Zusammenfassung
Wie umstritten der Unvereinbarkeitsbeschluß in der Partei tatsächlich gewesen ist, beweist die Tatsache, daß sich Parteirat und Parteivorstand auf einer internen Klausurtagung anläßlich der Auswertung der vorangegangenen Bundestagswahl am 26. November 1961 erneut ausführlich mit der Vorgeschichte und den Konsequenzen dieses Beschlusses auseinandersetzten1. Nachdem Erich Ollenhauer zunächst über die internationalen Verhandlungen im Zusammenhang mit Berlin und der Deutschlandfrage referiert hatte, kam er auf die in der Partei weit verbreiteten Spekulationen über den plötzlichen Rückzug Waldemar von Knoeringens nach Bayern zu sprechen. In den Reihen der dritten SDS-Generation wird bis heute die These vertreten, daß von Knoeringen in der Konfrontation mit den SDSlern vom Apparat um Herbert Wehner instrumentalisiert worden sei. Ollenhauers vage Formulierungen verstärken diesen Verdacht nur noch:
„Genossen, ich möchte noch ein Wort hinzufügen auch in diesem Kreis. Ihr wißt, daß Waldemar von Knoeringen seit Beginn dieses Jahres zunächst durch eine ernsthafte Erkrankung, dann durch seine eigene Entscheidung nicht mehr aktiven Anteil an der zentralen Parteiarbeit in der Weise genommen hat, daß er seine Funktion als einer der stellv. Vorsitzenden der Partei hier ausüben konnte. Wir haben in persönlichen Unterhaltungen mit Waldemar das Resultat gehabt, daß er unabhängig von seinem Gesundheitszustand, der sich gebessert hat und der es ihm ja auch ermöglicht hat, einen wichtigen Beitrag im Wahlkampf selbst zu leisten — er hat in einer großen Zahl von Kundgebungen in der Partei in allen Teilen der Bundesrepublik gesprochen. Aber abgesehen davon (hat) er selbst den Wunsch… sich auf die Landespolitik Bayerns zu konzentrieren. Auch in der nächsten Wahlperiode für den bayerischen Landtag zu kandidieren und einen maßgeblichen Einfluß auf die Führung der Politik der Partei in Bayern zu nehmen und darüber hinaus sich zu konzentrieren auf die Gebiete der Bildungspolitik, die ihm immer besonders am Herzen gelegen hat und wo er auch eine Reihe von sehr wertvollen Beiträgen in den letzten Jahren geleistet hat. Wir sind zu dem Resultat gekommen, daß es nicht sinnvoll wäre, jetzt weitere Diskussionen mit ihm über seine Entscheidung zu haben, auf dem nächsten Parteitag nicht mehr als stellv. Parteivorsitzender zu kandidieren. Wir werden in den nächsten Tagen mit ihm hier eine Besprechung haben über die Möglichkeiten, wie wir mit ihm in einer ständigen Arbeitsverbindung bleiben können, auch wenn er diese spezielle Funktion nicht mehr ausübt. Auch darüber werden wir zu einem späteren Zeitpunkt hier dem Parteirat berichten. Ich wollte es aber hier mitgeteilt haben, damit die Gerüchte, die hier und da aufgetaucht sind, als ständen hinter dieser Entscheidung von Waldemar politische Gegensätze und (als) sei (diese) Entscheidung eine bewußte Distanzierung von der politischen Linie oder von der Haltung der Parteiführung, daß diese Gerüchte keinen sachlichen Hintergrund haben, sondern daß der volle Gehalt seiner Überlegungen darin liegt, in dem, was ich hier gesagt habe.“2
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References
Vgl. SPD-PV-Protokolle 1961, mschr. Protokoll der Sitzung des Parteivorstands und Parteirats am 26.11.1961, S. 45 ff.
Ebd., S. 21 f.
Ebd., S. 23 ff.
Ebd., S. 45 f.
Ebd., S. 47 ff.
Ebd., S. 48.
SPD-PV-Protokolle 1961, Dokumentation zur Entwicklung des SDS, S. 19.
Protokoll des Parteirats (Anm. 1), S. 48.
Ebd., S. 54 ff.
Vgl. Jürgen Dittberner, Die Freie Demokratische Partei, in: Richard Stöss (Hrsg.), Parteien-Handbuch, Opladen 1983, Bd. II: FDP bis WAV, S. 1326 ff.
