Zusammenfassung
In der geläufigen Meinung, daß der Prophet etwas voraussagt 8, mögen sich diejenigen bestätigt finden, die an die Ableitung des Wortes „Prophet“ von griechisch πϱόϕημι denken. Doch heißt dieses Verb ursprünglich nicht „voraussagen“ im Sinne von „vorhersagen, die Zukunft voraussagen“, es ist, was überraschen mag, überhaupt erst in nachchristlicher Zeit gelegentlich belegt9, gibt also für die Erklärung von πϱοϕήτης direkt nichts her. Die Präposition πϱό bedeutet in alten Verbindungen, wie πϱολέγω, πϱοαγοϱεύω u. a., kein zeitliches „Vorher“, sondern ein „offen heraus“, ein „vor aller Augen“, weshalb man entsprechende Verbindungen durch „offen heraus erklären, öffentlich bekannt machen, verkünden“ wiederzugeben hat. Verglichen worden ist lat. profari „heraussagen, sprechen“10. Das ergibt für den πϱοϕήτης die Grundbedeutung „Verkünder, Sprecher“, aber nicht „Vorhersager“11. Für die spätere Zeit muß allerdings mit Wandlungen des Begriffsgehaltes gerechnet werden. Da πϱό tatsächlich auch in einem zeitlichen Sinne verwendet wurde, konnten sich auch für πϱοϕήτης Verständnisformen ergeben, die das „Vorhersagen“ mindestens einschlossen12. Dabei muß offen bleiben, in welchem Umfang das sachliche Verständnis von πϱοϕήτης auch Einflüssen unterlag, die ihren Ursprung letztlich im Orient hatten13.
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Literatur
Nicht voraussiebt. Im speziellen Sinne ist das etwas anderes, obwohl man die Fähigkeit zu visionärer Schau auch dem Propheten nicht prinzipiell absprechen würde. Daß tatsächlich die Propheten Visionen hatten, über die ausführlich berichtet wird, bedeutet doch nicht, daß diese für sie die einzige Erkenntnisquelle waren. Charakteristisch ist vielmehr, daß selbst in der visionären Schau das Wort des redenden Gottes die Hauptrolle spielt. In Betracht kommen hauptsächlich Visionen, die im Zusammenhang mit der Berufung der Propheten stehen (Jes. 6; Jer. 1; Ez. 1; vgl. auch Arnos 7, 1–9; 8, 1.2). Späterhin erscheinen Visionen, die vielfach von symbolischen Bildern durchsetzt sind und an die Grenze dessen heranführen, was in den apokalyptischen Schriften breiten literarischen Niederschlag gefunden hat. Anfänge dieser Entwicklung stellen die „Nachtgesichte des Sacharja“ dar (Sach. 1,7–6,8); die Gattung der Apokalyptik findet sich im Buche Daniel Dan. 7–12 (2. Jh. v. Chr.).
Bei Kirchenschriftstellern; siehe im einzelnen E. Fascher, ΠΡΟΦΗΤΗΣ. Eine sprach-und religionsgeschichtliche Untersuchung, Gießen 1927, S. 3; Kittel, Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament (ThWB) VI, s. v. πϱοϕήτης ϰτλ, besonders S. 783f.
E. Fascher a. a. O., S. 6.
Dies schließt mannigfache inhaltliche Nuancen nicht aus. E. Fascher a. a. O., S. 4–7 und passim; im übrigen ist klar erkannt, daß das Präfix πϱο bis ins 2. nachchr. Jahrhundert nirgends die Zukunft meint. ThWB VI, S. 795.
ThWB VI, S. 784. 795.
Gedacht ist an den verbreiteten, aber auch sehr differenzierten Gebrauch des Begriffs in hellenistischer und besonders nachchristlicher Zeit, wie etwa innerhalb des Corpus Hermeticum; R. Reitzenstein, Poimandres. Studien zur griechisch-ägyptischen und frühchristlichen Literatur, Leipzig 1904, S. 203ff.; 220ff.; M. P. Nilsson, Geschichte der griechischen Religion II, München 19612, S. 582–612 bes. S. 608; erinnert sei auch an Philo, „der beständig mit einem Begriff des Prophetentums spielt, der weder rein griechisch noch jüdisch sein kann“ (R. Reitzenstein, a.a.O., S. 204); vgl. dazu auch ThWB VI, S.821–823.
ThWB VI, S. 783; 794f.; älteste Belege bei Pindar, im einzelnen besprochen bei Fascher a. a. O., S. 11ff.
Zum Folgenden vgl. den bereits zitierten Artikel in ThWB, das Werk von E. Fascher, zu Delphi speziell ThWB VI, S. 786–788 und Nilsson a.a.O. I2, S. 625–653; zur neueren Prophetenforschung ausführlich, wenn auch nicht erschöpfend, da auf die Voraussetzungen „urchristlicher Prophetie“ beschränkt, G. Dautzenberg, Urchristliche Prophetie. Ihre Erforschung, ihre Voraussetzungen im Judentum und ihre Struktur im ersten Korinther-brief, BWANT 104, Stuttgart 1975, insbes. Teil 1
hingewiesen sei ferner auf R. Meyer, Der Prophet aus Galiläa, Leipzig 1940 (Neudruck Darmstadt 1970)
eine knappe Skizze mit zahlreichen Belegen bietet P. Krüger, Würdigung der Propheten im Spätjudentum, in: Neutestamentliche Studien Georg Heinrici zum 70. Geburtstag, Leipzig 1914, S. 1–12.
E. Fascher a. a. O., S. 51; vgl. die ebenda S. 51–54 gegebene Übersicht.
W. Otto, Priester und Tempel im hellenistischen Ägypten I, Leipzig 1905, S. 80–83.
Nach dem Zeugnis des sog. „Aristeas-Briefes“, der freilich zunächst nur von der Übersetzung des Pentateuch spricht, die zweiundsiebzig Gelehrte zur Zeit des Ptolemäus II. Philadelphos (284–247 v. Chr.) in Alexandria vollendeten. Die Einzelheiten sind legendär; nicht jedoch die Tatsache, daß mit der Sprache Ägyptens vertraute Juden die Übersetzung machten. Mit der Übersetzung prophetischer Texte ist in den Jahrzehnten nach Fertigstellung des Pentateuch zu rechnen. Zu den Schwierigkeiten der Textgeschichte und ihrer Beurteilung vgl. P. Kahle, Die Septuaginta. Prinzipielle Erwägungen, in: Festschrift Otto Eißfeldt, Halle 1947, S. 161–180
ferner F. G. Kenyon, Der Text der griechischen Bibel, engl. Erstausgabe 1936, deutsche Neuausgabe Berlin 1952, 19612.
