in diesem Sinne die Gesetze als »notwendige Beziehungen, die von der Natur der Dinge abzuleiten sind«. Mit den kontraktuellen Beziehungen allein (Vertragstheorie) könne die tatsächliche Beschaffenheit der Gesellschaft also nicht erklärt werden;

    »Die Sitten und Lebensweisen („manières“) sind Gewohnheiten, die gar nicht von den Gesetzen errichtet wurden … Es gibt diesen Unterschied zwischen den Gesetzen und den Sitten, indem die Gesetze eher die Handlungen des Staatsbürgers („citoyen“) und die Sitten eher die Handlungen des Menschen regulieren« (L’esprit, I, S. 326);

  2. b)

    historische Ereignisse sind das Resultat sozialer Verhältnisse bzw. »partieller Nebenerscheinungen«: Es ist nicht das blinde Schicksal, das die Welt regiert. Man kann den Ereignissen, die ständig aus der Natur der Dinge »flieften«, nicht entgehen, d. h. Montesquieu nimmt an, daß es innere Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Erscheinungen gibt, die in ihrer »Natur« begrundet sind;

  3. c)

    um diesen besonderen Gesetzmäßigkeiten auf die Spur zu kommen, müssen die sozialen Erscheinungen in ihrer Vielfalt und Kausalität erforscht werden;

  4. d)

    methodisch soll man so vorgehen, daß aus der Vielfalt der Erscheinungen »Prinzipien«, d. h. konkret: Typen, deduziert werden, um auf einer »mittleren Ebene« (»niveau intermédiaire«), zwischen beobachteten Tatsachen in ihrer Besonderheit und universell giiltigen Aussagen in ihrer Allgemeinheit zu einer möglichst realistischen Schilderung der sozialen Verhältnisse zu gelangen.

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Literaturverzeichnis

  1. Vgl. Aron, Raymond: Les étappes de la pensée sociologique, Paris 1967, S. 43 ff.

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  2. Vgl. hierzu: Salomon, G.: Saint-Simon und der Sozialismus, Berlin 1919, S. 15 ff.

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  3. Der bisher nur auf bestimmte Gesellschaftskreise — wie z. B. höfische oder Bauerngesellschaft — beschränkte Begriff »Gesellschaft« wird hier definitiv im Sinne einer »Menschheits-Gesellschaft« verwendet (vgl. Lehre, S. 82 ff.).

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  4. Vgl. hierzu auch die Schüler von Saint-Simon (wie z. B. Enfantin, Bazard u. a.): Doctrine de Saint-Simon (1829), 2. Ausgabe, Paris 1830, S. 144 ff.

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  5. Nach: Gide, Charles — Rist, Charles: Geschichte der volkswirtschaftlichen Lehrmeinungen, 2. Aufl., Jena 1921, S. 228.

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  6. »Bei dem heutigen Zustand der Kenntnisse liegt das Bedürfnis der Nation nicht darin, regiert, sondern verwaltet zu werden, und zwar, so billig wie möglich verwaltet zu werden« (nach: Gide — Rist, Geschichte, op. cit. S. 226).

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  7. Er schlägt die Schaffung einer Weltregierung aus den 21 erleuchtetsten Köpfen vor: den drei besten Mathematikern, Physikern, Chemikern, Biologen, Schriftstellern, Malern und Musikern. — Vgl. Herrnstadt, Rudolf: Die Entdeckung der Klassen, Berlin-Ost, 1965, S. 263.

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  8. Nach: Herrnstadt, op. cit. S. 266.

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  9. Nach: Herrnstadt, op. cit. S. 264. Die Konzeption von der Legitimierung der industriellen Führungsschicht aufgrund ihrer »geistigen Überlegenheit« und »Kombinationskraft« erinnert an Pareto (vgl. Teil II, Kap. VIII, 1).

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  10. Nach: Herrnstadt, op. cit. S. 265 f.