Vgl. Manfred Rexin, 1957 — „Kampf dem Atomtod“— Rolf Schroers in der ApO der Adenauer-Ära, in: Monika Fassbender/Klaus Hansen (Hrsg.), Feuilleton und Realpolitik — Rolf Schroers: Schriftsteller, Intellektueller, Liberaler, Baden-Baden o.J., S. 63 ff.
Protokoll des Parteirats (Anm. 1), S. 41 f.
Ebd., S. 64 ff.
Vgl. Hartmut Soell, Fritz Erler, Bonn-Bad Godesberg 1976, Bd. 1, S. 246
Hartmut Soell, Fritz Erler, Bonn-Bad Godesberg 1976, Bd. 1, S. 609, Anm. 5.
Ebd.
Protokoll des Parteirats (Anm. 1), S. 70.
Vgl. oben S. 112ff.
Protokoll des Parteirats (Anm. 1), S. 72 f.
Vgl. Brigitte Seebacher-Brandt, Ollenhauer, Berlin 1984, S. 165 ff.
Vgl. Fritz Lamm, Sozialdemokratie am Scheideweg?, in: Funken. Aussprache-Hefte für internationale sozialistische Politik, Nr. 3, Aug. 1950, S. 4 ff.
Vgl. Dokumentation des Parteivorstandes zum Verhältnis SPD und SDS vom 25. Januar 1962, nach: Tatsachen — Argumente, hrsg. v. Vorstand der SPD, Bonn, Nr. 30, Jan. 1962. Zit. nach: Dokumente zur parteipolitischen Entwicklung in Deutschland seit 1945, Bd. 7, Teil 2: Innerparteiliche Auseinandersetzungen, Berlin 1969, S. 160 ff. Laut dieser Dokumentation sollen Diplom-Volkswirt Heinz Brakemeier, Dr. Helga Einsele und Dr. Paul Haag, ohne die rund 400 Mitglieder zu fragen, die „Sozialistische Hochschulgemeinschaft“(SHG) in Hessen aufgelöst haben. In einem zweiten Rundbrief hätten Brakemeier, Einsele und Haag die Gründung einer SDS-Förderergemeinschaft angekündigt und zu deren Beitritt aufgefordert. An der Spitze des Gründungsaufrufs hatten die Namen Prof. Dr. Wolfgang Abendroth und Heinz Brakemeier gestanden: „Die Zahlkarte für die Überweisung des früheren SHG-Beitrages an die neue SDS-Förderergemeinschaft war bereits beigelegt. Zu diesem Vorgang erklärte im November 1961 Erich Ollenhauer vor dem Parteirat: ‚Wir haben derartige Methoden bisher nur bei anderen, aber nicht bei Sozialdemokraten erlebt‘.“ Fortsetzung Fußnote 21 Vgl. auch in derselben Dokumentation zum Thema „Innerparteiliche Auseinandersetzungen“die „Stellungnahme zur ‘Dokumentation SPD und SDS’ des Parteivorstandes der SPD“, hrsg. vom Bundesvorstand des SDS und vom geschäftsführenden Vorstand der „Sozialistischen Förderergesellschaft e. V.“, Frankfurt a. M., o. J. (1962), S. 176. In dieser Gegendokumentation des SDS hieß es zur Auflösung der „Sozialistischen Hochschulgemeinschaft Hessen“u.a.: „Tatsache ist, daß es sich bei der Sozialistischen Hochschulgemeinschaft Hessen lediglich um einen von der SPD unabhängigen informellen Freundeskreis gehandelt hat, der vom SDS, und zwar besonders von Heinz Brakemeier, aufgebaut worden war und dessen einziger Zweck in der Förderung des SDS bestand. Es gab in der Sozialistischen Hochschulgemeinschaft Hessen keine Mitgliedschaft. Es wurde lediglich von Oberregierungsrat Dr. Helga Einsele, Rechtsanwalt und Notar Dr. Paul Haag und Diplom-Volkswirt Heinz Brakemeier ein Konto verwaltet, auf das jeder Geld einzahlen konnte, der an der Arbeit des SDS interessiert war. Die Spender erhielten einige Male Berichte über die Arbeit und Veranstaltungen des SDS oder wurden zu diesen eingeladen. Als keine Spenden mehr eingingen und der Parteivorstand der SPD im Juli 1960 beschloß, den SDS nicht mehr zu fördern, war es nur konsequent, das Ende des Fördererkreises festzustellen. In dem betreffenden Schreiben vom Frühjahr 1961 heißt es ausdrücklich: ‚Obwohl die Unterzeichneten sicherlich legitimiert gewesen wären, ihre Tätigkeit (nach der Spaltung) fortzusetzen, stellen sie den Spendeneinzug ein, um die weitere Entwicklung abzuwarten.