Neben den hier in Anm. 15 genannten Arbeiten vgl. zur grundsätzlichen Fragestellung J. Hessen, Piatonismus und Prophetismus. Die antike und die biblische Geisteswelt in strukturvergleichender Betrachtung, München/Basel 19552
Th. Boman, Das hebräische Denken im Vergleich mit dem griechischen, Göttingen 19654
siehe auch S. Herrmann, Prophetie und Aktualität. Biblische Denkstrukturen in ihrer Begegnung mit abendländischer Geistigkeit, in: Theologie in Geschichte und Kunst (Festschrift W. Elliger), Witten 1968, S. 61–73.
Wesentliche Akzente liegen hier auf der Gewißheit der göttlichen Rede und der Überzeugung, daß die Propheten Boten Gottes seien. M. Buber, Der Glaube der Propheten, 1950 = Werke II, 1964, S. 231ff.
M. Friedländer, Die jüdische Religion, Basel 1971, S. 105f.; 151–158
L. Finkelstein (Hrsg.), The Jews. History, Culture, and Religion II, New York 19603, S. 1030–1042; siehe auch Index s. v. „Prophets“.
Deshalb ist es gewagt, allgemein vom „Amt“ des Propheten zu sprechen, weil dadurch der Eindruck durchgängig geltender und zugleich institutionell abgesicherter Funktionsformen und Aufgabenbereiche nahegelegt wird. Eben eine solche Generalisierung würde den verschiedenen Ausprägungen von Prophetie, wie sie im Alten Testament vorkommen, nicht gerecht.
ThWB VI, S. 796.
nabû „nennen, benennen, rufen“.
naba’a „mitteilen“.
Abraham Gen. 20,7 (E); Mose Dt. 18,15; 34,10; Hos. 12,14.
Der Vorgang ist bemerkenswert. Rang und Bedeutung der großen Persönlichkeiten Israels maß man am Bild des „Propheten“, wie es sich freilich erst im Laufe längerer Entwicklung herausgebildet hatte. Angesichts der Belege in der vor. Anm. legt sich die Frage nach einem anfänglich nordisraelitisch-deuteronomischen Traditionsprozeß nahe. Zur Wertung der Stellen L. Perlitt, Mose als Prophet, in: EvTheol 31, 1971, S. 588–608.
Außer Betracht können Stellen über charismatische Erscheinungen im israelitischen Wüstenlager bleiben (Num. 11,24–30: 70 Älteste, Eldad und Medad; 12,6f.: Verhältnis Moses zu prophetischer Autorität), weil sie nach allgemeiner Auffassung Zeugnisse späterer Reflexion sind.
Man darf voraussetzen, daß sich historische Erinnerungen an diesen Mann oder wenigstens an den hier vorgestellten Typ in der freilich später durchformulierten und ergänzten Erzählung niederschlugen. Vgl. insbesondere die Kommentierung bei M. Noth, Das vierte Buch Mose. Numeri, ATD 7, 1966, S. 145–169, bes. S. 152f.
R. de Vaux, Histoire ancienne, 1971, S. 525
Unter sprach- und literaturwissenschaftlichen Gesichtspunkten befaßt sich mit den Prosatexten von Num. 22–24 W. Groß, Bileam, München 1974
mit den Bileam-Sprüchen von methodisch anderen Voraussetzungen aus D. Vetter, Seherspruch und Segensschilderung. Ausdrucksabsichten und sprachliche Verwirklichungen in den Bileam-Sprüchen von Numeri 23 und 24, Stuttgart 1974
zu überlieferungs- und religionsgeschichtlichen Problemen jetzt S. Wagner, Offenbarungsphänomenologische Elemente in den Bileam-Geschichten von Numeri 22–24, in: Theologische Versuche 5, Berlin 1975, S. 11–31.
Das gilt auch für die Beurteilung der bekannten Episode, in der Bileams Eselin vor dem Engel Gottes zurückwich, die Kreatur also das Numinose des fremden Gottes zuerst wahrnahm, ehe Bileam selbst ihn begriff. Marie-Louise Henry, Das Tier im religiösen Bewußtsein des alttestamentlichen Menschen, Tübingen 1958, spez. S. 39f.
Mari war Mittelpunkt eines Staatswesens am mittleren Euphrat. Ausgrabungen unter französischer Leitung bei dem heutigen Ruinenhügel teil ḥarīri begannen 1933. Die Reste des gefundenen Staatsarchivs umfassen über 20 000 Keilschrifttafeln. Die Herrenschicht von Mari gehörte demselben Kreis an wie die berühmte erste Dynastie von Babylon, zu der auch der bekannte Hammurabi zählte (jetzt gewöhnlich auf 1792–1750 v. Chr. datiert). Einen zusammenfassenden Überblick über die Mari-Texte gab W. von Soden in: Die Welt des Orients I, 1948, S. 187–204
über einige wichtige „prophetische“ Texte ebenda S. 397–403; vgl. auch M. Noth, Geschichte und Gotteswort im Alten Testament, 1949; jetzt in: Ges. Studien zum Alten Testament, München 19663, S. 230–247
monographische Behandlung mit neuem Material F. Ellermeier, Prophetie in Mari und Israel, Herzberg 1968. Zu Mari und seinen Texten generell J.-R. Kupper (Hrsg.), La civilisation de Mari, XVe Rencontre assyriologique internationale (Liège 1966), Paris 1967.
Neben den in Anm. 32 genannten Arbeiten von M. Noth und Ellermeier vgl. auch C. Westermann, Grundformen prophetischer Rede, München 19714, S. 82–91; ders., Die Mari-Briefe und die Prophetie in Israel, in: Westermann, Forschung am Alten Testament, 1964, S. 171–188
K. Koch, Die Briefe „profetischen“ Inhalts aus Mari. Bemerkungen zu Gattung und Sitz im Leben, in: Ugarit-Forschungen 4, 1972, S. 53–77; neben diesen primär formgeschichtlichen Untersuchungen siehe die historische und sachliche Auseinandersetzung bei A. Malamat in dem Sammelband „Mari and the Bible“, Jerusalem 1973, zu den prophetischen Texten besonders S. 62–82; im hebr. Teil: S. 51–80.