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  11. L’Organisateur, in: Oeuvres, II, S. 17 ff. — Parabel, in: Der Frühsozialismus, hrsg. von Thilo Ramm, Stuttgart 1956, S. 25 ff.

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  12. Talmon, J. L.: Politischer Messianismus, Köln-Opladen 1963, S. 44.

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  13. In: Salomon, G.: Saint-Simon und der Sozialismus, Berlin 1919, S. 50.

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  14. Nach: Salomon, Samt-Simon, op. cit. S. 76 und 91.

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  15. Nach: Salomon, Saint-Simon, op. cit. S. 72.

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  16. Saint-Simon befürwortet (aus funktionalen Gründen) das Eigentum: Erst seine Schüler (Enfantin, Bazard usw.) erkannten im Eigentum die Ursache der Klassenantagonismen, die Trennung der Gesellschaft nach den Kriterien des Besitzes und Nicht-Besitzes an Produktionsmitteln (vgl. Marx).

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  17. Vgl. auch: Die Lehre Saint-Simons, hrsg. G. Salomon, Politica, Bd. 7, Neuwied 1962.

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  18. Gegen die Autorität einer etablierten Wissenschaft polemisierten am schärfsten die zeitgenössischen Anarchisten (vor allem Bakunin), vgl. dazu oben, S. 196 ff. Der wissenschaftstheoretische Aspekt dieser Fortschrittsgläubigkeit läßt sich an der aufklärerisch gemeinten Grundannahme, daß die quantitative Zunahme am Wissen über Tatsachen zur Vernunft und allgemeiner Aufklärung führe, deutlich dokumentieren. Der neu entfachte alte Streit (um 1965) zwischen Positivisten und kritischen Dialektikern wirft im wesentlichen wieder das Problem der Vorrangigkeit auf, ob primär bloße Tatsachenkenntnisse oder primär die Reflexionen über das »Ganze« für eine »wirkliche« Aufklärung richtiger sei (vgl. dazu die instruktive Zusammenfassung des »Positivismusstreits in der deutschen Soziologie« von Brentano, Margarethe, von: Die unbescheidene Philosophie, in: Das Argument, Jg. 9, 1967. H. 2/3, S. 102-116).

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  19. Nach: Elias, Norbert: Was ist Soziologie?, in: Grundfragen der Soziologie, Bd. 1, München 1970, S. 38.

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  20. So z. B. im mittelalterlichen Katholizismus, in dem »jene künstlichen Religionsübungen«, die die Menschen dazu zwangen, sich »freiwillig systematische Entbehrungen aufzuerlegen«, ein wichtiger zivilisatorischer Fortschritt (»vernünftige Disziplin«) geleistet werden konnte (Soziologie, II, S. 321 f.).

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  21. Auf die Epochen der Vorheirschaft der Gefühle und des Verstandes folgt nach Saint-Simon die des Handelns, die durch die Struktur des Industrialisme gekennzeichnet die Positivierung des Denkens erzwingt. — Vgl. Die Lehre Saint-Simons, op. cit. S. 58.

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  22. Als »Verwaltungswissenschaft« bei Lorenz v. Stein präzis herausgearbeitet, den man an dieser Stelle trotz seiner »hegelianischer Provenienz« beispielhaft anführen kann. Vgl. Pankoke, Eckhart: Sociale Bewegung — Sociale Frage — Sociale Politik, Stuttgart 1970.

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  23. Vgl. Negt, Oskar: Strukturbeziehungen zwischen den Gesellschaftslehren Comtes und Hegels, FBS. Bd. 14, Frankfurt a. M. 1964.

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  24. Aus diesem Grunde wird auch bei Comte der Staat, der eigentlich von »positiven« Soziologen geleitet werden sollte, zur schlichtenden Instanz (vgl. Hegel) erhoben und die »praktische Führung« den industriellen Eliten (eigentlich: der Technokratie) überlassen. Als dritte ordnende Kraft sollte dann die »positive Kirche« fungieren, der die Aufgabe einer rationalen Organisation des Moralsystems (im Sinne der »Brüderlichkeit«) zukommen sollte.