‘Von keinem Förderer ist diese Entscheidung in irgendeiner Weise beanstandet worden; die demokratischen Spielregeln sind daher vollkommen eingehalten worden. Die Auflösung entsprang gerade der Loyalität gegenüber der vom Parteivorstand beschlossenen Politik. Es schien den Verantwortlichen nicht mehr gerechtfertigt, nachdem sich gezeigt hatte, daß die Spaltung des SDS nicht mehr rückgängig zu machen ist, die Sammlung von Spenden für den SDS unverändert, d.h. unter den bisherigen Spendern fortzusetzen.“Zu den Beschuldigungen gegenüber Prof. Dr. Wolfgang Abendroth hieß es in der Gegendokumentation: „Tatsache ist, daß Prof. Dr. Abendroth überhaupt nicht ‚Mitglied‘der Sozialistischen Hochschulgemeinschaft Hessen war. Er hat weder die Hochschulgemeinschaft aufgelöst noch dabei mitgewirkt.“
Protokoll des Parteirats (Anm. 1), S. 84 f.
Ebd., S. 86.
Ebd.
Ebd., S. 77 ff.
Ebd., S. 91 f.
Ebd.
Standort ZI 6, Kopie der Gegendokumentation von Hans Matthöfer, S. 2.
SPD-PV-Protokolle 1961, Dokumentation zur Entwicklung des SDS (Anm. 7), S. 10.
Gegendokumentation von Hans Matthöfer (Anm. 28), S. 3.
Interview mit Manfred Dammeyer am 26.9 1985 in Bonn.
Vgl. Dokumente zur parteipolitischen Entwicklung (Anm. 21), S. 158 f.
Standort ZI 6, Urs Müller-Plantenberg, SDS, Januar 1959 bis Dezember 1963, Schreiben von Manfred Rexin und Ansgar Skriver an Urs Müller-Plantenberg v. 30.11.1961. — Rexin trat Fortsetzung Fußnote 3 3 Anfang der siebziger Jahre erneut in die SPD ein und arbeitet mittlerweile als Rundfunkredakteur beim RIAS. Ansgar Skriver ist seit längerem Redakteur bei der UNO in New York für den WDR/NDR.
Der Antrag zum Ausschlußverfahren mußte vom jeweiligen SPD-Bezirk gestellt werden. Eine zentrale Erfassung beim SPD-Parteivorstand der örtlichen Ausschlußbeschlüsse fand m.W. nie statt.
Hans-Jürgen Heß, Innerparteiliebe Gruppenbildung, Bonn 1984, S. 43.
Vgl. Klaus Günther, Die andere Meinung in der SPD 1949, 1955/56, 1958/61. Ein Beitrag zum Problem innerparteilicher Diskussionsfreiheit, in: Archiv für Sozialgeschichte, XIII. Bd., Bonn-Bad Godesberg 1973, S. 49.
Ebd.
Ebd. — Die Formulierung „theoretische Sprachlosigkeit“soll — laut Klaus Günther — auf Arno Klönne zurückgehen.
Ebd.
Ebd. — Die Formulierung „edle und ehrwürdige Torheiten“soll — nach Klaus Günther — auf eine Formulierung Peter von Oertzens auf der ordentlichen XIV. Delegiertenkonferenz am 30.7.1959 in Göttingen zurückgehen.
Vgl. Günther, Die andere Meinung (Anm. 36), S. 50.
Willy Brandt stimmte dem „Radikalenerlaß“am 28.2.1972 zu. Vgl. auch Tilman Fichter/ Siegward Lönnendonker, Kleine Geschichte des SDS, Berlin 1977, S. 170, Anm. 118; Hans Koschnick/Klaus Henning Rose, Der lange Abschied vom Extremistenbeschluß, in: Die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, 32. Jg, H. 10, Okt. 1985, S. 939 ff.
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Fichter, T. (1988). „Verlorene Augenblicke“. In: SDS und SPD. Schriften des Zentralinstituts für sozialwissenschaftliche Forschung der Freien Universität Berlin, vol 52. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-86209-9_20
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