Im Vordergrund stand feindliche Bedrohung durch übergreifende Stämme, etwa aus den Wüsten- und Steppenzonen, aber auch durch massive Eroberung seitens des babylonischen Königs.
Vielfach spielen Opferforderungen und kultische Pflichten eine Rolle, aber auch Anweisungen zum Bau von Gebäuden und Toren oder dessen Verhinderung.
Sie beziehen sich hauptsächlich auf die Folgen von Sieg oder Niederlage des Königs von Mari, aber auch auf die Folgen seines Gehorsams oder Ungehorsams gegenüber den Göttern
J. Lindblom, Zur Frage des kanaanäischen Ursprungs des altisraelitischen Prophetismus, in: BZAW 77, 1958, S. 89–104
F. Nötscher, Prophetie im Umkreis des alten Israel, in: BZ 10, 1966, S. 161–197
J. F. Ross, Prophecy in Hamath, Israel and Mari, in: HThR 63, 1970, S. 1–28
R. Rendtorff, Erwägungen zur Frühgeschichte des Prophetentums in Israel, 1962, jetzt in: Ges. Studien z. Alten Testament, München 1975, S. 220–242.
Übersetzt von E. Edel in: K. Galling, Textbuch zur Geschichte Israels, Tübingen 19682, S. 41–48; dort weitere Literatur.
äg. ‘d d’; = „großer Knabe“ (so übersetzt in AOT, S. 72; ANET, S. 26); Edel a. a. O., S. 43: „einen alten (?) Mann aus seinen alten (?) Leuten“ (im Anschluß an A. Scharff, ZÄS 74, 1938, S. 147) und denkt an einen Opferpriester.
Edel a. a. O., S. 43.
Die Vorstellung in diesem ägyptischen Bericht ist wohl die, daß es der große Gott Amon selbst war, der auf den rasenden Byblier einwirkte. Das ist mutatis mutandis dasselbe wie bei Bileam, der im Rahmen des alttestamentlichen Berichtes unter dem Einfluß des Gottes Israels stehend gedacht ist. Doch sind dies literarisch bedingte Nebenfragen, die an der Tatsache, daß solche Charismatiker tatsächlich auftraten, nichts ändern.
Sog. Stele von Afis, bereits 1903 bei Afis südwestlich von Aleppo gefunden, jetzt im Louvre; Text, Übersetzung und Kommentar in KAI, Nr. 202; siehe auch AOT, S. 443f.; ANET, S. 501f.
1. Kön. 22; dazu s. u. S. 26f.
Es handelt sich in erster Linie um die Texte 1. Sam. 8–12. Vgl. dazu die Darstellungen in den Werken zur Geschichte Israels, den Kommentar zum 1. Samuelisbuch von H. J. Stoebe, KAT 8/1, 1973
ferner W.H. Schmidt, Kritik am Königtum, in: Probleme biblischer Theologie (Festschrift G. v. Rad), 1971, S. 440–461 und die eigenständige Dissertation von Zafrira Ben-Barak (hebr.) mit der engl. Thesenreihe: „The Manner of the King“ and „The Manner of the Kingdom“. Basic factors in the establishment of the Israelite Monarchy in the light of Canaanite Kingship, Jerusalem 1972.
Die Funktionen Samuels schwanken tatsächlich zwischen denen eines „Richters“ und eines „Sehers“, wobei das eine das andere nicht ausschließen muß. In der Frühzeit der Stämme vermochten charismatisch anerkannte Persönlichkeiten auf verschiedenen Ebenen wirksam zu werden. Vgl. hauptsächlich die in Anm. 46 genannte Literatur, ferner A. Jepsen, Nabi. Soziologische Studien zur alttestamentlichen Literatur und Religionsgeschichte, München 1934, S. 99–114.
E. Kutsch, Salbung als Rechtsakt im Alten Testament und im alten Orient, BZAW 87, 1963
M. Noth, Amt und Berufung im Alten Testament, 1958; Neudruck in: Ges. Studien, 19663, S. 309–333.
Ri. 4,4, wo Debora eine „prophetische Frau“ genannt ist, die „Israel richtete“, ist schwerlich alte Überlieferung, sondern entspricht deuteronomistischer Redaktion. Die Einleitung zu dem Ri. 5 ihr in den Mund gelegten Lied nennt nur den Namen „Debora“.
Zur Stelle vgl. Fascher a.a.O., S. 114–116; Jepsen a.a.O., S. 100f.; H. J. Stoebe, KAT 8/1, 1973, S. 194f., 202f.
Es ist überlieferungsbedingt, aber möglicherweise auch für das spätere Verhältnis von Prophetie und Königtum bezeichnend, daß die Gestalt Samuels in einem so engen Zusammenhang mit der Entstehung des Königtums durch Saul erscheint. Die Frage, wie gerade er dazu kam, den künftigen König zu salben, beruht wahrscheinlich auf seiner anerkannten Stellung innerhalb des Stammes Benjamin, aus dem auch Saul hervorging. Es hat nicht an Versuchen gefehlt, die Rolle Samuels vor und nach der Salbung Sauls zu interpretieren. Hingewiesen sei auf H. Wildberger, Samuel und die Entstehung des israelitischen Königtums, in: ThZ 13, 1957, S. 442–469
A. Weiser, Samuel, FRLANT 81, Göttingen 1962
L. Schmidt, Menschlicher Erfolg und Jahwes Initiative, WMANT 38, Neukirchen 1970
J. A. Soggin, Das Königtum in Israel, BZAW 104, Berlin 1967, S. 45–57.
1. Sam. 10,5: ḥäbäl nebī’īm. Der Plural nebī’īm liegt dem häufig gebrauchten Begriff „Nebiismus“ zugrunde, mit dem in der Regel prophetische Gruppen gemeint sind.
1. Sam. 10, 10–13; 1. Sam. 19, 18–20,1; das Verständnis beider Stellen untersucht L. Schmidt, Menschlicher Erfolg und Jahwes Initiative, S. 103–119, aber mit problematischem Resultat: Saul habe nie Kontakte zu ekstatischen Prophetengruppen gehabt. Das Sprichwort charakterisiere Sauls Krankheit.