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  25. Elias, Norbert: Was ist Soziologie?, op. cit., S. 37.

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  26. Zit. nach: Sozialer Wandel, hrsg. von H. P. Dreitzel, Soziologische Texte, Bd. 41, Neuwied 1967, S. 119.

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  27. »Die Erfahrung hat diese Unterordnung des weiblichen Geschlechts immer, und selbst bei den schönen Künsten bestätigt, trotz der Eigenschaften, welche meist deren geistige und graziöse Leistungen auszeichnen. Was die Verrichtungen des Regierens anbetrifft, so dürften sie wohl, selbst bei den elementarsten Zuständen und wären sie nur auf die Leitung in der Familie beschränkt, zeigen, daß das weibliche Geschlecht dazu noch weniger geeignet ist; denn die Natur der Arbeit verlangt hier ein Aufmerken auf eine Gesamtheit sehr verwickelter Verhältnisse, wo keines vernachlässigt werden darf, und daneben eine größere Unabhängigkeit des Geistes von den Leidenschaften; mit einem Wort, mehr Vernunft. Also kann in dieser Hinsicht die Ökonomie der Familie nicht umgekehrt werden, wenn man nicht eine chimärische Umgestaltung des Organismus des Gehirns voraussetzt. … Die Frauen sind in der Tat im allgemeinen den Männern durch eine größere Entwicklung des Mitgefühls und der Geselligkeit ebenso überlegen, als sie ihnen in Bezug auf Einsicht und Vernunft untergeordnet sind …« (Positive Philosophie, II, S. 111 f.).

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  28. Progress, in: Sozialer Wandel, hrsg. P. Dreitzel, — ST. Bd. 41, Neuwied 1967, S. 121-141 (S. 128).

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  29. Ebenda: »Genauso, wie die Schwerkraft als Ursache aller von Keppler verallgemeinerten Phänomene herausgestellt werden konnte, kann vielleicht eine ähnlich simple Sacheigenschaft als die Ursache aller im vorstehenden verallgemeinerten Phänomene herausgestellt werden. Wir sind vielleicht in der Lage, all die verschiedenen Entwicklungen des Homogenen zum Heterogenen auf der Grundlage bestimmter Tatsachen der unmittelbaren Erfahrung, die wir infolge der endlosen Wiederholung als notwendig betrachten, miteinander zu verbinden.«

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  30. Dieses »Prinzip« ist bis heute gültig: So z. B. die Analyse von S. Stanley in »New Scientist« über die Evolution des Lebens, die die »kambrische Explosion«, die Entstehung des Artenreichtums aus dem »Evolutionsdruck« zur Differenzierung der Organismus-Systeme, erklärt (vgl. Bericht aus FAZ vom 27. 2. 1974, S. 21).

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  31. Wie z. B. Wallace, Lilienfeld, Schäffle, die den Ablauf sozialer Prozesse als dürekt-biolo-gische Funktionen der Gesellschaft betrachteten.

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  32. Nach: Jonas, Fr.: Geschichte der Soziologie, Bd. I-IV, Hamburg 1968 (Rowohlt), II, S. 211.

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  33. Nach: Jonas, op. cit., II, S. 212.

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  34. Vgl. Bristol, L. M.: Social Adaption, Cambridge, Mass. 1921, S. 30 ff.

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  35. Principles, I, § 13, nach: Soziologische Exkurse, — Frankfurter Beiträge zur Soziologie, hrsg. Th. Adorno, W. Dirks, Bd. 4, Frankfurt/M. 1956, S. 33.

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  36. Im Gegensatz zur Interpretation in: »Soziologische Exkurse« (op. cit. S. 33), nach der behauptet wird, daß Spencers Integrationsbegriff »wesentlich dadurch charakterisiert ist, daß er die quantitative Seite des Vergesellschaftungsvorganges heraushebt …«

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  37. In: Sozialer Wandel, hrsg. Hans-Peter Dreitzel, — Soziologische Texte, Bd. 41, Neuwied 1967, S. 129.

