Zusammenfassung
SPD wie KPD unternahmen nach der Befreiung von außen im Jahre 1945 anfangs keinen ernsthaften Versuch, die Ursachen des nationalsozialistischen Vernichtungsantisemitismus zu analysieren. Selbst in so engagierten Periodika wie den „Frankfurter Heften“ oder den Berliner Beiträgen zu kulturellen und politischen Fragen der Zeit, „Ost und West“, war die Vernichtung der europäischen Juden zunächst kein zentrales Thema. In den ersten Nachkriegsjahren veröffentlichten beide Zeitschriften allenfalls kurze Buchbesprechungen zu diesem Fragenkomplex. Es waren aber bereits Studien von Autoren publiziert worden, die den Holocaust und das KZ-System in Deutschland als Opfer überlebt hatten. In diesem Zusammenhang erinnere ich an zwei frühe Arbeiten: In Frankfurt a. M. erschien 1946 das Buch von Eugen Kogon, „Der SS-Staat“, ein mittlerweile klassisches Werk über das System der deutschen Konzentrationslager und das ökonomische und politische System, das dahinter stand2. Ein Jahr später veröffentlichte der Berliner Aufbau-Verlag die ideologiekritische Studie des deutschen Philologen jüdischer Herkunft, Victor Klemperer, über die Sprache des Dritten Reiches, „LTI“ (Lingua Tertii Imperii)3.
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Literatur
Vgl. Ost und West. Beiträge zu kulturellen und politischen Fragen der Zeit, hrsg. v. Alfred Kantorowicz, vollständiger Nachdruck der Jahrgänge 1947–49, Königstein/Taunus 1979; vgl. auch Frankfurter Hefte. Zeitschrift für Kultur und Politik, hrsg. v. Eugen Kogon unter Mitwirkung v. Walter Dirks. Faksimilierte Ausgabe der Jahrgänge 1–7, Frankfurt a. M. 1978; Tilman Fichter, Der Staat Israel und die neue Linke in Deutschland, in: Solidarität und deutsche Geschichte, hrsg. v. Karlheinz Schneider u. Nikolaus Simon, Berlin 1984, S. 81 ff.
Eugen Kogon, Der SS-Staat, Frankfurt a.M. 1946. — Diese Studie macht deutlich, daß Kogon während der sieben Jahre, in denen er im Konzentrationslager Buchenwald gefangen war, ein scharf beobachtender Soziologe blieb. Als junger Mensch hatte er in den dreißiger Jahren zunächst zum Kreis um den berufsständisch und universalistisch orientierten Othmar Spann in Wien gehört. Nach anfänglichen „Versöhnungsillusionen“ zwischen politischem Katholizismus, Austrofaschismus und Nationalsozialismus hatte Kogon sich aber schon bald zum entschiedenen Gegner des NS entwickelt. Vgl. auch Franz Focke, Sozialismus aus christlicher Verantwortung, Wuppertal 1978, S. 204.
Victor Klemperer, LTI. Notizbuch eines Philologen, Berlin 1947.
Vgl. John Bunzl, Was Israelis in den Palästinensern sehen, in: Die Verlängerung von Geschichte, hrsg. v. Dietrich Wetzel, Frankfurt a. M. 1983, S. 49; vgl. auch Nathan Weinstock, Das Ende Israels?, hrsg. u. eingel. v. Eike Geisel u. Mario Offenberg, Berlin 1975, S. 218 ff.
Vgl. Martin Jay, Dialektische Phantasie, Frankfurt a. M. 1976, S. 327 ff.
Franz Neumann, Behemoth, hrsg. u. mit einem Nachwort („Franz Neumanns Behemoth und die heutige Faschismusdiskussion“) versehen v. Gert Schäfer, Frankfurt a. M. 1977. — Das Werk erschien zunächst 1942 in London in einer Ausgabe der „Left Book Club Edition von Victor Gollancz. Eine stark erweiterte Fassung erschien dann 1944 in den Vereinigten Staaten. Die sozialhistorische Elitestudie entstand Ende der dreißiger Jahre im „Institut für Sozialforschung“ an der Columbia University. An den Vorarbeiten waren u.a. Ossip K. Flechtheim, Otto Kirchheimer, Arkadius R. L. Gurland und Herbert Marcuse beteiligt.