Besonders deutlich in 1. Sam. 15. Der von dort an bis Kap. 31 folgende sukzessive Abstieg des als krank und gottverlassen geschilderten Saul, der seinen Leidenschaften erliegt und vor der Entscheidungsschlacht gegen die Philister den Geist Samuels beschwören läßt (1. Sam. 28), mag zu einem wesentlichen Teil auf erzählerischer und schriftstellerischer Ausgestaltung beruhen. Doch liegt schwerlich reine Erfindung vor. Es ist nicht auszuschließen, daß der zunehmende Widerstand des Charismatikers Samuel zugleich einen gegen das Königtum von Anfang an gerichteten Kurs innerhalb der Stämme repräsentiert (vgl. den Niederschlag negativer Tendenzen in 1. Sam. 10,27; 11,12f.).
„Prophetisch“ kann sein Wirken allein in 2. Sam. 7 und 12 genannt werden.
Besonders bei der Entscheidung über Davids Nachfolger 1. Kön. 1.
Neben Nathan erscheint er freilich weniger profiliert. Er kommt nur in wenigen Zusammenhängen vor, die selbständigen Traditionsschichten angehören können, 1. Sam. 22,5 und mehrfach in 2. Sam. 24. Auffällig ist, daß er nicht nur „der Prophet“ (nābī), sondern gleich anschließend auch „der Seher Davids“ (ḥōzäb dāwīd) genannt ist; dasselbe gilt für die chronistische Parallelüberlieferung 1. Chr. 21. Besonders auffällig ist die summarische Bemerkung 1. Chr. 29,29, die folgendermaßen differenziert: Samuel, der Seher (rō’äh), Nathan, der Prophet (nābī), Gad, der Seher (ḥōzäh). Zweifellos sind damit die traditionell dominanten Bezeichnungen für jeden einzelnen richtig zusammengefaßt; sind es auch die tatsächlich ältesten zutreffenden „Titel“ dieser Männer? Man ist auf Grund der Kontexte geneigt, in Gad den „Seher Davids“ aus seiner vorjerusalemischen Zeit anzunehmen, der später in der etablierten Residenz in Jerusalem durch Nathan ersetzt wurde.
Nathan mag erst allmählich in seine einflußreiche Stellung hineingewachsen sein, wie sie 1. Kön. 1 bezeugt ist; im übrigen sollte man „Ämter“ und Funktionen an dem jungen Hof zu Jerusalem nicht zu pedantisch unterscheiden und trennen wollen. Nathan hat ganz den Anstrich eines „Geheimrates“ oder „Ministers mit besonderem Aufgabenbereich“, eines „Sonderministers“.
Daß gerade Nathan Empfänger dieser bedeutsamen Verheißung wurde, paßt ganz zu seiner Sonderstellung an Davids Hof. Daß er in qualifiziertem Sinn der „Prophet Salomos“ gewesen sei und 2. Sam. 7,16 erst nachträglich auf David umgemünzt wurde, ist eine textkritisch-exegetische Frage, die nicht mit Sicherheit zu beantworten ist; dazu H. Gese, Vom Sinai zum Zion, München 1974, S. 125.127.
A. Alt, Das Königtum in den Reichen Israel und Juda, 1951, in: Kleine Schriften zur Geschichte des Volkes Israel II, München 19643, S. 116–134; Abdruck auch in: Alt, Grundfragen der Geschichte des Volkes Israel, München 1970, S. 348–366. Vgl. auch einige Erwägungen dazu bei S. Herrmann, Geschichte Israels, 1973, S. 240–242.
Die Regierungsdaten der einzelnen Könige bilden mit fast stereotypen Wendungen ein festes chronologisches Gerüst, in das nur fallweise kleinere oder größere erzählende Stücke eingefügt sind. Auf solche Weise findet sich in den Königsbüchern des Alten Testaments keine fortlaufende, an den geschichtlichen Problemen orientierte Darstellung, sondern eine vielfach punktuelle Überlieferung, die vorgefundenes Material verarbeitet, aber weitgehend in seiner anekdotenhaften Form beläßt. Grundlegend M. Noth, Überlieferungsgeschichtliche Studien I, Halle 1943 = Tübingen 19673
unabhängig von Noth A. Jepsen, Die Quellen des Königsbuches, Halle 19562
vgl. neuerdings W. Dietrich, Prophetie und Geschichte: Eine redaktionsgeschichtliche Untersuchung zum deuteronomistischen Geschichtswerk, FRLANT 108, 1972.
Einflußreich über Jahrzehnte war im deutschen Sprachraum vor allem M. Noth, Das System der zwölf Stämme Israels, BWANT 52, 1930
aus zahlreichen kritischen Beiträgen, die sich seit Anfang der sechziger Jahre mehrten, seien herausgegriffen R. Smend, Jahwekrieg und Stämmebund, FRLANT 84, 1963
R. de Vaux, Histoire ancienne II, 1973, Chap. II und III
C. H. J. de Geus, The Tribes of Israel, Assen/Amsterdam 1976
S. Herrmann, Geschichte Israels, 1973, S. 137–139.
A. Alt, Der Anteil des Königtums an der sozialen Entwicklung in den Reichen Israel und Juda, 1955, Kl. Schr. III, München 19682, S. 348–372 = Grundfragen, S. 367–391; vgl. jetzt den Forschungsbericht von W. Schottroff, Soziologie und Altes Testament, in: Verkündigung und Forschung 19, 1974, S. 46–66
K. Koch, Die Entstehung der sozialen Kritik bei den Profeten, in: Probleme alttestamentlicher Theologie (Festschr. v. Rad), 1971, S. 236–257.
Eine einheitliche Terminologie für die Stadien soziologischer Entwicklung im alten Israel hat sich noch nicht herausgebildet. Allgemein kann von einem Übergang vom Nomadentum zur Ackerbaukultur in frühstaatlicher Zeit gesprochen werden (so K. H. Bernhardt in seinem Beitrag zu: Das Verhältnis von Bodenbauern und Viehzüchtern in historischer Sicht, Berlin 1968, S. 31–40); sehr häufig wurden für das seßhafte Israel der Königszeit „kleinbäuerliche Verhältnisse“ angenommen, die schließlich im Gefolge staatlich geduldeter Latifundienbildung durch eine Art Feudalsystem abgelöst wurden. Zu fragen ist, ob die aus allgemeineren Zusammenhängen gewonnenen Begriffe von H. Bobek, Die Hauptstufen der Gesellschafts- und Wirtschaftsentfaltung in geographischer Sicht, 1959, abgedruckt in: E. Wirth (Hrsg.), Wirtschaftsgeographie, Wege der Forschung 219, Darmstadt 1969, S. 441–485, auch für Israel zutreffen. Für die Zeit der Propheten kämen dann die „Stufe der herrschaftlich organisierten Agrargesellschaft“ und die „Stufe des älteren Städtewesens und des Rentenkapitalismus“ in Betracht.