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  38. Sozialer Wandel, op. cit. S. 129-132.

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  39. Angesichts der historischen Bedeutung des dominierenden Gesellschaftstyps »militärische Gesellschaft« (— angefangen von den Reitervölkern bis hin zum alten preußischen Staat —) ist es verwunderlich, daß die Beschäftigung mit diesem Typus — neben den Analysen über Feudalismus oder Hochkulturen — kaum Eingang in die moderne soziologische Literatur gefunden hat. Die Analyse von Militärregimes als Übergangsphase ist nicht nur aktuell (— vgl. z. B Feit, Edward: The Armed Bureaucrats, Boston 1973 —), sondern könnte auch für die Erklärung ökonomischer Prozesse oder auch soziokultureller Erscheinungsformen (z. B. »militärische Kultur« versus Zivilisation als eine Kultur von Unbewaffneten, d. h. Bürgern) von besonderem Interesse sein.

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  40. Peel, J. D. Y.: Spencer and the Neo-Evolutionists, in: Sociology, 3, 1969, S. 173-191.

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  41. Nach: Soziologische Exkurse, op. cit. S. 29.

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  42. Sozialer Wandel, op. cit. S. 123 f.

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  43. Soziologische Lesestücke, hrsg. Oppenheimer, Salomon, Karlsruhe 1926, 1, S. 40.

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  44. De Maistre, J.: Considérations sur la France (1796), deutsch: Betrachtungen über Frankreich, Berlin 1924. — ders.: Du Pape (1819), Paris 1923. — De Bonald, L. A.: Théorie du pouvoir politique et religieux dans la société civilisée (1796) Paris 1966.

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  45. Physique sociale (1835), 2. vols. Brussels 1869.

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  46. Les Ouvrièrs Européens, Paris 1855. — Zwischen 1829 und 1853 durchwanderte le Play-sämtliche Staaten Europas (von Skandinavien bis zur Türkei), um auf persönlicher Beobachtung beruhendes, statistisches und monographisches Material zur Lage der »europäischen Arbeiterbevölkerung« zu sammeln. Teilnehmende Beobachtung, Befragung, Kontakte zu den »Patrons« und zur Administration sollten die »Prinzipien der wahren Arbeitsorganisation« erhellen und durch den internationalen Vergleich die Untersuchungsergebnisse er-

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  47. Z. B. Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre, Bd. I—III, Cotta 1888.

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  48. Essais sur l’Histoire de France, 10. Aufl., Paris 1860, S. 75 f.

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  49. Elias, Norbert: Was ist Soziologie?, — Grundfragen der Soziologie (Juventa), Bd. 1, München 1970, S. 40.

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  50. Vieles, was heute in den öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussionen mit »Positivismus« bezeichnet wird — wie z. B. Festhalten an »Gegebenheiten«, unkritische und l’art pour l’art-Soziologie, Mangel an gesamtgesellschaftlichen Perspektiven, Anspruch auf Wertfreiheit, Vernachlässigung der historischen Dimension usw. —, ist eigentlich das Merkmal einer empiristischen Gesellschaftsbetrachtung.

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  51. Es soll kurz daran erinnert werden, daß die gcschichtsphilosophische Konzeption von der Drei-Stadien-Lehre in der Spcnccrschen Evolutionstheorie aufgenommen und durch Erarbeitung eines breiten ethnographischen Materials konkretisiert und »ausgefüllt« wurde, und daß alle Konzeptionen die Annahme einer an Naturgesetzen orientierten historischen Gesetzmäßigkeit verband.

    Google Scholar 

  52. Vgl. Jonas, F.: Zur Aufgabenstellung der modernen Soziologie, in: Archiv für Rechts-und Sozialphilosophie, III, 1966, 3, S. 368 ff.

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Kiss, G. (1972). Positivismus. In: Einführung in die soziologischen Theorien I. Studienbücher zur Sozialwissenschaft, vol 13. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-86536-6_6

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