Der CDU-Staat, hrsg. v. Gert Schäfer u. Carl Nedelmann, München 1967.
Neumann, Behemoth (Anm. 6), S. 667.
Ebd., S. 63 ff., 90ff., 114ff., 169ff., 423 ff., 651 ff.; vgl. auch Tilman Fichter/Siegward Lönnendonker, Historisch-empirische Politikforschung in Berlin, in: Sozialwissenschaftliche Forschungen. Arbeitsbericht des Zentralinstituts 6 der Freien Universität Berlin 1972 – 1975, München 1975, S. 7.
Jay, Dialektische Phantasie (Anm. 5), S. 196.
Vgl. Deutschland-Jahrbuch 1949, hrsg. v. Klaus Mehnert u. Heinrich Schulte, Essen 1949, S. 107 f.
Dörte von Westerhagen, Wiedergutgemacht?, in: Die Zeit, Nr. 41, 5.10.1984, S. 33 ff.
Vgl. Hans-Peter Schwarz, Die Ära Adenauer, Stuttgart 1981, S. 185.
Vgl. ebd.
Vgl. von Westerhagen, Wiedergutgemacht? (Anm. 12), S. 33.
Prof. Franz Böhm entzogen die Nationalsozialisten 1938 wegen seiner Kritik an der Rassenpolitik die Lehrerlaubnis. 1945–46 hessischer Kultusminister und seit 1946 o. Prof. f. bürgerliches Recht an der Universität Frankfurt a. M. — Otto Küster war im September 1933 von den Nationalsozialisten als Richter entlassen worden. Ab Oktober 1945 Referent für Gesetzgebung im Justizministerium Württemberg-Baden. Seit März 1947 Staatsbeauftragter für Wiedergutmachung in Stuttgart. Er formulierte die Grundzüge des alliierten Rückerstattungsgesetzes und die des Entschädigungsgesetzes der US-Besatzungszone von 1940. — Ab Februar 1952 verhandelten Prof. Franz Böhm und Otto Küster bei den Haager Wiedergutmachungs-Verhandlungen für die Bundesrepublik Deutschland mit Israel und der „Jewish Claims Conference“. Vgl. Christian Pross/Götz Aly, Wiedergutmachung als Lebenswerk, in: taz, 7.1.1987, S. 12 f.; vgl. auch Kai von Jena, Versöhnung mit Israel? Die deutschisraelischen Verhandlungen bis zum Wiedergutmachungsabkommen von 1952, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 34. Jg. 1986, H. 4, S. 457 ff. Bundespräsident Prof. Theodor Heuss sprach am 7.12.1949 auf einer Veranstaltung der „Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit“ in Wiesbaden. Er setzte dem Begriff „Kollektivschuld“ den Begriff „Kollektivscham“ entgegen: „Das Wort Kollektivschuld... ist eine simple Vereinfachung, ist eine Umdrehung, nämlich der Art, wie die Nazis es gewohnt waren, die Juden anzusehen: daß die Tatsache, Jude zu sein, bereits das Schuldphänomen in sich eingeschlossen habe. Aber etwas wie eine Kollektivscham ist aus dieser Zeit gewachsen und geblieben. Das Schlimmste, was Hitler uns angetan hat..., ist doch dies gewesen, daß er uns in die Scham gezwungen hat, mit ihm und seinen Gesellen gemeinsam den Namen Deutsche zu tragen.“ Vgl. Theodor Heuss, Politiker und Publizist. Aufsätze und Reden, ausgewählt u. kommentiert v. Martin Vogt, Tübingen 1984, S. 382 f. Laut Kai von Jena traf sich Konrad Adenauer im April 1951 — auf Vermittlung des jüdischen SPD-Bundestagsabgeordneten Jakob Altmaier — heimlich mit dem israelischen Finanzminister David Horowitz in Paris. Horowitz erläuterte die jüdischen Ansprüche und forderte von Adenauer eine Erklärung, in der „das große Unrecht, das den Juden (an)getan worden ist“, anerkannt werde. Der erste Entwurf für diese Erklärung war im Juli 1951 fertiggestellt. Er enthielt eine Zurückweisung der Kollektivschuld, und für eine bundesdeutsche Wiedergutmachung wurden enge Grenzen gezogen. Es wurde noch zehn Wochen lang in Den Haag verhandelt, bis die jüdische Seite auf eine generelle Verurteilung des deutschen Volkes verzichtete. Am 27.9.1951 bekannte sich der erste Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland dann im Bundestag öffentlich zur moralischen und materiellen Wiedergutmachung gegenüber den Juden für die „unsagbaren Verbrechen“, die „im Namen des deutschen Volkes“ begangen worden sind. Vgl. von Jena, Versöhnung, S. 462 ff.