Einschränkend muß freilich an dieser Stelle auf den Verlust des „Nordreiches“ Israel durch die assyrische Eroberung und den Fall Samarias 722/1 v. Chr. hingewiesen werden. Die assyrische Deportationspraxis steigerte das Ausmaß der Katastrophe. Doch wissen wir nicht, wie tief diese Deportation in den gesamten Bevölkerungsbestand eingriff; allerdings sind die nordisraelitischen Gebiete von fremden Gruppen, die ins Land kamen (vgl. 2. Kön. 17,24), durchsetzt worden, haben aber das israelitische Element nicht völlig aufgesogen.
1. Kön. 18,4; 22,6ff.
1. Kön. 18,7–14.
Zum historischen Hintergrund A. Alt, Das Gottesurteil auf dem Karmel, 1935, Kl. Schr. II, S. 135–149; zur religionsgeschichtlichen Problematik O. Eißfeldt, Der Gott Karmel, Sitzungsber. d. Dt. Akademie der Wiss. zu Berlin, Kl. für Sprachen, Lit. u. Kunst, Jg. 53 Nr. 1, Berlin 1953; zur literarischen Beurteilung O. H. Steck, Überlieferung und Zeitgeschichte in den Elia-Erzählungen, WMANT 26, 1968.
Zur Komposition von 1. Kön. 17–19 R. Smend, Das Wort Jahwes an Elia, in: VT 25, 1975, S. 525–543.
O. H. Steck a. a. O., S. 32–77; teilweise in Auseinandersetzung mit den Analysen Stecks P. Welten, Naboths Weinberg (1. Könige 21), in: EvTheol 33, 1973, S. 18–32.
Der Name des Königs von Israel fällt nicht, aber der seines Koalitionspartners, des Königs Josaphat von Juda (ca. 874–849 v. Chr.). Als Könige von Israel kommen Ahab und sein Nachfolger Ahasja, vielleicht aber auch ein späterer König Israels in Frage. Dazu S. Herrmann, Geschichte Israels, 1973, S. 269f.
Da im Unterschied zu 1. Kön. 18,4 nicht ausdrücklich von „Propheten Jahwes“, sondern nur von „den Propheten“ oder mit Blick auf den König von „deinen Propheten“ gesprochen ist, denen dann betont „ein Prophet Jahwes“ gegenübergestellt wird, kann man fragen, ob die Menge der aufgebotenen Propheten durchweg Jahwe-Propheten waren. Doch wird, wie schon 1. Kön. 22,5 andeutet, kein anderer Gott als Jahwe befragt.
S.o.S. 18.
Das Thema ist vielfach behandelt worden. G. v. Rad, Die falschen Propheten, 1933, jetzt in: Ges. Stud. z. Alten Testament II, München 1973, S. 212–223
G. Quell, Wahre und falsche Propheten, Gütersloh 1952
E. Jacob, Quelques remarques sur les faux prophètes, in: ThZ 13, 1957, S. 479–486
E. Oßwald, Falsche Prophetie im Alten Testament, SGV 237, 1962; dieselbe, Irrender Glaube in den Weissagungen der alttestamentlichen Propheten, in: Wiss. Zeitschr. Univ. Jena, Sonderheft 1963, S. 65ff.
H. Seebass, Micha ben Jimia, in: KuD 19, 1973, S. 109–124.
Faßbar wird uns diese kritische Reflexion erst im deuteronomisch-deuteronomistischen Schrifttum und ihnen nahestehenden Überlieferungen in den Büchern Jeremia und Ezechiel; dazu jetzt G. Münderlein, Kriterien wahrer und falscher Prophetie. Entstehung und Bedeutung im Alten Testament, Europäische Hochschulschriften, Reihe 23, Bd. 33, Frankfurt/M. 1974.
Elisa, über den der sprichwörtlich gewordene „Mantel des Propheten“ geworfen wird, 1. Kön. 19, 19–21.
2. Kön. 2,9f.
Hebr. benē hannebī’īm. Die ältere Literatur sprach in diesem Zusammenhang gern von „Prophetengenossenschaften“. E. Fascher a. a. O., S. 119–124; siehe auch A. Jepsen, Nabi, S. 72–83. Eine literaturwissenschaftliche Untersuchung dreier Elisatexte bietet H. Schweizer, Elischa in den Kriegen, München 1974
Zur religionsgeschichtlichen Vergleichung O. Eißfeldt, Kultprophetische Genossenschaften und Hypostasierungen göttlicher Eigenschaften und Tätigkeiten im alten Orient, Kl. Schriften III, 1966, S. 48–54.
2. Kön. 9, 1–13.
Arnos 7, 10–17.
Der hier stehende Ausdruck bän-nābī ist als Singular jenes bei Elisa vorkommenden Ausdrucks benē hannebī’īm „Prophetenjünger“, wörtlich „zu den Propheten gehörende“, aufzufassen; Gesenius-Kautzsch, Hebr. Grammatik, Leipzig 190928, § 128v.
imper. ni. hinnābē von dem Verbum nb’.
Literatur im Zusammenhang der Kommentierung der Stelle bei H. W. Wolff, Dodekapropheton 2 Joel und Arnos, BK 14/2, Neukirchen 1969, S. 352–365
W. Rudolph, Joel, Amos, Obadja, Jona, KAT 13/2, Gütersloh 1971, S. 249–260.
Selbst wenn der Text Arnos 7, 10–17 als „Prophetenerzählung“ späterer Gestaltung unterliegen sollte, ist die in v. 14 gemachte Unterscheidung doch von höchstem Wert, weil eine solche Form der Differenzierung in die Lage der Zeit paßt und auch anderwärts nicht wieder bezeugt ist.
Nach wie vor ist allerdings das Verhältnis von mündlicher Tradition und deren schriftlichem Niederschlag in den Büchern des Alten Testaments schwer aufzuhellen und kann darum nur hypothetisch beurteilt werden. Vgl. K. Koch, Was ist Formgeschichte?, S. 97–112.
In erster Linie wird an Persönlichkeiten aus der engeren Umgebung des betreffenden Propheten gedacht, die als seine Schüler oder Jünger galten. Am deutlichsten ist dies im Buche Jeremia zu beobachten, wo Baruch sich in der Umgebung seines Meisters aufhält, mit der Niederschrift von Sprüchen beauftragt wird (Jer. 36) und in Jer. 45 ein eigenes Trostwort erhält. Von der Versiegelung eines Zeugnisses und „meinen Schülern“ ist Jes. 8,16 die Rede, freilich in einem schwer verständlichen Kontext. Am ehesten sind umfangreiche Aufzeichnungen, die auch erhalten blieben, in nachexilischer Zeit denkbar. Doch wird man schwerlich der von skandinavischen Forschern seit den dreißiger Jahren vertretenen These zustimmen können, es habe in vorexilischer Zeit im wesentlichen überhaupt nur eine mündliche Tradition gegeben; vgl. das ausführliche Referat von A. H. J. Gunneweg, Mündliche und schriftliche Tradition der vorexilischen Prophetenbücher als Problem der neueren Prophetenforschung, FRLANT 73, 1959
Freilich wird man Gunne-wegs eigener These, die er dort vertrat, daß die Schriftpropheten Amtsträger am Heiligtum gewesen seien, schwerlich zustimmen können. Zum neueren Diskussionsstand in diesen Fragen, besonders innerhalb der deutschen alttestamentlichen Wissenschaft, siehe H.-J. Kraus, Geschichte der historisch-kritischen Erforschung des Alten Testaments, Neukirchen 19692, S. 460–477.
Zusammenfassende Darstellungen der israelitischen Prophetie sind aus jüngerer Zeit nicht übermäßig zahlreich. Hingewiesen sei auf C. Kuhl, Israels Propheten, Dalp-Taschenbücher 324, 1956
J. Lindblom, Prophecy in Ancient Israel, Oxford 1963
G. von Rad, Theologie des Alten Testaments II, München 19654. Als Sammlungen von Spezialuntersuchungen sind anzusprechen: Tradition und Situation. Studien zur alttestamentlichen Prophetie (Festschrift A.Weiser), Göttingen 1963
G. Fohrer, Studien zur alttestamentlichen Prophetie, BZAW 99, Berlin 1967
W. Zimmerli, Studien zur alttestamentlichen Theologie und Prophetie. Ges. Aufsätze II, München 1974
eine Reihe spezieller Fragestellungen neuer Forschungen wirft auf R. E. Clements, Prophecy and Tradition, Oxford 1975
Vgl. im übrigen den Forschungsbericht von J. M. Schmidt, Probleme der Prophetenforschung, in: Verkündigung und Forschung 17, 1972, S. 39–81.
Zu den drei eindeutigen Berichten Jes. 6, Jer. 1 und Ez. 1 vgl. die alttestamentliche Kommentarliteratur; hinzuzuziehen sind jedoch auch Arnos 7, 1–9; 8, 1.2 und Teilstücke aus Jes. 40,1–11; ferner die Darstellungen der Berufungen Gideons (Ri. 6, 11–24) und Moses (Ex. 3); zur Form der Berichte N. Habel, The Form and Significance of the Call Narratives, in: ZAW 77, 1965, S. 297–323; zu Inhalt und Interpretation Marie-Louise Henry, Prophet und Tradition. Versuch einer Problemstellung, BZAW 116, 1969; ferner W.Richter, Die sogenannten vorprophetischen Berufungsberichte, FRLANT 101, 1970
B. O. Long, Prophetic Call Traditions and Reports of Visions, in: ZAW 84, 1972, S. 494–500.
Zum psychologischen Hintergrund prophetischen Wortempfanges siehe O. Kaiser, Einleitung, 1969, S. 164–167 und die dort angegebene Literatur
ferner F. Maass, Zur psychologischen Sonderung der Ekstase, in: Wiss. Ztschr. Univ. Leipzig, Jg. 1953/54 Ges. u. sprachwiss. Reihe, Heft 2/3, S. 297–301.
Es ist die im Auftrag des Königs Josia von hohen Staatsbeamten befragte „Prophetin“ (nebī’āh) Hulda (2. Kön. 22, 12–20). Über ihre persönlichen Verhältnisse und ihren genauen Wohnsitz wird zusätzlich berichtet (v. 14).
Vgl. die oben Anm. 75 u. 76 mitgeteilte Literatur.
Traditions- und formgeschichtliche Merkmale sind wesentlicher Maßstab in dem Buch von J. Jeremias, Kultprophetie und Gerichtsverkündigung in der späten Königszeit Israels, WMANT 35, Neukirchen 1970.
Untersucht sind die Bücher Nahum und Habakuk sowie kultprophetische Klageliturgien im Psalter. Zu einem anderen Verständnis Habakuks C.-A. Keller, Die Eigenart der Prophetie Habakuks, in: ZAW 85, 1973, S. 156–167. Vielfach werden auch Obadja, Haggai und teilweise Sacharja und Joel als Propheten angesprochen, die in engem Zusammenhang mit dem Kult standen; doch sind alle dafür beigebrachten Gründe nicht zwingend. Siehe auch O. Kaiser, Einleitung, S. 167f.
Grundsätzlich zum Thema A. R. Johnson, The Cultic Prophet in Ancient Israel, Cardiff 1944, 19622
kritische Einwände erhebt G. Quell, Der Kultprophet, in: ThLZ 81, 1956, Sp. 402–404
im Zusammenhang kultischer Entwicklungen Israels beurteilt die Rolle der Propheten H.-J. Hermisson, Sprache und Ritus im altisraelitischen Kult, WMANT 19, Neukirchen 1965, S. 131–145
Die Probleme der Kultprophetie lösten auch die Frage nach dem dem Priestertum nahestehenden Mittleramt des Propheten aus; in größerem Zusammenhang dazu J. Scharbert, Heilsmittler im Alten Testament und im Alten Orient, Quaestiones Disputatae 23/24, Freiburg 1964, S. 138f.; 150f.; 280–294
die Mittlerfunktion auch bei H.-J. Kraus, Gottesdienst in Israel, München 19622, S. 122–133.
Man vergleiche ältere Gesamtdarstellungen israelitischer Prophetie von E. Sellin, Der alttestamentliche Prophetismus, Leipzig 1912; B. Duhm, Israels Propheten, Tübingen 19222
A. Lods, Les prophètes d’Israel et les débuts du Judaisme, Paris 1935 mit den verfeinerten Fragestellungen bei G. von Rad, Theologie II, oder im Biblischen Kommentar Altes Testament, Neukirchen (insbesondere W. Zimmerli, Ezechiel, 1969 abgeschlossen; H. W. Wolff, Dodekapropheton; H. Wildberger, Jesaja, letztere beiden noch nicht abgeschlossen), um das Ausmaß differenzierter Textbehandlung abzuschätzen.