Vgl. Standort Friedrich-Ebert-Stiftung, Bund, Delegiertenkonferenzen, 3201.01, Archiv des SDS (1946–52), mschr. Protokoll der Bundesdelegiertenkonferenz des SDS, 15.–17.9. 1951 in Braunschweig, Anlage zum Protokoll der Delegiertenkonferenz über gefaßte Beschlüsse, Resolutionen und Empfehlungen, S. 1.
Vgl. Standort Friedrich-Ebert-Stiftung, Bund, Rundschreiben 1946–1954, 3101.01, Archiv des SDS, Rundbrief Nr. 17/51 v. 16.10.1951.
Vgl. Delegiertenkonferenzen (Anm. 17), mschr. hektogr. Protokoll der Delegiertenkonferenz, 4.—6.10.1952 in Münster, Bericht des Sekretariats, S. 2. — Vgl. auch Erich Lüth, Ein Deutscher sieht Israel, hrsg. v. d. Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Hamburg, Hamburg 1955, S. 90.
Vgl. colloquium, 6. Jg. 1952, H. 2, S. 18 f.
Vgl. Hochschule im Umbruch, Teil II: Konsolidierung um jeden Preis (1949–1957), Berlin 1973, S. 11. — Auf die Frage eines Journalisten teilte Dr. Stumm mit, daß das „NichtTragen“ von Dienstnummern auf eine Forderung der Betriebsvertretung der Polizei zurückgehe, die geltend gemacht habe, die Polizisten fühlten sich durch eine solche Bezeichnung „zu Nummern degradiert“. Jeder Polizist sei verpflichtet, jederzeit seine Dienstnummer und seinen Namen anzugeben.
Vgl. ebd., S. 13.
Heinz Kersten, Freiburg, Berlin und die Ölbäume, in: Unser Standpunkt. Bundesorgan des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes, 2. Jg., Nr. 2, Febr. 1952, S. 1 ff.
Ebd.
Vgl. Heinz Westphal, Der Neubeginn der Arbeiterbewegung nach 1945, Sonderdruck der Mitteilungen des Archivs der Arbeiterjugend, 3–4/1984. In seinem Referat am 15.9.1984 auf der Jahreshauptversammlung des „Archivs der Arbeiterjugend“ in Oer-Erkenschwick betonte der ehemalige Falken-Vorsitzende Heinz Westphal u. a. diesen Aspekt. — Vgl. auch Tilman Fichter/Siegward Lönnendonker, Kleine Geschichte des SDS, Berlin 1977, S. 30, 150; vgl. ferner colloquium, 6. Jg. 1952, H. 2, S. 19; Kersten, Freiburg, Berlin und die Ölbäume (Anm. 23), S. 1 ff.
Vgl. Hochschule im Umbruch, Teil II: Konsolidierung um jeden Preis (1949–1957), S. 10.
Vgl. ebd., S. 11.
Vgl. ebd., S. 22.
Vgl. ebd., S. 23. — Am 14. Juli 1953 wurden im „Grunewald-Casino“ in West-Berlin Mensuren geschlagen. Der Leiter der Paukveranstaltung ließ den hinzukommenden Rektor der Freien Universität durch den Kneipenwirt aus dem Haus weisen. Die Paukanten nahmen gegen den Rektor eine drohende Haltung ein.
Ebd., S. 23, 85. — Der Tagesspiegel v. 16.7.1953: „Hitzige Auseinandersetzung über Mensuren. Neuer Zwischenfall im Grunewald-Casino — Polizei beruft sich auf alliiertes Verbot.“
Vgl. Fichter/Lönnendonker, SDS (Anm. 25), S. 7.
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Fichter, T. (1988). Die Verlängerung des Schweigens. In: SDS und SPD. Schriften des Zentralinstituts für sozialwissenschaftliche Forschung der Freien Universität Berlin, vol 52. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-86209-9_7
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