Ohne die Berechtigung dieser Forschungsweisen in Frage stellen zu wollen, muß jedoch konstatiert werden, daß die auf diesem Wege gewonnenen Einzelerkenntnisse bisher nur in begrenztem Umfang Allgemeingut der alttestamentlichen Wissenschaft geworden sind. Trotz der Suche nach möglichst objektiven Kriterien, wie sie etwa dem Buch von K. Koch, Was ist Formgeschichte?, entnommen werden können, bleiben doch der Interpretation eines jeden Textes Bereiche offen, die durch die subjektive Einstellung des Forschers ausgefüllt werden müssen. Es geht letztlich um das „Verstehen“ von Texten, die Jahrtausende zurückliegen. Ob solches Verstehen auf dem Wege „linguistischer“ oder „literaturwissenschaftlicher“ Methoden über mehr statistische Feststellungen hinaus verfeinert werden kann, bleibt abzuwarten. Vgl. W. Richter, Exegese als Literaturwissenschaft. Entwurf einer alttestamentlichen Literaturtheorie und Methodologie, Göttingen 1971; vgl. auch das Nachwort der 3. Aufl. von K. Koch, Was ist Formgeschichte?, S. 289–342 mit dem Titel: Linguistik und Formgeschichte. Eine allgemein akzeptierte fortlaufende „Geschichte der alttestamentlichen Literatur“ im Sinne der sukzessiven Entfaltung literarischer Tätigkeit im alten Israel liegt darum noch in weitem Feld und bildet auch noch nicht das ausgesprochene Ziel der hier charakterisierten Forschung.
W. Klatt, Hermann Gunkel. Zu seiner Theologie der Religionsgeschichte und zur Entstehung der formgeschichtlichen Methode, FRLANT 100, 1969
siehe auch K. Koch, Was ist Formgeschichte?, der von Gunkel ausgeht; in vielfältigem Rückbezug auf Gunkel auch C. Westermann, Grundformen prophetischer Rede, München 19642.
Genauer gesagt, wurden erprobt in einem Kommentar zur Genesis, Göttingen 1901, 19636, dessen Einleitung lautete: Die Sagen der Genesis; dazu Klatt a. a. O., S. 104–166.
Vgl. im einzelnen den ausführlichen Überblick über die Geschichte der Forschung bei Westermann, Grundformen, und speziell H. W. Wolff, Die Begründung der prophetischen Heils- und Unheilssprüche, 1934, in: Ges. Stud. z. Alten Testament, München 19732, S. 9–35.
Siehe Westermann a. a. O., aber auch die speziellen Beiträge von H. W. Wolff, Das Zitat im Prophetenspruch, 1937, Ges. Stud. S. 36–129; ders., Der Aufruf zur Volksklage, 1964, Ges. Stud. S. 392–401.
Als minderen Ranges betrachtete man hauptsächlich zahlreiche Zusätze und Erweiterungen, die angeblich nicht die Höhe geistiger Durchdringung erreichten, wie man sie von einem Propheten erwarten müßte. Forscher wie etwa B. Duhm urteilten so, denen an der Herausarbeitung und Darstellung der prophetischen Persönlichkeiten als Einzelgestalten lag. — Unbestritten ist, daß in die Prophetenbücher Sammlungen und Kompositionen aufgenommen wurden, deren Verfasser man nicht mehr kennt, die aber unter die Autorität eines großen Propheten rückten, in dessen Buch sie kamen und überliefert wurden. Das gilt für zahlreiche Worte gegen Fremdvölker in den Büchern Jesaja, Jeremia und Ezechiel, aber auch für Corpora wie Jes. 24–27 (sog. „Jesaja-Apokalypse“), Jer. 30.31 (sog. „Trostbuch für Ephraim“), Ez. 38.39 (Gog und Magog), wahrscheinlich auch Ez. 40–48 (sog. „Verfassungsentwurf“).
Hier ist nicht an die traditionsgeschichtliche Schule im Sinne der skandinavischen Forscher gedacht (vgl. oben Anm. 87), sondern an die Art der Aufnahme älterer Überlieferungen, die von den Propheten in ihren Sprüchen verarbeitet zu neuer und fortdauernder Wirkung kamen. Entscheidende Impulse in dieser Richtung gab G. von Rad, insbesondere in Theologie II: Die Theologie der prophetischen Überlieferungen Israels; vgl. jetzt die instruktive Übersicht von R. E. Clements, Prophecy and Tradition (in der Reihe: Growing Points in Theology), Oxford 1975.
Diese Forschungsrichtung ist bisher noch wenig entwickelt; vgl. die Übersicht in: K. Koch, Was ist Formgeschichte?, S. 72–83; G. Fohrer u. a., Exegese des Alten Testaments. Einführung in die Methodik, Heidelberg 1973, S. 136–144; ferner H. W. Hertzberg, Die Nachgeschichte alttestamentlicher Texte innerhalb des Alten Testaments, in: BZAW 66, 1936, S. 110–121 = Beiträge zur Traditionsgeschichte und Theologie des Alten Testaments, 1962, S. 69–80.
Vgl. über Möglichkeiten und Probleme dieser Betrachtungsweise oben Anm. 96. Im Blick auf die Anwendung deskriptiver Verfahrensweisen bei der Analyse von Texten im Sinne sogenannter moderner Linguistik bleibt zu bedenken, daß sie primär auf sprachlidie Ausdrucksformen gerichtet sind, nicht auf „Literaturgeschichte“. Im Rahmen solcher Bemühungen bietet das Alte Testament nur ein Arbeitsfeld unter anderen. Deshalb bleibt „Auslegung“ bzw. Interpretation von Texten im Stil alter „Exegese“ eine unentbehrliche Aufgabe.
Über den komplizierten literarischen Aufbau des Buches Jeremia vgl. den Kommentar von W.Rudolph, Jeremia, HAT I,12, Tübingen 19683 und eine auch danach nicht abreißende reiche Fülle überlieferungskritischer Literatur zum Buche Jeremia. Letzte umfangreiche Äußerung: W. L. Holladay, A fresh look at „source B“ and „source C“ in Jeremiah, in: VT 25, 1975, S. 394–412; er schließt mit den Worten: „... that this is an adventurous time in which to be doing research on Jeremiah.“
Zu den neuerdings kontroversen chronologischen Berechnungen des genauen Datums des endgültigen Falls von Jerusalem siehe A. Malamat, The Last Kings of Judah and the Fall of Jerusalem, in: IEJ 18, 1968, S. 137–155
E. Kutsch, Das Jahr der Katastrophe: 587 v. Chr. Kritische Erwägungen zu neueren chronologischen Versuchen, in: Biblica 55, 1974, S. 520–545. Malamat bleibt jedoch bei seinem Datum 586 v.Chr.
A. Malamat, The Twilight of Judah: In the Egyptian-Babylonian Maelstrom, in: VTSuppl 28, 1975, S. 123–145.
Vgl. hauptsächlich den großen Kommentar von W. Zimmerli, Ezechiel, BK 13, Neukirchen 1969 und eine Reihe einschlägiger Aufsätze Zimmeriis in dem Sammelband „Gottes Offenbarung“, München 1963.
Gedacht ist an die Vorstellung skandinavischer Forscher, die für die vorexilische Zeit fast ausschließlich mit mündlicher Tradition rechnen. Das macht freilich die hier gestellte Frage grundsätzlich nicht einfacher, sondern erschwert sie sogar. Vorausgesetzt werden müßte eine ungebrochene Kette von Tradenten, die für die authentische Wiedergabe der mündlichen Tradition bürgen könnte, und dies auch nach der totalen Katastrophe des Falles von Jerusalem und in Anbetracht der Exilierung der führenden Schichten nach Babylonien.
Vgl. M. Noth, Überlieferungsgeschichtliche Studien I, S. 152 [110] Anm. 1; E. Janssen, Juda in der Exilszeit, FRLANT 51, Göttingen 1956, und zahlreiche weitere Autoren, die diesen und ähnlichen Annahmen folgten.
Dafür spricht u. a. die Gestaltung der Überschriften in den kanonischen Prophetenbüchern, deren chronologische Angaben auch dort die judäischen Könige zuerst nennen, wo man die israelitischen erwarten sollte (Arnos, Hosea).
Zu den Einzelheiten und zu den Hoffnungen, die sich insbesondere an den Statthalter Serubbabel hefteten, S. Herrmann, Geschichte Israels, 1973, S. 370–375
zur frühnach-exilischen Zeit ausführlich K. Galling, Studien zur Geschichte Israels im persischen Zeitalter, Tübingen 1964
P. R. Ackroyd, Exile and Restoration. A Study of Hebrew-Thought of the Sixth Century BC, London 1968.
H. Gese, Anfang und Ende der Apokalyptik, dargestellt am Sacharjabuch, 1973, jetzt in: Vom Sinai zum Zion, München 1974, S. 202–238.
O. Plöger, Das Buch Daniel, KAT 18, 1965; ders., Theokratie und Eschatologie, WMANT 2, Neukirchen 19683
K. Koch, Spätisraelitisches Geschichtsdenken am Beispiel des Buches Daniel, in: Historische Zeitschrift 193, 1961, S. 1–32.
H. Gese a. a. O.; O. Plöger, Theokratie und Eschatologie, S. 37–68; K. Koch, Ratlos vor der Apokalyptik. Eine Streitschrift, Gütersloh 1970
K. Müller, Die Ansätze der Apokalyptik, in dem Sammelband: Literatur und Religion des Frühjudentums. Eine Einführung, Würzburg/Gütersloh 1973, S. 31–42.
Das alte Ägypten war daran relativ unbeteiligt. Die Schrift von G. Lanczkowski, Altägyptischer Prophetismus, Wiesbaden 1960, verarbeitet hauptsächlich ein ägyptisches Literaturwerk unter dem Titel „Die Klagen des Bauern“, das weniger auf „prophetischen“, eher auf „weisheitlichen“ Einfluß zurückzuführen ist
vgl. zum Thema auch S. Herrmann, Prophetie in Israel und Ägypten. Recht und Grenze eines Vergleichs, in: VTSuppl. 9, Leiden 1963, S. 47–65.
Eindrucksvoll etwa Arnos 4, 4–13 oder Joel 1, 1–20, aber auch dort nicht ohne ausdrückliche oder indirekte Hinweise auf geschichtliche Katastrophen durch den Einbruch feindlicher Heere.
Beispiele: Jes. 5,25–30; 14,24–27.
Die Texte sprechen in keinem Fall von konkreten Erwartungen, die über die Zeit der eigenen Generation, selten über die der nachfolgenden hinausgehen.
Die Frage der Legitimation Jesu durch prophetische Weissagung ist deshalb ein besonderes Thema der Traditionsgeschichte und setzt das kanonisierte alttestamentliche Schrifttum als normative Größe voraus. Das Verständnis der Person Jesu konnte durch solche Erwartungen prophetischer Rede unterstützt oder begründet werden, die als noch nicht erfüllt galten oder für eine neue Form der Erfüllung offen waren, wie etwa die Erwartung eines neuen David. Daß der historische Jesus sich selbst als Erfüller alttestamentlicher Verheißungen verstand und sich auf kanonische oder auch außerkanonische Texte berief, ist der synoptischen Überlieferung des Neuen Testaments zu entnehmen, wird aber gern als Produkt späterer Traditionsbildung hingestellt. Die dafür beigebrachten Argumente sind nicht zwingend und basieren vielfach auf Prämissen von Schulmeinungen.
S. o. Anm. 111.
Vgl. die ausführliche Überschau von R. Meyer, Prophetentum und Propheten im Judentum der hellenistisch-römischen Zeit, in: ThWB VI, S. 813–828; ders., Der Prophet aus Galiläa, 1940, Neudruck Darmstadt 1970.
R. Meyer, Der Prophet aus Galiläa, S. 10–40.
E. Fascher a.a.O., S. 166–190; Friedrich in: ThWB VI, S. 829–858; neuerdings unter besonderer Berücksichtigung von 1. Kor. 12–14 G. Dautzenberg, Urchristliche Prophetie, BWANT 104, Stuttgart 1975.
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Herrmann, S. (1976). Prophet und Prophetie in Israel und seiner Umwelt Die Quellen und ihre Interpretation. In: Ursprung und Funktion der Prophetie im alten Israel. Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften, vol 208. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-86378-2_2
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